Terrorismus und Forstindustrie

von Luís García Huidobro

(Temuko, 22. Januar 2012, azkintuwe/poonal).- Dass man in Chile umgangssprachlich von „Terrorismus“ spricht und sich dabei aber auf Tatsachen bezieht, die ganz anderer Natur sind, ist ein weiteres Erbe der Diktatur (oder des „Militärregimes“, wenn man so will). Wahrer Terrorismus dagegen bezieht sich auf kriminelle Handlungen, die über internationale Netzwerke systematisch organisiert werden. Diese sind so sehr menschenverachtend, dass sie Angst und Schrecken unter der Bevölkerung auslösen und Hass aufgrund ethnischer, religiöser oder politischer Motive, fördern [1].

Terrorismus als politisches Phänomen

Diese Folgerung bezieht sich jedoch nicht auf jede Straftat, die Angst und Schrecken verbreitet – denn sonst wäre ein gewöhnlicher Mörder oder eine gewöhnliche Mörderin ja bereits ein Terrorist bzw. eine Terroristin. Gemäß dem nordamerikanischen Modell handelt es sich dabei um eine Art von Terror, deren Ziel es ist, das Wirtschaftssystem aus dem Gleichgewicht zu bringen, denn der wirtschaftliche Gewinn wird als gesellschaftliche Grundlage betrachtet. Das europäische Modell hingegen bezieht Terrorismus auf die Destabilisierung des demokratischen Systems. Hierbei wird davon ausgegangen, dass sich das souveräne Volk selbst für ein politisches System entscheidet und durch den Terror einer Organisation dazu gezwungen werden soll, ein anderes politisches System anzunehmen [2].

Folglich ist Terrorismus immer ein politisches Phänomen. In Chile wurde am 11. September 1973 ein Terrorakt begangen. Dabei kam es – sage und schreibe – zu einem Brand im Regierungspalast kam, dem systematische Vernichtungshandlungen folgten.

Mapuche unter Terrorverdacht

Im Laufe ihrer Geschichte hat die Koordinierungsstelle der Mapuche-Gemeinden im Konflikt CAM (Coordinadora Arauco Malleco) als Organisation Widerstandsaktionen gegen das Kapital, das die Gebiete der Mapuche plündert und deren Fortbestehen als Volk bedroht, gefordert. Ich habe nicht die Absicht, diese Aktionen von der Bequemlichkeit meines Schreibtischs aus zu verteidigen. Aber es ist unerlässlich, dass eine Regierung, wenn sie zur Gesetzgebung einberuft, minimale Unterschiede bezüglich des Begriffs „Terrorismus“ im Auge behält.

In allen vom Terrorismus betroffenen Ländern lacht man angesichts dessen, dass Chile glaubt, von Terrorismus betroffen zu sein. Tatsächlich bestätigten Depeschen von Wikileaks, dass sich US-amerikanische Staatsbedienstete über diese Möglichkeit lustig machten. Dabei ist es deren Regierung, die am stärksten die internationale Kampagne zur Verschärfung der Gesetzeslage in den jeweiligen Staaten vorantreibt.

Verurteilungen nach dem Anti-Terror-Gesetz

In der Praxis hat Chile das Anti-Terror-Gesetz für „Vorab-Urteile“ über Personen genutzt, die dann lange in Untersuchungshaft verblieben um anschließend zum großen Teil wieder freigesprochen werden. In den Händen der Regierungen beider Koalitionen wurde dieses Gesetz als politisches Werkzeug benutzt, um die Rechte der Mapuche außer acht zu lassen und die wirtschaftlichen Interessen des Forstsektors zu schützen.

Derzeit warten – unter Hausarrest stehend – etwa 30 Mapuche verschiedener Organisationen, auf ein Urteil nach dem Anti-Terror-Gesetz. Und hätte es nicht vor einiger Zeit deswegen den Hungerstreik gegeben, würden sie noch immer im Gefängnis sitzen. Jene Mapuche, die während der Regierungszeit der Concertación verurteilt wurden, als politisches Werkzeug benutzt vor dem Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte CoIDH (Corte Interamericana de Derechos Humanos) wegen Diskriminierung in der Anwendung des Anti-Terror-Gesetzes. Die jetzige Regierung erkannte die Legitimität ihrer Gebietsansprüche an und – und übertrug ihnen vor wenigen Wochen die umstrittenen Territorien.

