„Die Oligarchie plündert das Land aus“

von Markus Plate

(Berlin, 08. Januar 2009, npl).- Der Gewerkschafter Saúl Méndez ist Vorstandsmitglied der Koordination sozialer Bewegungen Frenadeso und Sekretär der Bauarbeitergewerkschaft Suntracs. Beide Organisationen zählen auf Grund ihrer Mobilisierungskraft zu den Stützpfeilern der sozialen Bewegung in Panama. Das zentralamerikanische Land ist vielen v.a. wegen seines Kanals und des Einmarsches von US-Truppen ein Begriff, die im Dezember 1989 General Noriega stürzten. Wenige wissen, dass Panama, eine Präsidialrepublik, zu den fünf Ländern auf der Welt gehört, in denen die Schere zwischen Arm und Reich am weitesten auseinander klafft. Proteste und gewerkschaftliches Engagement werden zunehmend brutal unterdrückt, in den letzten 15 Monaten sind drei von Méndez Genossen von der Polizei ermordet worden. Mit Saúl Méndez sprach Markus Plate.

Markus Plate: Panama lebt von seinem Kanal, der die Karibische See mit dem Pazifischen Ozean verbindet, zahlreiche Schiffe, die ihn kreuzen, fahren unter panamaischer Flagge, in Panama-Stadt wachsen die Hochhausfassaden in den Himmel. Den Panameños müsste es doch ganz gut gehen?

Saúl Méndez: Es hat mich überrascht, dass man hier in Europa, etwa im Vergleich zu Kolumbien, wenig über Panama liest. Wir leben in einem Land mit zwei Gesellschaften. Einigen wenigen geht es phänomenal gut. Wer in Panama-Stadt auf dem Flughafen landet, sieht überall moderne Anlagen und die modernen Bürotürme der Stadt. Die Reichen in Panama leben besser als die Reichen Europas. Aber rund 70 Prozent der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze und Panamas Indígenas, rund zehn Prozent der Menschen, leben fast alle in extremer Armut. Die Realität des Landes ist: man sieht im 21. Jahrhundert Kinder, die barfuss in die Schule gehen. Diese Schulen sind meist nicht mehr als ein Schuppen und öffentliche Krankenhäuser sind Räume ohne Apparate und Medikamente.

Markus Plate: Was sind die Gründe für diese klaffende Schere zwischen Arm und Reich?

Saúl Méndez: Ganz einfach: Panamas Oligarchie plündert das Land aus. Inseln, Strände und Wälder werden verscherbelt, indigene und Bauerngemeinden werden vertrieben. Internationale Bergbaukonzerne graben das Land um und vergiften die Umwelt. Milliarden sollen in den Ausbau des Panama-Kanals gesteckt werden, ohne dass klar ist, ob sich das jemals auszahlt. Panama ist ein Transitland für den Menschen-, Drogen- und Waffenhandel. Und natürlich wird in Panama Geld gewaschen. Die Oligarchie verdient überall kräftig mit. Im Bausektor sind in den letzten zehn Jahren mehr als 200 Arbeiter durch Unfälle zu Tode gekommen, weil die Unternehmer*innen einfachste Sicherheitsstandards nicht anwenden, um ihre Profite zu erhöhen. Jetzt will die Regierung auch noch die Wasserversorgung privatisieren. Auch davon wird nur die Oligarchie profitieren.

Markus Plate: Was sind die Forderungen und Ziele ihrer Organisationen Suntracs und Frenadeso? Saúl Méndez: Das dringlichste Problem sind die hohen Lebenshaltungskosten. Wir fordern daher eine Anhebung des Mindestlohns ebenso wie eine Senkung der Preise, vor allem für Grundnahrungsmittel. Am 4. September wurden mit einem Generalstreik die wichtigsten Wirtschaftszweige des Landes lahmgelegt. An diesem Streik haben sich fast alle Sektoren der Gesellschaft beteiligt, auch Lehrer*innen und medizinisches Personal, also Leute aus der traditionellen Mittelschicht. Ihnen ist klar geworden, dass die Ausbeutungspolitik der Regierung auch sie in die Armut treibt. Uns geht es aber darum, mit den herrschenden Machtverhältnissen zu brechen und diesen Staat neu zu gründen. Das ist nur über das Aufklären, Informieren und Organisieren der Bevölkerung zu erreichen – in diese Richtung gehen unsere Anstrengungen. Unser Ziel ist die Einrichtung einer Verfassunggebenden Versammlung – einer Versammlung, die das Volk selbst einberuft! In dieser sollen ein neuer Sozialpakt, eine neue Verfassung und neue Spielregeln ausgearbeitet werden, nach denen gewählt wird. Das Ziel soll es sein, freie und faire Wahlen auszurufen, statt weiterhin diese Karikatur einer Demokratie zu haben. Sie ist eine Diktatur von Hundert Familien, die die Eigentümer*innen der wichtigsten Parteien, Medien und Unternehmen im Land stellen.

Markus Plate: Das wird diese Hundert Familien nicht freuen. Wie reagiert der Staat auf ihre Forderungen? Saúl Méndez: Im letzten Jahr haben wir durch den Staat und die derzeitige Regierung brutalste Repression erlebt. Drei Gewerkschaftsführer von Suntracs und Frenadeso sind ermordet worden, Ali Romeo Smith am 12. Februar dieses Jahres, Luis Arruello und Oswaldo Lorenzo im August 2007. Im selben Zeitraum sind mehr als 1.500 Menschen verhaftet worden. Die Staatsanwaltschaft wird, genauso wie die Justiz, mit dem Ziel instrumentalisiert, die Gewerkschaften und die sozialen Bewegungen zu verfolgen und zu kriminalisieren. Die Medien werden dazu benutzt, die sozialen Bewegungen zu satanisieren und disqualifizieren.

Markus Plate: Die Bevölkerung zu informieren, spielt bei Suntracs und Frenadeso eine zentrale Rolle. Welche Strategien verfolgen sie v.a. im Angesicht der großen Medien, die – wie sie sagen – allein dem Zweck dienen, den Status Quo zu erhalten?

Saúl Méndez: Die Erfahrungen der letzen Jahre zeigen, dass wir uns gegenüber dieser Medienmacht eigene, alternative Medien aneignen müssen. Wir müssen z.B. Dokumentarfilme produzieren, in denen es um die Unterdrückung der sozialen Bewegungen und die Ermordung von Aktivist*innen geht. Es eröffnen sich unserer Ansicht nach aber noch viel größere Möglichkeiten durch die Verbreitung von Programmen über das Internet und vor allem über die Comunity Radios. Bislang waren unser Kommunikationsformen Flyer, Plakate und Demonstrationen. Mit alternativen Medien wird es uns gelingen, nicht nur die eigene Bevölkerung, sondern auch international viel besser darüber zu informieren, was in Panama passiert.

Das Interview erschien zuerst in ak – analyse & kritik Nr. 534, Dezember 2008.

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