Verödete Landschaften, erkrankte Menschen: Kohleabbau um jeden Preis

von Sara Lovera

(Lima, 22. Juni 2009, semlac).- Das Ökosystem in Coahuila hat durch den Kohleabbau irreparable Schäden erlitten. „Schauen Sie, alles schwarz!“, sagt die Anwältin Paula Landeros Beltrán und weist in weitem Bogen in die vor ihr liegende Landschaft. Sie erzählt, dass die Frauen verstärkt an Krebs erkranken und die Kinder unter Hauptproblemen und Atemwegserkrankungen zu leiden haben. Die Vegetation ist verschwunden, ebenso die fünf Flüsse der Region, an die nur noch die trockenen Krater der ehemaligen Flussbette erinnern. „Niemand hört uns zu“, klagt sie.

Landeros Beltrán vertritt die Anwohner*innen der ehemaligen Gemeinden, die meisten stammen aus La Purísima und Santa María. Statt der riesigen Weizenfelder und Viehweiden sieht man dort heute weit und breit nur noch Einöde. Im nördlich gelegenen Kohleabbaugebiet Mexikos, im Bundesstaat Coahuila, etwa 1.000 Kilometer von Mexiko–Stadt entfernt, wird seit mehr als hundert Jahren in einem etwa 100 km² großen Gebiet Steinkohle abgebaut.

Dass dabei keine großartigen Gedanken an die längerfristigen Folgen verschwendet wurden, liegt für die Ingenieurin Argelia Bortoni auf der Hand. Die durch den Kohleabbau bedingte Umweltbelastung ist enorm: Durch die Abholzung der Wälder wird das Ökosystem stark in Mitleidenschaft gezogen. Dazu kommen die Anhäufung großer Mengen von inertem Material und verstärkte Bodenerosion, das Regenwasser kann nicht mehr richtig ablaufen, und durch die Minen, Gruben und künstlichen Steilhänge verändert sich die Landschaft beträchtlich.

Im April 2005 verpflichteten sich das Technische Forschungsinstitut (Instituto Tecnológico de Estudios Superiores) der Kohleabbauregion, der Garantiefonds der kleinen und mittleren Bergbaubetriebe (Fondo de Garantía a la Pequeña y Mediana Minería) des Bundesstaats Coahuila sowie Multiservicios Integrales del Norte S.A. in einer Kooperationsvereinbarung, eine Analyse des Zustandes der Region in die Wege zu leiten und die Umweltschäden zu beheben.

Bis heute wurde jedoch praktisch nichts unternommen, obwohl in der wissenschaftlichen Studie verschiedenste schwerwiegende Umweltschäden festgestellt worden waren. Lediglich die Einwohner*innen der betroffenen Gebiete haben, vertreten durch die Anwältin Landeros Beltrán, Klage eingereicht und damit einen langwierigen Prozess in Gang gesetzt, um auf lokaler und auf Bundesebene auf die Probleme aufmerksam zu machen.

„Das bedeutet mehr als nur schlechte Luft”, erklärt die Anwältin. „Es geht um eine existenzielle Gefährdung der Menschen.“ Man muss kein Experte sein, um beim Blick in die zerstörte Landschaft zu erschauern. Weit und breit ausgedörrte Steppe, bedeckt mit schwarzem Sand. Darüber legt sich die mit Kohlenstaub durchsetzte Luft wie ein dunstiger trüber Schleier. Alles Lebendige in der Region wurde mit dem Kohleabbau schrittweise ausgelöscht: Pflanzen, Wasser und Boden liegen leblos ausgebreitet wie ein schwarzer Sandteppich. Hier und da dunkle, Furcht einflößende Krater.

