Poonal Nr. 786

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen vom 16. Oktober 2007

Inhalt


MEXIKO – ZENTRALAMERIKA

NICARAGUA

COSTA RICA

KOLUMBIEN

ECUADOR

ARGENTINIEN


MEXIKO – ZENTRALAMERIKA

Entschließung des EU-Parlaments zu Frauenmorden in Mexiko und Mittelamerika

Von Lourdes Godínez Leal

(Mexiko-Stadt, 11. Oktober 2007, cimac-poonal).- Das europäische Parlament hat am Nachmittag des 10. Oktober mit 650 Ja Stimmen, 4 Nein Stimmen und 6 Enthaltungen eine Resolution über die Feminizide (Frauenmorde) in Mexiko und Mittelamerika verabschiedet. In diesem Dokument verurteilt das europäische Parlament die Straffreiheit der Feminizide und schlägt Maßnahmen vor, mit denen die Regierungen der betroffenen Staaten und die Europäische Union gemeinsam an einer Verbesserung der Situation arbeiten können.

In einer Verlautbarung erklärte das Europaparlament, dass die mittelamerikanischen Länder und Mexiko „es nicht geschafft haben, die Wurzeln des Feminizids ernsthaft zu bekämpfen“ und unterstrich, dass für die Bekämpfung dieser Verbrechen Maßnahmen zur Vermeidung und zur Abschaffung jeglicher Diskriminierung von Frauen in der Gesetzgebung notwendig seien. Das Europaparlament forderte die betroffenen Staaten dazu auf, die Fälle von Straffreiheit, die Korruption und die Ineffizienz des Justizapparates zu bekämpfen und jegliche Diskriminierung aus den Gesetzen zu tilgen. Das Parlament rief zudem auch die europäischen Institutionen dazu auf, Anstrengungen für eine bessere Koordination der Politik gegen die Feminizide zu unternehmen.

In Anerkennung der vorherrschenden Straffreiheit empfahlen die europäischen Abgeordneten den Staaten Mittelamerikas und Mexiko folgende Maßnahmen, um die Situation zu verändern und die Verantwortlichen dieser Verbrechen zu verfolgen und zu bestrafen: die Erhöhung des Etats „der mit den Untersuchungen beauftragten Organe“, die Entwicklung wirksamer Zeugenschutzprogramme und die Stärkung der Kompetenzen von Justizorganen und Generalstaatsanwälten. Ebenso wird von der Europäischen Union gefordert, der Umstrukturierung und Stärkung der Justizsysteme in der Zusammenarbeit mit Mexiko und Mittelamerika Priorität einzuräumen.

In einem Telefoninterview aus Brüssel, das die Nachrichtenagentur Cimacnoticias mit Humberto Guerrero, dem zuständigen Leiter der Mexikanischen Kommission zur Einhaltung und Förderung der Menschenrechte CMDPDH (Comisión Mexicana de Defensa y Promoción de los Derechos Humanos) führte, hob dieser die Bedeutung der Unterzeichnung der Resolution auf der politischer Ebene und für die Menschenrechte in Mexiko hervor.   Guerrero erinnerte daran, dass die Resolution „mit einem Handelsabkommen in Zusammenhang stehe“, an dessen „Schutz“ die mexikanische Regierung sehr interessiert sei. Obwohl die jetzige Entschließung keine ökonomischen Sanktionen vorsieht, sei deren Verabschiedung an sich bereits eine Ermahnung an die mexikanische Regierung, dass der Einhaltung der Menschenrechte der gebührende Stellenwert eingeräumt werden müsse. Humberto Guerrero unterstrich: „Das ist eine klare Botschaft, dass die diesbezüglich zweigleisige Strategie Mexikos zusammenzubrechen“ beginne.

Auch wenn diese Entschließung das Problem des Feminizids im Land nicht lösen werde, so der Menschenrechtsaktivist, erhalte es dadurch Priorität und „bleibt eine feste Größe auf der Agenda des Dialogs zwischen der Europäischen Union und Mexiko.“

Humberto Guerrero hob andererseits hervor, dass die Resolution den Fall Ciudad Juárez, der seiner Meinung nach „in Vergessenheit“ geraten ist, erneut an die Öffentlichkeit bringe.

