Reform im mexikanischen Landbau: Das Land denen, die es perforieren

von Víctor Quintana

(Mexiko-Stadt, 15. August 2014, la jornada).- Es gibt zwei Reformprojekte für den mexikanischen Landbau: Eins, das den Mexikaner*innen von der Regierung Peña Nieto und von deren Verbündeten bereits aufgezwungen und verabschiedet wurde. Das andere Projekt beinhaltet die Vorstellungen der Bauernorganisationen. Die erste Reform ist in vollem Gange. Die zweite, entstanden nach der Bauerndemonstration am 23. Juli, kommt nicht voran.

„Wahnsinn-Phase des neoliberalen Totalitarismus”

Die Landwirtschafts- und Energiereform von Peña Nieto und der PRIAN, der faktischen Parteienallianz aus der regierenden Partei der Institutionellen Revoluation PRI (Partido Revolucionario Institucional) und der oppositionellen konservativen Partei der Nationalen Aktion PAN, (Partido Acción Nacional) fallen unter eine Rubrik, die der argentinisch-kanadische Journalist Alberto Rabilotta als „Wahnsinn-Phase des neoliberalen Totalitarismus” bezeichnet.

Er bezieht sich dabei auf eine Vielzahl von Maßnahmen der großen transnationalen Wirtschaftskräfte, der US-Regierung Regierung und der NATO, mit denen eine unipolare Welt bewahrt und das Entstehen neuer Wirtschafts-, Energie- und Nahrungsmittelzentren, wie die von den BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) angeführte Gruppe, klein gehalten werden sollen.

Extraktivismus vor Land- und Forstwirtschaft

Wir wissen bereits, was das Paket von 21 Reformen beinhaltet, das der Präsident verkündet hat. Der PAN-Vorsitzende Gustavo Madero hat das Reformpaket als „seinen kulturellen Sieg“ deklariert: Die Legalisierung des Extraktivismus – Förderung von Öl, Naturgas, Schiefergas, Thermalwasser, einfachem Grundwasser, Mineralen – als der vorrangigen Wirtschaftsaktivität auf dem Land, prioritär vor der landwirtschaftlichen, viehwirtschaftlichen und forstwirtschaftlichen Nutzung des Bodens. Die Plünderung der Territorien von Gemeinden, Ejidos oder Privatbesitzer*innen mithilfe der rechtlichen Figur der „vorübergehenden Inbesitznahme“ oder der „Energie-Dienstbarkeit“. Die Genehmigung der Fracking-Methode zur Schiefergasförderung – mit nachfolgenden Umweltschäden und der Erschöpfung der Grundwasservorkommen.

Doch die extraktivistisch-aushändigende Raserei von Peña Nieto, sowie die seiner Platzhirsche und Verbündeten, endet damit noch nicht. Die Koalition Agua para Tod@s (Wasser für Alle) verfügt über die Information, dass der Regierungschef in der nächsten ordentlichen Sitzungsperiode des mexikanischen Kongresses ein „grünes Paket“ mit einer Reihe weiterer Reformen einbringen wird. Diese Reformen sollen die Schraube der Energiereform mit einer letzten Drehung dann vollständig anziehen. Geplant sei eine Reform des Allgemeinen Wassergesetzes, welche eine völlige Deregulierung vorsieht, um dadurch der Wassernutzung für den Energiesektor Priorität zu geben: Mega-Stauwerke, Erdwärme, Kühlung von Atomkraftwerken, Fracking, usw.

Brutalste Reform des mexikanischen Landbaus

Dazu kommen Reformen anderer Gesetze wie denen über das Umweltgleichgewicht, die Flora und Fauna, die Forstwirtschaft, die Biosicherheit. Diese sind darauf ausgerichtet, den Bau von Gasleitungen durch Naturschutzgebiete zu erlauben, die Kompetenzen der landwesweiten Umweltschutzbehörde Profepa (Procuraduria Federal de Proteccion al Ambiente) zu reduzieren, die Ausbeutung von Energiestoffen in Urwäldern, Feuchtgebieten und Wäldern zu erleichtern sowie das Ausbringen von Gensaaten für die Produktion von Biotreibstoffen zu genehmigen.

Es wird sich um die bisher brutalste Reform handeln, die den mexikanischen Landbau betrifft. Die landwirtschaftliche Gegenreform (1992) unter Präsident Salinas, die nur den Landbesitz als solchen berührte, ist Nichts dagegen. Jetzt geht es um den Boden, um das, was sich unter oder über ihm befindet, um das, was durch ihn geleitet wird.

