Raúl Castro Antipán: Das immense Strafregister eines geschützten Zeugen

von Pedro Cayuqueo, Temuco

(Temuko, 13. Februar 2014, azkintuwe).- Der in neun Fällen, fünf von ihnen auf Grundlage des Antiterrorgesetzes, verurteilte Raúl Castro Antipán, hat noch keinen einzigen Tag im Gefängnis verbracht. Es folgt eine kurze Geschichte dieses umstrittenen Zeugen, der von der Staatsanwaltschaft geschützt wird.

 

Raúl Castro Antipán outet sich im Prozess „Peaje Quino“ als Informant

Am 11. Februar offenbarte Raúl Castro Antipán, der über ein stattliches Strafregister verfügt, inmitten des Prozesses „Peaje Quino“ vor dem Gericht in Angol, dass er im Auftrag von Carabineros die Mapuche-Gemeinschaften infiltriert hatte. Und er erkannte an, dass Dipolcar und die Staatsanwaltschaft für die Kosten seiner Wohnung aufkommen würden. Von 2009 bis 2011 waren etwa 30 Mapuche auf Grundlage der Aussagen von Castro Antipán verurteilt worden.

Obwohl die Staatsanwaltschaft der Region der Araucanía bis zuletzt noch leugnete, dass Castro Antipán ein „Informant“ der Behörde gewesen sei – wie es Radio Bío Bío und Anwält*innen der angeklagten Mapuche-Aktivist*innen geäußert hatten –, traf der junge Mann während seiner Aussage vor Gericht an mindestens zwei Stellen Aussagen zu seinen Treffen mit der regionalen Staatsanwaltschaft: „Ich war Informant, das begann im Februar 2009 […] Am Anfang stand ein Gespräch, das sie (Dipolcar) mit mir führten und bei dem sie mir anboten, als Informant zu arbeiten und die Coordinadora (Arauco Malleco) zu infiltrieren, um sie zu zerschlagen. Im Gegenzug würden sie mir bei einem Fall entgegenkommen, bei dem ich im Regiment von Coyahaique wegen des Diebstahls von Kriegsmaterial verhaftet worden war“, sagte er. „Sie begannen mich in geheimdienstlichen Techniken zur Infiltrierung der Organisation zu schulen“, fügte er hinzu. In seiner Zeugenaussage benannte der junge Mann die Staatsanwälte Miguel Angel Velazquez und Sergio Moya als seine Kontaktpersonen, mit denen es auch häufige Zusammenkünfte gegeben haben.

Während Militärdienst angeworben

Einer der Anwälte der angeklagten Mapuche, Nelson Miranda, bestätigte gegenüber Radio Cooperativa, dass der geschützte Zeuge mit den Geheimdiensten zusammenarbeitete. Castro ist kein Unbekannter für die Mapuche-Gemeinschaften, da er bereits als bezahlter Zeuge in einem anderen Prozess gegen Mapuche ausgesagt habe, wo er ebenfalls freigesprochen worden war. „Als infiltrierter Informant war für die geheimdienstlichen Erkenntnisse von Carabineros verantwortlich. Sie müssen dabei verstehen, dass der sogenannte Tur-Bus-Fall vom Juni 2009 sehr viele Details zu seiner Zusammenarbeit mit den Geheimdiensten ans Licht brachte, die ihm tatsächlich bis heute eine Wohnung bezahlen“, führte Miranda aus.

Der Anwalt fügte hinzu, dass die Zusammenarbeit von Castro Antipán mit Carabineros „begann, weil er während seines Militärdienstes in Coyhaique Probleme gehabt hatte. Sie beschuldigten ihn des Diebstahls von Kriegsmaterial und die Polizei bot an, dieses Problem zu lösen, wenn er mit ihnen zusammenarbeitete“.

Miranda und sein Kollege Sebastián Saavedra vom Südlichen Zentrum für Untersuchung und Verteidigung (Centro de Investigación y Defensa Sur) gehen im jetzigen Fall von einem Freispruch zu seinen Gunsten aus. Sie werden die Möglichkeit einer Klage gegen den Staat prüfen, da sie davon ausgehen, dass die verfassungsmäßigen Rechte ihrer Mandanten verletzt wurden, als jene noch als Minderjährige nach dem Antiterrorgesetz verurteilt wurden.

