Poonal Nr. 314

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 314 vom 6. November 1997

Inhalt


VENEZUELA

VENEZUELA/IBEROAMERIKANISCHER GIPFEL

DOMINIKANISCHE REPUBLIK

BRASILIEN

BRASLIEN

HAITI

PARAGUAY

ARGENTINIEN

LATEINAMERIKA

MEXIKO

KUBA

KOLUMBIEN

NICARAGUA

HONDURAS

PERU


VENEZUELA

Castro-Gegner ausgewiesen

(Caracas, 5. November 1997, pulsar/pl-Poonal).- Die venezolanischen Behörden haben mehrere Kubaner ausgewiesen, die sie verdächtigten, den kubanischen Staatschef Fidel Castro ermorden.zu wollen. Castro reiste am 6. November auf die Insel Margarita, um am iberoamerikanischen Gipfeltreffen teilzunehmen. Die Polizei hatte am Montag mehrere Hausdurchsuchungen auf der Insel vorgenommen. Sie verhaftete zwei venezolanische Castro- Gegner und deportierte mehrere Exil-Kubaner, die der Demokratischen Kubanischen Plattform, die ihren Sitz in Miami hat, angehören. Die Gerüchte über ein Attentat gegen den kubanischen Staatschef wuchsen, nachdem auf Puerto Rico vier bewaffnete Personen festgenommen wurden, die in einem Boot in Richtung der Insel Margarita unterwegs waren.

Der kubanische Außenminister Roberto Robaina war im Vorfeld nach Venezuela gekommen, um die Orte zu besichtigen, wo Fidel Castro sich aufhalten wird. Seine Bitte, die Anwesenheit exilierter Kubaner*innen auf der Insel Margarita zu verhindern, lehnte Venezuelas Präsident Rafael Caldera allerdings ab. Eine andere kubanische Gruppe überwand alle Sicherheitsmaßnahmen und kam bis zum Pressezentrum, das wenige Meter vom Tagungsort der Staatschefs liegt. Die drei Kubaner kritisierten Fidel Castro, weil er seine auf dem 6. Iberoamerikanischen Gipfel in Viña del Mar eingegangenen Verpflichtungen nicht erfüllt habe. Sie kündigten zudem die Anwesenheit von Huber Matos, Chef einer anderen Anti- Castro-Bewegung, an.

(Anmerkung der Redaktion: Inzwischen hat sich die venezolanische Regierung bei den ausgewiesenen Castro-Gegnern entschuldigt und von einem „Übermaß an Polizeieifer“ gesprochen. Zu den Ausgewiesenen gehört auch Carlos Alberto Montaner, eine der führenden Persönlichkeiten der Demokratischen Kubanischen Plattform. Montaner hat die Rückkehr der Gruppe nach Venezuela während des Gipfels angekündigt. Der kubanische Botschafter spricht von einer Gruppe, die „kommt, die Rechte einer großen Macht gegen ein kleines Volk zu verteidigen, das einer 40jährigen Blockade widersteht“.)

VENEZUELA/IBEROAMERIKANISCHER GIPFEL

Scheinheiliges Ringen um Konsens

Von Andres Cañizalez

(Caracas, 3. November 1997, npl).- Die Pressefreiheit will Gastgeber Venezuela einschränken, über Menschenrechte müssen alle Staatschefs diskutieren, von Korruption will keiner was wissen. Und die Medien werden sich wieder einmal auf Kubas Präsidenten Fidel Castro stürzen. So das Panorama wenige Tage vor Beginn des Iberoamerikanischen Gipfeltreffens, das am kommenden Wochenende auf der karibischen Insel Margarita im Nordosten Venezuelas stattfinden wird.

Zum siebten Mal kommen die 23 Staats- und Regierungschefs aus Lateinamerika, Spanien und Portugal zusammen. Was beim ersten Treffen 1991 in Mexiko noch eine gewagte Initiative war, da die USA als englischsprachige Nation nicht eingeladen war, hat sich mittlerweile zu einem Forum für die lateinamerikanische Einheit und einer Plattform zum Protest von Nichtregierungsorganisationen (NRO) entwickelt. Ob „Kultur und Erziehung“, der „technologische Rückstand“ oder wie diesmal der „demokratische Rechtsstaat“ im Mittelpunkt stehen, die Probleme des Subkontinents werden zumindest benannt, auch wenn die schön formulierten Abschlußerklärungen bisher kaum Auswirkungen auf die Praxis hatten.

Dennoch sind diese Treffen Washington ein Dorn im Auge. Nicht nur, weil der geächtete Castro als einer unter Gleichen dabeisein darf; Clintons Absicht, unter US-Führung einen amerikanischen Binnenmarkt zu schmieden, wird trotz seines Besuchs in der Region Mitte Oktober auf Margarita bestimmt nicht vorangetrieben. Und die Handelsblockade der USA gegen Havanna hat in Lateinamerika wenig Freunde, zumal die Angst vor der Wirtschaftsmacht im Norden alle eint. Zuletzt 1996 in Chile verurteilte eine Gipfelerklärung die durch das Helms-Burton-Gesetz verschärfte Blockadepolitik als „Angriff auf das internationale Recht“. Der Antrag Kubas, den Gipfel 1999 in Havanna auszurichten, wird zumindest hinter den Kulissen für Unruhe sorgen, und die engen Allierten der USA werden alles daransetzen, einen solchen Punktsieg Castros zu verhindern.

Peinlich könnte das Treffen enden, sollte der Tagesordnungspunkt „ethische Werte der Demokratie“ wirklich behandelt werden. Guten Willens hatte Gastgeber Venezuela angesichts weitverbreiteter Korruption dieses Thema vorgeschlagen. Doch die Bilanz der vergangenen Jahre macht sämtliche Anwesende nicht gerade zu glaubwürdigen Fürsprechern in dieser Debatte. Drei ehemalige Präsidenten stolperten über Korruptionsaffären: Fernando Collor in Brasilien wurde aus dem politischen Leben verbannt, Carlos Andrés Perez zu 28 Jahren Gefängnis verurteilt und der Ecuadorianer Abdalá Bucaram flüchtete anfang des Jahres nach Panama ins Exil. Mehrere der heutigen Mandatsträger müssen sich derzeit Korruptionsvorwürfen erwehren, und allen Regierungen werden Verfehlungen, von einfacher Vorteilsnahme über undurchsichtige Bankgeschäfte bis hin zu Drogenhandel nachgesagt. Ecuadors Präsident Fabián Alarcón soll 1.000 Funktionäre illegal eingestellt haben, Ernesto Samper in Kolumbien mit Drogengeldern Wahlkampf betrieben haben und die spanische Regierung soll die illegale Terroristenbekämpfung finanziert haben. Angesicht dieser Sachlage erwartet niemand mehr als Lippenbekenntnisse zum Thema Ethik.

Sorgen bereitet den Staatsoberhäuptern in diesem Jahr vor allem die Kritik von unten. Raúl Cubas, Sprecher von rund zehn Menschenrechtsorganisationen in Venezuela, beklagt den „geheimen Umgang“ mit dem Abschlußdokument, das die Regierungen am Sonntag unterzeichnen sollen. Auch die Menschenrechtsorganisation amnesty international (ai) befürchtet, daß das Thema Menschenrechte kaum oder möglicherweise gar nicht im Dokument auftauchen wird, obwohl oder gerade weil politische Morde, Polizeiübergriffe und Folterungen in vielen Ländern Lateinamerikas immer wieder dokumentiert werden. Auch der Polizei in Spanien und Portugal warf amnesty kurz vor dem Gipfeltreffen die Folterung von Menschen vor.

