Wahlrecht: Paraguayer*innen im Ausland dürfen künftig mitentscheiden

von Cecilia Pérez

(Montevideo, 10. Oktober 2011, la diaria/poonal).- Mit einer Wahlbeteiligung von knapp 10 Prozent stimmten die Einwohner*innen Paraguays am 9. Oktober für die Änderung eines Verfassungsartikels, der bisher verhinderte, dass im Ausland lebende Staatsbürger*innen wählen konnten. Nach ersten Ergebnissen lag die Zustimmung für die Änderung des Artikels bei 78,8 Prozent. Bei den nächsten Wahlen werden also mehr als 700.000 im Ausland lebende Paraguayer*innen ihre Stimme abgeben können, nachdem im Referendum beschlossen wurde, dass Artikel 120 der Verfassung geändert werden soll.

Ein Sechstel der Einwohner*innen lebt im Ausland

Die Zahl der nicht im Land lebenden Bürger*innen wird auf 1,1 Mio. geschätzt, erklärte der Minister für Entwicklung für Rückkehrer*innen und paraguayische Flüchtlinge, Samuel Lugo, gegenüber der Nachrichtenagentur EFE. Das ist eine bedeutende Zahl für ein Land mit 6 Mio. Einwohner*innen, von denen drei Millionen am 10. Oktober über die Verfassungsänderung hatten abstimmen dürfen. Nach Angaben des Ministers leben 800.000 Paraguayer*innen in Argentinien, 150.000 in Spanien und rund 70.000 in den USA.

Mit dem politischen Konsens über das „Ja“ zur Verfassungsänderung verlagerte sich die Diskussion um das Thema in andere Sphären, wie etwa verschiedene Foren im Internet. Dort vertraten, wie die paraguayische Tageszeitung „La Nación“ informierte, einige die Ansicht, dass die Regierung nur von jenen gewählt werden dürfe, die im Land leben, denn nur sie würden direkt die Konsequenzen von Entscheidungen spüren. Andere vertraten die Meinung, dass auch jene, die emigrieren mussten, eine Gelegenheit bekommen müssten sich zu äußern, welchen Weg das Land einschlagen soll, in das sie zurückkehren könnten.

Sehr geringe Wahlbeteiligung

Der Enthusiasmus in den Debatten versprach jedoch nicht, sich in einem intensiven Wettbewerb um Stimmen an den Wahlurnen niederzuschlagen. Man erwarte „eine niedrige Beteiligung“ um 20 Prozent, sagte der Berater der Wahlbehörde, Carlos María Ljubetic am Wahltag gegenüber EFE. Er erklärte dies damit, dass bei der Abstimmung kein Kandidat zur Wahl stehe, was „ein motivierendes Element“ sei. Doch die Wahlbeteiligung blieb insgesamt weit unter den Erwartungen zurück und lag nach Angaben von Nachrichtenagenturen und lokalen Medien bei etwa 10 Prozent.

Ljubetic fügte hinzu, dass obwohl Wahlpflicht bestehe und eine Strafe für Nichtwähler*innen vorgesehen sei, „wegen Mängeln in der Legislative kein entsprechendes Organ geschaffen wurde, so dass man das Gesetz nicht anwenden kann“.

Einwände in letzter Minute

Ein anderes Problem mit der Abstimmung per Referendum wurde im allerletzten Moment, am Freitag vor der Wahl, eingebracht, als der ehemalige Abgeordnete der Partido Colorado, Luis Villamayor, mit einer einstweiligen Verfügung beim Obersten Gerichtshof die Suspendierung der Volksabstimmung forderte. Er argumentierte damit, dass die Abstimmung verfassungswidrig sei, da eine Verfassungsänderung nur von einer Verfassungsgebenden Versammlung ausgehen dürfe, nicht jedoch von einem Referendum.

Ljubetic erklärte dazu, dieser Einwand sei „unbegründet“ und habe keine rechtliche Relevanz. Die Einwände zwei Tage vor der Abstimmung zu präsentieren sei ein Zeichen der schlechten Absichten von Villamajor, sagte er gegenüber der Tageszeitung ABC Color.

Das Referendum über das Wahlrecht war die erste derartige Abstimmung in Paraguay seit dem Ende der Diktatur von Alfredo Stroessner, der das Land von 1954 bis 1989 beherrscht hatte. Die Zustimmung zur Verfassungsänderung wäre gleichzeitig die erste Veränderung an der Verfassung, die im Übergang zur Demokratie, im Jahr 1992 verabschiedet worden war.

Regierung warb für ein “Ja”

Der Präsident des Landes, Fernando Lugo, verteidigte die Verfassungsänderung ebenso wie das Referendum und erklärte, diese Abstimmung sei ein Meilenstein bei der Festigung der Demokratie. Neben der politischen Repräsentation implizierten sie auch die “Partizipation der Bürger bei der Entscheidungsfindung”.

Lugo hielt sein Statement in der Telefonkonferenz „Paraguayische Dialoge“, bei der er am 2. Oktober mit Paraguayer*innen sprach, die in den USA, Argentinien, Spanien und Brasilien leben. Diese Konferenz war eine von vielen organisierten Aktivitäten, mit denen für das Referendum geworben wurde. Andere Politiker*innen, darunter Vizepräsident Francisco Franco, sprachen während des IV. Migrationskongresses, der am Parlamentssitz abgehalten wurde, vor der paraguayischen Exilgemeinde. Alle Teilnehmenden sprachen sich für ein “Ja” zur Verfassungsänderung aus.

Rücküberweisungen aus dem Ausland

„Es gibt bestimmte Sektoren, die sagen: Wir haben Paraguay hinter uns gelassen und jetzt interessiert uns nicht mehr, was dort geschieht. Im Gegenteil. Dies ist ein deutliches Zeichen dafür, dass wir die Geschehnisse dort sehr aufmerksam verfolgen“, sagte Dionisio Recalde, ein Paraguayer, der in New York lebt.

Bei einer Demonstration zum Abschluss der Kampagne für die Zustimmung zur Verfassungsänderung, unterstrichen die Organisator*innen in einer Proklamation an die im Ausland lebenden Landsleute, diese hätten “das Recht am öffentlichen Leben teilzuhaben”. Außerdem bedeute „die Zustimmung zur Gesetzesänderung auch das Anerkennen einer der wichtigsten Einnahmequellen des Landes, die der Rücküberweisungen“ von im Ausland lebende Paraguayer*innen an die Familien in der Heimat.

Vizepräsident entschuldigt sich für „schlechte Paraguayer“

Ähnliche Töne gab auch Vizepräsident Franco auf dem Migrationskongress von sich, wo er erklärte: “Ich bin heute im Namen der Regierung hier um mich für die schlechten Paraguayer zu entschuldigen, die im Jahr 1992 die Verfassung dahingehend sanktionierten, dass im Ausland lebenden Paraguayern das Wahlrecht verwehrt blieb”.

[Der Originalartikel erschien am 10. Oktober in der uruguayischen Tageszeitung „la diaria„]

 

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