Sand im Getriebe? Fair Trade mit Bolivien boomt, doch Produzent*innen haben nicht viel davon

von Thomas Guthmann

(Berlin, 12. Juni 2009, npl).- Als Lidl vor gut drei Jahren fair gehandelten Kaffee in seine Filialen holte, hagelte es von Seiten der Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen wie Attac Kritik. Lidl wolle sich „fairwaschen“, hieß es damals. Der Discounter würde den Ruf der fair gehandelten Produkte nutzen, um sein Image als Lohndrücker in Deutschland loszuwerden. Dem Verein Transfair e.V., der den Deal mit Lidl einfädelte, wurde vorgeworfen, der eigenen Sache einen Bärendienst zu erweisen. Transfair wiederum sieht durch die zunehmende Präsenz ihrer Produkte das Ziel zum Greifen nahe, dass der faire Handel sein Nischendasein verlässt und endlich auf breiter Basis für fair gehandelte Produkte sorgt. Dass Fair Trade generell sein Versprechen nicht halten kann, wird dabei außer acht gelassen.

Acht Stunden dauert die Fahrt über holprige Pisten in einem rostigen Toyota-Minibus von La Paz bis nach Alto Sajama. Dabei liegt die Kaffeekooperative gerade mal 200 Kilometer von der bolivianischen Hauptstadt entfernt. Um hier herzukommen, muss die Handvoll Vertreter*innen deutscher Weltläden eine beschwerliche Reise auf sich nehmen, die über bucklige Staubpisten vom kargen Hochland in die tropischen Yungas führt. Trotz der beschwerlichen Anreise gibt es jetzt keine Pause. Im hellen Versammlungsraum der Kaffeekooperative warten bereits mehrere Dutzend Kooperativist*innen auf die Gäste aus dem fernen Europa. Erwartungsvolle Blicke empfangen die Besucher*innen, die sich auf der Bühne des Versammlungsraums und unerwartet in der Rolle von Referent*innen wiederfinden, um über die Geschichte des fairen Handels in Deutschland zu berichten.

Die Begegnung zwischen den Kooperativenmitgliedern und den fairen Händler*innen ist Teil einer Reise, die Adina Hammoud von der Gesellschaft für solidarische Entwicklungszusammenarbeit aus Berlin organisiert hat. Der Austausch steht im Vordergrund – und der ist für beide Seiten von Überraschungen geprägt. Denn obwohl der Kaffee der Berliner Bohne – einem regionalen Fairhandelsprodukt – aus Alto Sajama kommt, wissen beide Seiten fast nichts voneinander. Während die Deutschen wenigstens im Allgemeinen über die Bedingungen des Handels bescheid wissen, verfügen die Landwirt*innen der Kaffeeplantage über fast keine Informationen, was die Situation des fairen Handels auf der anderen Seite – in Deutschland – anbelangt. Seit gut 30 Jahren bestehen faire Handelsbeziehungen zwischen Bolivien und der Bundesrepublik Deutschland. Aus Bolivien werden neben Kunsthandwerk hauptsächlich Quinoa, Kaffee und Kakao nach Deutschland exportiert. Anders als in Deutschland, wo der faire Handel im gesamten Handelsvolumen einen fast nicht messbaren Anteil hat, macht der faire Handel für Bolivien ungefähr 10-15 Prozent der gesamten Handelsbeziehungen aus und ist damit durchaus ein Faktor in der Handelsbilanz.

So liefert die Kooperative in den Yungas für den deutschen Markt Bio-Kaffee, der von der größten europäischen Fair Trade Importorganisation Gepa nach Deutschland transportiert und Bestandteil des Berliner Fair Handelskaffee ist. Die Kaffeepflanzer*innen in Bolivien erhalten für einen Sack 182 US-Dollar von den Fair Trader*innen aus Deutschland. Das ist ungefähr ein Euro für das Pfund.

Während die Bauern in Alto Sajama nur einen Euro verdienen, wird das Pfund in den Berliner Weltläden für sieben Euro weiterverkauft. Sechs Euro werden für Weiterverarbeitung, Zwischenhandel Kaffee- und Mehrwertsteuer ausgegeben. Damit macht der Preis, der im fairen Handel bezahlt wird, inzwischen kaum mehr aus, als die Preise, die an der New Yorker Kaffeebörse gehandelt werden. Dazu kommt, so Nieve Aguilar, Präsidentin der Frauenvereinigung von Alto Sajama, das sich der Preis, den die Gepa für den Kaffee aus Alto Sajama bezahlt, seit Jahren nicht verändert hat: „Den Erlös, den wir im fairen Handel erzielen können, ist für uns mittlerweile zu niedrig. Da alles teurer geworden ist, können wir mit diesem Preis kaum noch profitabel wirtschaften.“

Für die Kaffeebäuerin ist der Austausch mit den deutschen Eine-Welt-Aktivist*innen eine gute Möglichkeit klar zu machen, dass unter diesen Bedingungen kein fairer Handel möglich ist. Anstatt über die Gepa den Handel nach Deutschland abzuwickeln, würde die Kooperative aus den Yungas viel lieber direkt die Weltläden in Deutschland beliefern. Als bei der Diskussion die Kooperativist*innen konkret nachfragen, reagiert die deutsche Weltladendelegation verhalten: „Wir sehen uns nicht in der Lage, als einzelner Laden direkt mit der Kooperative ins Geschäft zu kommen. Dafür verkaufen wir in unserem Laden selbst zu wenig Kaffee und besitzen zudem nicht die Handelsstrukturen“, gibt Judith Siller vom Weltladen A Janela aus Berlin-Wilmersdorf zu, die seit über 20 Jahren ehrenamtlich im fairen Handel tätig ist.