Die Kritiker fordern von den Regierungen, daß sie ihre Verantwortung für die Einhaltung der Menschenrechte wahrnehmen, da sie befürchten, daß die Staaten im Zuge der politischen und wirtschaftlichen Umstrukturierung diesen Aspekt vernachlässigen. Kritik auch an der in mehreren Ländern begonnenen Reform des Justizwesens: Die Justiz sei werde dem politischen System untergeordnet und verliere damit seine Unabhängigkeit, meint Cubas. Laut amnesty international gehören Brasilien, Kolumbien, Guatemala und Peru zu den Ländern, in denen die Lage der Menschenrechte sehr bedenklich ist.

Dem Ringen um einzelne Formulierungen hat Venezuelas Präsident Rafael Caldera im Vorfeld der Treffens ein ungewolltes Ende gesetzt. Mit seiner Anregung, auch das „Recht der Völker auf wahrhaftige Information“ in das Abschlußdokument aufzunehmen, hat er eine heftige Debatte über Pressefreiheit losgetreten. Unter „Wahrhaftigkeit“ versteht Caldera nämlich, daß auch die Medien kontrolliert werden, damit sie nicht ungeniert jedes Detail – schon gar nicht unrühmliche Machenschaften der Regierungen – publizieren (vgl. auch folgenden Artikel). Miguel Henrique, Herausgeber von Venezuelas größter Zeitung „El Nacional“, hat den Ratschlag seines Präsidenten so verstanden: Ziel dieser Initiative sei, „weitgreifende Mechanismen zur Zensur und Selbstzensur zu etablieren“, kommentierte er. Und die Interamerikanische Pressegesellschaft (SIP) ging soweit, Calderas Medienpolitik mit der eingeschränkten Pressefreiheit in Kuba zu vergleichen.

Neben der Pressefreiheit und den Menschenrechten wird es zumindest ein weiteres, wenn auch inoffizielles Diskussionsthema auf dem Gipfel geben: Kuba und Fidel Castro. Als einziger Vertreter eines Einparteiensystems wird er gerne als Schwarzes Schaf bezeichnet, obwohl er als einziger die offensichtlichen Defizite und sozialen Probleme vieler selbstgerecht demokratischer Regierungen auf den Punkt bringt. Eine offizielle Erklärung gegen die sozialistische Insel wird nicht erwartet, da einflußreiche Länder wie Mexiko und Venezuela dagegenstimmen würden. Dennoch werden, wie schon auf den vorhergehenden Treffen, der Spanier Aznar und sein argentinischer Kollege Menem die Rolle übernehmen, Castro als diktatorischen Regenten zu brandmarken. Für Menem, daheim in Korruptionsaffären verstrickt und durch den Skandal um die Ermordung eines Pressefotografen belastet, ein heikles Unterfangen.

Die neue „Wahrhaftigkeit“ – Pressefreiheit unter Beschuß

Von Roberto Roa

(Caracas, 4. November 1997, npl).- Wenn die Arbeit der Presse kontrolliert oder behindert werden soll, reagieren Journalisten für gewöhnlich heftig. In seltener Eintracht wehren sich Kollegen fast aller Medien und politischer Ausrichtungen gegen jede Art von Bevormundung und nutzen ihr Produkt, ihre Empörung kundzutun. Dies hatte Venezuelas Präsident Rafael Caldera offenbar vergessen, als er vorschlug, auf dem Iberoamerikanischem Gipfeltreffen am kommenden Wochenende auch das „Recht auf wahrhaftige Information“ in die Abschlußerklärung aufzunehmen. Unglücklicherweise konkretisierte er, was dieser schöne Begriff bedeuten solle: Die Länder der Region sollten die Richter ermächtigen, Strafen für die „Veröffentlichung von Informationen, deren Richtigkeit nicht eindeutig erwiesen“ sei, zu verhängen.

Ein allzu durchsichtiger Vorschlag: Kaum ausgesprochen, erhob sich Protest von allen Seiten gegen den angekündigten Maulkorb. Schnell erinnerten sich die oft gescholtenen Meinungsmacher auch der Risiken, unter denen sie in Lateinamerika arbeiten: Drohungen, hohe Geldstrafen, Agressionen und Morde. So fällt Calderas Initiative auf ihn selbst zurück, spiegelt sie doch nur die Unzufriedenheit vieler Regierungen mit Veröffentlichungen, die Korruption, dubiose Geschäfte und Klientelismus staatlicher Stellen ans Licht bringen, wider. Pikantes Detail: Calderas Vorgänger Andrés Perez mußte seinen Präsidentensessel wegen Korruption verlassen und für über zwei Jahre ins Gefängnis umziehen.

„Jedem Versuch seitens Regierungen, den Begriff der Wahrhaftigkeit zu verkehren oder sich das Recht anzueignen, ihn zu definieren, werden wir scharfen Widerstand entgegensetzen,“ ist im Abschlußdokument des „III Kommunikationsforums“ zu lesen, zu dem auf Einladung der Europäischen Journalistenvereinigung (APE) und des Iberoamerikanischen Kommunikationszentrum (CICES) Journalisten aus 20 Ländern gekommen waren. Das Forum tagte am ersten November- Wochenende auf der venezolanischen Insel Margarita, wo kommenden Samstag 23 Präsidenten auf ihrem Gipfeltreffen über das gleiche Thema beraten werden. Es sei verwunderlich, so das Dokument weiter, wenn „wenig wahrhaftige“ Regierungen beanspruchen, einen Begriff zu füllen, den „sie selbst mißachten“. Nicht einmal die Anwesenheit zweier Minister der Regierung Calderas konnte die Gemüter beruhigen. Ihre Erklärung, daß es sich bei dem Vorstoß weder um Zensurmaßnahmen noch um Gesetzesvorschriften handelt, überzeugte offenbar nicht.

Schon Ende Oktober hatte die 53. Vollversammlung der Iberoamerikanischen Pressegesellschaft (SIP) in Guadalajara/Mexiko die Initiative zur „Wahraftigen Information“ als „Angriff auf die Meinungsfreiheit verurteilt, ihr Präsident Luís Gabriel Cano bezeichnete sie als antidemokratisch. Die heftigen Reaktionen auf den Begriff „wahrhaftig“ erklärt die zunehmend eingeschränkte Pressefreiheit in den meisten Ländern Lateinamerikas. Jüngsten Angaben der SIP zufolge sind in den vergangenen zehn Jahren rund 200 Jourmalisten wegen ihrer Arbeit ermordet worden, allein elf im Laufe dieses Jahres. Hinzu komme, so Cano, daß „fast alle Morde, Attentate und Entführungen strafrechtlich nicht verfolgt werden“.

Beispiele für staatliche Willkür gegenüber Medien und ihren Mitarbeitern gibt es viele. Am meisten Aufsehen erregte im Januar die Ermordung des Fotoreporters José Luís Cabezas, dessen verkohlter Leichnam in einem ausgebrannten Auto in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires gefunden wurde; Cabezas war offensichtlich gefesselt und dann erschossen worden. Der Reporter recherchierte über die Verbindungen der Regionalregierung zur Mafia. Die New York Times kam im Vorfeld des Clinton-Besuchs in Argentinien zu dem Schluß, Präsident Carlos Menem führe einen Kampf gegen die Medien, da er diese Institution „nicht seinem eigenen Willen unterordnen konnte“. Die Zeitung zählte 800 Übergriffe auf Journalisten seit Menems Amtsantritt 1989.

