Vom Feld auf den Teller: Wege aus der Wirtschaftskrise

(Buenos Aires, 15. August 2019, la vaca/ poonal).- Inmitten der argentinischen Wirtschaftskrise hat die Vereinigung der Landarbeiter*innen UTT (Unión de Trabajadores de la Tierra) erneut einen Alimentazo (alimento=Lebensmittel, Anm.d.Ü.) bzw. Feriazo (feria=Markt) organisiert. Auf diesen Gemüsemärkten kann sich die krisengeschüttelte Bevölkerung mit günstigem Essen versorgen. Auf die „unsichtbare Hand“ des Marktes, die gerade dabei ist die Wirtschaft zu zerstören, antwortet die UTT, die aus 15.000 Landarbeiter-Familien besteht, mit solidarischer Ökonomie. Schon früh morgens stehen hunderte Leute bei den Marktständen an, um Obst, Gemüse und andere Grundnahrungsmittel zu sehr günstigen Preisen zu erwerben.

Wenn das Geld nicht mehr zum Essen reicht

Ramón González war einer der ersten und wartet auf einer der Zementbänke auf dem Plaza Constitución. Drei Tage nach dem Absturz der Regierungspartei bei den Vorwahlen und dem damit verbundenen freien Fall der Währung haben die Leute noch weniger Geld in der Tasche. Während die Landarbeiter*innen die Transporter voll mit Mandarinen, Porree, Zwiebeln, Brot und Brokkoli entladen, fasst der 68 jährige Ramón zusammen, warum er gekommen ist: „Es sind die Preise.“ Hinter Ramón steht die 69 jährige Rentnerin Lucía, die erklärt: „Das Geld reicht nicht aus.“ Sie verfolge die Ankündigungen der UTT, „hier kann man viel einsparen. Wir Rentner*innen sind in einer miserablen Situation: wir sind unsichtbar für sie.“ Eine Frau weiter hinten in der Schlange kommentiert, dass sie in Wilde, einem südlichen Vorort von Buenos Aires, das dreifache für das Gemüse bezahlen müsse. Lucía verweist auf den Zusammenhang mit den Vorwahlen: „Die Regierung wurde abgestraft und erhielt soviel weniger Stimmen, als vorhergesagt wurde. Aber Leute wie wir, die unten sind, wussten das schon vorher. Die, die das nicht sehen wollen, sind die da oben. Es ist nicht so, dass sie es nicht sehen würden, eh, aber es ist ihnen egal. Heute stehen da die ganzen Journalist*innen und bitten um Verzeihung, dass sie in den letzten vier Jahren nicht gemerkt haben, was da eigentlich passiert ist. Denen sage ich, dass wir hier unten, nicht so dumm sind, wie sie denken. Wenn sie es nicht sehen wollten, dann deswegen, weil sie einen Vorteil für sich daraus ziehen konnten. Aber die Leute sind nicht blöd, nein, und am Sonntag habe ich ihnen meine Antwort gegeben (bei den Vorwahlen, Anm.d.Ü.). Hoffentlich ändert sich was.“ Dann ist sie an der Reihe und bestellt zwei Kilo Orangen und Mandarinen. „Die Wirtschaft ist nicht dafür da, um zu spekulieren, sondern hat einen soziale Funktion, vom Produzenten zur Konsumentin und ohne Ackergifte“, schließt Lucía.

Landzugang und Ernährungssouveränität

Jeder Alimentazo, Feriazo oder auch Verdurazo (verdura = Gemüse), den die UTT organisiert, ist ein gesellschaftlicher Event und politisiert nicht nur den öffentlichen Raum, sondern auch die Themen Ernährung und das Recht auf Land. Sie bieten die Lebensmittel zu sehr günstigen Preisen an: „Die Compañeres, die das Brot so günstig verkaufen, strengen sich extrem an, denn auch sie leben in dem dollarisierten Argentinien. Aber wir kommen da raus und überwinden die Lüge der „unsichtbaren Hand“. Auf die Wirtschaftspolitik der Regierung reagieren wir als organisierte soziale Bewegung und schlagen ein bevölkerungsnahes Modell der Agrarsouveränität vor, das die Kleinproduzent*innen beim Zugang zu Land unterstützt, für gesunde Lebensmittel.“

Die UTT hat im Mai das erste Agrar-Forum der Basisbewegungen ins Leben gerufen, zu dem über 3.000 Bäuerinnen, Bauern und Landarbeiter*innen kamen. Nahuel Levaggi ist sich sicher, dass sie dadurch mehr Druck auf die Regierenden ausüben können, um den notwendigen Wandel in der Agrarpolitik zu erreichen: „Auch wenn wir froh sind, dass und ein Regierungswechsel bevorsteht, weil alles was Macri macht sich gegen die Bevölkerung richtet, heißt dies nicht, dass wir unsere gesamten Hoffnungen und Erwartungen in die zukünftige Regierung setzen. Wir denken, dass die Kraft in der Fähigkeit der organisierten sozialen Bewegung liegt, Druck auszuüben. Deswegen werden wir weiter auf die Straße gehen, um unseren Vorschlag bekannt zu machen: gesunde Lebensmittel zu fairen Preisen für die gesamte Bevölkerung.“

Alternativer Handel und würdige Arbeit zu guten Preisen

Morena Torres ist 37 Jahre alt und gehört zur gastronomischen Kooperative La Superliga aus Floresta. 15 Arbeiter*innen backen und verkaufen Brot und Kuchen. „Wir unterstützen die soziale Wirtschaft, den nachhaltigen Konsum und den gerechten Handel und leisten so unseren Beitrag zur Ernährungssouveränität. Wir tragen dazu bei, dass die Leute Zugang haben, zu Brot oder dem was sie brauchen. In den Läden funktioniert das nicht mehr. Wir geben uns Mühe, um die gleichen Preise zu nehmen, wie beim letzten Alimentazo“, sagt Morena und erklärt, wie genau sie das machen: „Wir spekulieren nicht. Auch erhöhen wir nicht im Voraus, wie die meisten Läden das machen. Wir behalten unsere Ideologie und unsere Überzeugungen bei der Arbeit. Deswegen können wir diese Produkte herstellen. Darum geht es: andere Verkaufskanäle, würdige Arbeitsbedingungen und dass die Kosument*innen zum besten Preis einkaufen können.“

Die 22 jährige Gilda Sánchez ist Mitglied der UTT-Leitung in La Plata und verweist auf die steigenden Kosten für Strom, Miete und Saatgut durch die Inflation. Aber genau in dieser Woche war der Alimentazo allein für die Leute gedacht: „Wir haben gezeigt, dass man für hundert Pesos eine ganze Menge mitnehmen kann, obwohl wir sehen, dass die Preise in den Gemüseläden stark angestiegen sind.“ Die junge Frau erklärt, dass einer der Gründe, warum ihre Preise niedrig sind, darin bestehe, dass sie keine Ackergifte verwendeten und führt ein Beispiel an: „Wir pflanzen Mangold und benutzen das hausgemachte Mittel Sulfopacha auf Basis von Knoblauch, Zwiebel und anderen Gemüsesorten. So bringen wir keine Tiere um, sondern halten sie fern von den Pflanzen, wir vergiften auch nicht die Erde und so wird das Gemüse größer, grüner und vitaler. Damit sparen wir fünfzig Prozent der Kosten ein.“

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