Spitzenreiter beim Einsatz von Pestiziden

von Tomás Andréu

(Lima, 01. September 2011, noticias aliadas/poonal).- Die Umweltpolitik Costa Ricas steht im Widerspruch zum exzessiven Einsatz chemischer Produkte. Wenn es um die Umwelt geht, zeigt sich Costa Rica vor der internationalen Gemeinschaft grün geschminkt ‒ wie ein frischer Brokkoli. Der unvergleichlich hohe Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft zerstört dieses Bild jedoch und lässt es immer mehr zu einem Mythos verblassen.

Weltweit größter Verbraucher von Pestiziden

Nach Angaben des World Resources Institute WRI, einer Umwelt-Denkfabrik (engl. think thank) mit Sitz in Washington, ist Costa Rica mit 51,2 kg pro Hektar der weltweit größte Verbraucher von Pestiziden. In Lateinamerika folgen mit großem Abstand Kolumbien mit 16,7 Kilogramm pro Hektar und Ecuador mit 6 Kilogramm.

Der 16. Bericht zur Lage der Nation in Sachen nachhaltiger sozialer Entwicklung 2010 – ein jährlicher Bericht, der die Anstrengungen des Landes in sozialen, wirtschaftlichen, umweltrelevanten und politischen Themen der Entwicklung überprüft – legte offen, dass Costa Rica im Jahr 2009 mehr als 300 Tonnen der giftigen Chemikalie Brommethan in verschiedenen chemischen Verbindungen importierte. Brommethan, das in der Agrar-Chemie zur Schädlingsbekämpfung eingesetzt wird, gilt als Komponente, die auch zerstörend auf die Ozonschicht wirkt.

Importe von Pestiziden um 340 Prozent gestiegen

Um diese Substanz geht es auch im Protokoll von Montreal, einem Abkommen, das 1995 unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen (UNO) zum Schutz der Ozonschicht verabschiedet wurde. Es wurde von mehr als 40 Ländern unterzeichnet.

Anfang des Jahres 2011 gab das Regionalinstitut für Studien über giftige Substanzen IRET der Universidad Nacional de Costa Rica (Instituto Regional de Estudios en Sustancias Tóxicas) bekannt, dass die Pestizidimporte zwischen 1977 und 2006 um 340 Prozent angestiegen ist. Costa Rica importierte während dieser 30 Jahre insgesamt rund 18.800 Tonnen an Pflanzenschutzmitteln.

Viel Chemie auf Melonen, Ananas und Zuckerrohr

Am größten sei der Einsatz von Pestiziden beim Anbau von Melonen, so das IRET, nur wenig geringer sei er bei Tomaten, Kartoffeln, Ananas und Zuckerrohr.

„Diese Daten entblößen die Widersprüchlichkeit eines Landes, dass sich im Ausland so gibt, als sei es führend beim Naturschutz und nicht einmal in der Lage ist, internationale Abkommen zu erfüllen, die es in Sachen Umweltschutz bereits unterzeichnet hat“, so der Biologe und Kolumnist der Tageszeitung „Diario Extra“, Ignacio Arroyo.

Trinkwasser durch Agrargifte verseucht

Im Bericht zur Lage der Nation 2010 ist auch zu lesen, dass die Verschmutzung des Wassers seit 2001 nicht mehr auf Fäkalien zurückzuführen sei, sondern weil immer chemische Abfällen aus der Landwirtschaft das Wasser kontaminieren.

„Seit dem Jahr 2001 kommt es immer wieder zu Fällen chemischer Verunreinigung aufgrund des intensiven Einsatzes von Pestiziden bei beim landwirtschaftlichen Anbau in Monokulturen, wie etwa bei Ananaspflanzungen“, so der Bericht. „Dies ist das Ergebnis einer landwirtschaftlichen und städtischen Expansion, bei der die Schutzvorkehrungen für die Gewinnung von Trinkwasser weder in Betracht gezogen noch respektiert worden sind.“

450 Pflanzenschutzmittel warten auf Zulassung

Der Schaden am Grundwasserspiegel könnte in naher Zukunft noch größer werden. Bei der Dienststelle für Pflanzenschutz, die dem Ministerium für Landwirtschaft und Viehzucht unterstellt ist, warten etwa 450 chemische Substanzen der Agrar-Industrie auf grünes Licht, um auf den Plantagen Costa Ricas versickern zu können.