Nach Angaben von Amnesty International sind in Ciudad Juárez seit 1993 über 400 Frauenmorde begangen worden. Die Grenzstadt Ciudad Juárez sowie Chihuahua-Stadt liegen beide im nördlichen Bundesstaat Chihuahua in Mexiko und bilden das Zentrum der Feminizide. Die erste Frauenleiche der Mordserie wurde vor mehr als zehn Jahren gefunden. Keiner dieser Fälle wurde bisher aufgeklärt. Die Opfer sind meist junge Frauen zwischen zwölf und 20 Jahren, die von ihren Mördern vergewaltigt, erwürgt, erstochen und verstümmelt wurden.

Obwohl sich bereits anerkannte internationale Institutionen mehrmals vergeblich in der Frage der Feminizide an die mexikanische Regierung gewandt haben, zeigte sich Humberto Guerrero optimistisch, dass man „nun möglicherweise, und sei es nur um den Ruf wieder herzustellen, Schritte zur Aufklärung der Fälle veranlassen wird. Ich glaube, dass damit außerdem auch die Möglichkeit eröffnet werden könnte, im Rahmen der Europäischen Union die strukturellen Defizite der Menschenrechtslage in Mexiko anzuprangern.“

NICARAGUA

Human Rights Watch: Abtreibungsverbot gefährdet Leben der Frauen

(Fortaleza, 10. Oktober 2007, adital).- Am 13.September verabschiedete die nicaraguanische Nationalversammlung das neue Strafgesetzbuch, das weiterhin ein Abtreibungsverbot ohne jegliche Ausnahmeregelung vorsieht. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) spricht sich gegen das Gesetz aus und fordert die nicaraguanische Regierung auf, die Menschenrechte der Frauen zu schützen. Allen Mädchen und Frauen sollte unmittelbarer Zugang zu medizinischer Versorgung im Falle einer Notfallentbindung und insbesondere nach einer Abtreibung gewährt werden, um damit das Sterben der Mütter zu verhindern.

Human Rights Watch hat seine Forderungen am 2. Oktober in Form eines Berichtes mit dem Titel „Über ihre Leichen: Verweigerung des Zugang zu medizinischer Versorgung bei Notentbindungen und medizinisch bedingten Abtreibungen“ veröffentlicht. In diesem Dokument legt die Organisation die Konsequenzen der Gesetzesänderungen vom November 2006 dar, die im vergangenen Monat noch einmal bestätigt wurden und sogar Abtreibungen mit medizinischer Indikation unter Strafe stellen.

„Obwohl das Gesetz bei unserem Besuch im August 2007 erst weniger als ein Jahr in Kraft war, waren dessen tödliche Folgen schon deutlich sichtbar“, so Human Rights Watch. „Diese Art totaler Verbote sind absolut unvereinbar mit den international anerkannten Menschenrechten, unter anderem dem Recht auf Leben, Gesundheit und der Nichtdiskriminierung. Die Durchsetzung dieses Gesetzes kann – und hat faktisch schon – ernsthafte Konsequenzen für das Leben und die Gesundheit von Frauen sowie Mädchen haben“, unterstrich die Menschenrechtsorganisation.

Das neue Gesetz sieht Gefängnisstrafen von einem Jahr bis zu drei Jahren für Personen vor, die Abtreibungen durchführen und von einem Jahr bis zu zwei Jahren für Frauen, die Abtreibungen vornehmen lassen. „Die gr&ouml
;ßte Wirkung dieses Verbotes von Abtreibungen unter allen Umständen ist, dass viele Mädchen und Frauen nun Angst davor haben, medizinische Beratung in Anspruch zu nehmen, wenn es zu Komplikationen während der Schwangerschaft kommt. Dies sei insbesondere bei Blutungen der Fall, da dabei der Verdacht einer Abtreibung geweckt werden könnte“, erläutert der HRW-Bericht und kommt zu dem Schluss, dass „die Folgen dieses Gesetzes Todesfälle von werdenden Müttern sind, die hätten verhindert werden können.“

