Poonal Nr. 230

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 230 vom 14. Februar 1996

Inhalt


KUBA

HAITI

PERU

GUATEMALA

GUATEMALA/SCHWEIZ

MEXIKO

ARGENTINIEN

BOLIVIEN


KUBA

Priester*innen für den Frieden kommen ohne Computer

(Havanna, 5. Februar 1996, prensa latina-POONAL).- In der kubanischen Hauptstadt Havanna kam die VI. Karawane für die Freundschaft USA-Kuba an. Wie bei den vorherigen Gelegenheiten wurde sie von der US-Organisation „Priester*innen für den Frieden“ organisiert. Die Teilnehmer*innen kamen diesmal jedoch mit weitgehend leeren Händen. Die von ihnen gesammelten 325 Computer, die zum Einsatz in kubanischen Krankenhäusern kommen sollten, konfiszierten die US-Behörden, als die Karawane am 31. Januar die Grenze zu Mexiko überschreiten wollte. Gegen den passiven Widerstand der Gruppe gingen Polizei und Zollpersonal zum Teil brutal vor. Mehrere der Priester*innen erlitten Verletzungen, eine Person mußte ins Krankenhaus eingeliefert werden. Gegen elf Teilnehmer*innen der Karawane will der nordamerikanische Staat gerichtlich vorgehen. Bei einem kurzen Empfang der Gruppe, die das US-Embargo immer gegen Kuba immer wieder offen herausfordert, sprach der kubanische Außenminister Roberto Reina, der die Blockade der USA gegen sein Land verurteilte.

HAITI

Der zweifelhalfte Erfolg der AID-Programme

(Port-au-Prince, Januar 1996, hib-POONAL).- Agrarwissenschaftler*innen und Mitarbeiter*innen in Campesino- Organisationen beklagen sich über ein Programm, das die haitianische Regierung und die US-Entwicklungsagentur AID über alle Maßen loben. 50.000 Jobs hat das Engagement von AID in Haiti in den vergangenen Jahren nach eigenen Angaben angeblich geschaffen. Die Kehrseite, die die Entwicklungsbehörde und die Regierung gern unterschlagen: Die Arbeit wird nicht nur mit dem Mindestlohn von 2,30 US-Dollar täglich bezahlt und dauert im Normalfall ohnehin lediglich drei Monate. Die AID-Projekte haben, so klagen die Bauernorganisationen, einen verheerenden Einfluß auf die bäuerliche Landwirtschaft. Die Verträge mit den Leuten schließt die „Panamerikanische Entwicklungsstiftung“ (PADF) ab. Sie wird auf Haiti vollständig von AID finanziert. Die Arbeit besteht beispielsweise im Müllaufsammeln oder Löchergraben, damit Bäume gepflanzt werden. Das Programm der Stiftung begann im August 1993, direkt nach dem Abkommen von Governor's Island.

Viele berichten über folgende Auswirkungen: Die Bäuer*innen verlassen ihre Felder in der Hoffnung, einen Job zu erlangen. Geldgeber und Politiker*innen nutzen die Gelder, um Einfluß auf die Landarbeiter*innen zu nehmen. Die Bäuer*innen, die auf ihrem Land bleiben und für besonders arbeitsintensive Tätigkeiten wie das Pflügen gewöhnlicherweise Hilfen einstellten, finden nun nicht mehr genug Arbeitskräfte. Oft können sie den Mindestlohn, den die Entwicklungsstiftung bietet, nicht zahlen. Kritik kam unter anderem bereits im Oktober 1995 von einer Gruppe Nicht- Regierungsorganisationen in der Zeitschrift „Liaison“. Der Agrarwissenschaftler Harry Noel berichtet von der Region Vallieres im Norden über „eine große Zahl Campesinos, die ihr Land verlassen haben, um sich den PADF-Jobs zu widmen“.

