Ohne indigene Gebiete keine indigenen Völker

von Gustavo González

(Montevideo, 16. Juni 2015, comcosur).- Ende Mai und Anfang Juni wurde in verschiedenen Ländern eine Kampagne zur Problematik urbaner Flächen und ländlicher Gebiete veranstaltet. Kürzlich las ich die Ergebnisse, zu denen die Organisationen gekommen sind und hielt besonders bei den Aussagen Miguel Cruzabies inne, dem Anführer der Guaraní im Nordwesten Paraguays, dem Pueblo Guaraní Occidental. Dabei fiel mir ein, dass ich vor längerer Zeit einmal darum gebeten wurde, ein paar abschließende Bemerkungen zu einer Reihe von Artikeln über Land und Eigentum zu machen. Damals schien mir nichts geeigneter, als mich auf einen Brief zu berufen, den Häuptling Seattle im Jahr 1855 an den Präsidenten der USA richtete.

„Wir sind Teil der Erde und sie ist Teil von uns“

“Der grosse Chef von Washington kann sich auf die Worte des Häuptling Seattles mit der gleichen Gewissheit verlassen, wie sich unsere weißen Brüder auf die Wiederkehr der Jahreszeiten verlassen können. Meine Worte sind wie die Sterne, sie gehen nicht unter. Wie könnt ihr nur den Himmel oder die Wärme der Erde kaufen und verkaufen? Uns ist diese Vorstellung fremd. Weder die Frische der Luft noch das Funkeln des Wassers gehören uns. Wie könnt ihr sie dann von uns kaufen wollen?

Wir werden zur rechten Zeit eine Entscheidung treffen. Dabei sollt ihr wissen, dass jeder noch so kleine Teil dieser Erde meinem Volk heilig ist. Jedes glänzende Blatt, jeder sandige Strand, jeder Nebel im dunklen Wald, jede Lichtung und jedes summende Insekt sind geheilig im Gedächtnis und der Erfahrung meines Volkes. Der Saft, der durch die Bäume fließt, trägt die Erinnerungen des rothäutigen Mannes in sich.

Die Verstorbenen des weißen Mannes vergessen die Erde, auf der sie geboren sind, wenn sie zwischen den Sternen wandeln. Unsere Toten vergessen niemals diese wunderbare Erde, denn sie ist die Mutter des rothäutigen Mannes. Wir sind Teil der Erde und sie ist Teil von uns.“

Verdrängung durch Viehzucht und Sojaanbau

Im Mai erklärte Miguel im Forum der Stadt Asunción: „Die Frage der indigenen Gebiete ist für jede und jeden wichtig, denn ihr seid unsere Nachkommen. Wir verstehen die Erde als unsere Mutter, nicht als Objekt, das allein zu Produktionszwecken ausgebeutet wird. Wir haben eine andere Weltanschauung des Lebens.

Unser Land und unsere Gebiete werden zum Eigentum von Sojaunternehmen und Viehzüchter*nnen aus anderen Ländern mit der Folge, dass wir von unseren Gebieten vertrieben werden und zum Leben in die Randgebieten der Städte ziehen. Wir indigenen Völker leisten Widerstand auf dem Land und in der Stadt, denn auch dort will man uns unser Land wegnehmen.

Eines der Dinge, das uns kennzeichnet, ist unsere Mobilität. Wir bleiben nicht an einem einzigen Ort, sondern bewegen uns von einem Ort zum anderen. Wir sind [immer] in Bewegung. Mitunter treffen uns Überschwemmungen durch den Regen, ein andermal ist es die Trockenheit, in wieder anderen Fällen migrieren wir, um zu arbeiten.

Der Rückgang an [bewohnbaren] Landflächen führt dazu, dass wir nicht an einem Ort bleiben können. Sie nehmen uns unser Land und unsere Wälder weg. Es ist schwer an einem Ort zu leben, wo wir mit Agrochemikalien besprüht werden, wo die Erde krank ist und wir selbst krank gemacht werden. Wir indigenen Völker teilen die Vision unserer Vorfahren: wenn der Wald gerotet wird, weint die Erde; daher der viele Regen. Die Regenfälle sind die Tränen der Erde; deshalb die Überschwemmungen in den Feuchtgebieten, auf dem Land und in der Stadt.“

Am Rand des Überlebens

Auch in den Städten gibt es indigene Gruppen. Ohne Territorium ist es unmöglich, würdig zu leben. Jene, die ohne ihre Gebiete leben, sind keine indigenen Völker mehr; sie leben allein um sich zu ernähren, um zu überleben, ihre Spiritualität haben sie verloren. Diese Situation führt zum völligen Aussterben der indigenen Völker. Noch gibt es Völker im Chaco Paraguays, wie die Ayoreo – Waldbewohner*innen, die in freiwilliger Isolation leben – oder die Guana, von denen es nur noch etwa 100 Personen gibt und die trotz der Spanier und der Diktatur bis heute überlebt haben. Sie halten stand, sie überleben, wobei sie unter dem Staat, für den die indigenen Völker niemals wichtig waren, viel gelitten haben. Seit der Diktatur Stroessners ist die jetzige Regierung von Horacio Cartes die schlimmste.

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