Nach Angaben des Berichtes hätten nun aber auch Ärzte Angst, unter Abtreibungsverdacht zu geraten und würden daher schwangeren Frauen nicht mehr die notwendige medizinische Versorgung zukommen lassen. Laut HRW „gibt es seitens der nicaraguanischen Regierung keine Pläne für den Klinikalltag, um die Folgen des Gesetzes abzumildern und diese zu überwachen. Die Regierung scheint noch nicht einmal das Verhalten des Gesundheitspersonals zu überprüfen und zu bestrafen, dass den Frauen den Zugang zu medizinischer Versorgung verweigert oder unnötig behindert, obwohl dieser absolut legal ist.“

Nicaragua ist eines von drei Ländern weltweit, dass Abtreibungen ohne jegliche Ausnahme verbietet, auch wenn die Schwangerschaft Folge einer Vergewaltigung oder des Inzests ist oder wenn das Leben oder die Gesundheit der werdenden Mutter gefährdet ist. Für HRW sind keinerlei Bemühungen der Regierung Nicaraguas ersichtlich, um den falschen Wahrnehmungen in der Öffentlichkeit zum Thema Abtreibung oder ihres vollständigen Verbotes entgegenzuwirken bzw. mögliche gesetzlichen Alternativen zu entwickeln.

Der Bericht von HRW basiert auf Interviews mit Beamten und Ärzten des öffentlichen und privaten Gesundheitswesens sowie Frauen, die medizinischer Betreuung bedürften und den Angehörigen von Frauen, die aufgrund des neuen Gesetzes starben. HRW fordert die Regierung Nicaraguas auf, dass Gesetz, dass Abtreibungen verbietet, außer Kraft zu setzen und juristische Garantien für einen Zugang zu sicheren und freiwilligen Abtreibungen zu schaffen.

COSTA RICA

Aufbruch trotz Katerstimmung

Von Torge Löding

(San José, 12. Oktober 2007, voces nuestras).- Graue Regenwolken hängen dieser Tage schwer über dem mittelamerikanischen Costa Rica. Dieses Wetter bringt die Stimmung der Gegner*innen des Freihandelsabkommens CAFTA (spanisch TLC) mit den USA auf den Punkt: Beim Referendum am Sonntag, den 7. Oktober, unterlagen sie um 3,2 Prozentpunkte. Präsident Oscar Árias (rechter Sozialdemokrat, PLN) freut sich über ein Ergebnis von 51,6 Prozent zugunsten des neoliberalen Abkommens, welches auch umfassende Privatisierungen vorsieht. Die manuelle Nachzählung der Stimmen wird daran nichts mehr ändern. Ein großartiger Sieg ist das indes nicht, beachtet man die gigantischen Summen, welche die CAFTA-Freunde in die Wahlkampagne investiert haben. Zieht man die Wahlbeteiligung von gerade einmal 60 Prozent in die Berechnung ein, zeigt sich, dass gerade einmal 30,5 Prozent der wahlberechtigten Costaricaner*innen mit „Ja“ gestimmt haben. Eine wackelige Basis für die durch den „Memo-Skandal“ angeschlagene Regierung.

Gewonnen haben die CAFTA-Gegner*innen vor allem eine neue Organisationsform: Die „patriotischen Komitees“, welche sich landauf , landab als Basiskomitees gebildet hatten, um der von den USA diktierten Politik einen Strich durch die Rechnung zu machen. Diese wollen nicht aufgeben und werden sich am 27. Oktober bei ihrem ersten landesweiten Vernetzungstreffen in der Hauptstadt beraten, wie der Kampf gegen den Neoliberalismus weitergehen soll.

Gefährlich wäre es, das Referendum als „vorbildlich“ einzustufen. „Es gab Betrug vom ersten Tag der Kampagne an. Mit Lügen, Drohungen und Einschüchterung sind die CAFTA-Befürworter vorgegangen. Dabei konnten sie auf die volle Unterstützung des Staatsapparates und der  Massenmedien zählen“, konstatiert Fernando Francia, Direktor des alternativen Radio Dignidad. Für die CAFTA-Kritiker*innen gab es außer bei einer handvoll TV-Duells im Staatssender keinen öffentlichen Raum in den Medien; auch keine kostenlosen Werbespots wie man das aus Europa kennen mag. Für bezahlte Spots oder massive Anzeigenschaltung konnte das Geld nicht aufgebracht werden. Eigentlich ein Armutszeugnis. Und trotzdem stimmte fast die Hälfte der Wähler*innen mit „Nein“.

