Wahlkampfdebatte in Mexiko: Sarah Palin und Gurken à la Mexicana

von Markus Plate, San José

(San José, 13. Juni 2012, voces nuestras).- Die mit Spannung erwartete zweite Debatte der mexikanischen Präsidentschaftskandidat*innen am vergangenen Sonntagabend ließ aufgrund streng reglementierter Redezeiten kaum Diskussionen zu. Das nutzte vor allem der PRI-Kandidat Enrique Peña Nieto sowie Andrés Manuel López Obrador, der sich für die Mitte-Links-Parteien Partei der Demokratischen Revolution PRD (Partido de la Revolución Democrática) und Arbeiterpartei PT (Partido del Trabajo) um die Präsidentschaft bewirbt. Drei Wochen vor den Wahlen schwinden dagegen die Chancen von Josefina Vásquez Mota von der (noch) regierenden PAN.

Wenig Debattencharakter

Josefina Vásquez Mota von der Partei der Nationalen Aktion PAN (Partido Acción Nacional) muss sich wohl mit dem undankbaren vierten und letzten Platz im letzten Aufeinandertreffen der Präsidentschaftskandidat*innen begnügen. Zwar bemüht sie sich als einzige, der Debatte ein wenig Debattencharakter einzuhauchen, in dem sie ihre Konkurrenten und zumindest zum Teil deren Programme angreift. Aber diese Angriffe sind schlecht vorbereitet und gehen zumeist nach hinten los.

Andrés Manuel López Obrador versuche sich als die Stimme der Student*innen aufzuspielen, sei aber just in der Phase der schlimmsten Studentenrepression 1971 in die Partei der Institutionellen Revolution PRI (Partido Revolucionario Institucional) eingetreten. Damals sei er keine 17 Jahre gewesen, kontert López Obrador, er sehe zwar älter aus, sei aber gerade mal 58, sein Körper sei nur etwas abgeschlafft.

So gewinnt ausgerechnet der spröde wirkende halbwegs-Links-Kandidat den einzigen Lacher des Abends. Immerhin ist Vásquez Mota die einzige, die die PRI Tradition aus Autoritarismus, Korruption und Wahlbetrug angreift und davor warnt, die Geschichte zu vergessen, nur weil der PRI-Kandidat Enrique Peña Nieto modern gekleidet und gut frisiert daher komme. Und geölt, denn auch diese Angriffe perlen weitgehend ab.

Vásquez Mota: Angriffe ohne Schlagkraft

Eigene Programmvorstellungen kommen bei Vásquez Mota dagegen zu kurz. Sie verteidigt den Freihandel, um Arbeitsplätze zu schaffen und sie verteidigt die Militärpräsenz in Mexiko, um der Gewalt Einhalt zu gebieten. Uni-Stipendien und Mikrokredite seien die Antwort auf den wirtschaftlichen Niedergang und die Verarmung Mexikos. Doch es gelingt ihr nicht, die Tatsache weg zu lächeln, dass es ihrer wirtschaftsliberalen und stockkonservativen PAN in zwölf Jahren trotz angeblich überlegener Wirtschafts- und Sicherheitskompetenz nicht gelungen ist, Wachstum und Beschäftigung zu schaffen und die Macht der Drogenkartelle zu beschneiden. Das Gegenteil ist der Fall. So erscheinen ihre Angriffe auf die Konkurrenz zunehmend als Akte der Verzweiflung darüber, dass die Mehrheit des Wahlvolkes die Schnauze voll hat, von der PAN regiert zu werden.

Gabriel Quadri war eigentlich als Kandidat gar nicht vorgesehen. Seine Aufstellung war die Reaktion auf das Scheitern des Bündnisses seiner Partei Neue Allianz (NA) Nueva Alianza mit der PRI und der Grünen Partei PV (Partido Verde). In Meinungsumfragen befindet sich Quadri „unter ferner Liefen“, ohne jede Chance, die Wahlen am 1. Juli für sich zu entscheiden. Zumindest der Beginn der Debatte könnte Quadri jedoch Aufwind gegeben haben. Der Kandidat präsentiert sich dynamisch, konkret und er wartet immer wieder mit anfangs noch verblüffenden Vorschlägen auf, wie die Homoehe in ganz Mexiko einzuführen und die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen zu beenden.

Das klingt fast nach PRD, dessen Kandidat Andres Manuel López Obrador seltsamerweise an diesem Abend Bürgerrechtsfragen fast komplett ausklammert. Quadri fordert die anderen Kandidat*innen auf, Stellung zu beziehen und erzeugt im ausgetüftelt langweiligen Nicht-Diskussionsformat der Debatte die Hoffnung, dass es vielleicht doch noch Neues zu hören gibt.

Quadrí: Starker Start, kein Finish

Gegen die Kriminalisierung der Frauen sind an diesem Abend alle, alle anderen Quadri-Vorschläge ignoriert die Konkurrenz. Die richtige Strategie, denn Quadris Aufforderungen, sich zu den Positionen seiner Partei zu äußern, werden in der Folge immer nerviger. Ein neu zu gründendes, weiteres mexikanisches Kulturinstitut soll den Namen des Literaturnobelpreisträgers Octavio Paz tragen, eine Agentur für Meere und Küsten schlägt Quadri vor, eine neue Drogenpolitik solle Süchtige nicht mehr kriminalisieren, sondern als „Kranke“ behandeln.