In Peru ist im September dem Besitzer eines Fernsehsenders die peruanische Staatsbürgerschaft aberkannt worden, dies kam einer Enteignung gleich, da ihm als Ausländer die eigene TV-Station nicht mehr gehören darf. Präsident Fujimori hatte sich bei der Justiz über den Sender beschwert, da er ihn der Korruption beschuldigt hatte. Nicaraguas Präsident Alemán nötigte alle staatlichen Stellen, Anzeigen in Medien, die kritisch über seine Regierung berichten, zurückzuziehen. In Venezuela saß der Journalist William Ojeda monatelang ohne Prozeß im Gefängnis, weil er in seinem Buch „Wieviel kostet ein Richter“ die Korruption im Justizwesen anprangerte. In Mexiko wurden im September fünf Journalisten überfallen, nachdem sie über sechs verschwundene (und inzwischen ermordet aufgefundene; vgl. Poonal 313) Jugendliche berichteten, die zuvor von der Polizei festgenommen worden waren. Seit ihrer Veröffentlichung wackelt der Stuhl des Polizeipräsidenten der Hauptstadt. In Kuba müssen ausländische Korrespondenten einer neuen Richtlinie zufolge „objektiv in Übereinstimmung mit kubanischen Normen“ berichten, Mitarbeiter unabhängiger Medien wurden mehrfach arrestiert. Und in Brasilien droht ein neues Pressegesetz mit sechsstelligen Dollarbeträgen Strafe für Falschmeldungen. Über 3.400 Radios und Zeitungen versuchen jetzt, den Kongreß zu Korrekturen zu bewegen.

Diese Aufzählung ist ohne Ende. Doch es gibt auch ein positives Beispiel für „Wahrhaftigkeit“: Die wichtigsten Zeitungen aus Peru und Ecuador unterschrieben Ende September ein Abkommen, das alle Seiten verpflichtet, durch „wahrhaftige Informationen die Entspannung des gemeinsamen Grenzkonfliktes“ voranzutreiben. Die Berichterstattung soll zukünftig stets die Gemeinsamkeiten der beiden Kulturen in den Vordergrund stellen und fragliche Informationen nationalistischer Gruppen oder von Regierungsbehörden genau prüfen.

DOMINIKANISCHE REPUBLIK

Regierung kriminalisiert Generalstreik wegen Versorgungsengpässen

Von Lázaro Guzman

(Santo Domingo, 9. November 1997, Adopal-Poonal).- Für Dienstag (11.11.) hat das Koordinationskomitee mehrerer Gewerkschaften und Basisorganisationen der Dominikanischen Republik zu einem zweitägigen Generalstreik aufgerufen. Anlaß sind Engpässe bei der Versorgung mit Strom und Trinkwasser sowie die extrem hohen Preise für Grundnahrungsmittel und Benzin.

Seit Wochen leiden Bewohner armer Viertel in vielen Teilen des Landes unter bis zu 18 Stunden Stromabschaltung täglich, nachts gibt es kaum noch beleuchtete Straßen und Trinkwasser wird vielerorts nur einmal die Woche geliefert. Hinzu kommt die Aussetzung öffentlicher Arbeiten, wodurch der Zustand der Straßen immer kläglicher wird, und die Preissteigerung bei öffentlichen Transportmitteln.

Die Organisatoren des Streiks werfen der Regierung von Präsident Leonel Fernandez vor, dem Verfall des Landes tatenlos zuzusehen und fordern eine Umkehr in der Wirtschaftspolitik, die den Staat zu rigiden Einsparungen zwingt, sowie Maßnahmen, die die Versorgung mit Strom, Wasser und Lebensmitteln wieder sicherstellt. In einer Regierungsansprache am 30. Oktober hatte Fernandez die Schwierigkeiten zugegeben, eine Lösung jedoch nur im Rahmen einer langfristigen Gesundung der Wirtschaft in Aussicht gestellt. Andererseits drohte er, auf einen eventuellen Streik, wenn nötig, „mit einer anderen Sprache zu antworten“.

Der Oppositionsführer und Vizepräsident der Sozialistischen Internationalen, José Peña Gomez (PRD), wies den Vorwurf seitens der Regierung zurück, seine Partei mobilisiere für den Generalstreik, um Unruhe im Land zu schaffen. Peña Gomez verwies auf seinen Vorschlag an die Kirchenführung der Hauptstadt Santo Domingo, zwischen den Kontrahenten zu vermitteln, um einen Streik und dessen Folgen verhindern zu können. Ähnlich die Haltung der sieben einflußreichen Gewerkschaftsverbände: Obwohl sie den Streik für gerechtfertigt halten, wollen sie weiterhin mit der Regierung verhandeln. Und eine Unternehmensgruppen prädieren für 120 Tage „Waffenstillstand“, um der Regierung Zeit zu geben, auf die Forderungen einzugehen.

Die Stimmung im Land ist äußerst angespannt. Bei Protestaktionen gegen die Untätigkeit der Regierung sind seit Mitte Oktober über 60 Menschen zum Teil durch Polizeikugeln verletzt worden, mehrere Oppositionspolitiker und Aktivisten sind bei Demonstrationen und Straßenblokaden festgenommen worden. Im Norden der Karibikrepublik waren auch einige große Touristenzentren betroffen: Zwar gibt es dort durchgehend Strom und erlesene Speisen, doch mußten Exkursionen wegen der Unruhen eingestellt werden.

Angst vor bürgerkriegsähnlichen Zuständen herrschen seit Mitte vergangener Woche, als ein internes Dokument der Armee an die Öffentlichkeit gelangte. Das Strategiepapier vergleicht den geplanten Generalstreik mit „einer Variante der Untergrundtätigkeit, um die Regierung zu destabilisieren“. Die Rede ist von einem „konzertierten Krieg gegen diejenigen, die an dem Streik teilnehmen“. Innenminister Norge Botello steht dem in seiner jüngsten Äußerung nicht nach: Er habe die Sicherheitskräfte angewiesen, mit „aller Härte gegen die für Chaos und Tote Verantwortlichen“ Organisatoren des Streikes vorzugehen.

BRASILIEN

Börsenmarkt beruhigt sich vorerst wieder – Samba-Effekt vorbei?

(Rio de Janeiro, 5. November 1997, pulsar-Poonal).- Nach den schweren Einbrüchen der vergangenen zwei Wochen scheinen sich die Börsen in Brasilien wieder zu beruhigen. In Sao Paulo stieg der Aktienindex am 4. November um fast 10 Prozent. Damit wurden die vorausgegangenen Verluste teilweise wieder ausgeglichen. Der Aktienhandel erreichte mit einem Volumen im Wert von 580 Millionen Dollar allerdings nur die Hälfte des normalen Umsatzes. An der kleineren Börse von Rio de Janeiro erholten sich die Kurse im Durchschnitt um gut 4 Prozent. Die Expert*innen erwarten jetzt baldige Zinssenkungen durch die Zentralbank. Die Zinsen waren innerhalb weniger Tage verdoppelt worden, um die Kapitalflucht zu stoppen. Nach Schätzungen wurden innerhalb kurzer Zeit mindestens 8 Milliarden Dollar Auslandsinvestitionen aus dem Land abgezogen. Für die leichte Beruhigung auf dem Aktienmarkt wird die brasilianische Handelsbilanz für Oktober verantwortlich gemacht. Das Defizit fiel mit 829 Dollar geringer als erwartet aus und lag unter dem Ergebnis des Vormonates. Doch nach wie vor ist die Anspannung an den Finanzmärkten groß, die Börsianer schließen weitere Turbulenzen nicht aus.