Dass Judith Siller für ihre Verkaufstätigkeit gar nicht bezahlt wird und damit noch billiger arbeitet, als die Verkäufer*innen beim Discounter Lidl, ist für Julio Prado ein weiteres Merkmal, das im Widerspruch zum hehren Anspruch der Fair Trader*innen steht: „Auf der einen Seite ist der Produzent, der aufgrund des niedrigen Abnahmepreises keinen nennenswerten Gewinn erzielt. Auf der anderen Seite der Kette befindet sich ein Netz freiwilliger Helfer*innen aus Deutschland, die ohne Lohn den Verkauf organisieren. Die größten Profiteure sind die Zwischenhandelsorganisationen. Während hier gute Gehälter, Versicherungen usw. bezahlt werden, haben die Freiwilligen und die Produzenten, die die eigentliche Arbeit machen, nichts davon.“

So kommt es zu der paradoxen Situation, dass nicht nur die bolivianischen Produzent*innen kaum mehr verdienen, als Kaffeebäuer*innen im konventionellen Handel, sondern die Verkäufer*innen in den Weltläden in Deutschland zudem größtenteils Ehrenamtliche sind. „Wenn es ein lohnender Markt sein soll, muss der Preis auch die Leute in Europa bezahlen, die dort die Produkte über die Ladentheke schieben“, meint Julio Prado.

Der Handelsexperte, der selbst jahrelang im fairen Handel für Kunsthandwerk aktiv war, glaubt mittlerweile, dass Bolivien eher durch konventionelle Handelsbeziehungen in eine bessere Zukunft geführt werden kann. Zwar hat es die Fair-Trade-Bewegung geschafft, für einige bolivianische Produkte wie Quinoa oder Kaffee die Märkte in Deutschland zu erschließen, allerdings war es nicht möglich, faire Handelsbedingungen durchzusetzen. Für Julio Prado kein Wunder, ist doch auch der faire Handel den globalen Handelsbedingungen unterworfen, die einem wirklich gerechten Handel im Wege stehen.

Durch die Stagnation der Preise entwickelt sich zudem ein weiteres Merkmal des fairen Handels zu einem Nachteil für die ProduzentInnen: „Die alternative Handelsbewegung besteht aus geschlossenen Kreisläufen. Die Produzent*innen haben meistens nicht die Möglichkeit, ihre Produkte sowohl auf dem konventionellen als auch auf dem Fair-Trade-Markt abzusetzen. In der Regel müssen sie sich festlegen. Das hat dazu geführt, dass die Produzenten im Fair Trade gefangen sind und hier zu den selben Preisen ihre Produkte verkaufen müssen, die mittlerweile auch auf dem normalen Weltmarkt gezahlt werden.“ Die aufwändigen Zertifizierungsprozesse sorgen dafür, dass die Produzent*innen von den Fair-Trade-Handelsorganisationen abhängig werden. Die Möglichkeit, die besten Absatzbedingungen von Saison zu Saison selbst zu bestimmen, besteht also nicht. Der überwiegende Teil der Vertriebsstrukturen und der Labeling-Organisationen sitzen in Europa und den USA – und damit werden die Bedingungen des (fairen) Handels ein weiteres Mal im Norden festgeschrieben.

Anstatt der romantischen Idee eines „fairen Preises“ nachzuhängen, plädiert der bolivianische Experte dafür, die alte Logik zu durchbrechen, dass auf der einen Seite der Erdhalbkugel die Produzent*innen sitzen und auf der anderen Seite die Händler*innen. Das ist auch heute, über vier Jahrzehnte nach den Anfängen der Fair-Trade-Bewegung, ein schwieriges Unterfangen. Die Produzent*innen würden niemals die „Herren des Marktes“ merkt Julio Prado an, wenn sie es nicht schafften, den Handel selbst zu organisieren.

Der Kakaoproduzent El Ceibo aus El Alto ist eines der wenigen Beispiele, dass gerade diesen Sprung schafft. Nach 30 Jahren als Rohstofflieferant ist das kooperative Unternehmen dabei, sich mit eigenen Schokoladensorten auf dem europäischen Markt zu etablieren. Dieses Jahr sollen erste Container gen Frankreich geschickt werden. El Ceibo ist damit eine der wenigen Kooperativen, die es schaffen könnten, sich vom fairen Handel zu emanzipieren. Zu dem Loslösungsprozess gehören für den Aufsichtsratsschef Francisco Reynaga eigene Vertriebsstrukturen: „Es ist für uns wichtig, in Europa eine eigene Vertretung aufzubauen, von der aus wir unsere Kunden in Zukunft beliefern können.“ So weit wie El Ceibo sind die Leute auf der Plantage in Alto Sajama noch nicht, aber beim Gespräch mit den Besucher*innen aus Deutschland wird immer wieder die Frage aufgeworfen, wie die Produzent*innen ihre Position im globalen Welthandel verbessern können.

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