Ausgehend von dieser mit aller Kraft voranschreitenden Reform wird das Land denen gehören, die es perforieren. Das Wasser denen, die es fördern – vor allem im Dienste der Energie. Und diejenigen, die perforieren oder fördern, sind große und überwiegend ausländische Privatkonzerne. Sie sind die bedeutenden Nutznießer der bereits verabschiedeten und der noch zu verabschiedenden Reformen. Die VerliererInnen: die Menschen der Landgemeinden, die Gemeinschaft der Lebewesen, kurzum: all das, was die Nation ausmacht.

Reformvorschläge der Bauern ausgebremst

Die andere Reform wird von der Bewegung für die Nahrungsmittelsouveränität, die Verteidigung von Land und Wasser, die Naturvorkommen und das Territorium vorgeschlagen. Sie ist in einem Dokument mit folgendem Titel niedergeschrieben: „Dekret, das ein landesweites System für die kleine und mittelständische Landwirtschaft, die Reform des mexikanischen Landbaus und die neue landwirtschaftliche Nahrungs- und Ernährungspolitik schafft.“ Dieses Dekret müsste die Grundlage für Verhandlungsrunden sein, die zwar seit dem 23. Juli zwischen Bundesregierung und Bauernorganisationen vereinbart, jedoch bis heute nicht stattgefunden haben. Doch die Regierung hat den Vorschlag der Landwirt*innen bisher nicht einmal analysiert, geschweige denn darauf geantwortet.

Das ist nicht verwunderlich, denn die Reform, an der die Regierung und ihre Verbündeten interessiert sind, ist auf den Weg gebracht. Sie werden die Verhandlungsrunden mit den Bauernorganisationen bis zum Sankt Nimmerleinstag verzögern. Am Ende wird es einige Zugeständnisse bei den Ausgaben im Staatshaushalt für 2015 geben.

Lediglich kleine Zugeständnisse zu erwarten

Möglicherweise werden sie sogar opportunistisch einige Vorschläge der Organisationen ausnutzen, um ein paar Änderungen durchzuführen und das Klientelwesen auf dem Land zu reaktivieren. Sie könnten den staatlichen Lebensmittelversorger für untere Einkommensschichten Diconsa zu einem Mega-Unternehmen ausbauen, das die Märkte ordnet. An der Spitze von Diconsa steht jetzt Eduardo Velasco. Er verfügt über reichhaltige Erfahrung, was die Manipulation der Basis des PRI-nahen Nationalen Bauernverbandes CNC (Confederación Nacional Campesina) im Bundesstaat Mexiko angeht.

Oder sie könnten irgendeine neue Institution für Kredite und Landwirtschaftsversicherungen aufmachen, die dann als gut gefüllte Schwarzkasse für den Stimmenkauf dient. So war das früher Praxis bei der Landwirtschaftsbank Banrural… Aber letztendlich, wie es einer meiner Freunde sagt, nur Makulatur und „nichts, was bis ins Mark geht“. Nichts, womit man auf die Vorschläge der Bauern und Bäuerinnen eingehen oder die Umsetzung der neoliberal-extraktivistischen Reform auf den Böden der Restbestände des mexikanischen Landbaus abwenden oder hemmen würde.

Widerstand gegen Plünderung und Aneignung

In diesem Kontext ist es gefährlich, sich den Zeiten und Formen zu unterwerfen, welche die Regierung den Organisationen vorgeben will. Parallel müssen mindestens zwei große strategische Linien verfolgt werden: Die eine besteht darin, die Widerstände nicht nur gegen die Reformen, sondern gegen das räuberische und ihnen inhärente, ent-zivilisierende Modell zu diversifizieren. Widerstand gegen die Plünderung der Territorien, die Aneignung von Grundwasservorkommen, das Fracking, den neuen Großgrundbesitz der Energie- und Bergbauunternehmen, die Verwendung gentechnisch modifizierter Pflanzen, die Kontaminierung der Naturschutzgebiete, die Mega-Stauwerke. Das heißt, unterstützen, vernetzen, multiplizieren, kommunizieren, ohne die Vielfalt der Akteur*innen dieser Widerstände politisch zu zentralisieren oder zu kontrollieren. Gleichzeitig muss versucht werden, diese Widerstände schlagkräftiger zu machen.

Die andere Linie ist die der Information und Meinungsäußerung: im kollektiven Bewusstsein muss deutlich werden, dass die aufgezwungene Reform nicht nur den Bauern und Bäuerinnen, den Indígenas und ländlichen Produzenten schadet sondern der gesamten Bevölkerung: Als Nahrungskonsument*innen, als Nutznießer*innen von Umweltdiensten auf dem Land, als Wasser- und Sauerstoffverbraucher*innen, als Bewunderer der Landschaften. Es handelt sich nicht um eine Reform für den Landbau, sondern gegen den Landbau. Gegen die Nahrungsmittelproduktion, gegen die Nation, gegen den Planeten. Das muss in die Köpfe der Menschen.

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