BRASLIEN

Vorbild Indonesien

(Rio de Janeiro, 3. November 1997, pulsar-Poonal).- In Porto Velho im Westen Brasiliens haben schwarze Rauchwolken dazu gezwungen, Schulen und Flughäfen zu schließen. Im südlichen Bundesstaat Pará werden Personen wegen Atemnot ohnmächtig und müssen in Krankenhäuser eingeliefert werden. In der Stadt Manaos ist die Sonne manchmal tagelang verschwunden. Das alles geschieht in Brasilien, nachdem vor 20 Jahr das Ziel, den Amazonas-Urwald zu retten, weltweit Aufmerksamkeit erregte und zum Anliegen berühmter Leute wurde. Doch die Abholzung und das Niederbrennen weiter Gebiete steigen an. Die in den vergangenen Wochen gesammelten Daten weisen daraufhin, daß in diesem Jahr in Brasilien mehr Vegetation verbrannt worden ist als in Indonesien, wo schwarze Rauchwolken die großen Städte verdunkelten. Ein Bericht des Fonds für Umweltverteidigung warnt, der Amazonas nähere sich einer Feuerkatastrophe mit enormen negativen Konsequenzen für die ganze Welt. Obwohl mehrere hundert Millionen Dollar in den Amazonas- Urwald investiert worden sind, beweisen Satellitenaufnahmen einen Anstieg der Vegetationsbrände um 28 Prozent allein gegenüber dem vergangenen Jahr auf. Verstärkt wird das Problem offenbar durch die Auswirkungen von „El Niño“. In der Region herrscht die schlimmste Trockenheit seit 25 Jahren.

HAITI

Neuer Premier benannt

(Port-au-Prince, 5. November 1997, pulsar-Poonal).- Nach sieben Monaten ohne Führung hat Präsident René Preval den Ökonom Hervé Denis zum neuen Premierminister ernannt. Dieser war unter Prevals Vorgänger Jean-Bertrand Aristide Informations- und Kulturminister. Denis erklärte, alle Bürger*innen müßten ihre Rolle akzeptieren, um Haiti zu helfen, einen Weg aus der gegenwärtigen Krise zu suchen. Als gravierendstes Problem, das er lösen will, bezeichnete er den Hunger im Land. Der neue Premier nahm auch zur Wirtschaft Stellung. In einem Land wie Haiti dürfte die Privatisierung nicht durchgesetzt werden, ohne soziale Verpflichtungen einzugehen, sagte er. Der 58jährige ist die zweite Person, die nach dem Rücktritt von Rosny Smarth vor sieben Monaten vom Präsident für das Amt des Premierministers vorgeschlagen wird. Der erste Kandidat Ericq Pierre scheiterte am Veto des Parlaments.

PARAGUAY

Gegnerschaft gegen Oviedo wächst – Der Ex-General versteckt sich

(Asunción, 5. November 1997, pulsar-Poonal).- Die paraguayische Presse berichtet über einen Plan des Präsidentschaftskandidaten und in den Ruhestand versetzten Generals Lino Oviedo, der die Bestechung von Journalist*innen, Morde sowie politische und wirtschaftliche Erpressung vorsah. Nach den Untersuchungen und Beiträgen des Radiosenders „Cardinal“ geht es Oviedo unter anderem darum, den derzeitigen Präsidenten und seine Familie zu „zerstören“. Er soll die Absicht haben, Panik in der Gesellschaft zu schüren, um so die Sympathien in seine Richtung zu lenken. Die Zeitung „Noticias“, die zur selben Mediengruppe wie „Cardinal“ gehört, veröffentlichte am Wochenende Kopien von Dokumenten, die die Polizei bei einer Durchsuchung im Haus von Oviedo mitnahm und die das Vorgehen des Ex-Generals belegen sollen.

Innerhalb der regierenden Colorado Partei von Paraguays Präsident Juan Wasmosy spitzt sich der Machtkampf immer mehr zu, seit Oviedo die internen Wahlen für die Präsidentschaftskanidatur 1998 gegen Wasmosy Favoriten und andere Kandidaten gewann. Wasmosy ließ am 3. Oktober einen Haftbefehl gegen seinen Widersacher wegen beleidigender Kritik an der Figur des Präsidenten erwirken. Der Militär im Ruhestand seinerseits legte vor Gericht Einspruch ein und hält sich seit Wochen vor Polizei und Armee versteckt.

ARGENTINIEN

Menem gibt nicht auf

(Buenos Aires, 5. November 1997, pulsar-Poonal).- Menem-Anhänger Mario Cámara hat eine Initiative für eine Volksbefragung vorgestellt, um eine dritte Amtszeit des Präsidenten möglich zu machen. Die Volksbefragung ist in der argentinischen Verfassung seit einer Reform im Jahr 1994 enthalten. Laut der Interpretation von Cámara und anderen Sympathisant*innen von Carlos Menem verbietet dieselbe Verfassung auch nicht eine zweite Wiederwahl des Präsidenten. Diese Auffassung steht jedoch auf schwachen Füßen. Denn im Artikel 90 der reformierten Verfassung wird festgelegt, daß das Mandat des zum Reformzeitpunkt amtierenden Präsidenten als erste Amtszeit gewertet werden muß (nach der die einmalige direkte Wiederwahl möglich ist; die Red.). Die Verfassungsreform wurde 1994 verabschiedet, als Carlos Menem sein erstes Mandat noch nicht beendet hatte. Daher gilt es als ziemlich ausgeschlossen, daß die Wiederwahl-Initiative die Zustimmung der Verfassungskommission erhält. Selbst viele Abgeordnete im Regierungslager weisen auf die Verfassungsprobleme hin.

Zudem sind die Mitglieder der herrschenden Partido Justicialista zunehmend gespalten. Ein Teil steht hinter dem Gouverneur der Provinz Buenos Aires, Eduardo Duhalde. Sie erwarten wegen der enttäuschenden Wahlergebnisse für die Regierungspartei am 26. Oktober eine Selbstkritik des Präsidenten und befürworten im Jahr 1999 eine Präsidentschaftskandidatur von Duhalde. Dieser distanziert sich zunehmend von Menem. Gegenüber der Presse erklärte er, die hinter ihm stehenden Abgeordneten der Regierungspartei „werden nicht dafür stimmen, was der Internationale Währungsfonds zu dem Gesetz über die Arbeitsflexibilisierung sagt. Man muß den Wirtschaftsplan schützen, aber zuerst die Leute“. Duhaldes Prestige ist allerdings nach den Wahlen ebenfalls stark angeschlagen. Er hatte seine Frau in den Wahlkampf um ein Abgeordnetenmandat für die Provinz Buenos Aires geschickt. Statt eines sicher geglaubten Sieges erlitt sie jedoch gegen ihre Konkurrentin von der Opposition eine deutliche Niederlage (vgl. Poonal 313). Jetzt wird Eduardo Duhalde auch Präsidentschaftsanwärter wie den Sänger Ramón Palito Ortega und den ehemaligen Formel 1-Fahrer Carlos Reutemann aus der eigenen Partei ernst nehmen müssen.

LATEINAMERIKA

Ohne Bildung, ohne Hoffnung – Lateinamerika verspielt die Zukunft

(Teil 1)

(Lima, Oktober 1997, noticias aliadas-Poonal).- In ihrem jüngsten Special beschäftigt sich die Poonal-Mitgliedsagentur Noticias Aliadas aus Peru mit der Bildungssituation in Lateinamerika. Poonal veröffentlicht das Special mit leichten Kürzungen in mehreren Teilen. Den Anfang macht ein einführender Artikel von Lucien O. Chauvin:

Es gibt in Lateinamerika keine Wahlen ohne Kandidat*innen, die versprechen, das Bildungssystem ihres Landes zu reformieren und die Lösungen anbieten, um die Schüler*innen besser auf die Zukunft vorzubereiten. Aber trotz jahrzehntelanger Versprechungen stimmen Politolog*innen und Bildungsexpert*innen überein: die Lehre in der Region weist – abgesehen von Costa Rica und Cuba – gravierende Mängel auf.

