Prozess gegen Ríos Montt vorläufig geplatzt

von Markus Plate

(Costa Rica, 23. April 2013, npl).- Für heftige Diskussionen sorgt in Guatemala die Entscheidung der Richterin Carol Patricia Flores vom Donnerstag, 18. April, mit der sie den Prozess gegen den ehemaligen Juntachef Efraín Ríos Montt und den mitangeklagten Diktaturgeneral José Mauricio Rodríguez Sánchez für nichtig erklärte und den Ermittlungs- und Prozessstand auf November 2011 zurücksetzte. Pikant dabei ist, dass Flores bis November 2011 verantwortliche Richterin im selben Verfahren war und aufgrund eines Befangenheitsantrages zurücktreten musste. Der Prozess selbst hatte nach über einjähriger Vorbereitungszeit erst im März dieses Jahres begonnen.

Flores hatte über einen Antrag der Verteidigung zu entscheiden, die den Prozess gegen Ríos Montt und die Anhörungen der Opfer für illegal hielt und eine Annulierung des bisherigen Prozessverlaufes gefordert hatte. Diesem Antrag gab die Richterin statt und stoppte somit die mündliche Anhörung, die kurz vor dem Ende stand und in der bereits mehr als hundert Zeug*innen und Expert*innen ausgesagt hatten. Für die Opfer der Gräueltaten, die im Prozess oft unter Tränen ausgesagt hatten, ist diese Entscheidung ein Schlag ins Gesicht.

Für die Opfer ein Schlag ins Gesicht

Menschenrechtsorganisationen wie Impunity Watch kritisierten die Entscheidung auf das Schärfste. Sie missachte nicht nur das Recht der Opfer von Menschenrechtsverletzungen auf Zugang zur Justiz, sondern sei ein Besorgnis erregendes Anzeichen für die Fragilität der guatemaltekischen Justiz und den fehlenden Willen des guatemaltekischen Staates, gegen die Straflosigkeit im Land vorzugehen. Iduvina Hernández, Mitglied der Einheit der Menschenrechtsverteidiger Guatemalas, forderte von Staat und Gesellschaft, die Rechtsprechung zu garantieren und kündigte Demonstrationen an, um eine Wiederaufnahme des Prozesses zu erreichen.

Nun liegt es am Obersten Gerichtshof und am Verfassungsgericht Guatemalas darüber zu entscheiden, wie es mit dem Strafprozess gegen die beiden Ex-Militärs weitergeht. Sowohl das Sondertribunal, vor dem der Prozess gegen Ríos Montt und Rodríguez Sánchez bislang stattfand, als auch die Staatsanwaltschaft und das guatemaltekische Menschenrechtszentrum CALDH als Opfervertreter legten bei beiden genannten Gerichten Rechtsmittel gegen die Entscheidung der Richterin Flores ein.

Novum in der Geschichte des Völkerrechts

Das Flores-Urteil ist auch international keine Kleinigkeit: Die Vereinten Nationen werten den jetzt torpedierten Prozess als Novum in der Geschichte des Völkerrechts: Zum ersten mal wird einem ehemaligen Staatschef wegen Völkermords nach den Gesetzen des eigenen Landes der Prozess gemacht. Die juristische Aufbereitung der Verbrechen der Militärdiktatur, die unter Juntachef Ríos Montt Anfang der 80er Jahre ihren Höhepunkt erreichte und der über 200.000 Menschen zum Opfer gefallen sein sollen, hat erst in den letzten Jahren mit den Verurteilungen einiger Militärangehöriger entscheidende Fortschritte gemacht. Efraín Ríos Montt genoss dagegen als Abgeordneter und sogar Kongresspräsident über ein Jahrzehnt lang Immunität. Erst nach dem Ende seiner politischen Laufbahn ist eine Verfolgung des ehemaligen Juntachefs überhaupt möglich.

Francisco Dall’Anese, Vorsitzender der Internationalen Kommission gegen die Straflosigkeit in Guatemala, CICIG, meldete sich in der Sache ebenfalls zu Wort: Der Spruch der Richterin Flores sei „absolut illegal“ und „von galaktischer Absonderlichkeit“, da die Richterin keinerlei Kompetenz besitze, Prozesse vor hohen Gerichten zu kassieren. Dall’Anese erinnerte daran, dass seine Kommission bereits seit geraumer Zeit gegen Carol Patricia Flores wegen Amtsanmaßung und Amtsmissbrauch ermittele.

Rechte leugnet mit allem Mitteln Völkermord

Der CICIG-Vorsitzende kritisierte zudem bezahlte Zeitungsanzeigen, die in der vergangenen Woche ganzseitig geschaltet worden waren und in denen „Figuren, die in anderen Momenten die Fahne der Menschenrechte hissten und das Vertrauen der internationalen Gemeinschaft genossen“, vor einem Wiederaufflammen der politischen Gewalt in Guatemala warnen, sollten die aktuellen Strafprozesse mit Verurteilungen wegen Völkermordes enden. Unter den Unterzeichnern dieses Aufrufes befinden sich der Ex-Außenminister und Ex-Vizepräsident Guatemalas, Eduardo Stein; Gustavo Porras, der für die guatemaltekische Regierung die Friedensabkommen mit der Guerilla 1996 zum Abschluss brachte, sowie ehemalige Guerillaangehörige. Besagte Erklärung mit dem Titel „Den Frieden verraten und Guatemala spalten“ streitet ab, dass es in Guatemala einen Völkermord gegeben hat, räumt allerdings ein, dass es während des bewaffneten Konfliktes schwere Gräueltaten gegeben habe und anerkennt das Recht der Opfer, dass die Täter prozessiert werden.

Die These, dass es in Guatemala keinen Völkermord gab, ist nicht neu: Sie wird unter anderem durch den aktuellen Präsidenten Otto Pérez Molina vertreten, einem ehemaligen General – und mit Sicherheit von allen, die aus Diktaturzeiten Blut an den Händen tragen. Dass sich Stein, Porras und Co. ganzseitig hinter diese These stellen, hat in Guatemala Putschängste geschürt. Ist das eine ernstzunehmende Warnung an die Justiz und die guatemaltekische Gesellschaft, der Richterin Carol Patricia Flores zum Wohle der Nation gefolgt ist? Menschenrechtsverteidiger*innen in Guatemala sehen die Vorkommnisse der vergangenen Woche eher als Beweis dafür, dass die Rechte in Guatemala und alle, die von der Straflosigkeit im Land profitieren, noch einige Tricks und Geschütze auf Lager haben dürften, damit die Justiz noch eine Weile zahnlos bleibt.

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