In einigen Teilen des Landes geht die Kritik noch weiter. In mehr als einem Ort waren nicht nur schädliche Auswirkungen auf die Landwirtschaft zu beobachten, sondern die Projekte bekamen eine politische Schirmherrschaft. In Limbe war ein Straßenbau-Vertrag mit der Panamerikanischen Entwicklungsstiftung unter der Kontrolle von Leuten, die der PANPRA-Partei nahestehen. Nur die „Anhänger*innen“ bekamen Arbeit. In der Region von Montrouis, so berichtet ein Priester, der dort seit 1988 mit Campesino- Organisationen arbeitet, bekämpfen sich die Bäuer*innen gegenseitig, um die 36 Gourdes am Tag zu verdienen. Die Felder blieben brach. Die Menschen dort leideten Hunger, sagte der Geistliche, daher hätten sie gar keine andere Wahl. Die Bäuer*innen der Organisation Tet Kole, mit denen der Priester arbeitet, sind wütend. Die meisten von ihnen haben keine PADF-Jobs angenommen, gehören aber zu den Geschädigten. „Jetzt ist gerade die Zeit zum Bohnenpflanzen. Du brauchst Leute, um die Bewässerungsgräben zu säubern, aber Du kannst niemand finden.“ Tet Kole und andere wollen eine höhere landeseigene Produktion und eine Landreform. Doch der Priester gibt sich keinen Illusionen hin. „Das geht jetzt schon lange so.“ Er erinnert an Projekte, wo die Expert*innen versuchten, die Campesinos von Mango-Anpflanzungen zu überzeugen. „Wo gehen die ganzen Mangos hin? Alle in den Export.“

Urteile über Teilfertigungsindustrie bestätigt

(Port-au-Prince, Januar 1996, hib-POONAL).- Eine jüngst veröffentlichte Studie des National Labor Committee (NLC) kritisiert die „haarsträubenden Arbeitsbedingungen“ in den Teilfertigungsfabriken auf Haiti (das NLC arbeitet im Interesse der US-Gewerkschaften, die den „Job-Export“ in Niedriglohnländer fürchten). Dieser Industriesektor ist von den Planer*innen der US- Regierung und der Weltbank als auch der haitianischen Regierung als ein Schlüssel für Haitis Modernisierung und sein Überleben auf dem Weltmarkt gefördert worden. Der Bericht des Kommittees nennt Einzelheiten der Arbeitsbedingungen:

– Über die Hälfe der „etwa 50 Teilfertigungsunternehmen“ verletzt das Gesetz über den Mindestlohn. – In mindestens einer Fabrik nähen die Arbeiter*innen „Made in USA“ auf Kleidungsstücke. – Als der Mindestlohn von 15 auf 36 Gourdes am Tag erhöht wurde, erhöhten viele Fabriken den Akkord. „Wenn die Arbeiter*innen den Akkord nicht schaffen, bekommen sie nur einen Teil des Mindestlohnes.“ – Eine ArbeiterIn braucht durchschnittlich 363 Gourdes in der Woche, um die Familie zu ernähren. Bei der Arbeit für einen Mindestlohn und der Sechs-Tagewoche, verdient sie 216 Gourdes, damit kann sie „weniger als 60 Prozent der Grundbedürfnisse einer Familie“ befriedigen. – Die Arbeiter*innen müssen bis zu 70 Stunden in der Woche arbeiten, einschließlich der Sonntage, die Frauen sind häufig sexueller Belästigung ausgesetzt.

„Die schönfärbende Rethorik der US-Intervention verdeckt eine dunkle, schädliche Tatsache über die US-Präsenz auf Haiti“, schließt der NLC-Bericht. „Die meisten der Gesellschaften, die vom Mißbrauch und der Ausbeutung haitianischer Arbeiter*innen profitieren, befinden sich unter den größten und erfolgreichsten US-Unternehmen: Disney, Wal-Mart, J.C. Penny, Sears, Hanes/Sara Lee and Kellwood, um einige wenige zu nennen… Während der drei Jahre des Staatsstreiches, wurden Gewerkschafts- und Arbeitsrechtsgruppen verfolgt. Heute versuchen die Arbeiter*innen von Haiti erneut, ihre Rechte zu organisieren, aber sie brauchen unsere Hilfe.“

