Wo die Geschichte von Avatar Wirklichkeit wird

von Susanne Friess*

(Berlin, 19. Februar 2010, npl).- Am Samstag war ich im Kino. Der neue millionenfache Kassenschlager heißt „Avatar – Aufbruch nach Pandora“. In der Beschreibung steht, es sei ein Science-Fiction-Film. Computeranimierte, faszinierende Bilder aus einer märchenhaften Welt. Eine ergreifende Geschichte, die auf dem fernen Planeten Pandora spielt. Na’vi heißen die Eingeborenen dieses Planeten, die in enger Verbundenheit und perfekter Harmonie mit der Natur leben und die von bösen, geldgierigen Menschen, die in ihrem vom Planeten Erde gekommen sind, bedroht werden. So weit die Beschreibung. Doch je länger ich im Kino sitze und je tiefer ich mich von der Geschichte davontragen lasse, umso klarer wird mir: das ist keine Science Fiction. Das, was da in knapp drei Stunden erzählt wird, ist über weite Strecken absolut real. Die Geschichte der Na’vi auf dem fernen Planeten Pandora wiederholt sich täglich hundertfach auf unserem Planeten. Es ist eine Geschichte, der ich in meiner Arbeit ständig begegne. Eine Geschichte, gegen deren grausamen Ausgang wir – Misereor und die Partnerorganisationen in Lateinamerika, Asien und Afrika ständig ankämpfen. Mein Pandora heißt Cajamarca. Es liegt im Norden Perus. Meine Na’vi sind einfache Bäuerinnen und Bauern, Cajamarquinos, die von gierigen Unternehmen aus fernen Ländern in ihrer Existenz bedroht werden. Die Unternehmen wollen an die kostbaren Rohstoffe auf dem Land der Cajamarquinos. Sie wollen diese Rohstoffe, unbedingt und um jeden Preis. Sie sind bereit, dafür über Leichen zu gehen. Was im Film der heilige Baum der Na’vi ist, ist in Cajamarca der Cerro Quilish. Kein Baum, sondern ein Berg. Aber eben nicht irgendein Berg, genauso wenig, wie der heilige Baum im Film „Avatar“ irgendein Baum ist. Es ist ein heiliger Ort. Ein unantastbarer Ort. Ein geweihter Ort. Ein Ort, an dem die Cajamarquinos beten und der Mutter Erde Opfer bringen.

Das us-amerikanische Bergbau-Unternehmen Newmont lässt sich von solch spiritueller Spinnerei kaum beeindrucken. Wie die bösen Menschen im Film Avatar über die göttliche Energie, die der heilige Baum den Na’vi verleiht, nur höhnisch lachen können, so wischt auch Newmont das Argument von der Unantastbarkeit des Cerro Quilish mit einem Handstreich vom Tisch. Unter dem Quilish ist Gold. Gold in hohen Konzentrationen. Gold, auf das die gierige Welt wartet. Das ist das einzige was zählt. Das gute Geschäft wird man sich doch nicht von ein paar primitiven Bauerntölpeln verderben lassen! Und so fährt das Unternehmen seine großen Geschütze gegen die Bauern auf, rollt mit schwerster Maschinerie an, bringt Polizei, Militär und Waffen mit und kämpft um den Zugriff auf das Gold. Auch die Cajamarquinos in Peru kämpfen: um ihren heiligen Berg. Um den Erhalt ihrer Wasserquellen. Um ihr Land. Um die Bewahrung der gottgegebenen Schöpfung. Die Cajamarquinos haben keine Waffen. Sie gehen zu Fuß oder reiten auf Pferden. Sie haben kein Tränengas, keine Bulldozer und keine Hubschrauber. Sie haben nur eins: ihre Überzeugung. Waffen und Macht der zwei Kontrahenten sind sehr ungleich. An vielen, vielen Orten auf diesem, unserem ganz realen Planeten verlieren deshalb täglich Hunderte und Tausende von Bauern und Bäuerinnen diesen ungerechten Kampf. Müssen ihr Land räumen. Ihre heiligen Stätten zurücklassen. Müssen weggehen. Sich eine neue Heimat suchen. Nicht selten in den Armenvierteln der großen Städte.

Pandora ist nicht fern von unserem Planeten. Avatar ist nicht Science Fiction. Die Bedrohung, der die Na’vi ausgesetzt sind, wiederholt sich täglich tausendfach. All das ist real. Ungewöhnlich erscheint mir nur, dass Millionen von Menschen sich diesen Film im Kino ansehen, sich berühren lassen, sich mitreißen lassen, im Geiste mitfiebern und hoffen, dass die Na’vi ihren Lebensraum verteidigen können. Während die Cajamarquinos und viele andere bedrohte Völker in der sogenannten „Dritten Welt“ ihren Kampf gegen die großen Bergbauunternehmen ohne große Öffentlichkeit und ohne millionenfache Unterstützung ausfechten müssen.

Susanne Friess ist Beraterin für Bergbau und Entwicklung bei Misereor

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