An den letzten drei Tagen vor dem Volksentscheid hatte sich das Weiße Haus in Washington noch einmal massiv eingeschaltet. Die Massenmedien Costa Ricas machten sich einmal mehr zu Erfüllungsgehilfen von Parteigängern des US-Präsidenten, welche drohten: „Nachverhandelt werden kann nicht. Wenn CAFTA nicht gewinnt, wird Costa Rica bestraft“. Eine eigens angereiste Delegation von US-Demokraten widersprach dieser Ansicht, wurde aber eisern von TV und Tagespresse ignoriert.

Durchgefallen ist das „Nein“ vor allem bei denen, auf die viele CAFTA-Gegner vor allem gesetzt hatten: Den intellektuellen Mittelschichten. In San Josés Univiertel San Pedro etwa gewann das „Ja“ deutlich. Genau wie in den Gegenden mit Industrieparks und Freihandelszonen, sowie den Arbeiterschlafstädten Cartago und Heredia, wo die Unternehmer massive Einschüchterungskampagnen fuhren. Nur in Alajuela konnte sich das „Nein“ durchsetzen. Anders als bei den Präsidentschaftswahlen färbten sich vor allem die ärmsten Regionen des Landes „rot“ (sprich das „Nein“ gewann): In Puntarenas, im armen Süden (Osa-Halbinsel und Golfito), dem strukturschwachen Norden (San Ramon, La Fortuna) sowie in Guanacaste stimmte die Mehrheit gegen die Gringos. Als besonders firm erwiesen sich dabei die Indigenen: In keinem Wahllokal auf Indio-Gebiet bekamen die CAFTA-Befürworter auch nur einen Fuß auf den Boden.

KOLUMBIEN

Straffreiheit für Chiquita-Manager

(Lima, 3. Oktober 2007, na).- Der US-amerikanischeBananenproduzent „Chiquita Brands“ räumte im vergangenen März ein, zwischen 1997 und 2004 1,7 Mio. US-Dollar an die paramilitärische Organisation Vereinte Selbstverteidigungsgruppen Kolumbiens AUC (Autodefensas Unidas de Colombia) gezahlt zu haben. Im Austausch dafür verpflichteten sich die Paramilitärs zum Schutz der Angestellten und Einrichtungen des Unternehmens. Ein Bundesgericht in den Vereinigten Staaten bestätigte nun am 18. September, dass Chiquita für dieses Vorgehen eine Strafe von 25 Mio. US-Dollar zahlen soll. Die Manager des Unternehmens gingen jedoch straffrei aus. Richter Royce C. Lamberth akzeptierte zwar den Urteilsspruch, bedauerte aber die Freisprechung und die Nichtpreisgabe der Identität der zehn in den Fall verwickelten leitenden Chiquita-Angestellten.

Der kolumbianische Außenminister Fernando Araújo erklärte in einem Interview mit Radio Caracol, dass „die US-amerikanische Justiz vom  formellen Standpunkt aus Parameter anwendet, die unseren Respekt verdienen. Das bedeutet aber keineswegs, dass die Öffentlichkeit nicht bestürzt darauf reagiert, dass in einem so wichtigem Fall keine Person zu Gefängnis verurteilt wird.“ Dem zum Trotz hält Araújo jedoch fest, dass den Chiquita-Managern durchaus in Kolumbien der Prozess gemacht werden könne – es obliege aber der Staatsanwaltschaft, die formelle Anklage vorzubringen.

ECUADOR

99 Prozent der Erdöleinnahmen g
ehen an den Staat

(Fortaleza-Buenos Aires, 9. Oktober 2007,adital-púlsar).- Ecuadors Präsident Rafael Correa hat eine Verfügung unterzeichnet, die festlegt, dass 99% der Extra-Einnahmen aus dem Verkauf von Erdöl künftig beim Staat verbleiben und der Rest von einem Prozent bei den Unternehmen. Bisher teilten sich Staat und Unternehmen diese Einnahmen gleichmäßig auf.