Die Bürgerinitiativen ließen nichts unversucht, um ihrem Anliegen auf rechtlichem Weg Gehör zu verschaffen. Dieses Jahr wird der Umweltskandal, der 165.000 Einwohner*innen, 12 Ortschaften und Hunderte von Gemeinden betrifft, vor einem internationalen Gerichtshof verhandelt. Dies vor allem deshalb, so erklärt die Anwältin, weil in weniger als hundert Meter Entfernung von Wohnhäusern der Gemeinden Sprengungen vorgenommen würden, so dass die Häuser durch die Erschütterungen in sich zusammenfallen. Zu der „schlechten Luft“ komme nun auch noch die Gefahr der Instabilität hinzu.

Geschichte

Man nimmt an, dass ein Teil des heutigen Coahuila ursprünglich von Meer und weißem Sand bedeckt war. Als das Wasser zurückging, legte sich eine Schlammschicht über den Sandboden. Die einstmals darauf gewachsenen Pflanzen hinterließen eine Schicht aus so genanntem Schluff, aus der sich eine Doppelschicht Kohle entwickelte.

Ende des Jahres 1884 wurde in dieser Region erstmals Kohle abgebaut. In der Folge entwickelte sie sich zu einem Zentrum des Bergbaus. Weder technische Neuerungen noch Umweltstandards haben allerdings je ihren Weg in die dortige Kohleförderung gefunden. Durch die zunehmende Bedeutung der Dampflok für den Transport entwickelte sich die Kohleförderung im ausgehenden 19. Jahrhundert zu einem wichtigen Faktor der industriellen Entwicklung des Landes.

Um 1910 bildeten sich verschiedene Industrien heraus, die mit Dampftechnik arbeiteten, wie die Eisenindustrie. Es entstanden Gießereien für Nichteisenmetalle. In der postrevolutionären Phase zwischen 1910 und 1930 wurde die Kohle zum großen Teil durch Öl ersetzt, blieb jedoch weiterhin unentbehrlich für die Eisen– und Metallindustrie.

In den Jahren 1930 bis 1959 weiteten sich die um 1910 gegründeten Industrien weiter aus. Die Kohleindustrie behielt in diesen Wirtschaftszweigen ihre essentielle Bedeutung, während für die Gewinnung elektrischer Energie verhältnismäßig wenig mit Kohle gearbeitet wurde. Der Kohleverbrauch hier lag in diesen Jahren unter 250.000 Tonnen pro Jahr.

In dieser Zeit entstanden die ersten Werke zur Gewinnung von Kohlewertstoffen, die bis dahin nicht genutzt worden waren. Um die etwa 265 eingerichteten Bergwerke herum waren Ortschaften entstanden. Ab 1954 wurden neue Kokereien gebaut, mit denen bis zu 85 Prozent der Kohlenebenprodukte verwertet werden konnten. 1959 wurde in Monclova, Coahuila, die erste Düngemittelfabrik in Betrieb genommen, die mit Koksgas des Unternehmens Mexicana de Coque y Derivados, S.A. de C.V. arbeitete. Der Jahresverbrauch lag bei 560.000 Tonnen.

1958 beschloss der Rat für Mineralressourcen die Erkundung der mexikanischen Kohlevorkommen. In den späten Sechziger Jahren hatte sich der Rat als dezentralisiertes öffentliches Organ der Bundesregierung zur Verwaltung der Kohlevorkommen gegründet.

All dies geschah ohne Planung, ohne Vorschriften oder Regelungen. Als die allgemeine Umweltstudie vorlag, zeigte sich, dass nicht eine der beeinträchtigten Regionen wiederaufbereitet worden war. „Überall stickige Luft und verseuchter Boden“, erklärt Bortoni.

Heute

„Durch den intensiven und gegenüber der Umwelt rücksichtslosen Kohleabbau über mehr als 100 Jahre, das Fehlen von Richtlinien und die Verletzung bestehender Vorschriften sind wir heute in einer ganz schön ausweglosen Lage“, so Paula Landeros.

So wie die Leute die Luftverschmutzung an den Gebäuden, den Geschäften und an ihren Wohnräumen bemerken, so offensichtlich sind auch die Auswirkungen auf die Atemwege. Bei Kindern treten immer häufiger allergische Hautreaktionen auf, immer mehr leiden unter Husten, der durch die Kohlenstaubpartikelchen hervorgerufen wird.