In einer Fabrik nach der anderen fanden die Mitglieder des National Labor Committee zahlreiche Beispiele für Ausbeutung und unwürdige Arbeitsbedingungen. In dem Unternehmen „Quality Garmants“ nähten die Arbeiter*innen auch sieben aufeinanderfolgende Sonntage, um Kleider für Kmart und Micky Mouse-Schlafanzüge für Walt Disney zu fertigen. Nach dem Problem der Sonntagsarbeit gefragt, antwortete Manager Raymond DuPoux: „Das Problem ist auf meiner Seite, weil ich nicht an den Strand gehen kann. So habe ich Probleme mit meiner Frau.“ Der von Du Poux ausbezahlte Lohn beträgt 15 Gourdes, weniger als ein US-Dollar. Das NLC stellt das Einkommen von Disney-Miteigner Michael Eisner dagegen. Es betrug für das Jahr 1993 Gehalt und Aktienpapiere zusammengerechnet 203 Millionen US-Dollar. Für das, was Eisner 1993 an einem Tag verdiente, müßten haitianische Arbeiter*innen mit Mindestlohn 1040 Jahre arbeiten.

In dem Unternehmen „Seamfast Manufactering“, das Kleider für Kmart herstellt, wird der niedrigste Lohn bezahlt. Eine Frau mit dreijähriger Erfahrung bekam täglich 13 Gourdes. Nach dem größten Problem befragt, sagte Besitzer Abraham Felix: „Die Arbeiter*innen können nicht effektiv arbeiten, weil sie nicht genug essen.“ Bei „Chancerelles S.A.“, Lieferant von „Fine Form“ in New York“ verdienten die von uns gesprochenen Arbeiter*innen durchschnittlich 26 bis 27 Gourdes am Tag und werden oft betrogen“. Die Aufpasser, „besonders Franck Charles… demütigen die Arbeiter*innen, beschimpfen sie als 'Huren', 'Nutten', 'Stück Scheiße' und 'Hunde“. Laut Bericht keine Einzelfälle, sondern durchaus die Regel für den Umgang mit den rund 10.000 Menschen, die in der Teilfertigungsindustrie arbeiten.

PERU

Frauenradio mit Macht

– von Mariella Sella

(Tarapoto, Peru, Februar 1996, fempress-POONAL).- Mitten im dichten Urwald Perus befindet sich die Stadt Tarapoto. Dort arbeitet seit fast zehn Jahren die Vereinigung „Förderung und Entwicklung der Frau“ (Prodemu). Sie produziert ein tägliches Radioprogramm mit dem Namen „Rompiendo la Carahuasca“, das in die gesamte Provinz von San Martín ausgestrahlt wird und einen großen Bekanntheitsgrad hat. Der Sender kommentiert die Situation der Frauen und versucht, eine Meinung dazu anzuregen. Genauso wird über die wichtigsten Ereignisse der Region berichtet. Die bestehenden Organisationen in der Zone hören über das Radioprogramm voneinander. Dessen hervorstechenstes Charakteristikum ist jedoch, daß es ein Forum bietet, von dem aus die Behörden und die unverantwortlichen Väter gedrängt werden, ihre Verpflichtungen gegenüber Frauen und Kindern zu erfüllen.

Der Erfolg des Programmes ist so groß, daß die Männer ihr Verhalten ändern, weil sie Angst haben, im Radio angeklagt zu werden. Dies macht sich besonders bei den Unterhaltszahlungen bemerkbar. Die Frauen von Prodemu haben dafür eine eigene Strategie entwickelt. „Wir versuchen, das Problem ohne den gerichtlichen Weg zu lösen“, sagt Dolly Arévalo, bei der Organisation für die rechtlichen Angelegenheiten zuständig. „Wir haben ein Team mit Psychologinnen und Anwältinnen. Wir versuchen, zu einer Einigung zwischen Vätern und Müttern über die Unterhaltszahlungen zu kommen, die die Männer für ihre Kinder zahlen müssen. Das Geld wird monatlich an Prodemu übergeben.“ Bis jetzt sind so 392 Fälle ohne den Gerichtsweg geregelt worden. Das heißt, 392 Ehemänner zahlen jeden Monat pünktlich die Alimente. „Wir fördern auch die emotionelle Verbindung zwischen Vätern und Kindern. Wir überzeugen sogar die Mutter, daß sie ihr Kind mit dem Vater teilt“, erklärt Arévalo.

