Diskriminierung ist eine Straftat

von Louisa Reynolds

(Lima, 08. April 2010, noticias aliadas).- Trotz einiger Neuerungen des Guatemaltekischen Strafgesetzbuchs ist es armen Indigenen immer noch nicht möglich, Anklagen wegen Diskriminierung vor Gericht zu bringen, weil ihnen die finanziellen Mittel fehlen.

Zwei Jahre lang arbeitete Marta, eine 43-jährige Maya Kaqchikel und Analphabetin, als Hausangestellte und wurde von ihren Arbeitgebern diskriminiert, einer nicht indigenen Familie in San Lucas Sacatepéquez, ca. 35 km von der Hauptstadt entfernt. Sie musste in einer Holzhütte ohne Türen schlafen, inmitten von Werkzeug und Eimern voll mit schmutziger Wäsche, erzählt Marta, die aus Angst vor Repressalien der Familie um die Änderung ihres Namens gebeten hat.

Ebenfalls war es ihr verboten, die Toiletten der Familie zu benutzen und sie musste sich im Innenhof des Hauses waschen, berichtet Marta, die aus dem zentral-westlichen Department Totonicapán stammt. Der Hausherr erniedrigte sie regelmäßig auf verbale Weise. “Du taugst zu gar nichts! Du bist schmutzig, wasch dich mal! Du solltest die Möglichkeit schätzen, die wir dir hier bieten, um Geld zu verdienen!” sind einige der Kommentare, die Marta täglich zu hören bekam.

Bald nachdem Marta im vergangenen Jahr ihre Arbeit kündigte, suchte sie Hilfe bei der staatlichen Einrichtung zur Verteidigung der indigenen Frau DEMI (Defensoría de la Mujer Indígena), deren Aufgabe es ist, die Rechte indigener Frauen zu schützen. Nach Meinung von Azucena Socoy, Rechtsvertreterin der DEMI, werden derartige Fälle äußerst selten angezeigt, denn es wird als “normal” angesehen, dass die indigenen Hausangestellten verpflichtet sind, für ihre Arbeitgeber*innen die traditionelle Kleidung abzulegen, spanisch zu sprechen und unter Misshandlungen und Herabwürdigungen zu leiden.

Mehr als 40 Prozent der 14 Millionen Guatemaltek*innen definieren sich als Indigene, gleichwohl schätzen Expert*innen, dass die Zahl eher bei 60 Prozent liegt.

Die Rechtssprechung auf dem Papier

Im Oktober 2002 erweiterte der Kongress das Strafgesetz um einen Artikel, welcher verschiedene Arten von Diskriminierung, inklusive Rassismus, als Straftat wertet.

“Unter Diskriminierung ist jede Art von Unterscheidung, Ausgrenzung, Einschränkung oder Bevorzugung zu verstehen, die aufgrund von Geschlecht, Rasse, Ethnie, Sprache, Alter, Religion, wirtschaftlicher Situation, Krankheit, Behinderung, Familienstand oder jeglicher anderer Ursachen, Anlässe und Umstände stattfindet und es einer Person, einer Personengruppe oder Vereinigungen verhindert oder erschwert, ein legitimiertes Recht auszuüben. Eingeschlossen ist das Gewohnheitsrecht, welches weder der politischen Verfassung der Republik von Guatemala noch den Internationalen Abkommen zu Menschenrechten widerspricht…” heißt es im Artikel 202 des Strafgesetzbuchs.

Im tagtäglichen Leben der indigenen Bevölkerung Guatemalas ist die Diskriminierung jedoch etwas sehr Gewöhnliches. “Die Regelung des Strafgesetzes reicht nicht aus, wenn es um die Beweisführung für diese Straftat geht” meint Dilia Palacios, Leiterin der Präsidialen Kommission gegen Diskriminierung und Rassismus CODISRA (Comisión Presidencial contra la Discriminación y el Racismo). Das Justizsystem fordert Beweise, dass das Opfer der Gegenstand von rassistischem Missbrauch geworden ist sowie Zeugenaussagen, was in Fällen wie dem Martas oder anderer Hausangestellten sehr schwierig ist.

