Tribunal: EU-Regierungen sind Komplizen bei Verbrechen transnationaler Unternehmen

von Andreas Behn

(Berlin, 19. Mai 2010, npl).- Während die offiziellen Delegationen aus Lateinamerika und der Europäischen Union in Madrid zu ihrem zweijährlichen Gipfeltreffen eintrafen, wurde am Montag Vormittag das Urteil des „Permanenten Tribunals der Völker“ verlesen. Im Rahmen des Gegengipfels „Enzalando Alternativas“ (Alternativen verknüpfen), der vom 14. bis 18. Mai die wirtschaftspolitische Ausrichtung des Gespräche zwischen Lateinamerika, der Karibik und der EU kritisierte, hat dieser symbolische Gerichtshof 27 transnationale Unternehmen angeklagt.

Wie bereits während der Doppelgipfel 2008 in Lima und 2006 in Wien, standen die Auswirkungen neoliberaler Wirtschaftspolitik und die konkreten Verletzungen von Menschen-, sozialen und ökologischen Rechten durch die Unternehmen im Mittelpunkt. Zumeist geht es um Fälle in Lateinamerika, wo die transnationalen Unternehmen europäischen Ursprungs ohne ernsthafte Auflagen oder effektive staatlicher Kontrolle ihrem Gewinnstreben nachgehen können. Angeklagt waren unter anderem der Konzern ThyssenKrupp, der in Südbrasilien ein Stahlwerk baut, ohne die Umweltauflagen und geltende Arbeitsrechte einzuhalten. Bayer wurde wegen seiner Aktivitäten in Peru im Bereich der Agrarindustrie und Pestizide angeklagt. Und bei Repsol ging es um die Förderung von Erdöl und Gas in Bolivien und Ecuador.

Bei der allgemeinen Urteilsverkündung wurde hervorgehoben, dass auch bei diesen symbolischen Prozessen die Opfer ins Blickfeld gerückt werden müssen, „diejenigen, die oftmals ihre Lebensgrundlage verlieren, ohne dass die Verursacher dafür zur Rechenschaft gezogen werden“. Ebenso wurde deutlich gemacht, dass „die politisch Verantwortlichen der EU als Komplizen der unmittelbaren Täter gesehen werden müssen, wenn sie mittels Freihandelsabkommen oder öffentlicher Kreditvergabe die systematischen Verletzungen der Menschen- und Arbeitsrechte in Lateinamerika befördern“, so Marcos Aruda, brasilianischer Wirtschaftswissenschaftler und Jurymitglied.

Bereits am Sonntag hatten mehrere Tausend Menschen im Zentrum von Madrid an einer Demonstration gegen die Wirtschaftspolitik der EU und der Mehrheit der Regierungen in Lateinamerika teilgenommen. Es war der Abschluss des inhaltlichen Teils des Alternativgipfels, auf dem rund Hundert Veranstaltungen angeboten wurden. Zudem wurde ein Radioforum organisiert, das das Geschehen in beide Kontinente übertrug. Allerdings war die Beteiligung an dem Gegengipfel in Madrid weit weniger umfangreich als bei den Gegengipfeln der vergangenen Jahre.

Überraschend hatten der Venezolaner Hugo Chávez und Pepe Mujica aus Uruguay ihre Teilnahme am VI. Gipfeltreffen zwischen den Staaten Lateinamerikas und der Karibik sowie der EU abgesagt. Raul Castro aus Kuba hatte schon zuvor kein Interesse an dem Gipfel bekundet. Von europäischer Seite haben lediglich der neue britische Premier David Cameron, Italiens Silvio Berlusconi und Yorgos Papandreou aus Griechenland nicht definitiv zugesagt.

In der Praxis besteht dieser Gipfel aus mehreren Einzeltreffen entsprechend der Länderblöcke in Lateinamerika und dem Stand der Verhandlungen mit der EU. Es begann am Sonntag mit dem Treffen EU-Mexiko, wo es um die Festigung des ersten von der EU mit einem lateinamerikanischen Land geschlossenen Freihandelsvertrages ging. Am Montag war Chile an der Reihe, auch mit diesem Land hat die EU bereits ein bilaterales Abkommen. Danach standen Gespräche mit den Karibikstaaten und schließlich mit dem Gemeinsamen Südamerikanischen Markt Mercosur auf dem Programm. Insbesondere zwischen dem Mercosur und der EU geht es darum, die seit Jahren festgefahrenen Freihandelsverhandlungen wieder in Gang zu bringen. Beide Seiten bekunden Interesse, doch es scheitert regelmäßig an gegenseitiger Kompromisslosigkeit, insbesondere in Fragen der Agrarexporte.

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