Und als letztes im Initiativen-Sammelsurium soll Mexiko mittels eines Freihandelsvertrags mit China zur chinesischen Werkbank im Hinterhof der USA werden. Immerhin, hier gelingt es López Obrador zu antworten und sich von den Mitbewerber*innen abzuheben, in dem er darauf hinweist, dass Neoliberalismus und Freihandelsabkommen Schuld an der Verarmung Mexikos seien. Freihandelsabkommen brächten nur den Ländern etwas, die produzierten und Mexiko produziere immer weniger. Also bitte erst einmal die eigene Bevölkerung befähigen und die eigene Wirtschaft stärken, bevor auch nur ein weiteres Freihandelsabkommen unterzeichnet wird.

Luftschlösser á la Obrador

Andrés Manuel López Obrador scheint ansonsten wenig gewillt, der Präsenz anderer Kandidat*innen und der von Millionen Fernsehzuschauer*innen allzu große Beachtung zu schenken. Er erklärt sein Programm und seine Vorstellungen von einem tiefgreifenden, aber nicht übereilten und schon gar nicht aggressiven Wandel. Immerhin ist er der einzige, der ansatzweise erläutert, wie er Arbeitsplätze schaffen, wie er die Gewalt in den Griff bekommen und wie er die Armut besiegen möchte. Luftschlösser schimpfen das die anderen und Zahlen fordern sowohl Quadri wie Vásquez Mota. Doch diese Kritik aus der Wahlkampfmottenkiste erscheint fast dümmlich, zumal gerade diese beiden Kandidat*innen wirklich gar nichts darüber sagen, wie sie ihre Wahlkampfversprechen finanzieren wollen.

Auch in Stilfragen hebt sich López Obrador ab. Er ist der einzige, der nicht anbiedernd in die Kamera glotzt und imaginäre Wähler*innen duzt. Stattdessen unterhält er sich scheinbar mit dem Moderator, nur flüchtig streift sein Blick die heimische Glotze. Das kommt bisweilen unsicher rüber, aber vielleicht wirkt es auch sympathisch auf diejenigen, die von einem „ich bin deine Stimme“ (Vásquez Mota) oder einem „damit Du (‚Ja, Du!‘ oder ’nur Du‘?) mehr Geld im Portemonnaie hast“ à la Peña Nieto zunehmend angewidert sind.

Bisweilen am Thema vorbei

Problematisch wird López Obradors Fokussierung auf Armutsbekämpfung, Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze dann, wenn es gar nicht darum geht. Im ersten Themenblock „Staat und Regierung“ und im dritten, „Entwicklung“ ist er in seinem Element. Im zweiten Block jedoch, „Mexiko in der Welt“, wo es um Außenpolitik gehen soll, lässt López Obrador Punkte liegen. Es scheint ein wenig wie bei Karlchens Schulaufsatz über König Friedrich. Karlchen weiß nichts über Friedrich, aber viel über Gurken. Sein Aufsatz geht so: „König Friedrich aß gerne Gurken. Die Gurke blablabla. Analog López Obrador: „Mexiko hat seine führende Rolle in Lateinamerika und der Welt verloren. Wir müssen zuerst unsere Hausaufgaben machen!“ Also in Bildung investieren, Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum schaffen, die Korruption bekämpfen. Um zum Ende der Redezeit die Kurve zu kriegen: „Nur wenn wir uns wieder selbst respektieren, wird uns auch die Welt respektieren“. So einfach ist Außenpolitik.

Ausnahmsweise keine Blamage

Platz Eins im politischen Schaulaufen geht an Enrique Peña Nieto. Nicht, weil er so glänzend agierte, sondern weil nach seinen peinlichen Auftritten der letzten Wochen kaum jemand Großes von ihm erwartet hatte. Der PRI-Kandidat und angebliche Umfragekönig spult sein Programm ab: Telegenes Äußeres, hübsche Wahlversprechen ohne Finanzierungs- oder Umsetzungsvorschläge, nervtötendes Duzen der Zuschauergemeinde. Aber eben keine Blöße. Keine Oettinger-mäßigen Versuche, Englisch zu sprechen. Keine peinlichen Nennungen von Büchern, die ihn angeblich bewegt haben, an deren Inhalt oder Titel er sich jedoch nicht erinnert. Keine wirren und schweißgebadeten Statements wie in der ersten Debatte oder auf kritische Nachfragen in Interviews.

Der Sarah Palin der mexikanischen Politik: Ahnungslos auf vielen Feldern aber schauspielerisch talentiert, machtgeil und mit einer riesigen Wahlkampfmaschine im Rücken. Auswendig gelernte und fehlerfrei heruntergespulte Beiträge. Ziel erreicht: Peña Nieto ist bei seinem vermutlich letzten heiklen Auftritt vor den Wahlen nicht baden gegangen. Um den Rest werden sich die verbündeten Massenmedien wie Televisa und die Krake PRI kümmern. Und so könnte es durchaus trotz einer anschwellenden Anti-Peña-Nieto Bewegung durchaus für einen Wahlsieg am 1. Juli reichen.

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