Im Zeichen der Kunst: Ein Musikvideo klagt Militärverbrechen an

von Fabiola Calvo Ocampo

(Lima, April 2011, semlac).- Am 7. April 2011 wurde das Musikvideo „Lagrimas“ im Kulturzentrum Cinemateca Distrital in Bogotá gezeigt. Gesungen wird das Lied von Liz Porras, der Schwester von Leonardo Porras. Leonardo Porras wurde Anfang des Jahres 2008 in Norte de Santander, im Nordosten Kolumbiens getötet. Er war einer von vielen anderen Jugendlichen, die verschwanden und vom Militär ermordet wurden. Militär und Medien bezeichneten diese Jugendlichen zynisch als „falsos positivos“, als im Gefecht Getötete.

Viele Mütter und andere Familienangehörige der verschwundenen und getöteten Jugendlichen nahmen an der Vorstellung am 7. April teil. Die junge Künstlergruppe versucht auf diese Weise, die Schicksale der verschwundenen Jugendlichen mit Hilfe von Musik und Film öffentlich zu machen.

Nach Angaben des Menschenrechtsaktivisten Iván Cepeda wurden seit 2008 mehr als 3.000 Verschwundene-Getötete in verschiedenen Gebieten Kolumbiens registriert. Diese Fälle seien bekannt und doch habe die Justiz darauf noch keine Antwort gefunden. Cepeda ist der Sohn eines 1994 ermordeten linken Funktionärs und ist seit den Wahlen 2010 Abgeordneter des kolumbianischen Repräsentantenhauses.

Mit dem Schmerz fertigwerden

Die Mutter von Liz und Leonardo Porras, Luz Marina Bernal, erklärte gegenüber der Nachrichtenagentur SEMIac, wie wichtig die Vorführung und Verbreitung des Videoclips für sie und für weitere 17 Familien der so genannten „falsos positivos“ von Soacha, einen Bezirk im Süden Bogotás sei. Die Jugendlichen könnten durch die Musik ihren Schmerz ausdrücken. Ihre Tochter habe mit der Musik begonnen, nachdem ihr Bruder in einem Massengrab gefunden wurde. „Wir sollten Interpreten von Hip Hop unterstützen, als eine andere Form, die diese Problematik unseres Landes sichtbar macht“, betonte sie.
 

Das MusikvideoLágrimas“ (Spanisch)

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Luz Marina hat eine führende Rolle bei der Suche nach der Wahrheit und macht Druck auf die Justiz, damit diese die Verantwortlichen der Morde bestraft. Die Morde kamen erst ans Licht, als die Familien der Verschwundenen von Soacha diese zu suchen begannen. Luz Marina erklärte, dass es in den Nachforschungen über den Fall ihres Sohnes und der anderen ermordeten Jugendlichen “viel Verzögerung in den Anhörungen gibt, inklusive vorzeitige Beendigungen der Verfahren, was es den Soldaten, die meinen Sohn ermordet haben ermöglich, in Freiheit zu bleiben.“

“Diese Dinge dürfen sich nicht wiederholen”

An der Seite der Rap-Band „Enigma Urbano“, in welcher auch Helder Montaña mitwirkt, wird das Musikvideo durch die Hip Hop-Sängerin Liz Porras bestimmt, die auch die Komponistin des Liedes „Lágrimas“ ist. Die Arbeiten im Zeichen der Musik sei „eine Form, den Namen meines Bruders von falschen Vorwürfen zu befreien und die Fälle von Tausenden von Familien, welche sich in der gleichen Situation befinden, öffentlich zu machen“, erklärte sie gegenüber SEMIac. “Nach so lange Zeit haben sie nicht die Schuldigen gefunden … danke Mama, dass du mir die Wahrheit dieser Straßen gelehrt hast…“ sang Liz, 20 Jahre alt, begleitet durch ihre Gruppe. Sie hofft, mit ihrer Arbeit weiter zu kommen und „den Menschen die Augen zu öffnen, um zu verhindern, dass sich Dinge wie diese wiederholen“.

Als bekannt wurde, dass Leonardo tot war, sei die Motivation für den Videoclip entstanden, so der Regisseur David Muñoz – aus der Lebensgeschichte von Liz und der Notwendigkeit das zu erzählen, was ihrer Familie, ihrem Viertel und den Menschen in Kolumbien geschah. Darüber hinaus wollte Muñoz die staatlichen Verbrechen seines Landes mit einer neuen Ausdrucksweise öffentlich machen, “nicht weil die anderen weniger wert wären, sondern weil wir die Jugendlichen mit Musik erreichen wollten, damit diese Botschaften in den Fernsehkanälen und mit einem direkten aber metaphorischen Diskurs gesehen werden können.“

“Von Erinnerungen zu erzählen, ist subversiv”

Ricardo Cuvides, Initiator der Projektidee, arbeitete mit Cepedas Bewegung der Opfer von Staatsverbrechen MOVICE (Movimiento de Víctimas de Crímenes de Estado) zusammen. Er sammelte Aussagen über die Fälle der „falsos positivos“ und fand Künstler und Filmproduzenten, welche das Material verarbeiten wollten. In dieser Phase traf er Liz Porras, deren Lied „Lágrimas“ ihn überzeugte.

In den Worten der Historikerin Clara Inés Guerrero zeigt der Videoclip „einen wichtigen Teil eines Landes ohne Gedächtnis aus der Perspektive des Widerstandes, etwas was wichtig und grundlegend ist“. Das Gedächtnis sei eine Kette, an der das menschliche Leben hänge, so die Wissenschaftlerin. Das kulturelle Gedächtnis in diesem Land gehe verloren, da Geschichte mündlich überliefert werde. „In Kolumbien von Erinnerungen zu erzählen, wird fast zu einem subversiven Akt. Das kollektive Gedächtnis muss man in all seiner Ganzheitlichkeit verstehen, welche das menschliche Wesen ausmacht.“

Und hier ein beeindruckender Konzertmitschnitt und Hintergrundbericht (Spanisch)

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