Ohne Land zum Verschwinden verurteilt

Die Anführer der CAM, die derzeit in Angol inhaftiert sind, wurden ebenfalls nach dem Anti-Terror-Gesetz verurteilt. Durch eine geschickte Interpretation, die im Widerspruch zum Geist der Strafprozessreform steht, erklärte der Oberste Gerichtshof einige seiner Mechanismen für rechtens, so auch die Verurteilung der Aktivisten nach allgemeinem Recht [3]. Der Fall wurde vor wenigen Wochen der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte CIDH (Comisión Interamericana de Derechos Humanos) vorgelegt.

Wir können, darüber besteht landesweit im Grunde genommen Konsens, dass gegen das Volk der Mapuche auf systematische Weise schreckliche Taten begangen wurden, die sein soziales System als Volk destabilisiert haben. Es handelt sich um die Vernichtung eines Volkes und seiner Existenz als solcher, durch das Verweigern seines Rechts auf angestammtes Land. Denn die Existenz der Mapuche wird historisch gesehen durch eine „Spiritualität“ [4] bestimmt, die mit der Erde verbunden ist. Es ist offensichtlich, dass ohne eigenes Land, auf das sich diese Identität bezieht, der ganze Diskurs um Anerkennung bloße Demagogie bleibt.

Die Erfahrung der vergangenen 100 Jahre zeigt, dass es sehr schwierig ist, Kindern in der Diaspora Identität zu vermitteln. Ohne eigenes Land ist das Volk der Mapuche zum Verschwinden verurteilt. Ähnliches geschieht mit den Kindern und Enkelkindern nach Europa exilierter Chilen*innen, weil der territoriale Raum der chilenischen Nation und damit die Möglichkeit der „Verwurzelung“, fehlt. Doch die Ablehnung der Gebietsansprüche geht sogar soweit, dass Carlos Larraín, Mitglied der rechtsliberalen Partei der Nationalen Erneuerung RN (Renovación Nacional) im Eifer, die Existenz des Volkes der Mapuche zu relativieren, die Ansicht erklärt „wir sind alle Mestizen“.

Soll das Volk der Mapuche weiter existieren?

Ein derart vereinfachendes Verständnis von Identität, wird mit Hilfe der Bücher von Sergio Villalobos auch weiterhin an den Schulen gelehrt. Die Schlüsselfrage, die in diesem Zusammenhang jedem Regierenden gestellt werden muss, lautet: Soll ihrer Meinung nach das Volk der Mapuche weiter existieren? Die politisch korrekte Antwort ist offensichtlich ein: Ja. Die nächste Frage wäre: Denken Sie, dass das Volk der Mapuche langfristig ohne ein eigenes Gebiet existieren kann? Alles Weitere ist Demagogie. Das Volk der Mapuche hat das Recht, auf seinem Gebiet zu leben. Das forstwirtschaftliche Modell mag dem Land viel Reichtum bescheren, jedoch werden dadurch gleichzeitig unveräußerliche Rechte verletzt.

Die CAM wurde von der chilenischen Regierung beschuldigt, Anfang Januar die schweren Waldbrände in Carahue gelegt zu haben, bei denen sieben Feuerwehrleute starben. Hector Llaitul, politischer Gefangener der CAM und deren politischer Sprecher, bedauerte in seiner Stellungnahme zur Anschuldigung der Regierung „den Tod armer Menschen, junger Arbeiter, die ebenfalls Opfer des Wirtschaftssystems sind. Sie arbeiteten unter erbärmlichen Umständen, für miserable Löhne, ohne geringste Sicherheitsmaßnahmen und wurden in den Kampf [gegen die Flammen] geschickt, um die wirtschaftlichen Interessen einer der reichsten Familien Chiles zu verteidigen“. Nun, da die Brände unter Kontrolle sind und der Aufruhr der Medien beendet, ist ein Überdenken des Forstmodells in Mapuche-Gebieten dringend notwendig.

