„Hier gibt keiner auf“ – der honduranische Widerstand mehr als 30 Tage nach dem Putsch

von Erika Harzer

(Berlin, 31. Juli 2009, npl).- Vier Wochen nach der im Morgengrauen des 28. Juni erfolgten gewaltsamen Verschleppung des honduranischen Präsidenten Manuel Zelaya nach Costa Rica, unternahm dieser am 24. Juli einen zweiten Versuch nach Honduras zurückzukehren. In einem Autokonvoi, in Begleitung zahlreicher Unterstützer*innen und einem Tross Journalist*innen, begab er sich zum nicaraguanisch–honduranischen Grenzübergang in der Nähe von Las Manos. Tatsächlich überschritt er dort auch die Grenze, nahm ein Bad in der ihn erwartenden Menge, die es bis zur Grenze geschafft hatte, und verkündete seiner Anhängerschaft, dass niemand ein sich erhebendes Volk aufhalten könne. Die Anwesenden antworteten ihm mit Sprechchören: „Zelaya halte durch, das Volk erhebt sich“. Nach einer Stunde kehrte Zelaya jedoch auf nicaraguanisches Terrain zurück. Für viele war nicht wirklich nachvollziehbar, welche Aussagekraft diese Aktion haben sollte. Zelaya selbst begründete seinen kurzen Grenzübertritt damit, dass er die ihn unterstützenden Landsleute nicht in Gefahr habe in Gefahr bringen wollen. Da die Militärs wenig Bereitschaft gezeigt hätten, ihre Waffen niederzulegen und das Grenzgebiet militarisiert worden war, sei ein Rückzug angemessener gewesen. Noch auf honduranischer Seite forderte Zelaya den Generalstab der Militärs und die Gruppe um Roberto Micheletti auf, mit ihm zu verhandeln und Lösungen für Honduras zu suchen: „Ihr könnt nicht gegen das Volk regieren und ich nicht gegen die starke Opposition der Machtgruppen des Landes“. Danach zog er sich nach Nicaragua zurück. Dort verbringt er seither die Tage und hofft auf eine veränderte Situation in Honduras, die es ihm ermöglichen könnte, die international unterstützte Forderung nach seiner Rückkehr ins Präsidentenamt zu realisieren. Von einem in Nicaragua errichteten Zeltlager aus soll der pazifistische Widerstand gegen die Putschisten gestärkt und weiter angeschoben werden. Eine umstrittene Aktion, die ein stückweit hilflos wirkt, vor allem aber die aktuelle Sackgasse auf der Suche nach einer Lösung aufzeigt, die Zelayas Rückkehr ebenso beinhalten sollte wie die Absetzung und strafrechtliche Verfolgung der Putschisten.