In Argentinien, wo die Partido Justicialista (in etwa mit „Gerechtigkeitspartei“ zu übersetzen; die Red.) von Präsident Menem bei den Wahlen am vergangenen 26. Oktober die Kontrolle über den Kongreß verloren hat, versprach der Präsident im Vorfeld der Wahlen noch schnell, den Haushalt für Bildung und Erziehung zu erhöhen – die Gehälter für die Lehrer*innen eingeschlossen. Anfang des Jahres begannen die Lehrer*innen mit einem Streik, der seit April von einem Hungerstreik abgelöst wurde. Sie meinen, das Versprechen von Menem sei ein Schritt auf dem richtigen Weg, fürchteten aber, daß es sich nur um ein Wahlmanöver handeln könne. „Wir bezweifeln, ob es die Regierung wirklich ernst meint“, sagte Marta Maffei, Führerin der „Vereinigung der im Erziehungswesen Beschäftigten Argentiniens“. Obwohl die Gehälter der Lehrer*innen in den meisten lateinamerikanischen Ländern verglichen mit 1980 real gesunken sind, ist Argentinien am deutlichsten betroffen.

Laut UNESCO erhalten die argentinischen Lehrer*innen nur 45 Prozent des Durchschnittsgehaltes von 1980. Sie fordern, daß der Haushalt für Bildung und Erziehung von 3 auf 6 Prozent des Bruttoinlandproduktes heraufgesetzt wird. Bei den Gehältern verlangen sie eine Erhöhung der Gehälter um 50 Prozent. Die Regierung hat dem Bildungssektor lediglich eine Steigerung um 20 Prozent im Laufe der nächsten drei Jahre angeboten. Die Lehrer*innen erhalten in Argentinien 200 bis 300 US-Dollar monatlich, wobei die Preise denen in den sogenannten entwickelten Ländern gleichen. In Ländern wie Peru verdienen die Lehrer*innen 200 US-Dollar monatlich, sie müssen eine zweite Arbeit annehmen, um über die Runden zu kommen. „Es ist schwer für die Lehrer*innen, an (Ausbildungs-)Programmen außerhalb der Stundenpläne teilzunehmen, da viele noch eine andere Arbeit haben. Die Mehrheit unserer Lehrer*innen arbeitet nach den Unterrichtsstunden als TaxifahrerIn oder StraßenverkäuferIn“, erläutert Never Tuesta, Ko- Direktor des Programmes zur Ausbildung zweisprachiger Lehrer*innen im peruanischen Amazonasgebiet.

In Brasilien hat der Kongreß die Verfassung reformiert, damit Präsident Fernando Henrique Cardoso sich 1998 erneut zur Wahl stellen kann. Er kündigte die Investition von 500 Millionen US- Dollar in ein Projekt an, das allen brasilianischen Kindern den Schulbesuch ermöglichen soll. „Ich hatte erklärt, daß die Mittel aus der Privatisierung für die Begleichung der Auslandsschulden verwendet werden, habe aber entschieden, diese Ausnahme zu machen. Sie ist die einzige, die ich mir erlauben werde, um das Recht auf Bildung aller unserer Kinder zu garantieren“, so Cardoso. Dennoch meinen Leiter*innen von Volksorganisationen in verschiedenen Ländern der Region, das Bildungsproblem in Lateinamerika sei keine Frage der zur Verfügung stehenden Geldmenge, sondern es gehe vielmehr darum, wie sie verwendet wird. „Der Staat versteht nicht, daß Bildung eine Investition ist. Sie betrachten sie als eine Ausgabe“, ist die Einschätzung von Adrián Meza, Direktor der Volksuniversität in Nicaragua.

Der Uruguayer Enrique Iglesias, Präsident der Interamerikanischen Entwicklungsbank (BID) sagt, daß in den vergangenen drei Jahrzehnten die Länder der Region ihre Mittel vor allem der universitären Bildung und weniger der Grundausbildung gewidmet haben. „In Lateinamerika haben wir seit den 60er Jahren den Fehler begangen, die Kräfte in den Universitäten zu konzentrieren. … Wir haben die Spitze gestärkt, ohne uns um die Basis zu kümmern“, erklärt er. Iglesias, der für eine dritte Periode als Präsident der BID gewählt werden möchte, hat die Bildungsfrage zur Priorität für die Bank gemacht. Erst kürzlich hat die BID Panama einen Kredit in Höhe von 58,1 Millionen US-Dollar bewilligt, um die Grundschulausbildung zu verbessern und den Anteil der Kinder, die den Schulbesuch mit der sechten Klasse abschließen, von 78 auf 90 Prozent zu erhöhen.

Der ehemalige kolumbianische Präsident César Gaviria (1990-94) und heutige Generalsekretär der Organisation der Amerikanischen Staaten (ÖA) weist darauf hin, daß die Grundschulbildung zentral für die Entwicklung der Region ist. „Alle Studien zeigen eine hohe Ertragsrate bei Investitionen in die Grundschulausbildung“, bekundet er. „Man kann kein erhöhtes Wachstum erwarten oder die Leute auf ein Leben in einer globalisierten Welt vorbereiten, wenn sie nicht lesen und schreiben können. Es ist wichtig, in Universitäten zu investieren, aber die höhere Bildung darf nicht auf Kosten der Grundausbildung gehen.“ Die lateinamerikanischen Präsidenten scheinen diese Idee aufzunehmen, indem sie Reformen für die Grundschulen (diese umfassen in Lateinamerika in der Regel die ersten sechs Schuljahre; die Red.) vorschlagen, während die höhere öffentliche Bildung reduziert oder restrukturiert wird.

Der peruanische Parlamentsabgeordnete Jorge Trelles, ehemaliger Erziehungsminister seines Landes, sagt für das Jahr 2010 das Verschwinden von Fakultäten wie Anthropologie, Soziologie und andere „nicht-technische“ Bereiche aus den peruanischen Staatsuniversitäten voraus. Der Jesuit Felipe MacGregor, vormaliger Direktor der Päpstlichen Katholischen Universität in Peru, bezeichnet Erklärungen wie die von Trelles als „kurzsichtig“. „Ich würde den Abgeordneten Trelles bitten, über die Grenzen Perus zu blicken. Dann wird er sehen, daß es Universitäten gibt, die die Fakultäten für Philosophie und Soziologie aufbauen bzw. stärken. Die Student*innen müssen logisch denken lernen, bevor sie Zahlen analysieren können. Die Lehrer*innen wissen das“, meint McGregor.

Eine der grundlegenden Tendenzen in der Region, den Jahren der Politisierung der Universitäten und der Neigung zur Kürzung der öffentlichen Ausgaben geschuldet, geht in Richtung privater höherer Bildung. In den vergangenen Jahren wurden hunderte Privatuniversitäten in der Region eröffnet, was zu einer intensiven Debatte unter den Ausbildenden geführt hat. Der peruanische Bildungsexperte Carlos Callegari sieht nichts Schlechtes in dieser Entwicklung. „Vor zehn Jahren hat niemand daran gedacht, eine Universität zu gründen, da es keine verfügbaren Mittel für diese Art von Projekten gab. Heute kann eine Privatuniversität in Peru ein lukratives Unternehmen sein“, versichert er. Für Callegari ist ein Beispiel die neue Universität San Igancio de Loyola, die sich im Besitz des ehemaligen Wirtschaftsministers Carlos Boloña und des Ex- Präsidentschaftskandidaten Raúl Diez Canseco befindet. Der Experte meint, daß die Unternehmer*innen an Qualität zu geringen Kosten interessiert sind. Dies müsse die zentrale Idee des Erziehungswesens sein. „Wenn man den Student*innen dadurch eine gute Ausbildung anbieten kann, dann sollte man es machen“, so sein Kommentar.