Der Staatschef sagte: „Die Regierung der 'Revolución Ciudadanía' betrachtet es als unzureichend, dass der ecuadorianische Staat aufgrund eines Partizipationsvertrages während der vergangenen Jahre nur die Hälfte von anfallenden Extra-Einkünften erhalten hat. Deshalb wird das neue Gesetz eine Verteilung, bei der dem Volk von 100 Barrel Erdöl gerade mal zwischen 46 und 48 Barrel bleiben, ausschließen.“

Correa lies zudem verlauten, dass sich sein Minister für Bergbau und Erdöl, Galo Chiriboga, am 15. Oktober mit den Erdölunternehmen treffen werde, um eine neue Erdölpolitik im Lande zu verankern. Er präzisierte in einer Erklärung: „Wir beginnen vertraglich festzulegen, dass das Erdöl dem gesamten ecuadorianischen Volk gehört. Niemals mehr werden wir den Besitz darüber aus der Hand geben.“ Galo Chiriboga erklärte seinerseits, dass die neue Maßnahme dem ecuadorianischen Staat zusätzliche Einnahmen von 70 Millionen US-Dollar monatlich bescheren werde.

Generalstaatsanwalt Xavier Garaicoa wies darauf hin, dass die in Ecuador ansässigen ausländischen Erdölunternehmen dem ecuadorianischen Staat bis heute die Hälfte ihrer Extra-Einnahmen aufgrund des Preisanstiegs für Rohöl schuldeten, wie es noch die alten Verträge aus dem Jahr 2006 bestimmten. Er erwähnte, dass sich unter den 18 säumigen Erdölgesellschaften auch das nordamerikanische Unternehmen City Oriente befände, das Schulden in einer Höhe von 30 Milliarden Dollar zu zahlen habe.

Die Schulden begannen sich aufzusummieren, als die ecuadorianische Regierung 2006 festlegte, dass die Aufteilung von zusätzlichen Gewinnen aus dem Verkauf von Rohöl zu gleichen Teilen zwischen dem Staat und den transnationalen Erdölunternehmen erfolgen müsse, also noch bevor Rafael Correa die 99%-Regelung einführte.

Über die kürzlich getroffene Maßnahme sagte Garaicoa: „Das Erdöl gehört dem Staat (…) und jeder Vertrag basiert auf einer gerechten Verteilung, aber in diesem Fall müssen die Preisschwankungen dem Eigentümer der Ressource zu Gute kommen.“

ARGENTINIEN

Lebenslänglich für Folterpriester

(Montevideo. 10. Oktober 2007,ecupress-púlsar-poonal).- Am 9. Oktober verurteilte das Bundesgericht in der argentinischen Stadt La Plata den deutschstämmigen Pfarrer Christian von Wernich wegen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Rahmen eines Genozids“ während der argentinischen Militärdiktatur (1976-1983) zu einer lebenslänglichen Haftstrafe. Dem ehemaligen Kaplan der Polizei der Provinz Buenos Aires wurde die Beteiligung an sieben Morden, 31 Fällen von Folter und 42 Entführungen vorgeworfen. Die Beweisgrundlage des Urteils wird am 1. November bekannt gegeben.

Mehr als 70 Zeugen sagten bei dem Prozess aus, viele von ihnen sind Überlebende der Gefangenenlager. Sie berichteten, dass von Wernich nie geistlichen Beistand geleistet habe. Im Gegenteil: Er habe sie nach den Folterungen besucht, sie zu einem Geständnis und zur Zusammenarbeit aufgefordert und ihnen erklärt, dass erst dann die Folter eingestellt werde.

Das Gerichtsurteil wurde von einer großen Menschenmenge gefeiert, zu der vor allem die Mütter der Plaza de Mayo und Angehörige der Opfer des Völkermords zählten. Sie hatten sich vor dem Gericht versammelt und warteten auf diesen „historischen Moment“, den sie laut Menschenrechtsaktivisten „nicht geglaubt hätten erleben zu dürfen“.