Die Pinochet-Diktatur und das Forstmodell

Im Schutz der Pinochet-Diktatur wurde dieses Modell über das gesamte Mapuche-Gebiet ausgebreitet. Die größte Nutzen lag darin, dass Gebiete, die im Zuge der Agrarreform wieder an die Mapuche rückübertragen werden sollten und weiteres Land, das dem Staat gehörte, zu niedrigen Preisen gekauft werden konnte. Durch das Dekret 701 aus dem Jahr 1974 wurde die Anpflanzung von Kiefern und Eukalyptus subventioniert. Dies ist der Beginn der sternförmigen Expansion der Forstunternehmen Forestal Arauco und Forestal Mininco, die das Erbe der Inhaberfamilien von Copec und CMPC um Einiges vervielfachten. Im Falle von Copec wurde die Firma von den alten Eigentümer*innen vor dem Bankrott gerettet und anschließend erneut privatisiert.

Untersuchungen der chilenischen Soziologen und Wirtschaftswissenschaftler Fernando Dahse und Hugo Fazio über den extremen Reichtum in Chile, benennen die Forstindustrie als deutlichstes Paradigma für die Konzentration von Reichtum im Land.

Eukalyptus und Pinien: Der leicht entflammbare Süden

Bei der Forstindustrie handelt es sich um wirtschaftliche Gruppen mit weit verzweigten Netzwerken in jenen chilenischen Gruppen, die im Land an der Macht sind. Um ein einfaches Beispiel der Einflussnahme auf die öffentliche Meinung zu nennen: Jedes Mal, wenn die Tageszeitung El Mercurio wieder von „Terrorismus“ schreibt , müssen wir bedenken, dass das Papier, auf dem der Text gedruckt ist, den wir lesen, aus der Konfliktregion kommt und dort von der Firma Inforsa, einem Tochterunternehmen der CMPC, hergestellt wird. Beide Konsortien breiten sich derzeit in ganz Lateinamerika aus und pflanzen dabei Kiefer- und Eukalyptusplantagen auf einem ganzen Kontinent, der als Lunge des Planeten wertgeschätzt wird.

Jeden Sommer wird ein großes Kontingent von Spezialeinheiten in den Süden geschickt, um die Ernte von Kiefern- und Eukalyptusbäumen zu schützen. Ob die Brände nun provoziert oder absichtlich gelegt wurden – wenn wir das Grundproblem lösen wollen, müssen wir seine eigentliche Ursache bedenken: Wir haben den Süden Chiles in ein gefährliches Ökosystem umgewandelt, das sehr leicht entflammbar und trocken ist. Wer hätte gedacht, dass es in einem einstigen Urwaldreservat heute für viele Gemeinden unerlässlich sein könnte, Wasser in Tanklastern herbei zu schaffen? Wird der Süden Chiles eines Tages zur Wüste zu werden?

„Unangenehme Wahrheiten“

Gemäß Artikel 7 des Abkommens 169 der Internationalen Arbeitsorganisation ILO (International Labour Organisation), haben indigene Völker das Recht, die Prioritäten ihres Entwicklungsprozesses selbst festzulegen. Mit dem derzeitigen Forstmodell – im Zuge dessen in dieses Land eingefallen, das Gebiet verschandelt und nachhaltig unbrauchbar gemacht wird ist das jedoch nicht möglich.

Das sind unangenehme Wahrheiten. Doch es ist dringend an der Zeit, das Modell zu ändern. Bitten wir Gott, dass die Tragödie, die unser Land betrübt, uns veranlasst, von Grund auf über unsere strukturellen Probleme nachzudenken um einen sozialen Frieden zu finden, der auf Gerechtigkeit beruht.

Anmerkungen:

[1] Ende Dezember 2011 wurde in Argentinien ein Anti-Terror-Gesetz verabschiedet, da unter der Bevölkerung zu großem Aufruhr führte. Nichtsdestotrotz lässt sich unschwer feststellen, dass es im Vergleich zu unserem sehr viel fortschrittlicher ist.

[2] Myrna Villegas hat dieses Thema in Chile sehr umfassend untersucht. Das Nationale Institut für Menschenrechte INDH (Instituto Nacional de Derechos Humanos) hat wiederholt darauf verwiesen, dass unser Gesetz die Standards in Bezug auf Menschenrechte nicht erfüllt.

[3] Ein ausführlicher Artikel findet sich in Le Monde Diplomatique, August 2011.

[4] Ein Wort, das für den „wingka“ (Nicht-Mapuche) in der Krise steht. Wie viel könnten wir nur von den Mapuche lernen, wenn wir dieses Wort wertschätzten!

 

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