Windkraft in Brasilien – Grüne Energie auf Abwegen

Von Nils Brock

(Rio de Janeiro, 03. Mai 2016, npl).- Caetanos de Cima ist auf den ersten Blick ein typisches Fischerdorf irgendwo im Nordosten Brasiliens: Gelegen am Ende einer holprigen Straße, umsäumt von Sandbergen, bewohnt von einem Dutzend Familien, die man zur Mittagszeit wegen des heißen Sonnenlichts kaum zu Gesicht bekommt. Umso auffälliger ist es, wie entschlossen die Grundschullehrerin Valneide um 12 Uhr mittags die Dünen hinauf stapft. Sie schwitzt, sie keucht. Egal. Um jene lauten, respektlosen und zerstörerischen Zeitgenossen zu zeigen, die vor vier Jahren in die Nachbargemeinde Sabiaguaba einfielen, scheut sie nicht die Sonne im Zenit.

„Von hier oben kann man sie gut sehen“, sagt Valneide und reckt ihren Zeigefinger Richtung Horizont. „Windparks. Ihr Bau verschandelt unsere Küste. Das war früher eine natürliche Landschaft und jetzt steht da hinten auf der Düne dieser Wald aus Windrädern.“ Für Gemeinden, die wie Caetanos de Cima Community-Tourismus betreiben, sei das nicht sonderlich förderlich. Wo man auch hinschaut, überall gibt es Windräder…

Grüne Energie oder Saft für das Agrobusiness?

Windkraft ist bekanntlich eine der Säulen grüner Energie. Was vor mehr als 20 Jahren in Europa seinen Anfang nahm, hat sich längst zum weltweiten Exportschlager entwickelt. Die Technologie verspricht für den Süden Energiesicherheit und Alternativen zur Nutzung fossiler und atomarer Energiequellen. In Lateinamerika baut kein Land seine Kapazitäten so rasant aus wie Brasilien: Der Windkraftsektor hat sich in den vergangenen zwei Jahren verdoppelt. Einer der Gründe dafür ist, dass der Passat nur an wenigen Orten der Erde so konstant und kräftig bläst wie an der brasilianischen Atlantikküste. Aktuell produzieren mehr als 400 Anlagen gigantische neun Gigawatt. Das ist theoretisch genug Power, um in mehr als 10 Millionen Haushalten Waschmaschinen, Kühlschränke und Fernseher laufen zu lassen.

Theoretisch, denn der meiste Strom geht in Brasilien für Bergbau, die Industrie und das Agrobusiness drauf.

Aber zurück zu den Fernsehern, die gibt es auch in Caetanos de Cima und anderen Dörfern des Bundesstaates Ceará zuhauf. Das war nicht immer so. „Ich weiß nicht, wann genau wir hier elektrischen Strom bekommen haben aber mehr als zehn Jahre ist es nicht her“, erinnert sich Dona Teresa. Die meisten Nächte ihres Lebens habe die heute 68-Jährige im Dunkeln verbracht. Inzwischen sei die Stromversorgung ganz gut und es komme nur jeden zweiten Tag zu Ausfällen. „Das reicht, um den Fisch kühl zu halten. Wir müssen nicht mehr ständig pökeln wie früher. Wir können Filets einfrieren. Strom zu haben ist wirklich klasse, “ schwärmt Dona Teresa.

Eigentlich eine schöne Fortschrittsgeschichte, aber leider ist die Realität etwas komplexer, erzählt Valneide. Der Strom der nahen Windparks kommt den Gemeinden nicht direkt zugute, sondern fließt in das allgemeine Netz ab. Für die lokalen Stromanbieter haben die Küstendörfer jedoch keine Priorität. Die Einkommen aus kleinbäuerlichem Anbau und Fischfang sind gering, die Instandhaltung der Leitungen beschränkt sich auf ein Minimum.