Unterdessen bestätigte der Anwalt Lorenzo Morales gegenüber Radio Cooperativa ebenfalls, dass Castro Antipán in der Region Araucanía wegen seiner bezahlten Aussagen sehr bekannt sei: „Die Gemeinschaften und die Anwält*innen, wir wussten davon seit 2009. In verschiedenen Medien war darauf hingewiesen worden und wir hatten versucht, dass Familienangehörige vor dem Menschenrechtsausschuss der Kammer gehört werden, was allerdings nie passierte“, erinnerte er sich. „Der Name Raúl Castro Antipán ist seit langem bekannt. Wenn Sie bei Google nachschauen, werden Sie feststellen, dass es ausschließlich Äußerungen von Anwält*innen und Gemeinschaften gibt die sich von ihm unter Druck gesetzt fühlen. Das war ein äußerst wichtiger Fall, einzigartig und wir haben diese bezahlten Aussagen immer sehr negativ gesehen“, betonte er.

Umfassendes Strafregister

Diebstahl von Kriegsmaterial, Besitz von Marihuana, illegales Tragen von Waffen und Störungen der öffentlichen Ordnung – das waren Bestandteile des Strafregisters von Castro Antipán, als er als Informant für Carabineros angeworben wurde. Später sollte er zum Hauptzeugen der Staatsanwaltschaft in den Prozessen gegen Mapuche werden, im Februar 2009. Seit damals – und das bestätigte er vor dem Oraltribunal – beteiligte er sich an einer Reihe von Anschlägen in der Region des Südens, mit dem Ziel später vor Gericht Anführer*innen und Aktivist*innen aus der Mapuche-Gemeinschaft beschuldigen zu können. Bei all diesen Aktionen, deren bekennender Urheber er war, wurde er in abgekürzten Verfahren, die mit der Staatsanwaltschaft abgesprochen waren, nur zu geringen Strafen verurteilt.

Im Jahr 2010 verurteilte ihn das Garantiegericht von Victoria wegen zahlreicher Delikte: als Urheber einer terroristischen Bedrohung (zu 61 Tagen), als Urheber eines vereitelten terroristischen Mordanschlags (zu 541 Tagen) und als Urheber eines Brandanschlags mit beweglichen Gegenständen (zu 3 Jahren und 1 Tag). Aufgrund seiner Kooperation mit der Staatsanwaltschaft wurden ihm die Strafen zur Bewährung ausgesetzt. Im Jahr 2012 wurde er im sogenannten Tur-Bus-Fall drei Mal zu 61 Tagen Haft als Urheber von vollendeten Delikten, die eine Zuwiderhandlung gegen den Artikel 2 Nr. 2 des Gesetzes 18.314 (Anschlag gegen eines Passagierbus mit terroristischem Charakter) darstellen sowie als Urheber von Drohungen (gemäß Artikel 7 Absatz 2 des Antiterrorgesetzes) sowie drei weiterer Straftaten mit geringen Schäden, verurteilt.

Mehr als 5 Jahre Haft „in Bewährung umgewandelt“

Trotz all dieser Verurteilungen wurden in seine Haftstrafen in Absprache mit dem Innenministerium in Bewährungsstrafen umgewandelt. Laut Jaime Madariaga, Anwalt der 2013 im Fall „Peaje Quino“ angeklagten und später freigesprochenen Mapuche, stellt dies eine grobe Unregelmäßigkeit dar, da Raúl Castro Antipán nicht die laut Gesetz 18.216 nötigen Anforderungen erfüllte, um in den Genuss einer Alternativregelung zur Vollstreckung von Urteilen zu kommen.

„Dieser Herr wurde verschiedener Verbrechen für schuldig befunden und zu Haftstrafen verurteilt, die sich insgesamt auf 5 Jahre und 55 Tage belaufen. Er ist der einzige Bürger Chiles, der trotz Strafen, die 5 Jahre und 1 Tag übersteigen, niemals auch nur einen Tag im Gefängnis verbracht“, hob Madariaga gegenüber der Nachrichtenagentur Azkintuwe hervor. „Castro müsste gleich morgen ins Gefängnis gebracht werden, um seine Strafe abzusitzen“, unterstrich der Anwalt.

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