“Zuerst einmal muss die Staatsanwaltschaft davon überzeugt werden, dass eine Straftat stattgefunden hat und eine Ermittlung eingeleitet werden muss. Der Tatbestand der Diskriminierung muss bewiesen werden, sonst sagen die Funktionäre, dass es sich nur um ein “Problem” handelt, welches durch eine einfache Schlichtung gelöst werden kann.” erläutert Xiomara Vásquez, rechtliche Beraterin der CODISRA.

In Fällen wie dem von Marta verfügen die Opfer kaum über Beweise oder Zeugenaussagen, was es unmöglich macht, die Täter*innen vor Gericht zu bringen. “Man braucht schon ein Aufnahmegerät, eine Kamera oder Video, um Sicherheit über den Wahrheitsgehalt der Aussagen oder über die Fakten zu haben. Dies erschwert die Beweisführung für das Opfer bzw. für uns ungemein”, so Socoy.

Ein weiteres Hindernis für die Verfolgung von Diskriminierungsfällen ist die Bedingung, dass sie mit einer anderen Straftat verbunden sein müssen, denn die Staatsanwaltschaft betrachtet die Diskriminierung nicht als einen schwerwiegenden Vorfall. Cristian Otzin, ein weiterer Rechtsberater der CODISRA, fügt hinzu, dass die Höchststrafe für einen erfüllten Strafbestand der Diskriminierung bei drei Jahren Gefängnis liegt.

Laut Vásquez kamen die wenigen Fälle, die vor Gericht verhandelt wurden, auf Intervention von Expert*innen der indigenen Kultur zustande – bekannt als “kulturelle Gutachten”. Sie konnten den Richter*innen die kulturellen Umstände der Opfer sowie die Bedeutung bestimmter Begriffe und Aktionen verständlich machen.

Die Kosten für eine Ermittlung belaufen sich normalerweise auf ungefähr 10.000 Quetzales (ca. 900 Euro), die von der Staatsanwaltschaft aufgebracht werden müssen. Jedoch verweigern sich deren Funktionäre häufig und verlangen vom Opfer, diese Kosten zu begleichen. Bedenkt man, dass der monatliche Mindestlohn in Guatemala bei 1.800 Quetzales (ca. 160 Euro) liegt, ist es dem Opfer in den meisten Fällen fast unmöglich, diese Summe aufzubringen. In der Mehrheit der Fälle, die vor Gericht verhandelt wurden, erhielten die Opfer finanzielle und rechtliche Unterstützung von Menschenrechtsorganisationen oder Regierungseinrichtungen wie die CODISRA.

Präzedenzfälle

“Die Mechanismen und Formen, um eine solche Straftat im Sinne der Rechtssprechung nachzuweisen, sind sehr schwierig umzusetzten und erfordern eine große Anstrengung” urteilt Socoy.

Nach Meinung von Palacios “ist es noch ein langer Weg, bis nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch bei den Justizangestellten ein Bewusstsein herangewachsen ist, um eine Sensibilität gegenüber dieser Art von Straftaten zu entwickeln.

Trotzdem geben eine Reihe von Präzedenzfällen Anlass zur Hoffnung für die Opfer von Diskriminierung wie Marta. Palacios verweist auf zwei Fälle, die erst kürzlich erfolgreich vor Gericht durch Anwendung des Gesetzes gegen die Diskriminierung und mit Unterstützung der CODISRI verhandelt wurden: der Fall einer Hausangestellten Maya Kiché, die gezwungen wurde, ihre indigene Tracht ab- und eine Uniform anzulegen, und der eines Schulmädchens in der südwestlich gelegenen Stadt Quetzaltenango, welche auch gezwungen wurde, auf ihre indigene Kleidung zu verzichten, um am Schulunterricht teilnehmen zu können.

Für den indigenen Politologen Álvaro Pop illustrieren diese Fälle, dass zwar noch viel zu tun ist, um die Ausmaße von Diskriminierung zu verstehen und diese von den Behörden ernst genommen werden. Dennoch sei das, “was in den letzten 20 Jahren in der Reform des Staates hinsichtlich diesen Themas erreicht wurde, sehr viel mehr als das, was in den vergangenen 200 Jahren passiert ist.”

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