URUGUAY – ITALIEN: Wegen eines Versäumnisses ist Jorge Tróccoli, Koordinator der „Operation Cóndor“, auf freiem Fuß

(Berlin, 12. Mai 2008, npl).- Néstor Jorge Fernandéz Tróccoli ist wieder ein freier Mann. Am 24. April wies ein römisches Gericht das uruguayische Auslieferungsgesuch als unbegründet zurück, weil die uruguayische Botschaft die schriftliche Auslieferungsbegründung an Italien erst acht Tage nach Ablauf der Abgabefrist übermittelt hat.

Jorge Tróccoli war zwischen 1977 und 1978 als Geheimdienstoffizier der FUSNA nach Argentinien abkommandiert. Dort war er damit betraut, die Kooperation zwischen den argentinischen und uruguayischen Marinegeheimdiensten zu “koordinieren”, was in der Praxis bedeutete: die Zusammenarbeit bei Entführung, Folter, Mord und beim Verschwindenlassen uruguayischer Oppositioneller im argentinischen Exil sicher zu stellen.

Als das geschah im Rahmen des “Plan Cóndor”, einer Geheimoperation der Militärdiktaturen des lateinamerikanischen Südens zur grenzüberschreitenden Verfolgung von Regimegegner*innen. Faktisch begann die “Operation Cóndor” bereits 1973, wurde aber erst Ende 1975 auf einer Konferenz der Geheimdienste in Santiago de Chile formalisiert. Anfänglich waren die Geheimpolizeien Argentiniens, Boliviens, Brasiliens, Chiles, Paraguays und Uruguays an der Operation beteiligt. Spätestens 1978 schloss sich auch Peru an. In diesen Jahren verschwanden in den Ländern Südamerikas mehr als 50.000 Menschen spurlos. Allein 30.000 von ihnen wurden in Argentinien in geheime Folterzentren verschleppt und ermordet.

Tróccoli, der die italienische Staatsbürgerschaft besitzt, hatte sich im letzten Jahr nach Italien abgesetzt. Er floh vor einer Strafverfolgung in Uruguay. Dort hätte er sich im Dezember 2007 mit anderen Angeklagten für seine Diktaturverbrechen verantworten sollen. Am 24. Dezember 2007 stellte sich Tróccoli im süditalienischen Salerno den Behörden, vermutlich in der Hoffnung, als italienischer Staatsbürger nicht nach Montevideo ausgeliefert zu werden. Doch auch in Italien ließ der römische Staatsanwalt Capaldo gegen ihn in drei Fällen von Verschwindenlassen bzw. Entführungen von italienischen Staatsbürgern ermitteln. Tróccoli wurde verhaftet und in ein Gefängnis nach Rom überstellt.

Nun ist Tróccoli wieder auf freiem Fuß, weil eine Frist versäumt wurde. Man fragt sich, was passierte, nachdem der uruguayische Richter Luis Charles am 13. Februar – 40 Tage vor Auslaufen der Frist – die 661 Seiten umfassende Begründung zur Auslieferung zum Übersetzen an den Obersten Gerichtshof in Montevideo übergab. Warum benötigten fünf Gerichtsübersetzerinnen 30 Arbeitstage, bis die italienische Ausfertigung an das Außenministerium übergeben wurde? Dieses brachte das Schriftstück binnen 24 Stunden als “diplomatische Eilpost” auf den Weg nach Rom. Am 25. März bestätigte die uruguayische Botschaft in Rom den Erhalt des Auslieferungsgesuches mit Datum vom 18. März – fünf Tage vor Auslaufen der Frist.

Der Botschafter Uruguays in Italien, Carlos Abín, gab gegenüber der Presse an, die Botschaft habe die Sendung erst am 21. März entgegengenommen. Während das Außenministerium beteuert, die Botschaft per Luftpost über die Dringlichkeit zur Einhaltung der Frist informiert zu haben, bestreitet der Botschafter, davon Kenntnis erhalten zu haben. Er habe die Vollständigkeit der Unterlagen zweifach sorgfältig prüfen lassen. Mit der Folge, dass die Unterlagen erst am 31. März den italienischen Behörden übergeben wurden. Da war die Frist schon abgelaufen.

Für die italienischen Angehörigen der Opfer der Verbrechen besteht kein Zweifel, dass hier kein rein bürokratisches Versäumnis vorliegt. Die Verzögerung sei als “Komplizenschaft mit dem Beschuldigten” anzusehen, als “Unverschämtheit” bezeichnete Cristina Mihura für die Angehörigenvereinigung die auf diese Weise wieder hergestellte Straflosigkeit: “Das Gefühl, ein weiteres Mal mit auf den Rücken gefesselten Händen dazustehen und nichts tun zu können, ist beklemmend”. Erinnerungen an den August 2002 wurden wach, als einem argentinischen Folterer mit Hilfe alter Seilschaften die Flucht aus Italien gelang.

Die uruguayische Staatsanwältin Mirtha Guianze und Richter Charles kündigten an, die Ablehnung der Auslieferung nicht auf sich beruhen zu lassen. Intensive Nachforschungen in Argentinien sollen die Begründung für einen erneuten Antrag liefern. Auch der italienische Staatsanwalt Capaldo verwies darauf, dass seine Ermittlungen gegen Tróccoli andauern. Gegen die Haftentlassung werde er gerichtlich vorgehen. Gleichfalls hat Cristina Mihura im Namen der italienischen Angehörigen Anzeige gegen Unbekannt erstattet.

von Knut Rauchfuss

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