Transgene oder Wissenschaft?

von Silvia Ribeiro

(Mexiko-Stadt, 05. September 2015, la jornada).- Jonathan Latham ist Biologe und Botaniker. Er hat einen Master in Pflanzengenetik abgeschlossen sowie eine Doktorarbeit in Virologie. Vor kurzem veröffentlichte er den Text „Growing Doubt: a Scientist’s Experience of GMOs“. Darin bringt er wichtige Zweifel an den Wirkungen der Transgene und neuen Techniken der genetischen Manipulation zum Ausdruck. Er stützt sich dabei auf seine Erfahrung als Wissenschaftler, der seit den 1990er Jahren als Teil seiner akademischen Aktivitäten transgene Pflanzen geschaffen hat.

Als junger Wissenschaftler machte sich Latham keine Gedanken über Gesundheits- und Umweltfolgen dieser im Labor erzeugten Pflanzen. Einerseits, weil seine Begeisterung für Wissenschaft und Forschung andere Aspekte in den Hintergrund stellte. Andererseits, weil er sich damals nicht vorstellen konnte, diese fragilen und ungewissen Techniken könnten eines Tages auf Konsumprodukte angewendet werden und in die Umwelt gelangen.

Gentech-Unternehmen machen ihre eigene Risikobewertung

Aber die Gentech-Unternehmen – und die Wissenschaftler*innen, die dank dieser Konzerne Geld scheffeln – interessierte das nicht. Heute befinden sich viele Genkulturen auf unseren Äckern und viele Lebensmittel mit Transgenen auf unseren Tischen – egal ob sie Schäden verursachen. Nach sorgfältiger Analyse zahlreicher Risikobewertungen von transgenen Kulturen zeigt Latham verschiedene Probleme auf. Eines davon ist, dass die Unternehmen ihre eigene Risikobewertung vornehmen. Die Regierungsbehörden überprüfen diese nur und das zumeist oberflächlich. Selbst wenn die Analysedaten Schäden belegen oder die Analysen absichtlich von erbärmlicher Qualität sind, so verbreiten die Unternehmen unterschiedslos, dass ihre Produkte unbedenklich sind.

Es gibt mehrere Fälle, darunter den Genmais Mon863 von Monsanto, in denen unabhängige Wissenschaftler*innen Zugang zur kompletten Untersuchung des Unternehmens hatten. Dabei stellten sie fest, dass die Schlussfolgerungen mit der Studie selbst nicht kohärent waren. Sie waren geschönt, um die Schäden zu verbergen. Die Behörden für Biosicherheit und Ernährungsunbedenklichkeit lasen nur die Schlussfolgerungen und vertrauten den Empfehlungen Monsantos. So verfuhr auch die Bundeskommission für den Schutz gegen Gesundheitsrisiken (Cofepris) in Mexiko ungeachtet der Tatsache, dass die entsprechende Studie schwerwiegende Anomalien der inneren Organe von Laborratten belegt.

Eine anderes von Latham erwähntes Beispiel ist, dass die Bakterie „Bacillus thuringiensis“ (verwendet für die Insekten vernichtenden transgenen Bt-Kulturen) praktisch gleich dem „Bacillus anthrax“ ist, der Grundlage des bekannten Anthrax-Giftes. Die Aktionsweise von insektiziden Bt-Kulturen weist zudem strukturelle Ähnlichkeiten mit der des Rizinus aus. Rizinus und Anthrax sind als wirksame Giftstoffe gegen Menschen eingesetzt worden. Latham fügt hinzu, dass die Aktionsweise der Bt-Proteine unbekannt ist, was ernsthafte Untersuchungen über Gesundheitsrisiken unmöglich mache. Noch schwerwiegender: Die Cry-Proteine (des Bt) haben sich für menschliche Zellen im Labor (in vitro) als giftig erwiesen.