Lärm und Erosion statt nachhaltiger Entwichlung

Maximal sind dagegen die Auswirkungen, angefangen bei der Lärmbelastung. Die Stromerzeuger bauen ihrer Windräder dorthin wo der Wind am kräftigsten bläst – falls nötig auch direkt neben ein Dorf. Die Bebauung der sensiblen Wanderdünen beschleunigt zudem Erosionsprozesse und bringt den Wasserhaushalt aus dem Gleichgewicht. Gauvin, ein französischer Aussteiger und heutiger Hostel-Besitzer hier in der Gegend kann das nur bestätigen. Ein paar Kilometer die Küste hinauf, in dem Örtchen Moitas, hat er miterleben können, wie die lokale Bevölkerung von den multinationalen Windunternehmen geködert wurde: „Klar, auch die Erschließung alternativer Energiequellen wird immer mit Zerstörungen verbunden sein“, meint Gauvin. „Die Windunternehmen sprechen das jedoch nicht offen an, machen stattdessen einen Haufen Versprechungen: kostenloser Strom, asphaltierte Straßen, eine Dorfbibliothek, usw.“ Doch auf all das wartet Moitas bis heute vergeblich.

Elbia Silva Gannoum, Vorsitzende von ABEEólica, dem brasilianischen Interessenverband der Windenergieproduzenten antwortet routiniert auf solche Kritik: Einzelfälle, Probleme der gestrigen Turbinengeneration oder schlicht Mythen der Kohlekraftlobby. Auch von dem Einwand, die Windanlagen schufen nur wenige dauerhafte und qualifizierte Jobs in der Region, lässt sie sich beim Telefoninterview nicht aus der Reserve locken. Es sei ganz normal, dass Windparks mehr Beschäftigung in der Bauphase generieren „und danach, wenn sie fertig sind eben weniger, das ist ganz natürlich, “ wiegelt Gannoum ab und fügt hinzu „Das ist kein Problem, das ist eine Charakteristik des Sektors. Ich sehe dieses Arbeitsplatzproblem also nicht.“ Immerhin garantiere der Sektor landesweit jährlich 40.000 Jobs.

Bildung und Community-Tourismus als Alternativen

Arbeitsplätze fehlen auch in Caetanos de Cima. An schlechten Tagen wie heute, bringt ein Fischer nach fünf Stunden auf dem Meer einen Fang nach Hause der gerade mal 10 Euro wert ist. Und dennoch stehen hier auf den Dünen keine Windräder. Der wohl wichtigste Grund: in der Gemeinde gibt es bis heute keine individuellen Landtitel und die Bevölkerung setzt auf eine nachhaltige Entwicklung anstatt auf Ausverkauf und Montagejobs. Und diese Denke, die fange bereits in ihrer Schule an, meint Valneide, denn der Bildungsprozess sei die einzig wahre Alternative. „Wir machen schon in der Schule unsere Kultur stark, schauen, wie wir unsere eigenen Technologien beim Fischfang und in der Landwirtschaft verbessern können. So ist zum Beispiel eine eigene Produktionsgemeinschaft entstanden“, erklärt die Lehrerin stolz. Viele machten dabei mit, denn es sei eben eine Alternative die funktioniert, gemeinsam mit dem komplementären Modell des Community-Tourismus.

Faire Ferien in Caetanos de Cima, das hat was – solange der Strom nicht ausfällt. Doch Windkraft helfe bei einer nachhaltigen regionalen Entwicklung eben kaum weiter. Es ist und bleibt ein internationales Business, eine globale Anlageoption mit lokalen Nebenwirkungen. Allein im Bundesstaat Ceará sollen bis zum Jahr 2018 über 50 neue Parks entstehen. Dafür werden bis zu 180.000 Hektar Bauland benötigt.

Wird Caetano de Cima dem standhalten können? Und wäre es in einer Gemeinde, die so stolz ist auf alle ihre Alternativen nicht auch an der Zeit, über wirklich alternative Energie nachzudenken? Doch das haben Valneide und die Bewohner*innen von Caetanos de Cima längst getan. „Windenergie an sich ist nicht schlecht, aber die Art und Weise, wie sie hier in unsere Territorien verpflanzt wird“, befindet auch Valneide. Denn grundsätzlich sei die Idee, dass die Familien selbst kleine Windanlagen betreiben und ihre Stromversorgung verbessern und verbilligen, gut. „Wir sind keine Fundamentalisten. Wir diskutieren neue Technologien und wie wir unser Leben verbessern können, wie wir besser produzieren können, jedoch ohne abhängig zu werden vom Agrobusiness und dem großen Kapital.

Zu diesem Text gibt es auch einen Radiobeitrag den ihr hier anhören könnt.

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