Das Überraschendste sind jedoch die pünktlichen Zahlungen der Väter. Dafür gibt es einen Grund: Alle Väter, die das Geld nicht übergeben, werden ohne Ausnahme mit dem vollständigen Namen im Radioprogramm genannt. Um den Skandal zu vermeiden, erfüllen sie ihre Verpflichtungen sofort. Im Rechtsbereich ist Prodemu sehr aktiv. 1995 betreute die Organisation 750 Fälle. Dabei geht es um Scheidungsangelegenheiten, die Alimente sowie um Mißhandlung. Prodemu hat ein Frauenhaus für mißhandelte Frauen eingerichtet. Es wird von den Frauen der Region wenig genutzt, aber dient als ein Symbol, um größere Mißhandlungen durch die Ehemänner zu verhindern. Seminare über die Rechtsprechung finden sowohl in den Stadtrandgebieten als auch in den ländlichen Zonen statt. Es werden Rechtspromotorinnen ausgebildet, damit die Frauen in den entferntesten Gemeinden eine Ansprechstelle haben, wenn sie Beratung brauchen.

GUATEMALA

Drohungen gegen die Demokratie

(Guatemala-Stadt, 10. Februar 1996, cerigua-POONAL).- Mario Polanco, führendes Mitglied der Gruppe für gegenseitige Hilfe von Familienangehörigen Verhafteter und Verschwundener (GAM), bezeichnete die jüngsten Drohungen und Einschüchterungen gegen Abgeordnete, Mitglieder der Volksbewegungen und der Presse als „Bremse für die Demokratie und den Frieden“. Konkret erwähnte er die ständigen Drohungen gegen die sechs Parlamentarier*innen des Demokratischen Bündnis Neues Guatemala (FDNG). Das aktuellste Beispiel ist eine verschickte Todesanzeige, auf der Unbekannte „Tod der FDNG“ schrieben. Journalist*innen der Tageszeitung „Siglo Veintiuno“ erhielten telefonische Morddrohungen, nachdem sie Enthüllungen eines Ex-Militärs im Exil veröffentlichten. Mitglieder der Nationalen Indígena- und Campesinokoordination (CONIC) sowie der GAM selbst waren in den vergangenen Tagen ebenso Opfer von Einschüchterungsversuchen.

Autorräuber flüchten zu Oberst

(Guatemala-Stadt, 9. Februar 1996, cerigua-Poonal).- Die guatemaltekischen Gerichtsbehörden einschließlich der Staatsanwaltschaft verhinderten die Hausdurchsuchung bei einem Oberst der Streitkräfte. Wie bekannt wurde, überraschte die Polizei „in flagranti“ vier Autodiebe. Diese flüchteten in dem geraubten Auto bis zu dem Haus des Militärs Hugo Rolando Cruz, der auf der Militärbase neben dem internationalen Flughafen La Aurora arbeitet. Die Polizei umstellte das Haus und versuchten, einen Durchsuchungsbefehl bei Gericht zu erwirken, um die Autoräuber festnehmen zu können. Die Justizbehörden verweigerten jedoch die Genehmigung. So konnte nur das geraubte Auto sichergestellt werden. Der exilierte Militär Erwin González hatte gegenüber der guatemaltekischen Presse erst kürzlich detaillierte Angaben über die Zusammenarbeit von Autobanden und den Streitkräfte gemacht. Die geraubten Autos sollen in den Werkstätten der Präsidentengarde umgespritzt worden sein.

