Zur Herausforderung eines Friedens in Kolumbien

von Sergio Ferrari

(Montevideo, 30. November 2011, comcosur).- In der ersten Novemberwoche haben Spezialeinheiten der kolumbianischen Armee in einer ausgeklügelten Militäroperation Alfonso Cano getötet, die Nummer Eins der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens FARC (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia).

 

 

Der Tod des Anführers der FARC hat erneut das ewig unangenehme Thema von Krieg und Frieden auf die politische Tagesordnung gesetzt. In diesem südamerikanischen Land, dass seit fünfzig Jahren von dem mittlerweile ältesten – und letzten – bewaffneten Konflikt des Kontinents durchzogen wird.

75 Prozent der Bevölkerung für Friedensverhandlungen

In ihrer in der zweiten Novemberwoche erschienenen Ausgabe hat die kolumbianische Zeitschrift “Dinero” fünf Generaldirektoren von wichtigen kolumbianischen Unternehmen zu Wort kommen lassen – unter ihnen Ecopetrol und Locatel -, welche bei ihrer Beurteilung der Tötung von Alfonso Cano fast einstimmig für die Notwendigkeit einer politischen Lösung des Konfliktes plädierten.

Wenn man das Verhalten und die Signale sowohl der Regierung als auch von Seiten der FARC auswertet, sei “kurzfristig keine Möglichkeit zur Lösung des bewaffneten Konflikts” zu sehen, wie Alejo Vargas Velásquez, außerordentlicher Professor der Universidad Nacional de Colombia und Leiter der Forschungsgruppe zu Sicherheit und Verteidigung betont.

“Ich sehe nicht den Willen zum Verhandeln”

“Trotz der dem Frieden wohlgesonnenen Reden der FARC bringen weder sie noch die Regierung einen echten politischen Willen zum Ausdruck, der auf den Beginn eines Verhandlungsprozesses hinweisen könnte”, so der anerkannte Universitätsdozent, der in der Vergangenheit mehr als einen Verhandlungsprozess zwischen den Behörden und den bewaffneten Gruppen begleitet hat.

“Mein derzeitiges Gefühl ist, dass in Wirklichkeit keiner der beiden den Frieden will, sondern die Durchsetzung ihrer jeweiligen politischen Zwecke”, also die Niederlage des Widersachers. Vargas betont, dass es notwendig sei, die Begriffe “Konflikt und bewaffneter Konflikt” voneinander zu trennen.

Der Konflikt sei einem jeden System eigen, in jeder politischen und sozialen Realität. Es sei sogar “wichtig sich zu vergegenwärtigen, dass die Existenz von Konflikten ein Signal für eine gesunde Demokratie sein kann”, unterstrich der Politologe im Rahmen der Tagung “soziale Bewegungen – Perspektive und Ziele auf dem Weg zum Frieden”, die von der Organisation PAS (Pensamiento y Acción Social) und der Koordination E-CHANGER am 18. November in Bogotá stattgefunden hat.

Politische Lösung “unbedingt notwendig”

“Im Krieg werden wir Frauen gleich doppelt zu Opfern. Wir erfahren den Krieg am eigenen Leib, an unseren Körpern. Alle bewaffneten Akteure tun Frauen auf die eine oder andere Art Gewalt an. Das ist unsere alltägliche Realität. Deshalb sind wir überzeugt davon, dass eine politische Lösung der bewaffneten Konfrontation unbedingt notwendig ist”, betont Marina Gallego, Koordinatorin von Ruta Pacífica, dem Hauptnetzwerk der Frauenorganisationen des Landes.

“Für uns ist der Krieg Ausdruck des Männlichkeitswahns und des Patriarchats. Deshalb ist unsere feministische Position logischerweise verbunden mit einem entschlossenen Einsatz für einen Frieden mit sozialer Gerechtigkeit”, fügt sie hinzu. Und sie unterstreicht, dass für die Frauen der Ruta Pacífica “der Körper der erste Ort des Friedens ist”.