Die öffentlichen Straßen sind gesäumt von Schuttbergen, um die sich niemand kümmert. Die Kohleunternehmen hätten nämlich das Recht, an jeden beliebigen Ort drauflos zu bohren, ohne auf irgendetwas Rücksicht nehmen zu müssen, so die Anwältin.

Diese Genehmigungen seien einfach nur bedrucktes Papier. Angeblich seien die Unternehmen darin verpflichtet, Straßen und Gebiete wieder herzustellen. Den Gemeindemitgliedern habe man zugesagt, dass nach Beendigung des Bergbaubetriebs in einer Zone die Bodenoberfläche wieder begradigt, mit fruchtbarer und gedüngter Erde bestückt und bewässert werde. Nichts von alledem sei jedoch geschehen.

In La Purísima beeinträchtigt die Öffnung neuer Tagebauminen die gesamte Gemeinde. Die Häuser bekommen Risse, die Wohnungen brechen auseinander, und viele Menschen haben aus Angst ihren Wohnort bereits aufgegeben.

Als Landeros im Jahr 2005 eine Klage anstrengte, hatte die Regierung soeben die inzwischen abgeschlossene Studie bewilligt, die das gesamte Ausmaß der Umweltschädigungen dokumentiert. Seit 2005 wurde von den Behörden nicht das Geringste unternommen, versichern Landeros und die Ingenieurin Bortoni, die damals Leiterin des bei der Studie federführenden Instituto Tecnológico gewesen war.

Mittlerweile werden wieder neue Gerätschaften aufgebaut, diesmal zur Erforschung der Erdgasvorräte, die sich in den Kohleminen befinden und in näherer Zukunft abgebaut werden sollen. Doch wenn es um den Umweltschutz geht, ist wie immer kein Geld da.

Gesundheit

Den Erhebungen des Instituts für Geografie und Statistik zufolge ist zwischen 1995 und 2007 die Zahl der Frauen mit Brustkrebs in dieser Region im Vergleich zum Landesdurchschnitt unverhältnismäßig stark gestiegen. Dies sei ein weiterer Aspekt, den es noch zu untersuchen gelte, so Bortoni. Beunruhigenderweise treten die Neuerkrankungen überwiegend bei Frauen unter 25 Jahren auf.

Derzeit leben in La Purísima etwa 400 Menschen von der Land– und Viehwirtschaft und das schon seit vielen Jahren. Dazu Bortoni: „Und wenn es kein Wasser gibt, wie soll dann Futter für die Tiere wachsen? Was sollen sie trinken? Dann muss das Wasser per LKW angeliefert werden, damit man die Tränken auffüllen kann.“ Die Gemeinde erhalte außerdem schon lange keine Unterstützung mehr, weder vom staatlichen noch vom regionalen Agrarfonds. Die Männer beschließen daher, in den Bergwerken zu arbeiten. So wird es also in Kürze keine Land– und Viehwirtschaft mehr geben.

Die nachteiligen Folgen für das ökologische Gleichgewicht werden wohl kaum lange auf sich warten lassen. So, wie es derzeit aussieht, gibt es für die mexikanische Bergbauregion keine Möglichkeiten zur Wiederherstellung der betroffenen Gebiete. Die Umweltstudie wurde archiviert, Ingenieurin Bortoni aus ihrem Amt entfernt. Anwältin Landaros vertritt eine Gruppe von etwa 15 Frauen, die vor Gericht gezogen sind.

Das Kohleabbau–Gebiet sieht derweil noch immer so aus, als habe kurz zuvor eine Bombe eingeschlagen. Die Kinder leiden weiterhin unter trockener Haut und tropfender Nase. Die Atemwegserkrankungen nehmen stetig zu. Von einer intakten Umwelt können die Menschen hier nur träumen.

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