CONIC will das eigene Land

(Guatemala, 7. Februar 1996, cerigua-POONAL).- Juan Tiney, Vorsitzender der Nationale Indígena- und Campesinokoordination (CONIC), machte in einer Pressekonferenz die Haltung seiner Organisation zu Landbesetzungen deutlich: „Wir haben keine einzige Finca invadiert, wir haben uns nur den Besitz zurückgeholt, der unserer Meinung nach den Gemeinden gehört, da alle Dokumente dazu vorliegen.“ Tiney bezeichnete die Großgrundbesitzer als die eigentlichen Gesetzesbrecher. Diese hätten große Landstücke besetzt oder sich auf illegale Weise angeeignet. Noch zwei Tage zuvor hatte die Nationalpolizei eine Finca in der Provinz San Marcos geräumt, die die Campesinos für sich beanspruchen. 19 zunächst festgenommene Indígenas kamen einen Tag später wieder frei. Von sieben Verhafteten, darunter zwei Minderjährige, fehlte bis zum 7. Februar jede Spur. Tiney forderte die Behörden auf, sie lebend zu präsentieren.

GUATEMALA/SCHWEIZ

Guerilla und FDNG

(Mexiko-Stadt, 8. Februar 1996, cerigua-POONAL).- Das Demokratische Bündnis Neues Guatemala (FDNG) ist kein Instrument des politischen Kampfes der Guerilla, sondern der demokratischen Gruppen des guatemaltekischen Volkes. Dies versicherte Guerilla- Kommandant Pablo Monsanto in einem Interview mit der Schweizer Wochenzeitung „Liberación“. Das Führungsmitglied der Revolutionären Nationalen Einheit Guatemalas (URNG) sprach von der Möglichkeit, nach einem Friedensabkommen könne die Guerilla sich dem FDNG eingliedern oder ihm als eigenständige Partei angehören. Für die URNG sei deutlich: „Was wir in der Zukunft machen, muß sich auf die Stärkung des Demokratischen Bündnisses ausrichten. Es wird das Bindeglied sein, das uns erlaubt, die Reihe revolutionärer Interessen mit den im wesentlichen gleichen Interessen anderer Gruppen des guatemaltekischen Volkes zu vereinen.“

Monsanto bezeichnete die Beteiligung des Demokratischen Bündnisses Neues Guatemala an den Wahlen und die erzielten Ergebnisse als einen Ausdruck der demokratischen Beteiligung der Zivilgesellschaft. Dennoch habe sich die Mehrheit der demokratischen Bewegung von der Arbeit innerhalb des FDNG ferngehalten. Unter anderem weil „immer noch Angst existiert. Nicht jeder hat den Mut, in solch einem Bündnis mitzumachen, wenn die Spielregeln im Land noch nicht völlig klar sind und nicht eindeutig ist, wie und wie weit jemand sich beteiligen kann“. Der Guerillakommandant fügte hinzu, das Bündnis sei etwas Neues, eine andere Form, Politik zu machen. Es sei seiner Meinung nach nicht nur für die Wahlbeteiligung gegründet worden, sondern als eine „politische, aktive und ständige Oppositionsfront“.

MEXIKO

Zapatisten in Guadalupe Tepeyac

(Mexiko-Stadt, 11. Februar 1996, POONAL).- Genau vor einem Jahr, am 10. Februar 1995, flüchtete die Bevölkerung von Guadalupe Tepeyac vor der Offensive der mexikanischen Bundesarmee im Zapatistengebiet. Die Bewohner*innen, alle Tojolabales, gründeten ihr Dorf in einem zurückgezogeneren Teil des Lacandonen-Urwaldes neu. Am 10. Februar 1996 besetzten sie ihr ehemaliges Dorf während eines 20 Kilometer langen Demonstrationsmarsches von der Gemeinde Villaflores bis zu dem Ort La Realidad für eine Stunde symbolisch. Die 500 unbewaffneten Zapatist*innen – Männer, Frauen, Kinder – trugen auf ihrem Marsch die mexikanische Flagge voran, allerdings mit leicht abgewandeltem Motiv. Den Adler ersetzten sie durch einen Zapatisten, auf dessen Mütze drei rote Sterne gemalt waren.

