Umstrittenes Gesetz schützt Polizist*innen und Militärs vor Strafverfahren

von MG

(Montevideo, 16. Januar 2014, la diaria-poonal).- Am 16. Januar 2014 ist ein Gesetz in Kraft getreten, durch das Polizist*innen und Militärangehörige, die „in Ausübung ihres Sicherheits- oder Verteidigungsauftrages“ Menschen verletzen oder töten, nicht mehr strafrechtlich belangt werden können. Lokale Medien gehen davon aus, dass 139 angeklagte Polizisten und Soldaten – ermächtigt durch die Verfassung – rückwirkend davon profitieren könnten. Das Gesetz sorgt in jedem Fall für Gesprächsstoff.

Bis zum 16. Januar 2014 sah das peruanische Strafgesetz vor, dass es im Fall von Polizist*innen oder Angehörigen des Militärs, die „im vorschriftsmäßigen Umgang mit der Waffe“ einen Menschen verletzen oder töten, auch nicht zu einer Verurteilung kommen konnte. Seit diesem Tag ist der Wortlaut des Gesetzes ein anderer: „Mitglieder des Militärs oder der peruanischen Polizei können in Ausübung ihrer Pflichten unter Verwendung ihrer Waffen oder anderer Verteidigungsmittel nicht strafrechtlich belangt werden, wenn sie Tod oder Verletzungen herbeiführen“.

Strafprozesse gegen Sicherheitskräfte würde „Aufstiegschancen gefährden“

Die Gesetzesreform entstand auf Initiative eines dem Ex-Präsidenten Alberto Fujimori (1990–2000) nahe stehenden Abgeordneten der Opposition mit dem Ziel, das Grundprinzip der Amtsgewalt wiederherzustellen, nachdem es zahlreiche Klagen gegen Polizist*innen und Militärangehörige gegeben hatte. „Es handelt sich hier nicht um einen Freibrief, mit dem Polizisten Bürger töten können. Polizisten und Soldaten sind ausgebildet, um gesetzeskonform zu handeln. Man darf nicht glauben, dass ein Polizist sich im Schutze eines Gesetzes aufmacht und Menschen tötet“, versicherte Pedro Spadaro, der einer der Sprecher der Fraktion der Partei Fuerza Popular (Partido Fuerza Popular) im Parlament ist, laut Nachrichtenagentur EFE. Die Partei Fuerza Popular wird von Keiko Fujimori, der Tochter des inhaftierten Ex-Präsidenten Alberto Fujimori, angeführt,

„Es handelt sich hier um einen Entwurf, den wir im September 2011 vorgelegt haben und der ausgiebig im Rechtsausschuss debattiert und diskutiert wurde“, fügte Spadaro laut einem Zitat der Tageszeitung La República‘ hinzu. Der Angehörige der Opposition ist der Meinung, dass ein langer Strafprozess für Polizist*innen oder Soldat*innen nicht zweckmäßig sei. Dieser bremse ihre Aufstiegschancen, obwohl sie arbeiteten, um die Bürger*innen zu schützen. „Nun wird er [der Polizist, Anm. d. Ü.] sein Geld nicht mehr ausgeben müssen, um Anwälte zu bezahlen“, ergänzte Spadaro.

Innenminister hält Gesetz für „unnötig und unangebracht

Obwohl das neue Gesetz (Ley 30.151) von der Legislative verabschiedet und von Präsident Ollanta Humala verkündet wurde, gibt es nur wenige, die nun für seine Verteidigung einstehen. Laut Innenminister Walter Albán sei das Gesetz „unnötig und unangebracht“. „Meiner Meinung nach war diese Änderung nicht notwendig. Ich denke, man muss sich dafür einsetzen, dass die Gesetze richtig angewendet werden“, erklärte er. Und fügte hinzu, dass „Straffreiheit angebracht sei, wenn [Polizisten und Soldaten] bestimmungsgemäßen Gebrauch ihrer Waffen in Ausübung ihres Berufes machen“, in Erinnerung an das ehemalige Gesetz.

Als Antwort auf die neue Gesetzgebung sagte Albán, sein Ressort werde die Polizist*innen so befähigen, dass es keinen Missbrauch gebe und bat darum, klarzustellen, „dass es sich keineswegs um einen Freibrief handelt. Die Verfassung muss respektiert werden“. „Ich glaube auch, dass wir nicht dazu beitragen sollten, dass man das Gesetz als eine Art Freibrief oder einen Freibrief für eine Unterlassung verstehen oder missverstehen kann“, erklärte der Innenminister dem peruanischen Radiosender Ideele Radio. Außerdem bedauerte der Minister, dass die Regierung das Gesetz nicht genau studiert habe. Laut Albán wurde dies unterlassen, da man nicht der Meinung war, dass es die Aufgabe der Polizei einschränken oder begrenzen würde.

Gesetz könnte zur Unterdrückung sozialer Proteste missbraucht werden

Der Soziologe Fernando Rospigliosi, der das Amt des Innenministers unter der Regierung von Alejandro Toledo (2001–2006) zwei Mal innehatte, kritisierte das Gesetz ebenfalls – und zwar insbesondere die Tatsache, dass es die Verwendung von „anderen Verteidigungsmitteln“ erlaube, so die Tageszeitung El Comercio.

Die Ombudsstelle (Defensoría del Pueblo) vertrat die gleiche Meinung. Sie lehnte das Gesetz ab, da es „kontraproduktiv hinsichtlich des Ziels ist, die Arbeit der Polizei und des Militärs im Kampf gegen das Verbrechen, die Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung und die Verteidigung der nationalen Sicherheit zu stärken“. In diesem Sinne erinnerte die Ombudsstelle daran, dass in den letzten 30 Monaten 34 Bürger*innen ums Leben kamen und mehr als 949 (darunter 357 Polizist*innen und fünf Soldat*innen) bei sozialen Konflikten verletzt wurden.

Ähnlich äußerte sich César Bazán, Koordinator der Menschenrechtsorganisation Institut zur Verteidigung des Rechts IDL (Instituto de Defensa Legal) Seiner Ansicht nach berge das Gesetz das Risiko, „benutzt zu werden, um gesellschaftliche Proteste zu unterdrücken“. IDL und andere Menschenrechtsorganisationen kündigten an, möglicherweise das Verfassungsgericht anzurufen.

Rückwirkende Anwendung könnte zu Freisprüchen führen

Hinzu kommt, dass die peruanische Verfassung „keine Auswirkungen mit rückwirkendem Charakter vorsieht“, es sei denn, „dies wirkt sich in der Strafsache zugunsten des Angeklagten aus“, erklärt der Professor und Experte für Verfassungsrecht, César Eugenio Bodero, gegenüber der Zeitung La República. Richter*innen sind „verpflichtet, das für den Angeklagten günstigste Gesetz anzuwenden.“

Falls diese Regelung und damit das neue Gesetz rückwirkend Anwendung findet, könnte dies zugunsten von 139 angeklagten Polizisten und Angehörigen des Militärs sein. Und würde zum Beispiel die Einsätze am 3. und 4. Juli 2012 in der Provinz Cajamarca gegen die Bauern und Bäuerinnen einschließen, die gegen das Bergbauprojekt Conga demonstrierten und während denen es fünf Tote und mehr als 100 Verletzte gab. Auch wäre es zugunsten von denjenigen, die am 28. Mai 2012 in die Menge schossen, die gegen die Bergbauprojekte in der Region Cusco protestierte. Den Schüssen fielen fünf Menschen zum Opfer, 27 wurden verletzt.

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