Wir dokumentieren: Offener Brief an Bundespräsident Gauck und Bundeskanzlerin Merkel

Von der Deutschen Menschenrechtskoordination Mexiko

(Stuttgart/Berlin, 8. April 2016).Sehr geehrter Herr Bundespräsident, sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, am 11. und 12. April treffen Sie den mexikanischen Präsidenten Enrique Peña Nieto in Berlin. Wir möchten Sie bitten, das Thema Menschenrechtsverletzungen in Mexiko dabei klar anzusprechen. Denn die Menschenrechtskrise in Mexiko hat katastrophale Ausmaße angenommen.

Laut amtlichen Zahlen ist der Verbleib von rund 27.000 Menschen in Mexiko unbekannt. Die Behörden unternehmen fast nichts, um diese Verbrechen aufzuklären. Beispielhaft hierfür ist der Fall der 43 Studenten der Hochschule Ayotzinapa, die im September 2014 Opfer des Verschwindenlassens wurden. Der Fall löste in Mexiko und international große Bestürzung aus, da er das Zusammenwirken von Repräsentanten des Staates mit der Organisierten Kriminalität einmal mehr und unmissverständlich offenlegte.

Der Fall Ayotzinapa ist dabei jedoch nur die Spitze des Eisberges: Die Behörden ermittelten erst auf großen internationalen Druck hin. Die offiziellen Ermittlungsergebnisse wurden inzwischen von einer unabhängigen, internationalen Expertengruppe (Grupo Interdisciplinario de Expertos Independientes, GIEI) widerlegt. Das Schicksal der Studenten bleibt bis heute ungeklärt.

Der Fall macht deutlich, warum die Menschen in Mexiko dem Staat nicht mehr vertrauen. Nicht nur die Organisierte Kriminalität, auch die staatlichen Sicherheitskräfte sind für schwere Menschenrechtsverletzungen verantwortlich. Sanktionen müssen sie dabei nicht fürchten: Die Straflosigkeit für Menschenrechtsvereltzungen liegt bei über 98 Prozent, die Korruption reicht bis in die höchsten politischen Ebenen.

Auch willkürliche Inhaftierungen sowie Folter durch Polizei und Militär sind in Mexiko an der Tagesordnung. Die Organisierte Kriminalität zu bekämpfen, dient als Vorwand. Ziel ist es, durch Folter Geständnisse zu erpressen und somit schnelle Ermittlungserfolge vorweisen zu können. Polizisten und Soldaten die foltern, müssen keine Angst vor Strafverfolgung haben, während die Opfer trotz eines Mangels an Beweisen häufig im Gefängnis sitzen.

Die mexikanische Regierung hat zwar kürzlich auf internationalen Druck hin Gesetzentwürfe gegen Folter und Verschwindenlassen vorgelegt, diese entsprechen jedoch nicht internationalen Standards. Ermittlungsergebnisse und Empfehlungen von internationalen Menschenrechts-organisationen und UN-Gremien zur Verbesserung der Menschenrechtslage werden von der mexikanischen Regierung zurückgewiesen. Mehr noch: Experten wie der UN-Sonderberichterstatter für Folter, Juan Méndez, oder auch die Mitglieder der internationalen Expertengruppe GIEI werden öffentlich angegriffen und diffamiert.

Gleichzeitig versucht die Regierung von Präsident Peña Nieto auf den internationalen Märkten um Investitionen zu werben und Mexiko als interessanten Wirtschaftsstandort zu präsentieren. Neue Gesetze im Bereich Energie, Bergbau sowie Gas- und Erdölförderung haben erhebliche Auswirkungen auf die fast 32.000 Agragemeinden in Mexiko und auf die etwa 28 Millionen Menschen zählende Landbevölkerung. Der kollektive Landbesitz von indigenen Gemeinden, ursprünglich in der Verfassung garantiert, wird ausgehöhlt. Ihr Recht auf freie, vorherige und informierte Zustimmung wird bei der Realisierung zahlreicher Großprojekte verletzt.

Menschenrechtsverteidiger_innen und Journalist_innen, die diese Missstände anprangern und Reformen einfordern, werden Opfer von Verleumdungskampagnen, Repressionen oder sogar Mord. Der 2012 eingerichtete Schutzmechanismus für bedrohte Menschenrechtsverteidiger_innen und Journalist_innen ist ebenso wie das Opferschutzgesetz völlig unzureichend, wie die jüngsten zahlreichen Morde an kritischen Journalist_innen zeigen.

Vor diesem Hintergrund möchten wir Sie bitten, in Ihren Gesprächen mit Präsident Peña Nieto konkrete Schritte hin zu einer Verbesserung der Menschenrechtslage in Mexiko einzufordern, insbesondere dass
• die beiden im Gesetzgebungsprozess befindlichen Gesetze gegen Folter und Verschwindenlassen an internationale Standards angepasst werden und effektive Beteiligungs- bzw. Monitoringmechanismen der Zivilgesellschaft, insbesondere der Opferverbände, in der Umsetzung vorsehen,
• die konstruktiven Empfehlungen internationaler Menschenrechtsorganisationen und UN-Gremien zu Folter und Verschwindenlassen umgesetzt werden,
• das Recht indigener Gemeinschaften auf freie, vorherige und informierte Zustimmung bei der Planung und Durchführung von Großprojekten, wie in der Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation vorgesehen, nicht nur per Gesetz, sondern in der Praxis garantiert wird,
• der Schutzmechanismus für Menschenrechtsverteidiger_innen und Journalist_innen auf der Basis zivilgesellschaftlicher Empfehlungen gestärkt wird.

Mit freundlichen Grüßen,
im Namen der Mitgliedsorganisationen der Deutschen Menschenrechtskoordination Mexiko

Dr. Carola Hausotter (Koordinatorin)

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