Zu Beginn der Demonstration erklärte der Tojolabal Genaro den JournalistInnen: „Der Marsch wird keinen provokativen physischen Charakter gegen die Bundesarmee haben.“ Die zahlreichen Plakate, Transparente und Sprüche ließen jedoch keinen Zweifel an der Einstellung der Demonstrant*innen. „Sie haben unseren Ort genommen, aber sie werden uns nicht erniedrigen“, „Verkaufte kleine Soldaten, glaubt nicht, wir werden kapitulieren“ stand auf einigen Plakaten. Der erste Stopp war direkt gegenüber dem Militärcamp von Guadalupe Tepeyac. Dort sind zeitweise bis zu 3.000 Soldaten stationiert. Während drei Militärs die Menge filmten und fotografierten, riefen ihnen die Tojolabales entgegen: „Wir kämpfen für ein freies und unabhängiges Mexiko und Ihr, um eine Gruppe von Reichen zu schützen, die auch Eure Familienangehörigen ausbeuten. Ihr seid Söhne der Armen, darum verkauft Ihr Leben für Geld. Federales (Bundessoldaten), verlaßt den Ort, wo Euer Leben gekauft wird, tötet nicht Eure mexikanischen Landsleute.“

Der nächste Stopp nur einige Wegminuten weiter vor dem leeren Krankenhaus, das Ex-President Carlos Salinas 1993 einweihte. Die Krankenhausmauern waren innerhalb kurzer Zeit mit Vivas für die EZLN, die Zapatistische Front der Nationalen Befreiung, das Geheime Revolutionäre Indigena-Komitee (CCRI) und den Subcomandante Marcos vollgesprüht. Ein Sprecher erinnerte an die Ereignisse vor einem Jahr und den Widerstand der Indígenas. „Wir erinnern uns nicht an den Verrat der schlechten Regierung sondern an den Mut der Indígenas von Guadalupe Tepeyac.“ Zum Schluß dieses Aktes stimmten die Tojolabales die Hymne der Zapatisten an. Der Demonstrationszug hielt noch einmal kurz vor dem Militärcamp auf dem Gelände von „Aguascalientes“, das die Mitglieder der Zapatistischen Armee für die nationale Befreiung (EZLN) für die Nationale Demokratische Konvention im August 1994 errichteten. Fünf Kilometer vor La Realidad schlossen sich dem Marsch etwa 800 Indígenas aus verschiedenen Gemeinden der Region an. (Anmerkung der Redaktion: Der Artikel ist im Wesentlichen eine Zusammenfassung eines Beitrags, den der mexikanische Journalist Elio Henríquez für die Tageszeitung „La Jornada“ vom 11.2.1996 schrieb.)

ARGENTINIEN

Kleiner Sieg gegen Frauendiskriminierung

(Buenos Aires, Februar 1996, fempress-POONAL).- Amalia Gudiño Ishton mußte für ihren Eintritt ins argentinische Parlament schwer kämpfen. Der Indígena von der Ethnie der Onas aus der südlichen Provinz Feuerland wurde von der eigenen Partei das Leben schwer gemacht. Ishton sollte zum 11. Dezember 1995 für ihren männlichen Vorgänger Ricardo Furlan von der Regierungspartei nachrücken. Dieser war von seinem Mandat zurückgetreten, um bei den Bürgermeisterwahlen in seiner Heimatstadt zu kandidieren. Nachdem er dort die Wahlen verlor, versuchte er einen Rücktritt vom Rücktritt als Abgeordneter. Insider*innen sagen, wenn ein männlicher Kollege für Furlan nachgerückt wäre, hätten die Verantwortlichen der Regierungspartei – die im Parlament die absolute Mehrheit hat – das Anliegen Furlans direkt abgeschmettert. So aber wurde die Sache erst einmal offen gelassen. In hunderten von Briefen an den Parlamentsbriefen wiesen die Verfasser*innen auf die Diskriminierung von Amalia Gudiño Ishton als Frau hin.

