„Was für uns Frontex ist, ist für die Mexikaner Frontera Sur“

Von Wolf-Dieter Vogel

(Berlin, 26. Oktober 2016, npl).- Die einen kommen aus Syrien oder Äthiopien und wollen nach Europa, die anderen stammen aus Honduras, El Salvador oder Guatemala und sind auf dem Weg durch Mexiko in die USA. Obwohl tausende Kilometern voneinander entfernt, sind Geflüchtete und Migrant*innenen dies- und jenseits Atlantiks häufig mit denselben Problemen konfrontiert: mit geschlossenen Grenzen, gewalttätigen Migrationsbeamt*innenen und einer Gesellschaft, deren Mehrheit sie nicht mit offenen Armen empfängt. Dennoch gibt es in den EU-Staaten ebenso wie in Mexiko zahlreiche Gruppen, die sich für die Rechte von Geflüchteten einsetzen oder illegalisierten Migrantinnen Unterschlupf gewähren.

„Wer zahlt, regiert. Mexiko hat hier keine Autonomie“

Um eine Zusammenarbeit zu intensivieren, organisierten die Heinrich-Böll-Stiftung, das Böll-Bildungswerk, Medico und borderline europe in Berlin am Dienstag eine Tagung, deren Titel eine wichtige Forderung vorwegnahm: „Für das Recht auf legale Wege.“ Denn dieses Recht gibt es weder hier noch dort. „Was für uns Frontex ist, ist für die Mexikaner Frontera Sur“, sagte Gianfranco Crua, der in Italien eine Karawane zur Unterstützung von Flüchtlingen organisiert.

Tatsächlich ähneln sich die EU-Grenzschutzagentur und das US-Programm „Südgrenze“. Beide haben zum Ziel, Geflüchtete und Migrant*innen immer weiter von der eigenen Grenze fernzuhalten und die Verantwortung auf andere Staaten zu verlagern. Im Rahmen von Frontera Sur liefert Washington der mexikanischen Regierung Geld und Ausrüstung, um die Grenze zwischen Mexiko und Guatemala für Arbeits- oder Schutzsuchende dicht zu machen. Die Reisenden sollen bereits über 3.000 Kilometer von den USA entfernt aufgehalten werden. „Wer zahlt, regiert. Mexiko hat hier keine Autonomie“, ist der Franziskanermönch Fray Tomás González Castillo überzeugt. Genauso agiert die EU mit dem „Türkei-Deal“ und den Plänen, Staaten wie Libyen, Äthiopien oder den Sudan in die Abschottung mit einzubeziehen. Hier sorgt die Drohung mit wirtschaftlichen Restriktionen oder der Kürzung von Entwicklungsgeldern für den nötigen Druck.

Konsequenzen verfehlter Politik

Der Mexikaner Fray Tomás erlebt die Konsequenzen dieser Politik täglich. Nahe der guatemaltekischen Grenze betreibt er eine Herberge für Migrant*innen. Hier finden sie Schutz vor Polizeigewalt, drohender Abschiebung und den Angriffen von Kriminellen. Für Kartelle wie die „Zetas“ ist die Abschottung zu einem florierenden Geschäft geworden. Sie entführen die Migrant*innen und fordern Lösegeld, zwingen Frauen zur Prostitution oder nutzen sie als Drogenkuriere. Aktivist Crua sieht auch hier Parallelen: „Im Süden Italiens kontrolliert die Mafia große Gebiete und ist in das Drogengeschäft und den Menschenhandel involviert.“ Er verweist darauf, dass die „Zetas“ eng mit der italienischen `Ndrangheta kooperieren.

Auf die Idee der Karawane ist Crua durch Marta Sánchez Soler gekommen. Die Mexikanerin organisiert seit 2006 einmal jährlich mit Angehörigen aus Zentralamerika einen solchen Zug, um nach deren auf der Reise verschwundenen Söhne oder Töchter zu suchen. Sie arbeitet nicht nur mit den Italiener*innen, sondern auch mit Tunesierinnen zusammen, deren Kinder auf dem Weg nach Europa verschollen sind. Am 15. November zieht ihre Karawane erneut los, und Sánchez schlägt vor, am selben Tag in Europa Aktionen durchzuführen. Zudem verweist sie darauf, dass angesichts der abgeschotteten EU-Grenze mittlerweile auch Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan in Mexiko ankommen. „Das Problem ist global, und global müssen wir es lösen“, sagt die betagte Aktivistin.

Marsch von Geflüchteten – Karawane in Zentralamerika

Gemeinsame Aktionen? Harald Glöde von borderline-europe erinnert daran, dass auch in Deutschland eine Art Karawane eine wichtige Rolle spielte: Der Marsch von Geflüchteten aus Würzburg nach Berlin, wo sie sich auf dem Kreuzberger Oranienplatz niedergelassen hatten. Konkrete Aktivitäten wurden jedoch in der Böll-Stiftung nicht ins Auge gefasst. Doch weil die reichen Staaten überall gleich agierten, sei es besonders wichtig, voneinander zu lernen, betont Glöde. „Und es gibt Hoffnung, zu wissen, dass wir nicht allein sind.“

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