Das Episkopat der katholischen Kirche in Argentinien veröffentlichte eine kurze Erklärung, in der Kummer und Bestürzung über die Verbrechen geäußert wurden, die von Wernich vom Gericht zur Last gelegt wurden.

Der Analyst Washington Uranga schrieb in der Tageszeitung Página 12, dass die lebenslange Haft für von Wernich „von der Gesellschaft nur schwer als Strafe gegen einen einzelnen Diener Gottes auslegt werden kann, indem behauptet wird, der frühere Polizeikaplan von Buenos Aires habe vollkommen isoliert gehandelt und keiner seiner Vorgesetzten habe etwas von seinen Aktionen gewusst. Es wäre aber trotzdem nicht gerechtfertigt, in das Urteil die ganze Institution Kirche einzubeziehen, der auch Opfer des repressiven Pfarrers, der Polizei und des Militärs angehörig sind.“

Mit diesen Worten beschreibt Uranga deutlich die heikle Situation, in der sich die katholische Kirche durch dieses Urteil befindet. Der Journalist ergänzt: „Durch den Prozess konnte die Wahrheit an die Öffentlichkeit gelangen und die unbestreitbare Verantwortung der argentinischen katholischen Kirche für die Menschenrechtsverbrechen bewiesen werden.“ Mariano de Vedia bemerkte in der Zeitung La Nación, dass die kurze Erklärung des Episkopats von vielen „mit Verärgerung aufgenommen wurde, die eine heftigere Verurteilung der Kirche mit harten Worten und ohne Beschwichtigungen für die Vergehen von Wernichs erwartet hätten.“

Kirche auf der Anklagebank

Von Andrés Gaudin

(Buenos Aires, 3. Oktober 2007, na-poonal).- Der Prozess gegen den ehemaligen Militärkaplan Christian von Wernich, der verschiedener Verbrechen gegen die Menschlichkeit während der letzten argentinischen Diktatur (1976-83) für schuldig befunden und zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, hat sich nun zu einem Untersuchungsverfahren gegen die gesamte katholische Kirche entwickelt: Die gesamte – damalige und heutige – oberste Führungsriege der Institution in Argentinien soll möglicherweise an Ermordungen, Folterungen, Kinderhandel und dem Verschwindenlassen von Menschen beteiligt gewesen sein. Die Verdachtsmomente reichen bis hin zum verstorbenen Papst Johannes Paul II.

Zu den Zeugen der Anklage zählen die Bischöfe der Diözesen von Neuquén und Quilmes, zahlreiche Priester, der Theologe Rubén Dri sowie Adolfo Pérez Esquivel, Träger des Friedensnobelpreises von 1980. Angesichts der schweren Anschuldigungen hüllt sich die Spitze der katholischen Kirche Argentiniens in Schweigen, und die spärlichen Kommentare, die aus dem Umfeld der Kirchenführung zu hören waren, bekundeten diskret ihre Komplizenschaft mit dem Ex-Kaplan.

Von Wernich wurde im Dezember 2005 vor Gericht gestellt, nachdem man ihn verschiedener Verbrechen gegen die Menschlichkeit beschuldigt hatte. Die Hauptverhandlung, im Zuge derer mehr als 200 Zeugen gehört wurden, begann jedoch erst am 5. Juli 2007. Das Ergebnis: von Wernich konnte die unmittelbare Beteiligung an sieben Mordfällen, 42 Entführungen bzw. dem Verschwindenlassen von Menschen sowie Folterungen in 31 Fällen nachgewiesen werden.

Als Polizeiinspektor der Provinz Buenos Aires fungierte von Wernich als offizieller Beichtvater der Polizei; wie Hunderte von Aussagen ehemaliger Gefangener und Ex-Polizisten belegen, nahm der Priester jedoch auch an Verhören und Folterungen von Entführten teil. Außerdem gehörte er laut Zeugenaussagen einem
Erschießungskommando an, das die Ermordung von sieben Studenten der Universität vornahm.

