Ehemalige Gefrierfleischfabrik Anglo in UNESCO-Liste des Welterbes aufgenommen

Produktion nach Rezept des deutschen Chemikers Justus von Liebig

Die am 5. Juli um 13:09 Uhr einstimmig beschlossene Aufnahme reiht sich in die Anerkennung ein, die Uruguay zuteil wurde, als die Kleinstadt Colonia del Sacramento als Kulturerbe in die UNESCO-Liste aufgenommen wurde.

Das Gebiet umfasst 275 Hektar, einschließlich den Industrieanlagen, den Anlegeplätzen am Fluss Uruguay, dem Schlachthaus, Weideflächen, Wohnhäusern von Direktor*innen und Arbeiter*innen und den jeweiligen Freizeitanlagen. Der Komplex wurde 1859 als Dörrfleischfabrik errichtet, die gepökeltes Rindfleisch exportierte.

Drei Jahre später „kam der Ingenieur Georg Christian Gilbert mit der Idee nach Fray Bentos, ein Unternehmen zu begründen, das Fleischextrakt nach dem Rezept des deutschen Chemikers Justus von Liebig produzieren sollte“, erklärte der Forscher René Boretto.

Im Jahr 1865 begann die Firma Liebig’s Extract of Meat Company Fleischkonserven und Fleischkonzentrat nach Europa zu exportieren. Das Unternehmen wurde dann von der britischen Vestey Group aufgekauft, die ab 1924 in der in „Frigorífico Anglo del Uruguay“ (EL Anglo) umbenannten Fabrik mit dem Verkauf von tiefgefrorenem Fleisch begann. Die Beschreibung der UNESCO hebt hervor, dass die fraybentinische Industrielandschaft, die 1979 stillgelegt wurde, „anschaulich alle Phasen der Fleischproduktionskette für Lebensmittel illustriert“ und es ermöglicht, „den Prozess einer Fleischproduktion, die weltweit von Bedeutung war, in seiner Gesamtheit zu erfassen“.

Echte Lektion in Architektur, Stadtplanung – und ein unantastbares Erbe

Die Anerkennung durch die UNESCO ist das Ergebnis der 2005 begonnenen Arbeit der IRN. Seit 2011 bereiteten die Nationale Kommission Uruguays für die UNESCO und die IRN die Bewerbung vor. Doch die ersten Schritte auf diesem Weg liegen noch weiter zurück.

Mariano Arana, Mitglied der Kommission, erinnerte daran, dass er in den 1980er Jahren an der Tür der Architektenkammer klopfte, wo eine Gruppe von Polizist*innen aus Fray Bentos in Zivil arbeitete, und er um Hilfe bat, weil „sie das Anglo-Viertel komplett zerstören wollen; sie haben schon begonnen, einige Häuser einzureißen“. Und so, erzählte Arana, verließ die Gruppe Urbaner Studien das Büro, um das kulturelle Erbe zu verteidigen.

Die Bauwerke, so die Gruppe, seien „eine echte Lektion in Architektur, Stadtplanung – und ein unantastbares Erbe: An ihnen verdeutliche sich der Wert, den die Bevölkerung der ungebrochenen Arbeitertradition des Viertels Anglo und der Stadt insgesamt zumisst“.

Ema Zaffaroni, Dozentin für Geschichte und Mitglied der Nationalen Kommission Uruguays für die UNESCO, stufte im Gespräch mit la diaria den Industriekomplex Liebig/Anglo „als eine moderne Fabrik“ vom Ende des 19. Jahrhunderts ein. „Es handelte sich zweifelsohne um ein kapitalistisches Unternehmen, erdacht und gegründet von Gruppen internationaler Finanzinvestoren, das auf Techniker, Fachkräfte und Arbeiter aus verschiedenen Teilen der Welt bauen konnte“.

„Wie ein Vorläufer des Fließbandes bei Ford“

Zaffaroni hob hervor, dass das Unternehmen „sich in einen Konzern wandelte“, weil, „auch wenn sie nicht notwendigerweise die Eigner aller Farmen gewesen sind, so kauften sie doch die Rinder, verarbeiteten sie, übernahmen den Versand und verkauften die Ware. Die komplette Kette aus Produktion und Verkauf befand sich in ihrer Hand“.

Sie würdigte, dass „dies wie ein Vorläufer des Fließbandes bei Ford“ gewesen sei und dass die Fleischproduktion mittels „einer Montagekette“ erfolgt sei, „in der es Handarbeit gab und Arbeitskraft auch im Übermaß vorhanden war. Doch tatsächlich war die ganze Struktur der Fabrik so angelegt, dass sie so autark wie möglich funktionieren konnte. Das ist ein sehr wichtiger Aspekt beim Mentalitätswandel der industriellen Revolution, als die Zeit das wertvolle und essentielle Maß wurde und es darauf ankam, dass der Arbeiter sich so wenig wie möglich und sich stattdessen das Produkt bewegte“.

Um den Grad der Vorreiterrolle zu verdeutlichen, verweist die Dozentin darauf, dass man in Anglo bereits 1883 über elektrischen Strom verfügte – drei Jahre vor Montevideo. „Das ist hier wie ein Museum der industriellen Revolution. Hier müsste man mit den Studenten hingehen, wenn das Thema behandelt wird“, so Zaffaroni.

Ansturm von Tourist*innen erwartet

Vor Ende des Jahres muss Uruguay einen Plan vorlegen, der „die Bekanntmachung des Ortes, seinen historischen und kulturellen Wert sowie seine Bedeutung bezogen auf das kulturelle Erbe garantiert, aber ebenso die notwendigen Maßnahmen, um ihn zu erhalten“, erklärte Nicolás Pons, Generalsekretär der mit der UNESCO zusammenarbeitenden Kommission.

Dies zu bewerkstelligen, wird Aufgabe der in der Kommission vertretenen Institutionen und der IRN sein. Pons ließ verlauten, dass der Ansturm von Tourist*innen auf Orte, die in der UNESCO-Liste des Welterbes stehen, normalerweise enorme Ausmaße annimmt und der Zugang zum Denkmal beschränkt werden müsse, damit es keinen Schaden nimmt.

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