Jeder weitere Tag im Ist–Zustand ist für die De–facto–Regierung ein Erfolg. Er gibt ihr Recht darin, wie sie den gewählten Präsidenten gestürzt und sich die Macht angeeignet hat, auch wenn dies international verurteilt wird und sie sich nach innen nur mit systematischen Menschenrechtsverletzungen durchsetzen kann. Letzteres gehört zum Resümee der internationalen Beobachtermission aus europäischen, latein– und nordamerikanischen Menschenrechtsorganisationen, die eine Woche lang vor Ort Informationen zusammentrugen und „schwere und systematische Verletzungen der Menschenrechte in Honduras nach dem Putsch“ feststellten. Als eine der Hauptursachen benennen sie die „willkürliche Anwendung von Rechtsnormen, die den internationalen Verpflichtungen zum Schutz der Menschenrechte entgegenstehen“. So etwa der seit dem 30. Juni verhängte Ausnahmezustand, der täglich von 20 Uhr bis 5 Uhr im gesamten Staatsgebiet persönliche Rechte wie „Vereinigungs– und Versammlungsfreiheit, das Recht sich frei im nationalen Territorium zu bewegen, dieses zu verlassen, es zu betreten und in ihm zu verweilen“ einschränkt. Dieses Dekret sollte nur 72 Stunden gelten, ist aber – nach mehr als vier Wochen – immer noch in Kraft. Dabei besitzt es laut Verfassung keine Gültigkeit, da es nicht im Amtsblatt veröffentlicht wurde. Die täglich neue Festsetzung des Ausnahmezustands wird willkürlich und oft nur mit halbstündigem Vorlauf über Radiokanäle verkündet. Mehr als 1.200 Personen sind seither hauptsächlich aufgrund vermeintlicher Verstoße gegen die Ausgangssperre verhaftet worden. In ihrer Stellungnahme wundert sich die internationale Beobachtermission auch über „die unterstützende Haltung gegenüber dem Putsch, (…) die von hohen Vertretern der katholischen Kirche sowie einigen Vertretern der protestantischen Kirche an den Tag gelegt wurde. Ebenso verwundert ist die Mission darüber, dass die Kirchen an der Organisation von Demonstrationen beteiligt waren, die den Putsch stützen und zu denen das De–facto–Regime aufruft“. Dazu sei kurz daran erinnert, dass vor dem ersten Rückkehrversuch von Präsident Zelaya Anfang Juli, der honduranische Kardinal Rodriguez Maradiaga dazu aufforderte, diesen Versuch zu unterlassen, um Blutvergießen zu verhindern. Eine entsprechende Aufforderung an die De–facto–Regierung, das Militär von den Straßen abzuziehen, war von ihm jedoch nicht zu hören. Kardinal Rodriguez kritisierte zwar die Umstände der Verschleppung Zelayas, wertete seine Absetzung allerdings als verfassungskonform. Am 23. Juli erklärte sich der lateinamerikanische Bischofsrat CELAM (Consejo Episcopal Latinoamericano) mit Kardinal Rodriguez solidarisch und stärkte diesem somit den Rücken.

Dies sowie die eindeutige Positionierung des Ombudsmannes für Menschenrechte, Ramón Custodio, zugunsten der Putsch–Allianz, ist für die innerhalb des Widerstands gegen den Staatsstreich organisierten Menschen unterschiedlichster Basisorganisationen ein Schlag ins Gesicht. Bis zum 23. Juli sind sechs Menschen zu Tode gekommen, 1.275 Menschen wurden verhaftet und zwei Personen sind verschwunden. Angesichts dieser Zahlen klingt es mehr als zynisch, wenn der Ombudsmann davon spricht, es gäbe bisher keine politischen Gefangenen. Demgegenüber wird die internationale Staatengemeinschaft von der Untersuchungsmission aufgefordert, alle „zur Verfügung stehenden Maßnahmen zu ergreifen“, um die Garantie der Menschenrechte in Honduras zu gewährleisten. Ebenso solle sie weiterhin ihre Positionen „der Verurteilung des Putsches“ beibehalten und „die Wiedereinsetzung Zelayas sowie die Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung“ einfordern.

Seit dem 24. Juli sind die Menschenrechte vor allem für eine mehrere hundert Menschen umfassende Gruppe nicht mehr gewährleistet, die losgezogen war, um Präsident Zelaya im Süden des Landes, unweit der honduranischen Stadt Las Manos an der Grenze zu Nicaragua, zu empfangen. Die Gruppe sitzt seither eingekesselt zwischen Militärsperren fest und ist abgeschnitten von Informationen sowie notwendigen Nahrungsmittel– und Wasserlieferungen. Konvois zur Versorgung der Abgeschnittenen wurden von den Militär– und Polizeisperren an der Weiterfahrt gehindert. Die innerhalb des Widerstands organisierten Frauengruppen kritisieren massiv das honduranische Rote Kreuz wegen unterlassener Hilfeleistung. Für sie sei es nicht nachvollziehbar, warum nicht genügend Autos dieser international anerkannten Hilfsorganisation für die Transporte zur Verfügung gestellt worden seien, da die Militärsperren nur den Fahrzeugen dieser Organisation die Durchfahrt zu den eingekesselten Menschen gewährten. Massenweise wurden Menschen am Freitag und Samstag verhaftet, darunter auch Rafael Alegría von der Bauernorganisation Vía Campesina, der aufgrund des internationalen Drucks jedoch bald wieder freigelassen wurde. Bei Auseinandersetzungen an der Grenze wurde ein Demonstrant von Militärs erschossen und die Leiche eines jungen Zelaya–Anhängers wurde unweit der Grenze mit Spuren von schweren Misshandlungen aufgefunden.

Einen neuerlichen Höhepunkt der Repression erfuhr die Widerstandsbewegung am Donnerstag, den 30. Juli an einer Straßensperre der Ausfallstraße Richtung Norden in Tegucigalpa. Die Blockade, an der mehrere tausend Menschen teilnahmen, wurde mit bis dahin noch nicht gekannter Gewalt auseinandergetrieben. Aus Helikoptern wurde Tränengas auf die Blockierenden abgeworfen. Mit Knüppelorgien gingen die Sicherheitskräfte gegen die fliehende Menge vor, die in ihrem Rückzug Richtung Innenstadt immer wieder auf neue, sie erwartende Polizei– oder Militärsperren traf. Der honduranische Lyriker Samuel Triugero wurde verhaftet, bedroht und misshandelt, schließlich jedoch wieder freigelassen, als er in die Menschenmenge aus Protestierenden hineinschrie, wer er sei und dass er verhaftet worden sei. Ein in der LehrerInnengewerkschaft organisierter Teilnehmer, Professor Roger Abraham Vallejo Soriano, wurde durch einen Kopfschuss lebensgefährlich verletzt. Die Zahl der Verletzten ist nicht bekannt. Unter ihnen sind jedoch auch Rafael Alegría aus der Vereinigung Vía Campesina sowie der Anführer des Volksbündnisses linker Organisationen, Bloque Popular, Carlos H. Reyes. Letzterer musste wegen mehrerer Schläge gegen den Kopf und einer gebrochenen Hand im Krankenhaus behandelt werden. Während der Aktion wurden 99 Personen verhaftet– darunter auch Juan Barahona (ebenfalls vom Volksbündnis) – jedoch nach Protesten honduranischer Menschenrechtsorganisationen, des Komitees der Angehörigen von Verhafteten und Verschwundengelassenen in Honduras COFADEH, ( Comité de Familiares de Detenidos Desaparecidos en Honduras), des Zentrums zur Untersuchung und Förderung der Menschenrechte CIPRODEH (Centro de Investigación y Promoción de los Derechos Humanos) und des Komitees zur Verteidigung der Menschenrechte in Honduras CODEH (Comité para la Defensa de los Derechos Humanos en Honduras) am späten Nachmittag wieder freigelassen wurden.

Diese Vorfälle demonstrieren, dass das Ende dieser Allianz dringend gefunden werden sollte, bevor in Honduras noch mehr Blut vergossen werden wird. „Der Hebel zur Lösung liegt in den USA“ – schreiben Aktivist*innen des Widerstandes und fordern mehr konkrete Maßnahmen, um die Isolation der Putschisten herbeizuführen. Ein erster Schritt in diese Richtung könnte die bereits vorgenommene Aberkennung der Visa für vier am Putsch beteiligte Personen und deren Familien seitens der USA sein, die bei anderen Beteiligten gegenwärtig noch geprüft wird. Noch steht aber die Frage im Raum, inwieweit zu den möglichen Drahtzieher*innen des Putsches auch Personen der Republikanischen Partei oder aus dem Diplomatischen Corps der USA gehören. Mehrere honduranische Frauenorganisationen aus der Widerstandsbewegung gegen die Putschisten baten Barack Obama in einem offenen Brief um eine Untersuchung dieser Vorwürfe.

In ihren Empfehlungen schreibt die internationale Beobachtermission u. a., die internationale Staatengemeinschaft solle „die Ergebnisse von Wahlen, die von der De–facto–Regierung einberufen werden, nicht anerkennen – wie es auch der Generalsekretär der Organisation Amerikanische Staaten forderte – und keine Entscheidung, die von der De–facto–Regierung getroffen wird, zur Kenntnis zu nehmen.“ Eine klare und sehr weitgehende Forderung, die an der Illegitimität der De–facto–Regierung festhält und sich damit gegen die vielfach auch in Deutschland verbreitete Meinung stellt, dass, auch wenn die Mittel nicht die richtigen gewesen seien, doch viele Menschen in Honduras die Absetzung von Zelaya begrüßt hätten. Beispielhaft werden von den Befürworter*innen dann die Demonstrationen zugunsten der Putschisten, die Stellungnahmen des Ombudsmannes für Menschenrechte, Ramon Custodio sowie des Kardinals Rodriguez angeführt. Eine der wichtigen Unterstützer*innen dieser Position ist die FDP–nahe Friedrich Naumann Stiftung FNS. Seit Anbeginn des Putsches spricht sie dem De–facto–Präsidenten Roberto Micheletti eine moralische Legitimation zu. In mehreren Berichten „aus aktuellem Anlass“ sucht FNS–Repräsentant Christian Lüth die rechtswidrigen Handlungen des Micheletti–Regimes zu legitimieren und verbindet damit Andeutungen zu möglichen militärischen Einmischungen aus Mitgliedsstaaten des ALBA–Bündnisses, dem Honduras unter Leitung von Präsident Zelaya im August 2008 beigetreten war. Bereits ein Tag nach dem Putsch, am 29. Juni, lautete der Titel des FNS–Berichts von Christian Lüth „Die Legende vom Militärputsch in Honduras dient vor allem ‚Mel’ Zelaya“. Darüber hinaus konstatierte Lüth am gleichen Tag, „es herrscht derzeit die Befürchtung, dass er (Mel Zelaya, Anm. der Autorin) versuchen wird, mit Hilfe von nicaraguanischen Truppen und im südlichen Nachbarland stationierten venezolanischen Truppen die Macht in Honduras wiederzuerlangen.“ Am 14. Juli schreibt Lüth, „…derweil ist Honduras zur absoluten Normalität zurückgekehrt.“

Eine Normalität, die bislang acht Todesopfer und mehr als 1.200 Verhaftete forderte, in der Menschen einkesselt, verprügelt und verschleppt werden. In der die Pressefreiheit ausgehebelt und der Ausnahmezustand samt Ausgangssperren fortgesetzt werden. Eine Normalität, getragen von der Allianz der Mächtigen des Landes, die im Interesse der Erhaltung ihrer Privilegien, ihrer Besitztümer und Machtstrukturen dieses Land zu einem der ärmsten Staaten der Region werden ließen – lange bevor Zelaya die Amtsgeschäfte als Präsident des Landes übernahm. Gewaltverbrechen, wie extralegale Erschießungen durch selbst ernannte soziale Säuberungskomitees und Entführungen mit Todesfolge gehörten vor Zelayas Präsidentschaft ebenso zur Tagesordnung, wie tödliche Zusammenstöße von schwer bewaffneten Jugendbanden, Drogenclans und die überall anzutreffende Korruption. Der straffreie Raum gegenüber diesen „Alltagsverbrechen“ wurde auch unter der Regierung Zelaya nicht angetastet, und doch hat er mit seinem unverhofft eingeschlagenen linken Diskurs begonnen, Räume für neue Diskussionen zu öffnen Diskussionen, die von Partizipation sprachen und bis ins Jahr 2005 in Honduras tabu waren. Diese haben, so zaghaft sie bisher auch gewesen sein mögen, doch eine Allianz der Mächtigen auf den Plan gerufen.

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