Entwicklung des Kooperativenmodells birgt Konfliktstoff

von Vicente Morín Aguado

(Berlin, 02. Januar 2013, Red Observatorio Crítico).- Kooperativen waren bislang traditionell im Dienstleistungssektor beheimatet, einschließlich des Transportwesens und einiger Produktivsektoren wie dem Fischfang, dem Bauwesen und der Landwirtschaft. Mit der größeren Autonomie von Kooperativen werden jetzt auch Konflikte erzeugt.

Das gilt besonders im Zusammenhang mit den vor einigen Monaten geschaffenen kleinen Privatunternehmen auf dem Gebiet der Gastronomie, sowie mit einigen anderen Aktivitäten des Kleingewerbes.Es wird ganz klar zu einem Kampf um die Kaufkraft der Bevölkerung zwischen Kooperativen und kleinen Privatunternehmen kommen.

Abenteuer privates Kleinunternehmen

Die Arbeiter*innen auf eigene Rechnung durchleben heutzutage ihr ganz eigenes Abenteuer beim Betrieb ihrer Cafés, Restaurants und kleinen Läden, wo sie im Kleinhandel verschiedenste Artikel anbieten, deren Vielfalt schier unvorstellbar ist. Dazu gehören auch die ambulanten Verkäufer*innen, die sich hinter ihren Verkaufswägelchen verschanzen.

Die eben erwähnten Gewerbetreibenden mit ihrem riskanten Geschäft müssen hohe Steuern entrichten, einschließlich Steuern auf ihre Einkommen, Abgaben für ihre eigene Rente und die ihrer Angestellten, so sie denn Angestellte haben. Dabei improvisieren sie stets, da ihr einziges Gut ihre eigene Wohnstätte ist – jene Orte, die von den lokalen Behörden für den Verkauf zugelassen wurden – bzw. ihre eigene Person mitsamt dem Gefährt, mit dem sie täglich die Stadt durchstreifen.

Kooperativen dürfen Räume anmieten

Das neue Kooperativensystem wird hingegen mit der Anmietung von Räumen starten können, in denen früher staatliche Einrichtungen untergebracht waren, die im Allgemeinen ökonomisch sehr ineffizient waren und außerdem wegen der geringen Qualität ihrer Leistungen sehr kritisiert wurden. Allerdings handelt es sich bei diesen Räumlichkeiten um alte Bauten, die meist bereits vor der Revolution errichtet wurden und gut gelegen sind. Selbst wenn sie auf den ersten Blick nicht einladend aussehen, entsprechen sie den gewerblichen Anforderungen.

Es wäre naiv anzunehmen, dass die neuen Kooperativen im Kleingewerbesektor nicht mit finanzieller Unterstützung rechnen könnten. Die Kooperativist*innen werden in den meisten Fällen ehemalige Angestellte der staatlichen Einrichtung sein, auch weil es ihnen wohl gelingen wird, einen Finanzier zu finden.

Falls diese Rolle nicht ohnehin schon jemand aus den eigenen Reihen oder Familienangehörige übernehmen können. Denn mehr als eine Million Kubaner*innen leben im Ausland, viele davon bereits seit Jahren, vor allem in den USA.

Mehrere Tausend US-Dollar oder Euro sind nicht viel Geld jenseits der Grenzen, so dass es hier in Kuba zur Aufwertung von Räumen aufgewendet werden kann, um Waren anzukaufen und eine neues Geschäft zu begründen.

Western Union erlaubt beispielsweise den direkten und sicheren Transfer von Geld aus den Vereinigten Staaten. Von Europa aus mangelt es ebenfalls nicht an Bankverbindungen, um Ähnliches zu tun. Und nicht zu vergessen die Besuche von Familienangehörigen oder die berühmten „mulas“, Leute, die daraus ein Geschäft machen, Waren und Geld nach Kuba zu schaffen.

Kooperative oder Kleinunternehmen?

Am Ende erscheint es also sicherer zu sein, in eine Kooperative zu investieren, die sich dort niederlässt, wo früher mal ein kleines staatliches Café war, als das im eigenen Haus zu machen, wodurch dann ein Teil des eigenen Wohnraums wegfallen würde, von den Erfordernissen einmal abgesehen, die das so genannte Marketing mit sich bringt.

Besonders im Bereich der Gastronomie werden sich die Angebote beider Gewerbemodelle gleichen. Die bereits erwähnten Unterschiede werden jedoch den Kooperativen zugute kommen.

Es wird dem Staat nicht möglich sein die Herausforderung zu meistern, dass Hunderttausende von Angestellten, die während vieler Jahre seine loyalen und stoischen Arbeiter*innen mit Niedriglöhnen waren, und von denen viele bereits dem Rentenalter nahe sind, nun massenhaft zum Kooperativismus überwechseln.

Nachteile für Selbständige

Was wird das aktuelle Ministerium für den Inlandshandel mit der umfangreichen Zuweisung zentralisierter Ressourcen machen, die bislang großzügig vergeudet werden und deren Bestimmung die Einrichtungen waren, die jetzt von den Kooperativen übernommen werden?

Es liegt auf der Hand, dass viele der heutigen Kleinunternehmer*innen auf eigene Rechnung dem Konkurrenzdruck dieser neuen Unternehmensform unterliegen werden. Es werden diejenigen überleben, die einen privilegierten Wohnort innehaben, die eine entsprechende Finanzierung aufweisen und diejenigen, die über genug händlerische Kreativität verfügen.

Am Ende werden jedoch viele Menschen enttäuscht sein, weil sie ihre kleinen Geschäfte wieder aufgeben müssen, die sie mit viel Schweiß und Hoffnungen notdürftig zusammengezimmert hatten.

Herausforderung für den Staat

Wie wird der sozialistische Staat darauf reagieren? Die aktuelle Situation sowie deren Konsequenzen, sind das Ergebnis einer fünfzigjährigen staatlichen Wirtschaftspolitik.

Vergessen wir nicht, dass es hier um ein System geht, das bislang nicht auf den Anspruch verzichtet hat, der Repräsentant aller Arbeiter*innen zu sein, mit der Partei als einzigem Garanten der politischen Organisation der Gesellschaft. Wir sprechen von Hunderttausenden Unternehmer*innen auf eigene Rechnung und einer möglicherweise doppelt so großen Anzahl von Menschen im Kooperativensektor.

Die Erweiterung der kollektivistischen Produktiveinheiten mit eigener Autonomie auf neue Wirtschaftssektoren ist eine Notwendigkeit angesichts der gescheiterten Verstaatlichung der kleinen und mittleren Unternehmen seit mehr als vier Jahrzehnten. Dieser Schritt nach vorne ist unvermeidbar, die Widersprüche, die damit einhergehen werden, sind dies auch.

(Erstveröffentlichung in Havana Times)

 

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