„Stand by me, Daniel“

von Markus Plate

(San José, 03. November 2011, voces nuestras).- Präsident Ortega ist die Wiederwahl wohl kaum zu nehmen. Wenn es bei den Präsidentschaftswahlen am 6. November keine sensationelle Überraschung gibt, wird Daniel Ortega auch die nächsten fünf Jahre an der Spitze Nicaraguas stehen. Nach dem laut Analyst*innen inhaltsleersten und konservativsten Wahlkampf seit 1990 sehen ihn Meinungsumfragen deutlich vor seinen rechtsliberalen Konkurrenten. Ortegas sandinistische FSLN steht vor einem weiteren Schritt, ihre Macht in Nicaragua zu zementieren.


Kein demokratisches Aushängeschild

Es ist vielleicht die längste Wahlkampagne in der nicaraguanischen Geschichte. Daniel Ortega, der laut Verfassung nach zwei Amtszeiten und als amtierender Präsident eigentlich gar nicht mehr antreten dürfte, erstritt sich seine neuerliche Kandidatur bereits im Oktober 2009 vor dem von Sandinisten dominierten Verfassungsgericht. Seither schäumt die Konkurrenz. Ex-Präsident Arnoldo Alemán scheut sich nicht, Ortega im Wahlkampf mit Gaddafi zu vergleichen.

Wobei Alemán nun wirklich kein demokratisches Aushängeschild ist: 2003 wegen Veruntreuung in zweistelliger Millionenhöhe unter Hausarrest gestellt, war es ein Pakt zwischen Alemán und Ortega, der Alemán das politisches Überleben sicherte und Ortega die Wahl zum Präsidenten im Jahr 2006 überhaupt erst ermöglichte. Alemán spielt zwar in seiner Partei, der rechtsliberalen Liberal-Konstitutionellen Partei PLC (Partido Liberal Constitucionalista), eine dominierende Rolle, ist aber in weiten Teilen der Bevölkerung derart schlecht gelitten, dass seine Kandidatur Ortegas Chancen auf eine Wiederwahl eher in die Hände spielt, als sie zu gefährden.

Weit besser positioniert als Alemán ist der hochbetagte rechts-konservative Medienunternehmer Fabio Gadea, der im Gespann mit dem sandinistischen Dissidenten Edmundo Jarquín als Vize für eine Allianz aus der Unabhängigen Liberalen Partei PLI (Partido Liberal Independiente) und der Partei der Bürgeraktion PAC (Pueblos en Acción Comunitaria) ins Rennen um die Präsidentschaft zieht.

Doch nicht nur der Anwalt und Soziologe Omar Treminio stellt sich die Frage, ob ein 80-Jähriger in einem Land, in dem das Durchschnittsalter gerade einmal 20 Jahre beträgt und fast die Hälfte der Bevölkerung wegen Minderjährigkeit nicht wählen darf, geeignet ist, Nicaragua in eine Zukunft ohne Ortega zu führen. Und ob er eine mögliche Amtszeit überhaupt durchstehen würde. Arnoldo Alemán schießt sich jedenfalls schon auf dessen potenziellen Erben ein, auf den Vizepräsidentschaftskandidaten Edmundo Jarquín: Der sei ein Abtreibungsbefürworter, Botschaft: Unwählbar!

Keine Konkurrenz von Links

Links der allenfalls nur noch rhetorisch linken Nationalen Sandinistischen Befreiungsfront FSLN (Frente Sandinista de Liberación Nacional) gibt es bei diesen Wahlen keine Alternative. Die Bewegung zur Erneuerung des Sandinismus MRS (Movimiento Renovador Sandinista), die 2006 immerhin auf knapp 10 Prozent der Stimmen kam, stellte dieses Jahr keinen eigenen Präsidentschaftskandidaten auf. Von Links hat Ortega also nichts zu befürchten. Und ob die sandinistischen Dissident*innen für Gadea stimmen, der in den Achtziger Jahren immerhin auf Seiten der Contras stand, nur weil dessen Vize aus den Reihen der MRS stammt, ist mehr als fraglich.

Aus den Scharmützeln, die sich die verfeindeten liberalen Parteien liefern, halten sich Ortega und seine Primera Dama, Rosario Murillo vornehm heraus und veranstalten stattdessen medial einen Kuschelwahlkampf. Murillo, Mastermind der Regierung, verdonnerte die eigene Basis dazu, jede Art von Konfrontation und Gewalt im Wahlkampf zu unterlassen, um “diese Stimmung der Ruhe, der Festlichkeit und der Fröhlichkeit”, die Nicaragua genieße, zu bewahren. Die Regierung blicke auf phantastische Erfolge zurück, auf die Sozialprogramme gegen Hunger, Wuchermieten, Wohnungsknappheit und teure Bustickets. Und so trällert glückstriefend und seicht der Wahlkampfhit der Sandinist*innen “Nicaragua wird triumphieren” – zur Melodie des Ben E. King-Klassikers “Stand by me”. Ein Triumph in “Frieden, Liebe und Würde” – schön!

Dass diese Wohltaten zu einem großen Teil von venezolanischer Unterstützung abhängen – 500 Millionen US-Dollar jährlich oder rund 7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes sollen diese Zuwendungen ausmachen – muss ja niemanden stören. Zumal die politischen Gegner*innen als Alternativen allenfalls Luftschlösser anzubieten haben. Arnoldo Alemán will seine Versprechungen mittels eines Wirtschaftswachstums von acht Prozent finanzieren. Bei einem prognostizierten Wachstum von gerade einmal drei Prozent für 2012, klingen solche Annahmen geradezu abstrus, vor allem, wenn ein möglicher Präsident Alemán nach einer Abwahl Ortegas ohne die massiven venezolanischen Unterstützungsleistungen auskommen müsste.