Spaltung bei Regierung und Opposition

(Mexiko-Stadt, 11. Februar 1996, POONAL).- Der Austritt des prominenten Politikers Gustavo Béliz aus der argentinischen Regierungspartei vor wenigen Wochen (vgl. POONAL Nr. 228) hat auch die stärkste Oppositionspartei gespalten. Politische Beobachter*innen hatten dies bereits vorausgesagt. Der Grund war der Versuch des ehemaligen Präsidentschaftskandidaten und Spitzenpolitikers des Bündnisses für ein Solidarisches Land (Frepaso), José Bordón, den Dissidenten Béliz in das Bündnis einzugliedern. Die Basis der Frepaso, die sich als Mitte-Links- Koalition versteht, war damit jedoch nicht einverstanden. Béliz steht ihr zuweit rechts. Daraufhin verabschiedete sich Bordón von der Frepaso. Bisher scheint die Mehrheit seiner Anhänger*innen den Schritt allerdings weder zu verstehen noch mitzutragen. Viele wollen den Aussagen nach das Bündnis nicht verlassen. Kommentator*innen sehen einen tieferen Hintergrund für den ausgebrochenen Streit. Schon jetzt kämpfen die verschiedenen Oppositionskräfte um die Führungsrolle für die kommenden Wahlen.

BOLIVIEN

Zuviel Diät

(Mexiko-Stadt, 11. Februar 1996, POONAL).- Ein Korruptionsskandal im bolivianischen Parlament hat Folgen von noch nicht abschätzbarem Ausmaß. Eine Untersuchungskommission fand heraus, daß 22 Abgeordnete Dokumente fälschten, um höhere Diäten ausgezahlt zu bekommen. Die Regierungskoalition, aus deren Reihen die Dokumentenfälscher*innen stammen, versuchte, die Fälle dem Verantwortungsbereich der Bundesrechnungsprüfung zuzuschieben. Dies hätte die Abgeordneten vor einem normalen Strafverfahren bewahrt. Die heftige Reaktion innerhalb des Parlaments, der Presse, der Gewerkschaften, Unternehmerverbände und anderen zivilen Organisationen zwang die Regierungsparteien jedoch zum Einlenken. Bis auf die Nationalistische Revolutionäre Bewegung (MNR), die stärkste Regierungspartei, akzeptierten die anderen Koalitionsparteien eine Revision der Entscheidung. Die Bewegung Freies Bolivien drohte, die Regierung zu verlassen, falls nicht auch die MNR ihre Haltung korrigiere. Das Parlament wird sich in einer Sondersitzung mit dem Fall beschäftigen.

Die oppositionelle Partei „Vaterlandsbewußtsein“ kündigte an, ihre Abgeordneten und Senator*innen solange zurückzuziehen, bis die schuldigen Parlamentarier*innen vor Gericht stünden. Der Abgeordnete Enrique Toro von der Oppositionspartei Demokratische Nationalistische Aktion (ADN) forderte die Parlamentsschließung und Neuwahlen. Es handele sich nicht um einen „Fujimorazo“, sondern darum, das Prestige der bolivianischen Legislative zu retten. Toro war maßgeblich daran beteiligt, die Dokumentenfälschung aufzudecken. Die MNR hat schwere interne Probleme. Von den 22 Beschuldigten gehören zehn dieser Regierungspartei an. Die MNR-Abgeordnete María Teresa Paz gab ihr Mandat ab. Sie verspüre „Übelkeit“, gehe folglich aus „Gründen der Gesundheit“, erklärte sie. Sie ließ sich auch durch ein Gespräch mit Präsident Gonzalo Sánchez de Lozada nicht umstimmen. Paz arbeitete in der Untersuchungskommission, die sich mit dem Fall beschäftigt. Justizminister René Blattmann beklagte fehlende Ergebnisse einer verwaltungsinternen Überprfung.

CC BY-SA 4.0 Poonal Nr. 230 von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert