Protesterklärung gegen das Polizeimassaker in Rios Favela Maré

(Buenos Aires, 26. Juni 2013, púlsar).- Die Favelas von Maré wurden am 24. Juni von verschiedenen Einheiten der Militarisierten Polizei des Staates Rio de Janeiro PMERJ (Polícia Militar do Estado do Rio), darunter das berüchtigte Bataillon für Sonderoperationen der Polizei BOPE (Batalhão de Operações Especiais), dessen martialisches Wappen ein Totenschädel ziert, besetzt.

 

Hierbei kam Kriegsgerät zum Einsatz: die in Brasilien im Volksmund „Caveirão“ („großer Totenkopf“) genannten gepanzerten Polizeifahrzeuge, Hubschrauber und Gewehre. Dem vorausgegangen war eine Demonstration im Stadtteil Bonsucesso, auf welcher eine Senkung der Tarife für Omnibusfahrten gefordert wurde. Protestaktionen wie diese gibt es in ganz Brasilien seit dem 6. Juni.

Das Eingreifen der Polizei führte Montagnacht zum Tod eines Favela-Bewohners. Ein BOPE-Feldwebel kam ebenfalls ums Leben, woraufhin die Polizeigewalt noch zunahm. Am Ende waren neun weitere Todesopfer zu beklagen. Dem Staat ging es ganz klar um Vergeltung.

In ganz Brasilien kommt es derzeit zu Demonstrationen, besonders stark in Rio de Janeiro. In den vergangenen Wochen sind die Gewaltexzesse der Polizei die Regel geworden, und wir erleben belagerte Stadtviertel und eine massakrierte Menschenmenge in der Stadt. Als am 20. Juni rund eine Million Menschen in Rio de Janeiro auf die Straße gingen, mobilisierte der Staat alle Kräfte – Polizeihunde kamen ebenso zum Einsatz wie die Kavallerie und die Força Nacional, die dem brasilianischen Justizministerium zugeordnet ist. Massiv wurde Gewalt gegen die Bevölkerung ausgeübt, in mehreren Stadtvierteln von Rio herrschte eine Atmosphäre des Terrors.

Wir lassen nicht zu, dass der legitime Ausdruck der Empörung des Volkes als Vorwand dafür dient, gewaltsam in Stadtviertel einzufallen und diese militärisch zu besetzen. Hierbei spielt es keine Rolle, ob es sich um die demonstrierenden Massen auf den Straßen der Stadt handelt oder um die Menschen, die die in den Favelas und an den Rändern der Stadt leben.

Die Besetzung der Favelas von Maré belegt die äußerst perverse Seite dieses neuen Arguments, das von Regierungsstellen angeführt wird, um die Politik der Vergangenheit gegenüber den Favelas und ihren Bewohnern wie gewohnt fortzusetzen. Mit der Rechtfertigung, gegen Kriminelle vorzugehen, hat die Polizei gegen die Bewohner*innen von Maré einmal mehr massive Gewalt angewandt – wer in der Favela lebt, ist es schon gewohnt.

Interessanterweise wurde das Argument der Bekämpfung von Kriminellen auch vorgebracht, als es in Rios vornehmem Stadtteil Barra da Tijuca zu Demonstrationen kam – ein BOPE-Einsatz blieb allerdings aus, und Tote waren anders als in Maré nicht zu beklagen. Die Favelas werden also eindeutig anders behandelt als die wohlsituierten Teile Rios.

Wir lehnen die Kriminalisierung aller Demonstrationen ab. Wir lehnen die Kriminalisierung der Favela-Bewohner*innen und ihrer Gebiete ab. Wir lehnen die historische Abtrennung der Bevölkerung der Favelas, die von Schwarzen und Armen bewohnt werden, in Rio de Janeiro ab.

Wir lassen nicht zu, dass Hinrichtungen im Schnellverfahren als Ergebnis von bewaffneten Konfrontationen zwischen Polizei und Drogenhändler*innen dargestellt werden. Es handelt sich hier um keine Exzesse und keine Ausnahmefälle, in denen unangemessene Gewalt ausgeübt wird. Die Praktiken der Polizei in den Favelas verletzen grundsätzlich die elementarsten Rechte der Bewohner*innen. Zur Unterdrückung zählt die Verletzung des Rechts auf Leben. Resolution 18 des Rates für die Verteidigung der Rechte der Person CDDPH (Conselho de Defesa dos Direitos da Pessoa Humana) vom Dezember 2012 erkennt die schwerwiegenden Praktiken an, die in den verschiedenen Bundesstaaten Brasiliens zur Anwendung kommen. Die Resolution empfiehlt den Verzicht auf verschleiernde Ausdrücke wie „Widerstand mit Todesfolge“.

Stattdessen müsse es heißen: „Tod infolge des Eingreifens der Polizei“ oder „Körperverletzung infolge des Eingreifens der Polizei“. Brasiliens Regierung trägt zu dem blutigen Geschehen in Rios Favelas dadurch bei, dass die Truppen der Nationalen Sicherheitskräfte (Força Nacional de Segurança) in der Stadt belassen werden, womit Brasília das gleiche Modell vertritt, welches die Regierung des Bundesstaates Rio de Janeiro anwendet.

Die Bewohner*innen der Favelas und die gesamte Bevölkerung haben das Recht, öffentlich zu demonstrieren – hierfür müssen sie allerdings am Leben sein. Dieses Recht auf Leben wird aber weiterhin in den Favelas und an den Rändern von Rio de Janeiro und anderer Städte Brasiliens systematisch verletzt.

Wir fordern, die Besetzung der Favelas von Maré durch Polizeikräfte umgehend zu beenden. Wir fordern die Sicherstellung des Rechts, frei zu demonstrieren, des Rechts, sich politisch zu organisieren und öffentliche Räume zu besetzen. Wir fordern die Entmilitarisierung der Polizeikräfte.

Soziale Bewegungen und Organisationen können sich dieser Protesterklärung anschließen, indem sie eine Mail schicken an: contato@enpop.net.

Die Protesterklärung haben unterzeichnet: • Arteiras Alimentação do Borel • Bloco Planta na Mente • Casa da Mulher Trabalhadora (CAMTRA) • Central de Movimentos Populares (CMP) • Centro de Promoção da Saúde (CEDAPS) • Cidadania e Imagem-UERJ • Círculo Palmarino • Coletivo Antimanicomial Antiproibicionista Cultura Verde • Coletivo de Estudos sobre Violência e sociabilidade – CEVIS-UERJ • Coletivo das Lutas • Coletivo Tem Morador • Comitê Popular Rio Copa e Olimpíadas • Conselho Regional de Psicologia (CRP/RJ) • Conselho Regional de Serviço Social (CRESS/RJ) • DCE-UFRJ • Deputado Federal Chico Alencar (PSOL/RJ) • DPQ • FASE • Fórum de Juventudes RJ • Fórum Social de Manguinhos • Frente de Resistência Popular da Zona Oeste • Grupo Conexão G • Grupo Eco Santa Marta • Grupo ÉFETA Complexo Alemão • Instituto Brasileiro De Análises Sociais E Econômicas (IBASE) • Instituto Búzios • Instituto de Formação Humana e Educação Popular (IFHEP) • Instituto de Defensores dos Direitos Humanos (DDH) • Instituto de Estudos da Religião (ISER) • Justiça Global • Levante Popular da Juventude • Luta Pela Paz • Mandato do Deputado Estadual Marcelo Freixo (PSOL/RJ) • Mandato do Deputado Federal Chico Alencar (PSOL/RJ) • Mandato do Vereador Renato Cinco (PSOL/RJ) • Mandato do Vereador Henrique Vieira (PSOL/Niterói) • Mariana Criola • Movimento pela Legalização da Maconha • Movimento DCE Vivo (UFF) • Nós Não Vamos Pagar Nada • Núcleo Piratininga de Comunicação • Núcleo de Direitos Humanos da PUC • Núcleo Socialista de Campo Grande • Ocupa Alemão • Ocupa Borel • PACS • Partido Comunista Brasileiro (PCB) • Pré-Vestibular Comunitário de Nova Brasília Complexo Alemão • Raízes em Movimento do Complexo do Alemão • Rede FALE RJ • Rede de Instituições do Borel • Redes e Movimentos da Maré • União da Juventude Comunista (UJC) • Universidade Nômade • Revista Vírus Planetário

 

Weiterhören:

Audiobeitrag zum Massaker (von Radio Dreyeckland) // Hier der Link zum Nachhören.

CC BY-SA 4.0 Protesterklärung gegen das Polizeimassaker in Rios Favela Maré von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.

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