„Ich habe die Rolle der Kirche als Institution, insbesondere die Rolle, die die Führungsriege gespielt hat, immer in Frage gestellt und tue dies auch heute noch, denn sie hat sich angesichts der Ereignisse nicht auf die richtige Seite, das heißt, auf die Seite der Gepeinigten, gestellt“, erklärte vor Gericht der Salesianer Rubén Capitanio, einer der Priester, die gegen den Ex-Kaplan ausgesagt hatten. „Der Fall von Wernich ist mehr als symbolisch, denn er hat die Seite der Peiniger sogar noch unterstützt.”

Am 5. September kam ein Dokument des Bistums Neuquén im Süden des Landes an die Öffentlichkeit, in dem die Haltung der Kirch angeprangert wird. „Schweigen, zuviel Schweigen, mangelnde öffentliche Unterstützung der Familien, die nach dem Verbleib ihrer Angehörigen fragten, sich taub stellen angesichts der Forderung nach Gerechtigkeit – all das hat dazu geführt, dass man uns als Komplizen der Diktatoren des Todes betrachtet hat, wo wir doch Apostel des Lebens sein sollten.“

Die Unterstützung, die von Wernich von der katholischen Kirche erhielt, reichte weit über die Diktatur hinaus und weit in die Demokratie hinein: Im Jahr 1996, als die Vorwürfe gegen den Ex-Kaplan lauter wurden, verschaffte die Kirche ihm eine neue Identität als Christian González und übertrug ihm die Obhut einer kleinen touristischen Gemeinde in Chile. Hier, im etwa 100 km südlich von Santiago gelegenen Quisco, lebte von Wernich unentdeckt, bis die argentinische Justiz einen internationalen Haftbefehl gegen ihn präsentierte.

„Die Kirche ist das Opfer einer üblen Verfolgungsjagd“, wetterte Jorge Bergoglio, Kardinal von Buenos Aires, als im vergangenen Juni der Termin für den Prozessbeginn gegen Von Wernich bekannt wurde. Auch Bischof Andrés Stanovnik, von der im Norden gelegenen Diözese Chaco, unternahm einen schüchternen Anlauf zur Verteidigung Von Wernichs: „Ich gedenke nicht den Stab über einen meiner Brüder zu brechen“, erklärte er, „und ich warne vor einem vorschnellen Urteil. Von Wernich wurde lediglich angeklagt, nicht verurteilt.“ Aufgrund der Zeugenaussagen, die im Verfahren gegen von Wernich gesammelt wurden, sitzen nun neben anderen auch die Jesuiten Bergoglio und Stanovnik auf der Anklagebank.

Mona Moncalvillo, Journalistin und Leiterin des staatlichen Senders Radio Nacional, ist die Schwester eines der sieben ermordeten Studenten. Wie sie dem Gericht erzählte, hatte von Wernich von ihrer Familie eine beträchtliche Summe Geld gefordert, angeblich, um den jungen Mann außer Landes zu bringen und so sein Leben zu retten. „Bergoglio wusste über alles Bescheid. Die Jesuiten waren bestens darüber unterrichtet, was in Argentinien vor sich ging.“

Estela de la Cuadra ist die Schwester einer der während der Diktatur Verschwundenen. Ihre Nichte wurde in Gefangenschaft geboren und in die Familie eines Polizisten gegeben. „Von Wernich war es, der das Baby meiner Schwester Elena an die Familie eines Militärs weitergab. Der heutige Kardinal Bergoglio wusste genau Bescheid, denn meine anderen Geschwister, die nach Europa ins Exil gegangen waren, hatten zu dem Generaloberen der Jesuiten Pedro Arrupe Kontakt aufgenommen, und dieser informierte Bergoglio darüber, wie sehr meine Familie unter dem Geschehenen litt.“

Im Zuge seiner gerichtlichen Aussage prangerte Pérez Esquivel, aktiver Katholik und Gründer der Menschenrechtsorganisation Servicio de Paz y Justicia (SERPAJ), vehement die „Komplizenschaft der Kirchenoberhäupter mit der Diktatur“ an. Wir haben die Führung der Kirche gebeten, uns bei der Suche nach den Verschwundenen zu helfen, doch wir bekamen nie eine Antwort. Auch auf die humanitäre Unterstützung von Papst Johannes Paul II. warteten wir vergeblich.“ Nicht nur der damalige Erzbischof, Monsignor Juan Carlos Aramburu, habe sich in Schweigen gehüllt; auch Pabst Johannes Paul II sei ein Komplize der Diktatur gewesen, so Pérez Esquivel. „Dreimal haben wir einen Bericht über 84 Fälle verschwundener Kinder erstellt und ihm persönlich in die Hand gedrückt, doch die einzige Antwort des Papstes lautete: „'Bevor Sie sich in dieser Angelegenheit an mich wenden, sollten Sie lieber an die Kinder in den kommunistischen Ländern denken.'“