Dennoch sind andere besorgt um die Qualität der Lehre an den von ihnen so bezeichneten „Durchgangsuniversitäten“. Javier Soto, Rektor der staatlichen Nationaluniversität für Ingenieurwissenschaft und früher Präsident der Nationalversammlung der Rektoren, sieht die Qualität der Bildung durch die Anzahl der Universitäten in Gefahr. „Es gibt auf nationaler Ebene nicht genügend Hochschullehrer*innen, Bücher und Laboratorien, um ein Minimum an höherer Bildung anbieten zu können“, betont er. Soto Natal spricht sich dafür aus, daß die Regierung die Gründung neuer Universitäten in den kommenden zehn Jahren verbieten sollte. In Anbetracht von mehr als zehn neuen Universitäten in Peru, die während der letzten zwei Jahre eröffnet wurden, hat dieser Ratschlag wohl bisher kaum Gehör gefunden.

In der in den lateinamerikanischen Ländern geführten Debatte über die höhere Bildung kommt eine einsame Stimme aus Kuba, wo der Staat nach wie vor die grundlegende Rolle in der Erziehung der Jugendlichen spielt. Trotz der ökonomischen Schwierigkeiten, die das Land durchmacht – das kubanische Bruttoinlandsprodukt fiel zwischen 1989 und 1993 drastisch und zeigt erst jetzt Zeichen einer leichten Erholung -, legt die Regierung Nachdruck auf ihr Engagement für die Bildung, einer der Stützpfeiler der Revolution. Kuba hat die geringste Analphabetenrate in ganz Lateinamerika. Der Direktor der Universität von Havanna, Juan Vela Valdez, hält die Tendenz, die Bildung auf eine Elite zu beschränken, die sich die Privatschulen leisten kann, für keine gute Zukunftsaussicht der Region. „Die Regierungen überlassen die höhere Bildung dem Privatsektor, der nur am Geldverdienen interessiert ist. Es sollte nicht davon ausgegangen werden, daß Gewinne und Bildung Hand in Hand gehen müssen“.

Jorge Ferradas, Bildungsexperte unter Vertrag der peruanischen Regierung meint: „Der Erfolg oder das Scheitern einer Schule wird davon abhängen, ob die Student*innen mit ihrer Ausbildung zufrieden sind oder nicht. Wenn die Student*innen viel für eine mittelmäßige Ausbildung bezahlen wollen, muß man sie lassen. Sie werden ihren Fehler bemerken.“

MEXIKO

Schießen Sie auf den Bischof! – Anschlag auf Samuel Ruiz

Von Gerold Schmidt

(Mexiko-Stadt, 6. November 1997, Poonal).- Tote und Verwundete sind in dem Krieg niedriger Intensität im mexikanischen Bundesstaat Chiapas nichts Besonderes. Dennoch stellen die Schüsse, die Mitglieder der paramilitärischen Gruppierung Paz y Justicia („Frieden und Gerechtigkeit“) am Dienstagabend auf den Konvoi von Bischof Samuel Ruiz García und Hilfsbischof Raúl Vera López abgaben, eine neue Qualität dar. Kräfte, die in dem chiapanekischen Konflikt nach dem Aufstand der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) vor knapp vier Jahren vermitteln wollen und dabei den Anliegen der Zapatist*innen Gehör schenken, werden offenbar von den Gegner*innen der EZLN immer weniger toleriert. Die Verbindungen der Paramilitärs zur örtlichen Spitze der Regierungspartei PRI und den Großgrundbesitzer*innen treten dabei genauso zutage wie die Duldung der Vorgänge durch die Zentralregieurng in Mexiko-Stadt.

Die beiden Bischöfe aus San Cristóbal waren trotz vorausgegangener Drohungen von seiten der Paramilitärs zu einem Pastoralbesuch in den nördlichen Landkreis Tila gekommen. Die im Schutz der Dunkelheit abgegebenen Schüsse verwundeten zwei Katechisten und einen Küster aus Tila. Ruiz García und Vera López blieben selbst unverletzt. Das mexikanische Innenministerium hat dies zum Anlaß genommen, nur von einem Angriff auf die Begleitung der Bischöfe zu sprechen. Andere, darunter die Verwundeten selbst, sehen dagegen in der Attacke einen gezielten Mordanschlag auf Ruiz García und Vera López. Offiziell will Paz y Justicia sowohl laut ihrem Anführer und PRI-Abgeordneten Samuel Sánchez Sánchez als auch nach dem in Tila maßgebenden Chef der Organisation, Marcos Albino Torres, nichts mit der Aktion zu tun haben. Da Paz y Justicia den Landkreis aber fest im Griff hat und für ähnliche Vorfälle bekannt ist, glauben die wenigsten an die Unschuldsversion.

Der Optimismus, der nach dem Marsch der 1.111 Zapatist*innen nach Mexiko-Stadt Mitte September aufkam, ist nicht erst durch die jüngsten Schüsse abgeflaut. In den Chiapas-Konflikt kommt keine Bewegung. Den Forderungen der EZLN steht das Aussitzen der Regierung gegenüber, die sich wenig Mühe macht, die im Februar 1996 geschlossenen Abkommen von San Andrés über Indígenarechte- und Kultur mit Inhalt zu füllen. Nach wie vor herrscht im südlichen Teil des Bundesstaates, dem Kerngebiet der Zapatist*innen, gespannte Ruhe. Im nördlichen Teil wird jedoch ein Stellvertreterkrieg geführt. Dabei hat die mit den Zapatist*innen oder der zivilen Opposition sympathisierende Bevölkerung schlechte Karten gegen die Allianz von Paramilitärs, örtlicher PRI-Regierung und Großgrundbesitzer*innen.

ZapatistInnensprecher Subcomandante Marcos bekräftigte in einem ausführlichen Kommuniqué Ende Oktober noch einmal die Entscheidung der EZLN, die Abkommen von San Andrés nicht neu zu verhandeln. Der Ton seiner Ausführungen ist entsprechend der augenblicklichen Lage pessimistisch. In mehreren Anspielungen auf die göttliche Komodie von Dante Alighieri sagt er für Mexiko eine „kommende Hölle, eine Strafe mehr für die, die anders sind“, voraus. Präsident Zedillo wirft er vor, den Problemen des Landes unfähig gegenüber zu stehen. Besonders scharf wendet sich Marcos gegen die katholische Kirchenhierachie, insbesondere gegen den päpstlichen Nuntius Justo Mullor. Dieser treibe in Zusammenarbeit mit dem Innenministerium und dem Chiapasbeauftragten Pedro Joaquín Coldwell ein doppeltes Spiel. Über die katholische Bischofskonferenz solle die Kirche direkter in den Konflikt eingreifen und Bischof Samuel Ruiz mit seiner Diöszese bei der Vermittlung absetzen. Zudem solle Ruiz – „mit oder ohne die Nationale Vermittlungskommission“ (der der Bischof vorsitzt) – gezwungen werden, mit seinem eigenen moralischen Einfluß sowie dem seiner Pastoralagenten in den zapatistischen Gemeinden auf einen „schnellen und bedingungslosen“ Friedensschluss der EZLN hinzu wirken. Die Kirchenspitze wende sich gegen Vertreter der Kirche der Armen. Als Belohnung für ihr Bündnis mit der Regierung dürfe sie mit der Reform des Verfassungsartikels 130 rechnen, der die Rechte der religiösen Vereinigungen im mexikanischen Staat regelt.