Gefahren von Agrargiften nicht ausreichend erforscht

Der vermehrte Gebrauch von Agrargiften, den die Transgene mit sich bringen, birgt ein enormes Problem für Gesundheit und Umwelt. Das Glyphosat, das am häufigsten mit den Transgenen verwendete Agrargift, wurden von der Weltgesundheitsorganisation als krebserregend eingestuft. Latham erklärt, dass ein weiterer im GVO-Anbau benutzter chemischer Stoff, das Glufosinat, einen Aktionsmechanismus besitzt (enzymhemmend bei Glutamat-Ammonium-Ligase), der für viele Gräser und zahlreiche andere Organismen wie Pilze, Bakterien und Tiere giftig ist. Bei Säugetieren wirkt er wie ein Nervengift und lässt sich nicht einfach in der Umwelt abbauen. Wird das Glufosinat bei Transgenen angewandt, die dagegen immun sind, verbleibt es in den Pflanzen und wir nehmen es mit Nahrungsmitteln ein. Es kann erst nach Monaten nachgewiesen werden. Seine Wirkung ist so breit, sagt Latham, dass seine Bezeichnung als „Herbizid“ nicht viel aussagt.

Latham und Allison Wilson, eine weitere Wissenschaftlerin, haben Informationen über eine virale Abfolge aufgedeckt, die als sogenannter Promotor in fast allen Genpflanzen benutzt wird. Es handelt sich um das CaMV, das „Blumenkohlmosaikvirus„. Es wurde fälschlicherweise über 20 Jahre als „sicher“ angesehen. Aber eine 2013 von der EFSA, der europäischen Behörde für Ernährungssicherheit in Auftrag gegebene Studie zeigte: Der Virus ist in der Lage, die normale Formel vieler anderer Pflanzengene zu verändern. Damit sind diese Pflanzen wehrlos gegenüber Krankheiten. Die EFSA versuchte, die Studie zu ignorieren, aber Latham und Wilson brachten sie an die Öffentlichkeit.

Wissenschaft braucht ethische Kriterien

Der Text setzt nicht nur schwerwiegende Probleme der Transgene auf die Agenda. Er verdeutlicht ebenso, dass ihre Präsenz auf den Märkten und in der Nahrung nur dem Vermarktungsdruck der Gentech-Multis und der fehlenden Ethik beteiligter Wissenschaftler*innen geschuldet ist. Dieselben Akteure, die in Mexiko die Regierung und Gerichte zugunsten der Transgene „informieren“, verbergen die wirklichen Probleme. Angesichts dieser fehlenden wissenschaftlichen Ethik, der Versuche einer absurden Vereinfachung der Komplexität der Natur und des fehlenden Engagements für die kulturellen und historischen Bedürfnisse der Mehrheit, haben sich weltweit Vereinigungen kritischer Wissenschaftler*innen gegründet. Sie wollen nicht weiter Kompliz*innen einer Söldnerwissenschaft sein, die für die unternehmerischen Gewinninteressen arbeitet.

Beispiele dafür sind die UCCS in Mexiko und die jüngst gegründete Vereinigung der Engagierten „Wissenschaftler*innen, die sich gegenüber Gesellschaft und Natur in Lateinamerika verpflichtet fühlen“ (UCCSNAL). Letztere entstand in Argentinien mit Wissenschaftler*innen und Expert*innen aus zehn Ländern des Kontinents. Die UCCSNAL trat dort für das Verbot der Transgene ein. In ihrer Gründungserklärung übernahm sie die Worte des verstorbenen Dr. Andrés Carrasco, der posthum zum Ehrenpräsident der Vereinigung ernannt wurde: „Die Transgene sind eine Technologie, die auf betrügerischen und anachronistischen Annahmen beruht. Diese reduzieren und simplifizieren die wissenschaftliche Logik in einem Ausmaß, dass sie ihre Gültigkeit verliert.“ Der transgene Kaiser ist nackt und immer mehr verantwortungsbewusste Wissenschaftler*innen machen dies öffentlich.

Dieser Artikel ist Teil unseres diesjährigen Themenschwerpunkts:

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