Auf die Aussage des Friedensnobelpreisträgers folgte die Anhörung des ehemaligen Priesters und Theologen Rubén Dri, der erklärte: „Der Kardinal, die Bischöfe und der Nuntius wurden von den Militärs zu gemeinsamen Abendessen eingeladen, sie saßen mit den Mördern an einem Tisch und teilten das Brot mit ihnen, und nie klagten sie die schrecklichen Verbrechen an, über die wir alle Bescheid wussten.“

Am 10 September bezeugte Luis Stockler, Bischof der Diözese zu Quilmes, 20 km südlich von Buenos Aires, „Entrüstung und Ohnmacht angesichts der Person Christian Von Wernichs“ und ermutigte die Zeugen, „dass sie von dem Horror berichten“. Seine vernichtende Kritik an der Führungsspitze der katholischen Kirche gipfelte in den Worten: „Schluss mit Institutionen, die schweigen und sich zu Komplizen der Verbrechen und ihrer Akteure machen!“

Urteil zum Schutz der Toba-Bevölkerung

(Lima, 3. Oktober 2007, na-púlsar).- DerOberste Gerichtshof wies die argentinische Regierung sowie die Regierung der im Norden des Landes gelegenen Provinz Chaco an, die dort lebenden Toba-Gemeinschaften mit Trinkwasser und Nahrungsmitteln zu unterstützen. Zwischen Juli und September sind elf Personen der indigenen Gemeinschaft an Unterernährung gestorben. Das am 20. September gefällte Urteil unterstützt die von der Ombudsstelle geforderten Schutzmaßnahmen für die Tobas. Den indigenen Gemeinschaften in dieser Region drohe „die lautlose, fortschreitende, systematische und unerbittliche Ausmerzung”.

Das Gericht führte diese Situation auf die „unterlassene Hilfeleistung der Provinz- und Bundesregierung, die den Gemeinschaften nur minimalste humanitäre und soziale Hilfe bieten”, zurück. Das Urteil stützt sich auf die vom Obersten Gerichtshof verfolgte Politik, Fällen nachzugehen, in denen die kollektiven Rechte verletzt werden. „Es geht um das Recht auf Leben und die physische Integrität der Personen”, argumentierte das höchste Gericht.

Herausgeber: Nachrichtenpool Lateinamerika e.V. Köpenicker Straße 187/188, 10997 Berlin, Tel.: 030/789 913 61 e-mail: poonal@npla.de, Internet: http://www.npla.de/

Redaktion in Mexiko: Kristin Gebhardt, Wolf-Dieter Vogel Tel./Fax.: 0052-55-55541480, e-mail: poonalmex@npla.de

Koordination in Berlin: Eva Völpel

Übersetzungsteam: Alexander Trofimow, Andrea Kaden, Ania Müller, Anna Mielke, Barbara Kus, Benjamin Weber, Bettina Hoyer, Brigitta Kainz, Carolin Gehrmann, Carolina Könn, Christina Klug, Claudia Hecktor, Conny Gritzner,
Cornelia Derler, Dietrich von Richthofen, Fabian Klein, Frauke Köhler, Grit Petschick, Henning Alts, Henrike Hochmuth, Ina Soetebeer, Jan Kühn, Jana Fleschenberg, Katharina Braig, Kathrin Fochtmann, Katrin Aue, Kerstin Westerbeck, Kristina Vesper, Lilli von der Ohe, Lui Lüdicke, Mareike Hagemann, Marit Teerling, Nicole Romana Heigl, René Cofré Baeza, Ricarda Franzen, Sebastian Henning, Sebastian Landsberger, Silvia Weber, Steffi Ulrich, Thorsten Mense, Yvonne Stolz

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