Putschversuche und eskalierende Gewalt der Opposition

von Eva Völpel

(Berlin, 15. September 2008, npl).- In Bolivien ist die rechte Opposition in den wohlhabenden Tieflanddepartements Santa Cruz, Beni, Pando und Tarija großflächig zur Anwendung offener Gewalt übergegangen. Schon am 4. September hatte Boliviens Präsident Evo Morales von der Partei MAS gewarnt, die oppositionell regierten Departements betrieben einen „zivilen Putsch“.

Ab dem dritten September hatten in Cobija (Departement Pando) Mitglieder des rechten Bürgerkomitees damit begonnen, öffentliche Einrichtungen zu überfallen und zu besetzen, darunter die Nationale Agrarreform- sowie die Migrationsbehörde, die Büros der Straßenverwaltung und die präsidentielle Vertretung. Auch die Büros der staatlichen Zollbehörde und der Steuerverwaltung sowie der Flughafen von Cobija brachten sie in ihre Gewalt. Ähnliche Szenen wiederholten sich in den anderen drei Departements. In Santa Cruz nahmen rechte Schlägertrupps und Anhänger*innen der Jugendunion Santa Cruz (Unión Juvenil Cruceñista) am 9. September den staatlichen Fernsehsender Televisión Boliviana ein, in Tarija sabotierte die Opposition Gasleitungen, die nach Brasilien führen, die Gaslieferungen mussten daraufhin gedrosselt werden. Begleitet werden die Aktionen von Straßenblockaden, Einschüchterungen und Überfällen auf Regierungsbeamte oder -anhänger*innen. Mittlerweile kommt es in einigen Regionen zu Nahrungsmittel- und Benzinengpässen.

Während Juan Ramón Quintana, Minister für Präsidentschaftsangelegenheiten, noch am 9. September verlauten ließ, man werde auf die „Politik des Terrors“ nicht mit der Erklärung des Ausnahmenzustandes reagieren, hat die Regierung diesen nur zwei Tage später zumindest für das Departement Pando verhängt. Mittlerweile konnten Militäreinheiten den Flughafen von Cobija zurückerobern. Tage zuvor hatte die rechte Opposition bei der Flughafenbesetzung eine Maschine der bolivianischen Luftwaffe geplündert und Militärs und anwesende Journalist*innen attackiert. Zweifel, ob sich das Militär bei einem großflächigen Einsatz regierungsloyal verhalten wird, haben durch die Meldung neue Nahrung erhalten, innerhalb der Armeeführung sei es zu einigen Dienstverweigerungen gekommen.

Im nördlichen Departement Pando war es bisher zu den heftigsten Attacken der Opposition auf Regierungseinrichtungen, staatliche und alternative Medien sowie Regierungsanhänger*innen oder solche, die die rechten Bürgerwehrgruppen dafür aufgrund ihres indigenen Aussehens halten, gekommen. Immer wieder wird davon berichtet, dass gut bewaffnete Schlägertrupps Märkte und Geschäfte von Indígenas überfallen, die sie für MAS-Anhänger*innen halten, und etliche Stadtviertel bzw. Gebiete kontrollieren. Unterstützung sollen sie dabei von rechten Gruppierungen aus Brasilien und Peru erhalten. Die offen rassistische Hetzjagd, die Oppositionelle auf Regierungsanhänger*innen unternehmen, hatte Kritik laut werden lassen, die Regierung greife nicht genug durch bzw. lasse ihre Anhänger*innen, die in die Tieflandprovinzen mobilisieren, um sich der Opposition entgegen zu stellen, ungeschützt alleine.

So haben MAS-nahe Bauern und Indígenas allein in Pando laut Angaben der Regierung mindestens 30 Todesopfer zu beklagen. Zu einem der schlimmsten Zwischenfälle kam es am 11. September bei El Porvenir, als Oppositionelle das Feuer auf unbewaffnete Regierungsanhänger*innen eröffneten, die auf dem Weg zu einem Treffen waren, um über Strategien der Gegenwehr gegen die rechte Gewalt und Blockadepolitik zu beraten.

Die Regierung hat mittlerweile gegen den Präfekten von Pando, Leopoldo Fernández, einen Haftbefehl ausgesprochen, weil sie ihn persönlich für die Massaker an der Bevölkerung verantwortlich macht. So habe Fernández, berichtet die regierungsnahe Nachrichtenagentur Agencia Boliviana de Información ABI, eigenhändig bezahlte Killer angeheuert, damit diese regierungsloyale Personen ermordeten. Einige der Auftragskiller, die in El Porvenir das Feuer auf die unbewaffnete Menge eröffnet haben sollen, haben sich laut ABI mittlerweile nach Brasilien abgesetzt. Die bolivianische Regierung habe die brasilianischen Behörden darum gebeten, ihnen zu helfen, die Flüchtenden festzunehmen, um sie in Bolivien vor Gericht stellen zu können. Mit Ausnahme von Leopoldo Fernández rief die Regierung alle Oppositionspräfekten erneut zu Gesprächen auf. Mario Cossío, Präfekt von Tarija, traf am 13. September in Vertretung der anderen Oppositionspräfekten mit der bolivianischen Regierung zusammen, um das Terrain für Verhandlungen zu sondieren.

Derweil brachten weite Teile Lateinamerikas ihre uneingeschränkte Solidarität mit der bolivianischen Regierung zum Ausdruck. Am 11. September erklärte Venezuela aus Solidarität mit Bolivien den US-amerikanischen Botschafter im Land, Patrick Duddy, zur unerwünschten Person. Duddy musste das Land binnen 72 Stunden nach der Erklärung verlassen. Bolivien hatte diesen Schritt am 10. September gegen Botschafter Philip Goldberg in die Wege geleitet. Die Regierung wirft ihm Einmischung und Konspiration mit den rechten Oppositionspräfekten und -gruppierungen vor. Goldberg ist mittlerweile in die USA zurückgekehrt und hat alle Anschuldigungen gegen ihn abgestritten. Er drohte, Bolivien habe einen „schweren Fehler“ begangen, der „viele, noch nicht absehbare Folgen haben könne“. Honduras Präsident Manuel Zelaya sagte am 12. September aus Protest gegen die US-Einmischung in bolivianische Angelegenheiten die vorgesehene Begrüßung des neuen US-Botschafters ab. Brasilien, Argentinien und Chile erklärten, man werde keinen Putsch in Bolivien tolerieren. Uneingeschränkte Unterstützung für Evo Morales und seine Regierung versicherten auch Peru, Ecuador und Paraguay. Der Nachrichtensender Telesur vermeldete, Brasilien könne sich auch ein militärisches Eingreifen vorstellen. Auch Venezuelas Präsident Hugo Chávez hatte angekündigt, man könne der bolivianischen Regierung militärische Hilfestellung leisten. Die bolivianische Armeeführung wies diese Einmischung zurück.

Am kommenden Montag treffen sich die Mitglieder der Union Südamerikanischer Nationen (UNASUR), u.a. Venezuela, Brasilien, Ecuador, Bolivien, Chile, Kolumbien, Uruguay und Paraguay, in Santiago de Chile zu einer außerordentlichen Krisensitzung. An der wird auch der Generalsekretär der Organisation Amerikanischer Staaten, José Miguel Insulza, teilnehmen. Insulza erklärte, wenn man nicht bald zu einem Ende der Feindschaften komme, könne sich die Situation in Bolivien als „unumkehrbar“ erweisen. Er verwahrte sich gegen einen Putsch oder eine Teilung des Landes und forderte einen Dialog ein, bei dem alle ungelösten Themen auf den Tisch kommen müssten.

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