Chile in 400 Wörtern*

von Pedro Cayuqueo, Temuko

(Temuko, 05. Juli 2011, azkintuwe).- Ist die Verschärfung des ethnischen Konflikts der geeignete Weg für den Kampf der Mapuche in Chile? Südlich des Bio Bio habe ich jedenfalls niemanden einen solch irrwitzigen Diskurs vorschlagen hören. Es gibt jedoch Chilen*innen, die etwas Derartiges befürchten. Sie bekommen es mit der Angst zu tun, wenn jemand beispielsweise kundtut, sich „nicht chilenisch“ zu fühlen.

„Fühlst du dich als Chilene, Pedro?“, bedrängt mich ein gewisser Akademiker während eines Forums über Multikulturalität an einer Elite-Universität in Santiago de Chile. „Nein, ich fühle mich nicht als Chilene, und glaubt mir, ihr tut herzlich wenig dafür, dass sich daran etwas ändert“, war meine Antwort. Ich gab eine ehrliche Antwort, und ohne dass ich das bewusst gewollt hätte, fühlten sich viele davon getroffen.

Die überraschten – und teils empörten – Gesichter machten dies mehr als deutlich. Empört nicht etwa deshalb, weil meine „nationale“ Zuordnung ihnen nicht behagt hätte, sondern aufgrund der Gefahr, die es für sie bedeuten könnte, wenn ein Mapuche – augenscheinlich ein „gebildeter“ und „zivilisierter“, der obendrein noch twittert und ein Liebhaber von US-amerikanischen TV-Serien und des Rock ist, darauf besteht, sich als „Mapuche“ zu fühlen und nicht unbedingt als „Chilene“. „Und dieses Gefühl verstärkt sich jedes Mal noch, wenn ich das Nordufer des Bio Bio erreiche. Dann fühle ich mich, als verließe ich das Land … das Land der Mapuche, natürlich“, fügte ich noch provozierend hinzu.

Und auch wenn eine gute Ausbildung es dir erlaubt, „unbemerkt hinüberzugelangen“ in die dominante Gesellschaft – „Assimilation“ nennen das die Studierten –, so kannst du dich auch in einen rasenden „Malcolm X“ verwandeln. In meinem Fall ist Ersteres nie geschehen. Und Letzteres? Ich erkenne an, dass das nur für eine gewisse Zeit der Fall war. Malcom X setzte sich in den Sechzigern für die Rechte von Afro-Amerikaner*innen in den Vereinigten Staaten ein. Und er tat dies vor allem, indem er die Gegensätze herausstellte, die Konfrontation zwischen den „Rassen“ suchte. Sein Versuch war gut gemeint – allerdings wurde er schließlich ermordet, will sagen: Er erntete das, was er gesät hatte. Ist dies der geeignete Weg für den Kampf der Mapuche in Chile?

Südlich des Bio Bio habe ich niemanden einen solch irrwitzigen Diskurs vorschlagen hören. Es gibt jedoch Chilen*innen, die etwas Derartiges befürchten. Sie befürchten es, wenn einer erklärt, sich „nicht als Chilene“ zu fühlen oder wenn einer der „Nation der Mapuche“ unserer Großväter gedenkt. Aus der Angst wird dann schnell Misstrauen. Und aus dem Misstrauen eine Nicht-Kommunikation. Und aus der Nicht-Kommunikation die Unmöglichkeit, trotz aller Unterschiede, an einem gemeinsamen Schicksal zu arbeiten, als verschwisterte Gesellschaften.

Es war in der Schule meiner Tochter. Anlässlich der Schulfeierlichkeiten zum Nationalfeiertag. In Kenntnis „meiner Haltung“ (kein Grund, das Schlimmste anzunehmen) ging eines Tages ihre Lehrerin auf mich zu, um mir ängstlich eine Frage zu stellen: „Don Pedro, könnte Ihre Tochter am Montag die Nationalflagge hissen?“. „Natürlich“, antwortete ich lächelnd, und bis zu einem gewissen Grad war ich sogar Stolz auf meine Kleine. „Also haben Sie keinerlei Problem mit der chilenischen Fahne?“, fragte sie relativ neugierig. „Problem? Ich? Überhaupt nicht … Ihr seid es doch, die scheinbar ein Problem mit der meinigen haben“, antwortete ich. Am Ende lachten wir beide. Chile in 400 Wörtern.

* Anmerkung der Redaktion: Der Originaltext ist 400 Wörter lang. Die Übersetzung ist um einige Worte länger geworden. Wir haben uns jedoch dagegen entschieden, zu kürzen.

[Originaltext aus „azkintuwe – El periodico del país Mapuche“, www.azkintuwe.org; Erstveröffentlichung in der 400. Ausgabe von The Clinic – www.theclinic.cl ]

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