Belohnung der Biopiraterie?

von Andreas Behn, Nagoya

(Berlin, 26. Oktober 2010, npl).- Interview mit Michael Frein, Mitarbeiter der Arbeitsstelle Handel und Umwelt des Deutschen Entwicklungsdienstes EED in Bonn. Er begleitet die Verhandlungen der COP-10 in Nagoya, insbesondere zum ABS und Biopiraterie.

 

npl: Es fehlen noch drei Tage bis zum Ende der 10. Vertragsstaatenkonferenz über Biologische Vielfalt in Nagoya, Japan. Bislang sind kaum greifbare Ergebnisse erreicht worden, es wird ein Scheitern der Verhandlungen, ähnlich wie bei der Klimakonferenz vergangenen Dezember befürchtet. Insbesondere bei der Formulierung eines rechtlich verbindlichen Protokolls bezüglich des Zugangs zu und der Aufteilung von Gewinnen aus genetischen Ressourcen (ABS) geht es nicht voran. Worin liegt das Problem, einen rechtlichen Rahmen zur Unterbindung von Biopiraterie herzustellen?

Michael Frein: Das Protokoll zur Biopiraterie wird bereits seit fünf Jahren intensiv debattiert, aber erst seit diesem Frühjahr gibt es einen Text, auf dessen Grundlage ernsthaft verhandelt werden kann. Deswegen ist die Zeit jetzt einfach knapp. Inhaltlich gibt es eine ganze Reihe von Problemen, im Kern geht es um folgendes: Die Industrieländer wollen die genetischen Ressourcen, die zumeist in den Entwicklungsländern beheimatet sind, nach wie vor umsonst nutzen. Das heißt, dass sie sich nicht an das in der UN-Konvention über Biologische Vielfalt vorgeschriebene Prinzip der „informierten Zustimmung“ halten wollen. Die Industriestaaten drängen hier in Nagoya auf möglichst „weiche“ Formulierungen, während die Entwicklungsländer natürlich Interesse an möglichst „harten“ Formulierungen haben.

Um welche Aspekte wird am meisten gestritten?

Es geht momentan um die Reichweite des Protokolls und welche Arten von Ressourcen es betreffen soll. Am wichtigsten ist aber die Zeitfrage: Ab wann tritt das Protokoll eigentlich in Kraft? Kann es rückwirkend in Kraft treten? Juristen aus Europa, Kanada oder Australien sagen natürlich: so etwas ist nicht möglich. Aber da gibt es Gegenbeispiele wie das Thema der geraubten Kunstschätze, bei denen durchaus rückwirkende Abkommen beschlossen worden sind. Es ist wichtig zu wissen, dass wenn sich die Industrieländer durchsetzen sollten und das Protokoll erst ab seiner Verabschiedung Rechtsgültigkeit bekommt, dies bedeuten würde, dass alle Fälle vorheriger Biopiraterie und die momentan stattfindende Biopiraterie damit genehmigt und legitimiert werden. Also letztlich eine Belohnung der Biopiraten.

Wie kann man sich diese Biopiraterie konkret vorstellen, was und wie wird geraubt?

Das jüngste Beispiel ist kaum eine Woche alt. Es handelt sich um eine Zahncreme, die in Indien aus dort vorhandenen genetischen Ressourcen wie Kräutern unter Verwendung von traditionellem Wissen hergestellt wird. Diese Zahncreme hat das Unternehmen Colgate jetzt in den USA patentieren lassen, indem sie der Produktion ein zusätzliches Element hinzugefügt hat. Aber im Grunde wird da nichts anderes benutzt als die Zahncreme, die es schon lange in Indien gibt. Und Colgate verkauft die Creme jetzt als industrielles Massenprodukt und wird damit bestimmt viel Geld machen. Dieses Geld müsste nach dem Geist der Biodiversitätskonvention auch den lokalen Gemeinden in Indien zugute kommen, die Träger dieses traditionellen Wissens sind.

Ein anderes Diskussionsthema in Nagoya ist die Einrichtung von Naturschutzgebieten zur Bewahrung der Artenvielfalt. Hierbei wird nicht über das ob, sondern über das wie gestritten. Insbesondere indigene Organisationen beklagen, dass bei der Förderung von Naturschutzgebieten weder ihre Landrechte noch ihre Lebensweise berücksichtigt werden. Es offenbart sich ein Widerspruch zwischen umweltpolitischen Konzepten und dem Schutz indigener Rechte. Müssen diejenigen, die aufgrund ihrer Lebensweise die Umwelt seit jeher bewahren, nun aufgrund einer staatlich oder international verordneten Naturschutzkampagne ihren Lebensraum verlassen?

Ja, zumindest bei der konkreten Umsetzung ist dies problematisch. Denn es ist davon auszugehen, dass viele Staaten sich schlichtweg über das hinwegsetzen werden, was hier beschlossen wird. Im nationalen Kontext werden indigene Rechte oft völlig ignoriert. Häufig wird erst einmal ein Naturschutzgebiet eingerichtet, dann wird dasselbe Gebiet für Tourismus- oder Bergbauunternehmen geöffnet und die indigene Bevölkerung darf dort nicht mehr leben, weil es jetzt ja ein Naturschutzgebiet ist. Dieser Konflikt kommt in der Praxis oft vor. Die einzige Lösung dafür, und das muss auch den Umweltorganisationen klar sein, ist die Anerkennung der Landrechte von indigenen und lokalen Gemeinden.

 

Tipp: Radioreportage (Von Andreas Behn)

UN-Konferenz streitet über Biopiraterie

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