Zugleich wird auf politischer Ebene verstärkt über den Einsatz von Nachahmer-Produkten der Agrar-Chemie gegenüber so genannten „Markenprodukten“ debattiert. Umweltschützer*innen unterstrichen allerdings, dass dies in Bezug auf Gesundheitsschäden unter der Bevölkerung keinen Unterschied mache, all diese Substanzen würden die Gesundheit beeinträchtigen.

Anfälligkeit für Propaganda der Agrar-Industrie

Es stellt sich die Frage, was dazu geführt hat, dass Costa Rica zum Spitzenreiter beim Einsatz von Agrarchemikalien wurde? Warum nutzen Bauern, Bäuerinnen und Landarbeiter*innen diese Produkte so exzessiv?

Laut Fabián Pacheco vom Nationalen Zentrum für ökologische Landwirtschaft (Centro Nacional Especializado en Agricultura Orgánica), ist Costa Rica deshalb die Nummer Eins im Einsatz von Pestiziden, weil die Kaufkraft der Landarbeiter*innen, die Vernachlässigung der Landwirtschaft seitens der Regierung und die starke kulturelle Erosion dazu geführt haben, dass die giftigen Pflanzenschutzmittel zum Helden der landwirtschaftlichen Arbeit geworden sind.

Schwere Vergiftungen

Im Juni 2010 meldete die Tageszeitung „La Nación“, dass sich auf der Finka Caballo Blanco in der nordöstlichen Provinz von Guanacaste, mindestens 28 Frauen hätten. Dort wird Baumwolle produziert.

Vier Monate später gab dieselbe Zeitung bekannt, dass 65 Arbeiter*innen eines Produzenten transgener Baumwolle von einer schweren Vergiftung durch Pestizide betroffen seien. Das Unternehmen befindet sich auf dem Anwesen „Las Loras“ in San Agustin de Chomes (Provinz Puntarenas) an der Pazifikküste.

Die Sozialversicherungskasse Costa Ricas CCSS (Caja Costarricense de Seguro Social) legte offen, dass im vergangenen Jahr insgesamt 146 Personen augrund von „zufälligen Vergiftungen während der Arbeit mit Pestiziden“ behandelt worden seien. Zwölf dieser Personen starben, was ein offizieller Bericht belegt, zu dem Noticias Aliadas Zugang hatte.

Kaum tradierte Agrartechniken im kulturellen Erbe verankert

„Das kulturelle Erbe in Guatemala, Honduras und El Salvador mit seinen ursprünglichen Techniken [der Schädlingsbekämpfung] sorgt dafür, dass man dort nicht für die Propaganda der Unternehmen im Agrarsektor anfällig ist“, so Pacheco gegenüber Noticias Aliadas.

Pacheco ist Hochschullehrer, Umweltaktivist und Hauptorganisator der Kampagne „Stoppt den Einsatz von Pestiziden“ (Paren de fumigar), einem Kollektiv, das 2011 gegründet worden ist. Es besteht aus einer Gruppe von Jugendlicher, die sich gegen Bergbau und der Ölförderung aussprechen. Sie befürworten einen Markt ökologischer Produkte, wobei die Bürger*innen über die Gefahren des Einsatzes von Pestiziden und gentechnisch veränderter Lebensmittel informiert werden sollen.

„Costa Rica hat innerhalb von 34 Jahren den Import aktiver Bestandteile von Bioziden verdreifacht, ohne dass in dieser Zeit die landwirtschaftlich genutzte Fläche vergrößert worden wäre“, unterstreicht Arroyo. „Dahinter steht die Zerschlagung der traditionellen Landwirtschaft und die genetische Erosion der Nutzpflanzen zugunsten der Monopolstellung der Agrar- und Ernährungsindustrie.“

 

 

 

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Ananas aus Costa Rica | von Torge Löding

Der bittere Geschmack der Ananas | von Torge Löding

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