Für Marina Gallego ist klar, dass die Militarisierung des Landes „uns direkt und in außerordentlicher Weise trifft. Wir sind überzeugt davon, dass die Beendigung des bewaffneten Konflikts es uns erleichtern würde, zielgenauer und entspannter für die konkreten Forderungen in unserem Bereich zu arbeiten”. Dennoch “wäre eine Verhandlung angebracht. Es empfiehlt sich nicht, dass der Konflikt mit einer militärischen Zerschlagung der bewaffneten Gruppen beendet werden würde… Das würde noch mehr Wunden öffnen, die schwer verheilen”. Momentan seien 75 Prozent der Bevölkerung für eine Verhandlungslösung des Konflikts.

Friedensaufbau von unten

“Wir müssen das Modell eines alternativen Friedensaufbaus stärken“, so Diego Pérez, Mitverantwortlicher in Bogotá des Schweizer Programms zur Förderung des Friedens in Kolumbien SUIPPCOL (Programa Suizo de Promoción de la Paz en Colombia). Dieses Modell entstehe “aus der konkreten alltäglichen Erfahrung der Gemeinden des Netzwerkes Friedensinitiativen von der Basis” (Red de Iniciativas de Paz desde la Base).

Das Netzwerk fasst 30 soziale Prozesse in diversen Regionen des Landes zusammen, die von Bauern-, Indigenen- und Afrogemeinden durchgeführt werden und sich auf die Unterstützung des Schweizer Programms verlassen können. “All diese Prozesse finden in Gegenden statt, in denen der bewaffnete Konflikt sehr intensiv ist”, so Diego Pérez.

Er erklärt, dass dieser besondere Blickwinkel auf den Friedensaufbau Ausdruck eines langen, fast zehnjährigen Prozesses ist, in welchem „die Gemeinden mit der Zeit eine systematische Lesart des Konfliktes entwickelt haben. Gemeint ist, dass das Militärische sich auf die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Bereiche der betroffenen Bevölkerung auswirkt und sie beeinträchtigt”.

“Diese Gemeinden”, so der studierte Antropologe, „haben sich dazu entschlossen, politische Subjekte des Friedensaufbaus zu sein”. Sie warteten deshalb nicht erst darauf, von den bewaffneten Gruppen und der Regierung an einen möglichen Verhandlungstisch oder Friedensprozess heranzitiert zu werden, sondern “wollen den Frieden ab jetzt aufbauen, auf ihren Gebieten und mit ihren eigenen Vorschlägen, von unten, mit lokalen Schwerpunkten und regionalen humanitären Dialogen”, stellt er klar.

Pérez erklärt weiter, dass der Frieden von unten „einen besonderen Gesichtspunkt beinhaltet, der die Weltanschauung dieser Schwarzen-, indigenen und afrokolumbianischen Gemeinden einbindet. Für sie ist Frieden gleichbedeutend mit Territorium. Und Territorium kann und soll nicht gleichgesetzt werden mit verwüstetem Land, sondern mit Vielfalt und Reichtum, Leben, Wasser, Wäldern, Steinen, Legenden und Ahnen”.

Der Mitverantwortliche von SUIPPCOL besteht deshalb darauf, dass diese Vision des Friedensaufbaus „sehr viel mehr mit dem Leben dieser Gemeinden zu tun hat als ein traditionelles und vereinfachtes Konzept der wirtschaftlichen Entwicklung”.

Diese regionalen Kräfte stünden in keinem Gegensatz “zu möglichen Verhandlungsversuchen auf nationaler Ebene, sondern ergänzen sich”. Und sie seien eine wesentliche Herausforderung für Zukunft des Landes. Eine solche Zukunft erfordere “eine Dialogbereitschaft auf allen beteiligten Seiten, ein Verständnis dafür, auf den anderen zuzugehen, selbst wenn es der Gegner ist. Und vor allem sehr viel Bereitschaft zu Zugeständnissen beim Verhandeln.”

* Sergio Ferrari nach seiner Rückkehr aus Bogotá. Pressedienst E-CHANGER, NGO solidarischer Zusammenarbeit in Kolumbien, Mitglied des Programms SUIPPCOL. In Zusammenarbeit mit SWISSINFO/Initiativennetzwerk www.pazdesdelabase.org

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