Von der Bundesarmee erwartet Marcos einen Angriff auf das Dorf La Realidad, eine der ZapatistInnenbastionen, in denen sich häufig ein Teil der EZLN-Führung einschließlich des Subcomandante aufhält. Für Verwirrung unter den zivilen Organisationen dürfte Marcos mit seinem Angriff auf die „Terceristas“ (Drittler), „weder Regierungsangehörige noch Zapatist*innen“, gesorgt haben. Die sogenannte „terceristische Option“ sei in Wahrheit ein anti- zapatistisches Konstrukt, für das sich einige Organisationen bewußt, andere in gutmeinender Absicht hergäben. Konkret greift er die Leitungsgremien von zwei Organisationen (FAC-MLN und CIOAC) an. Mit dem Vorwurf der Intoleranz von seiten dieser Gruppen würde versucht einen Keil zwischen die zapatistischen Gemeinden und die politisch-militärische Führung der EZLN zu treiben, so legt die Analyse von Marcos nahe. An der anti-zapatistischen Kampagne beteiligten sich neben Bundes- und Landesregierung, Streitkräften, regionalen Medien und dem reaktionären Kirchenteil „nicht wenige der Mitglieder der Zivilgesellschaft und der Nicht- Regierungsorganisationen, die nicht verstanden haben, was vor sich geht“. Die Botschaft zwischen den Zeilen ist deutlich: Wer nicht für uns ist, ist – faktisch – gegen uns.

Die chiapanekischen Bischöfe einschließlich Samuel Ruiz haben die Ausführungen von Marcos in einem gemeinsam unterzeichneten Dokumenten „schmerzend und irrig“ genannt. Sie nahmen den päpstlichen Nuntius in Schutz und erneuten ihre Einladung an ihn, im November die Diözese San Cristóbal zu besuchen. Die Bischöfe vermieden es jedoch, detailliert zu den Vorwürfen im Kommuniqué des Zapatistensprechers Stellung zu nehmen. Dies mag der minimale gemeinsame Nenner gewesen sein. Die kirchlichen Oberhäupter der Diözesen von Tapachula und Tuxtla Gutiérrez können als regierungsnah gelten. Dagegen bringen Samuel Ruiz García und zunehmend auch der anfangs als päpstlicher Wachhund eingeschätzte Raúl Vera López für die inhaltlichen Forderungen der Zapatist*innen großes Verständnis auf. So ließ Raúl Vera in einem Interview wenige Tage nach dem kirchenkritschen Marcos-Kommuniqué trotz vorsichtiger Formulierungen keinen Zweifel daran, daß er die Regierung für die Unterdrückung, die soziale Ungerechtigkeit und den Stillstand der Verhandlungen in Chiapas verantwortlich macht.

KUBA

Granma mahnt die Abgeordneten

(Havanna, 4. November 1997, pl-Poonal).- Die kubanische Tageszeitung „Granma“ hat die frisch gewählten Gemeindeautoritäten aufgefordert, „die Grenzen eines einfachen Problemübermittlers zu überschreiten“. Das offizielle Parteiorgan der Kommunistischen Partei erwähnt die latente Gefahr, die Gemeindedelegiert*innen könnten die Beschwerden und Vorschläge der Bürger*innen nur weiterreichen. „Es gibt zwei fundamental entgegengesetzte Tendenzen bei den Regierungsrepräsentant*innen“, beobachtet die Zeitung. Es gebe diejenigen, die eine Angelegenheit als „gelöst“ ansähen, wenn sie sie an eine übergeordnete Instanz weiterreichten und diejenigen, die Forderungen an die Vertwortlichen stellen würden und unterdessen die Initiative der Bewohner*innen förderten, um Alternativen in der Kommune zu suchen. Viele Vertreter*innen dieser letztgenannten Position hätten für jede Angelegenheit eine besondere Antwort gefunden, unterschiedlich je nach den Besonderheiten im jeweiligen Landkreis. Granma fügt hinzu „nicht wenige nach einem heftigen Kampf gegen Bürokratie und fehlende Sensibilität“.

KOLUMBIEN

Samper will Guerilla-Vorschlag prüfen

(Bogotá, 4. November 1997, pulsar-Poonal).- Die kolumbianische Regierung will den Vorschlag der Guerillabewegung Armee der Nationalen Befreiunng (ELN) überdenken, eine landesweite Friedenskonvention und eine Verfassungsversammlung mit der Beteiligung aller sozialen Gruppen einzuberufen. Die ELN gab ihre entsprechenden Pläne bei der Übergabe von zwei internationalen Wahlbeobachtern bekannt, die die Guerilla im Vorfeld der Kommunalwahlen vom 26. Oktober entführt hatte. In der Konvention sollen nach den Vorstellungen der ELN die „Vergessenen“ zu Wort kommen. Im Anschluß soll die Verfassungsversammlung eine neue Regierung wählen. Die Gespräche zwischen Regierung und Guerilla hält die ELN für erschöpft. Darum müßten die verschiedenen Gesellschaftsgruppen in den erwähnten Foren zusammenkommen. Die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) hatten vor einiger Zeit einen sehr ähnlichen Vorschlag unterbreitet. Jede Initiative, die den Rücktritt der aktuellen Regierung mit Präsident Ernesto Samper an der Spitze einschließt, wird jedoch kaum Erfolgsaussichten haben. Eher sitzt Samper den Rest seiner Amtszeit aus.

NICARAGUA

Wie sozialistisch will die FSLN noch sein

(Managua, 4. November 1997, pulsar-Poonal).- Obwohl die nächsten allgemeinen Wahlen erst im Jahr 2001 stattfinden, will die Nationale Sandinistische Befreiungsfront (FSLN) nach den Worten ihres Vorsitzenden Daniel Ortega jetzt mit der Diskussion um den weiteren Weg anfangen. Die Debatte sei für alle Parteimitglieder offen. Den Anfang machte ein zweitttägiges Treffen, bei dem es um organisatorische Veränderungen und mögliche Wechsel in der Parteispitze – Ortega eingeschlossen – ging. Als Ziel wird genannt, die FSLN den neuen politischen Bedingungen im Land und in der Welt anzupassen. Laut Ortega hat die Partei keine Identitätsprobleme. Dennoch gehe es darum, ob die FSLN einfach nur eine Wahlpartei sei oder eine revolutionäre Partei, die sich der neuen Realität stelle. Bis Ende Mai des kommenden Jahres soll die parteiinterne Diskussion abgeschlossen sein. Dann kommt der sandinistische Parteitag, der über die Abschlussvereibarungen entscheidet. Unter anderem geht es darum, ob sich die FSLN weiterhin als sozialistische und anti-imperialistische Organisation definieren will.