Rechtsliberale Konkurrenz ohne Alternativen

Fabio Gadea wirkt wirtschaftspolitisch da kaum seriöser. Mehrwertsteuer runter, Steuerfreibetrag rauf, eine Mini-Mindestrente für alle über 70-Jährigen, Hilfen für Kriegsversehrte. Allesamt Ausgaben. Wo die Einnahmen herkommen sollen, bleibt nebulös. Selbst in Sachen Wirtschaftsfreundlichkeit können die verfeindeten Liberalen nicht gegen Ortega punkten. Der preisgekrönte Journalist Carlos F. Chamorro, Sohn des 1978 vom Somoza-Regime ermordeten Journalisten Pedro Joaquín Chamorro und Ex-Präsidentin Violeta Chamorro, charakterisiert Ortegas Politik als “neoliberal gegenüber Investoren, autoritär im Politischen und populistisch im Sozialen”, das klingt bei aller Kritik immerhin nach einer Strategie mit Hand und Fuß, gegen die die Herausforderer fast unfähig wirken: Während weder PLI noch PLC wirtschaftspolitisch überzeugten, zeichneten sich beide Parteien durch eine weitgehende Ignoranz gegenüber den sozialen Belangen der großen armen Mehrheit des Landes aus, analysiert Chamorro.

Wenn schon in der Wirtschafts- und Sozialpolitik keine glaubhaften Alternativen zu den Sandinist*innen entwickelt werden, dann würde es sich doch anbieten, Ortega auf anderen Feldern zu attackieren, vor allem dort, wo er in Nicaragua und international bisweilen heftigst kritisiert wird: Doch die von Ortega und Murillo durchgepeitschte absolute Verschärfung des Abtreibungsrechts wird sowohl von Alemán, als auch von Gadea unterstützt. Der vom sozialistisch-christlich-solidarischen Präsidenten heraufbeschworene Grenzkonflikt mit Costa Rica wird von seinen rechten Herausforderern allenfalls halbherzig kritisiert ‒ mit Angeboten für junge Menschen, für Frauen und für die Landbevölkerung, die jeweils die Mehrheit in Nicaragua stellen, kann die Konkurrenz ebenfalls nicht aufwarten. Alt, männlich und städtisch, reich, frauenfeindlich und homophob kommen deren Kandidaten daher.

Hilfe vom Himmel

Bei diesem Programmangebot “zwischen wenig und gar nichts” verwundert es nicht, dass Ortega in Meinungsumfragen mit 45 Prozent deutlich vor Fabio Gadea liegt, der auf 30 Prozent der Stimmen hoffen darf. Arnoldo Alemán liegt weit abgeschlagen bei 10 Prozent. Und dann kam ihm in den letzten Wochen auch noch der Himmel zu Hilfe, in Form von tagelangen Wolkenbrüchen, die Überflutungen und massive Schäden verursachten. Ortega gibt sich seither als unermüdlicher Katastrophenhelfer und Vater der Nation. Alles, was der konservativen Opposition noch Munition liefern könne, etwa Gesetzesvorhaben wie der Schutz von Frauen vor häuslicher Gewalt, sei bereits seit Monaten von der parlamentarischen Agenda gestrichen und das bleibe so bis nach der Wahl, sagt Omar Treminio, Anwalt und Vorsitzender des Nicaraguanischen Netzwerkes für Demokratie und lokale Entwicklung.

Bei solch exzellenten Voraussetzungen für eine Wiederwahl mag man sich fragen, warum das Gespann Ortega-Murillo, warum es die FSLN nötig hat, die Opposition auch noch mit unsauberen Methoden in Schach zu halten.

Mag der Schulterschluss mit dem ehemaligen Erzfeind der Sandinist*innen, der katholischen Kirche, vor den Wahlen von 2006 noch eine machttaktische Notwendigkeit gewesen sein, mag Ortegas wenig demokratisches Vorgehen gegen das Verfassungsverbot einer Wiederwahl noch unabdingbar für das Abwenden des Karriereendes gewesen sein: Die Besetzung von Schlüsselpositionen in allen regierungsunabhängigen Instanzen des Staates durch Getreue, einschließlich der Wahlbehörden und der Justiz, die Unregelmäßigkeiten bei den Kommunalwahlen 2008 oder die anhängigen und selbst eine Woche vor der Wahl vom ebenfalls Ortega-treuen Obersten Gerichtshof immer noch nicht entschiedenen Anträge gegen die Aufstellung von fünfzig Parlamentskandidat*innen der PLI von Fabio Gadea, sehen Kritiker*innen von links und rechts als Beweis für Ortegas Bestreben, die Macht in Nicaragua mit allen Mitteln zu festigen und nach Möglichkeit absolut zu gestalten. Ob mit demokratischen oder weniger demokratischen Mitteln: Er ist auf dem besten Weg dahin.


Weiterhören:


Kriminalisiert – das Recht auf den eigenen Körper? (Teil 2) 

Markus Plate | November 2010

 

Weiterlesen:

Wolf im Schafspelz – Kriminalisierung sozialer Organisationen in Nicaragua

Luna Paz | Oktober 2008

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