Übergangsjustiz zwischen Kritik und Zuspruch

von Ani Dießelmann

(Bogotá, 29. September 2015, amerika21.de).- Das am 23. September von der Regierung und der Guerillabewegung Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens (Farc) geschlossene Abkommen wird vielfach als „historischer Moment“ für das südamerikanische Land bezeichnet. Die Bewertungen fallen jedoch unterschiedlich aus.

Die Delegationen der Regierung von Präsident Juan Manuel Santos und der Farc hatten sich auf die Schaffung einer Übergangsjustiz geeinigt. Damit wurden Regelungen für eine Strafverfolgung und Amnestie für die Beteiligten am bewaffneten Konflikt vereinbart. Santos und der Oberkommandierende der Farc, Timoleón Jiménez, verabredeten zudem, dass die Friedensgespräche bis März 2016 zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht werden sollen.

Massive Kritik an dem Abkommen übte Kolumbiens Ex-Präsident Álvaro Uribe. Er warf Santos noch am Tag der Unterzeichnung vor, „neue Gewalt zu erzeugen“, indem er den „Verbrechern der Farc“ Straflosigeit gewähre, falls sie ihre Taten gestehen. Der „Terrorismus der Guerilla“ werde mit den Streitkräften gleichgesetzt. Mitglieder der Sicherheitskräfte müssten Angst haben, wie Verbrecher behandelt zu werden und könnten sogar ins Gefängnis kommen, so Uribe. Santos unterwandere die Verfassung „um dem Terrorismus zu einer neuen Diktatur nach venezolanischem Vorbild zu verhelfen“.

Ablehnung von Uribe und Human Rights Watch

Ähnlich reagierte die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW). Sie erklärte, das Abkommen lasse „tausende Opfer von schweren Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen gegen das Humanitäre Völkerrecht rechtlos zurück“, da „die Verbrecher der Farc keine wirklichen Strafen“ bekämen. Das Abkommen würde zwar Anreize geben, begangene Taten zu gestehen, aber dann würden „massive Gräueltaten“ ungesühnt bleiben.

Die Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten (Celac) begrüßte die Einigung und sieht sie als „Grundlage für Friedensprozesse auf dem Kontinent unter Berücksichtigung der Erklärung Lateinamerikas und der Karibik zur Friedenszone von Januar 2014“. Das Abkommen zur Übergangsjustiz wird als Schritt zum Frieden und einem endgültigen Abschluss der Verhandlungen gewertet.

Die kolumbianische Botschafterin bei den Vereinten Nationen, María Emma Mejía, berichtete, das Abkommen sei in der UNO „wohlwollend“ aufgenommen und als ein „Mechanismus, der auch als Beispiel für andere Konflikte auf der Welt dienen könne“ gelobt worden.

Santos: Friedensvertrag nützt der Wirtschaft

Präsident Santos verteidigte das Abkommen gegen Kritik und versicherte in zahlreichen Pressemitteilungen, es werde keine Straffreiheit geben. Vor dem landesweiten Treffen der Vereinigung der Handelskammern betonte er zudem die Vorteile eines Friedensvertrages für die Wirtschaft. Tourismus und Investitionen würden ihr maximales Potential entwickeln, Arbeitsplätze entstünden und die Wirtschaft werde ihren Beitrag leisten, den Frieden in alle Regionen des Landes zu bringen. In einer weiteren Pressemitteilung hob Santos die Rolle Deutschlands und Angela Merkels im Friedensprozess hervor. Die Kanzlerin habe von Beginn an den Prozess unterstützt.

Auch deutsche Parlamentarier*innen äußerten sich zu dem Abkommen. Heike Hänsel, entwicklungspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, wies darauf hin, dass eine Bedingung für den Frieden sei, dass sich das kolumbianische Militär „zu einer vollständigen Aufklärung von Menschenrechtsverbrechen“ verpflichte. Die Einrichtung einer Wahrheitskommission sei „oberstes Gebot“. Tom Koenigs, Beauftragter des Bundesaußenministers zur Unterstützung des Friedensprozesses und Mitglied der Partei Die Grünen, hob hervor, dass Deutschland „den Prozess der Aufarbeitung der gewalterfüllten Vergangenheit Kolumbiens mit seinen Erfahrungen unterstützen“ könne. Er warnt in einer Pressemitteilung vor Störmanövern, die den Weg zum Frieden beeinträchtigen könnten und lobt den Mut der Unterzeichner*innen in Havanna.

Zu einer „sozialen Verhandlungsrunde“ mit der Regierung rufen indes soziale Organisationen Kolumbiens auf. Dieser soll „zur Lösung des sozialen, politischen und bewaffneten Konfliktes beitragen“. Der Aufruf wurde von landesweiten Gruppen wie dem Congreso de los Pueblos, Gewerkschaften, Organisationen von Indigenen und Afrokolumbianer*innen sowie Kirchengemeinden unterschrieben. Um Frieden und Demokratie zu erreichen sei die direkte, verbindliche und bestimmende Beteiligung der Gesellschaft die Voraussetzung. Die Friedensverhandlungen in Havanna und die erzielten Fortschritte seien zu begrüßen. Das Fehlen dieser direkten Beteiligung sei jedoch deren große Schwäche, heißt es darin weiter.

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