Rio+20: Zero Draft stößt bei sozialen Organisationen in Brasilien auf Kritik

von Andreas Behn, Rio de Janeiro

(Berlin, 18. Januar 2012, npl).- Der Entwurf des Abschlussdokuments der UN-Konferenz über nachhaltige Entwicklung, der so genannte „Zero Draft“, hat in der organisierten brasilianischen Zivilgesellschaft breite Kritik ausgelöst. Der Textentwurf mit dem Titel „Die Zukunft, die wir wollen“ enthält eine Vielzahl von Anregungen aller Sektoren der Gesellschaft der Mitgliedsstaaten und wurde am 10. Januar vom Generalsekretär der Konferenz Rio+20, Sha Zukang, veröffentlicht.

„Nachhaltigkeit“ als Worthülse

Das Zivilgesellschaftskomitee, das im Juni parallel zur UN-Konferenz einen Peoples Summit organisiert, beklagt, dass „das Dokument den nicht-nachhaltigen Charakter des vorherrschenden Entwicklungsmodells nicht in Frage stell“. Obwohl der Text auf 19 Seiten 133 Mal das Wort „Nachhaltigkeit“ erwähne, liefen die Vorschläge lediglich auf eine ökologisch weniger schädliche Praxis innerhalb des Wirtschaftssystems heraus, das für die derzeitigen Krisen verantwortlich sei.

Die Soziologin und Leiterin des Instituts für Sozioökonomische Studien INESC (Instituto de Estudos Socioeconômicos), Iara Pietricovsky, kritisiert, dass schon in der Präambel für ein weiteres Wirtschaftswachstum plädiert wird, was „im Widerspruch zur Idee ökologischer Nachhaltigkeit“ stehe. Die unkritische Referenz auf Prinzipien der Green Economy zeige, dass „das Dokument in weiten Teilen die Vorstellungen des privaten Sektors wiedergibt, der das heutige Wirtschaftsmodell nicht hinterfragt“, so Iara Pietricovsky.

Interessen der Industrie im Vordergrund

„Ich halte es für falsch, dass die private Industrie auf gleicher Ebene wie NRO und beispielsweise Indígena-Organisationen in den so genannten Mayor Groups eingeordnet wird. Die Industrie hat andere Interessen und viel mehr Macht, auf die Geschichte der Menschheit Einfluss zu nehmen“, kritisiert die Leiterin von INESC. „Die Industrie hat großes Interesse an der Produktion ,grüner’ Technologie. In diesem Sinne symbolisiert der Zero Draft eine gewisse Unterordnung der Nationalstaaten unter die Interessen der Privatindustrie.“

Zudem kritisiert Iara Pietricovsky, dass der Text zwar viele der drängenden Probleme erwähnt, aber kaum konkrete Lösungsvorschläge enthält. Insbesondere soziale Aspekte und Menschenrechte würden nur am Rande erwähnt.

“Grüner Anstrich“

Jean Marc van der Weid, von der Organisation AS-PTA, die wie INESC im Zivilgesellschaftskomitee aktiv ist, beklagt, dass die ökologischen Folgen der industriellen Landwirtschaft nicht einmal erwähnt werden. Der Entwurf laufe auf eine Kontinuität der bisherigen Wirtschaftsweise mit „grünem Anstrich“ hinaus. „Da das grüne Landwirtschaftsmodell nicht genauer definiert wird, kann ohne weiteres auch genetisch verändertes Saatgut darunter gefasst werden“, moniert van der Weid.

Auch wenn im Zivilgesellschaftkomitee, dem weit über 20 Organisationen und Netzwerke angehören, verschiedene Positionen insbesondere bezüglich des Konzeptes der Green Economy bestehen, löste der unverbindliche Charakter des Entwurfs Kritik bei allen sozialen Akteuren aus. Es ist zu erwarten, dass die sozialen Organisationen ihrem Widerspruch gegen die UN-Linie und auch gegen das von der brasilianischen Regierung vertretene Entwicklungsmodell jetzt mehr Gehör verschaffen werden.

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