HONDURAS

Unerwünschter Hungerstreik

(Tegucigalpa, 3. November 1997, pulsar-Poonal).- Vier hungerstreikende US-Bürger wurden vom Sicherheitspersonal vom Geländer der US-Botschaft entfernt. Die Familienangehörigen und Freundes des 1983 ermordeten jungen Jesuiten Guadalupe Carney verlangen eine genaue Aufklärung über die Hintergründe. Carney, US-Bürger, verschwand 1983. Er arbeitete im Bildungsbereich für honduranische Campesinos. Dies trug ihm die Sympathie von Volksorganisationen und die Feindschaft von Militärs und Grossgrundbesitzer*innen ein. Die Behörden des Landes wiesen ihn aus. Carney kehrte jedoch zurück und engagierte sich als Kaplan in einer Guerilla-Bewegung. Nach einiger Zeit wurde er verhaftet, brutal gefoltert und ins Meer geworfen. Diese Details sind wegen der Zeugenaussagen mehrerer Soldaten im Ruhestand bekannt, die an der Aktion beteiligt waren. Seit dem zurückliegenden Jahrzehnt fordern Menschenrechtsgruppen aus den USA und Honduras konkrete Angaben zu dem Fall. Vertreter*innen der USA übergaben einige geheime Dokumente, die jedoch zuvor verändert worden waren. Daher verlangten die Freunde und Familienangehörigen des Jesuiten eine Erklärung von US-Botschafter James Cregan und traten auf dem Botschaftsgelände in einen Hungerstreik. Jetzt führen sie ihren Protest vor der Botschaft weiter.

PERU

Ein Zug ohne Sitzplätze –

Wirtschaftsaufschwung in Peru verbessert soziale Lage kaum

Von Alvaro Alfonso

(Lima, 5. November 1997, npl).- Leise flucht Pedro Trujillano, wieder einmal steht er mit seinem koreanischen Mietwagen im Stau. Die vielen Leuchtreklamen, die die Markenartikel großer Handelsketten anpreisen, sind für ihn kein Blickfang mehr, er fährt jeden Tag durch den Hauptstadtbezirk Miraflores.

Pedro ist 27 Jahre alt, und er ist immer genervt. Nicht der tropische Rhythmus, der in voller Lautstärke aus seinem Radio schallt, noch sein lässiges Auftreten können den Mißmut verbergen, der im barschen Umgang mit seinen Fahrgästen zum Ausdruck kommt. Pedro, in dessen Wohnzimmer ein Rechtsanwaltsdiplom hängt, ist nicht zum Taxifahrer gemacht.

Die Statistiken sprechen von 8,3 Prozent Arbeitslosogkeit in Peru, eine „normale“ Quote für ein lateinamerikanisches Land. Diese Zahl kennt aber keine Anwälte wie Pedro, die ihren Lebensunterhalt in einem gemieteten Taxi verdienen, und nicht die Grundschullehrer, die an Straßenecken die heimische Währung in US-Dollar umtauschen. Von dem Phänomen Unterbeschäftigung sind in Peru vorsichtigen Schätzungen zufolge 47 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung betroffen. Im Bus zurück nach Hause atmet Luisa Malca tief durch. Es ist ihre erste ruhige Minute nach einem weiteren Tag, an dem sie seit morgens früh fremde Wäsche gewaschen hat. Am anderen Ende der Stadt, in einem Einfamilienhaus im etwas heruntergekommenen Mittelschichtsviertel Barranco, klagt der greise Enrique Redher, das niemand in seiner Apotheke kauft. „Die Leute haben einfach kein Geld“, weiß er resigniert.

Der Anwalt im Taxi, die Wäscherin und der alte Apotheker sind drei Peruaner, für die es im Zug der wirtschaftlichen Erholung keinen Platz mehr gegeben hat. Die makroökonomischen Ziffern, die ein stabiles Wachstum verkünden, vernachlässigen diejenigen, die daran nicht teilhaben.

Jedes Jahr verlängern 250.000 Jugendliche Peruaner die Schlange der Arbeitssuchenden. Die Maßnahmen zur Flexibilisierung der Arbeitswelt haben zwar zeitlich begrenzte Arbeitsplätze – ohne Vertrag und Sozialversicherung – geschaffen, sie bieten aber keine Perspektive, die Arbeitsmarktlage zu entspannen.

Pedro bewarb sich bei einer Vielzahl von Kanzleien, ohne Erfolg. Er arbeitete auf eigene Rechnung, was ihm nur Schulden einbrachte. Das Gehalt seines bei einer öffentlichen Behörde angestellten Vaters reichte nicht mehr zum Unterhalt der Familie, so blieb nur noch das Taxi. Jetzt fährt Pedro durch die Straßen von Lima. Die ersten 20 verdienten Dollar gehen an den Eigentümer des Wagens. Dann kommt das Benzin, eventuelle Reparaturen und das ein oder andere Trinkgeld für die Verkehrspolizisten. Was übrig bleibt, ist für ihn.

Luisa hat schon mehrere Kunden, denen sie die Wäsche wäscht. Sie hofft, mit dem Verdienst ihrer 15jährige Tochter, die inzwischen der gleichen Arbeit nachgeht, die Fortsetzung der Schullaufbahn zu ermöglichen. Und Enrique träumt von einem Land, in dem Medikamente erschwinglich sind.

Die Regierung von Präsident Alberto Fujimori leitete 1990 einen drastisches Stabilisierungsprogramm für die Wirtschaft ein. Dem Zeitgeist des Freihandels folgend, war sein neoliberales Modell das konsequenteste auf dem lateinamerikanischen Subkontinent. Es besiegte die Inflation, die von sage und schreibe 3.000 Prozent jährlich auf nun rund acht Prozent sank. Die Staatsfinanzen sind saniert und die Wirtschaft hat sich erholt, was sich mittlerweile in einem der weltweit größten Zuwächse beim Bruttoinlandsprodukt zeigt.

Peru hat seine Türen geöffnet. Vom südlichen Nachbarn Chile, aus Spanien, Deutschland und Hongkong kommt Kapital in Form von Direktinvestitionen und Firmenbeteiligungen ins Land. Angelockt wird das Geld durch eine boomende Wirtschaft, die jeder Privatinitiative entgegen kommt, und dem Versprechen eines Präsidenten, sein Land nach Vorbild Südostasiens zu einem „Tiger“ in Lateinamerika zu machen.

Das Zentrum von Lima, der kosmopolitische Hauptstadt mit acht Millionen Einwohnern, strahlt im Neonlicht. Nach sieben Jahren des Gürtel-enger-Schnallens, sinkenden Einkommen und steigenden Preisen ist Peru nicht wiederzuerkennen und prahlt mit seinem schnellen Wachstum, das Zuhaus wie im Ausland Beachtung findet. „Und ich, was bringt mir das?“ fragt Pedro mit der ihm eigenen Grobheit. „Ich kann gerade mal so überleben,“ meint Luisa. Und Enrique: „Wer krank ist, kauft die Pillen heute einzeln, oder läßt anschreiben.“ Eine Krankenversicherung habe fast niemand mehr.

44 Prozent der Peruaner, das sind über 10 Millionen, leben unter der Armutsgrenze. Dem statistisch erfolgreichen Wirtschaftsmodell ist es nicht gelungen, diesen Armutsindex zu verbessern. Die Experten versichern, daß der Konsolidierungsprozeß gerade erst begonnen habe und erinnern daran, daß die Armut schon seit Jahrzehnten existiere. 43 von 1.000 Säuglingen sterben in Peru in den ersten Tagen nach ihren Geburt, Tausende Familien müssen sich mit einem Einkommen von 130 US-Dollar im Monat begnügen – angesicht der Preise für Lebensmittel ein lächerlicher Betrag. Auch wenn die Theorie besagt, ein solcher Aufschwung komme allen zugute, gehören Enrique, Luisa und Pedro zu denen, die mit zunehmender Bitterkeit darauf warten, auch etwas von diesem Wirtschaftswunder abzukriegen, von dem sie soviel hören.

CC BY-SA 4.0 Poonal Nr. 314 von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.

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