Poonal Nr. 627

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen vom 22. Juni 2004

Inhalt


GUATEMALA

HONDURAS

EL SALVADOR

HAITI

KOLUMBIEN

ECUADOR

ARGENTINIEN

URUGUAY

CHILE

PARAGUAY

BOLIVIEN

SURINAM

LATEINAMERIKA


GUATEMALA

Straßenblockaden zur Durchsetzung von Entschädigungsforderungen

(Sololá, 14 Juni 2004, cerigua-poonal).- Hunderte Familienangehörige von Opfern des Bürgerkrieges in Guatemala haben die interamerikanische Verbindungsstrasse bei Las Trampas blockiert. Andere Gruppen hatten währenddessen Hindernisse auf der Straße Richtung Santa Cruz aufgebaut. Ziel der Blockaden war es, Druck auf die Regierung auszuüben, damit diese den Nationalen Entschädigungsplan PNR (Plan Nacional de Resarcimiento) endlich umsetzt.

Ein Vertreter der Demonstranten, Domingo Cuc aus Sololá, äußerte gegenüber der Nachrichtenagentur cerigua, dass diese Form des Widerstands sich auf das ganze Land erstrecken werde. Die Verantwortlichen würden keine klare Politik machen, im Hinblick auf die Durchführung der Entschädigungszahlungen. Es sei ungerecht, dass die Hauptverantwortlichen der Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wie ehemalige Mitglieder der paramilitärischen Zivilen Selbstverteidigungspatrouillen PAC (Patrulleros de Autodefensa Civil), als erste finanziell bedacht worden wären. Die Opfer hingegen hätten noch immer keine Zahlung erhalten, erklärte Cuc.

In Quiché forderte Fermina López Castro, eine führende lokale Vertreterin der Aktionen, von der Regierung, dass diese die Vereinbarungen respektiere. Insbesondere solle der Nationale Entschädigungsplan, der mit 300 Millionen Quetzales (etwas 32 Millionen Euro) veranschlagt wurde, zum Tragen kommen.

Die Aktivisten fordern von den Verantwortlichen vor dem Kongress die Garantie abzugeben, die ersten Zahlungen dem Programm zuzuweisen. Laut Absatz 7.4 Ziffer 153 des Plans soll das Geld jährlich verteilt werden.

Exhumierungen gehen weiter

(Montevideo, 17. Juni 2004, púlsar-poonal).- Die sterblichen Überreste von 150 Bauern, die bei einem Zusammenstoß zwischen Regierungstruppen und bewaffneten Organisationen während des Bürgerkrieges niedergemetzelt wurden, werden von geheimen Friedhöfen in einer ehemaligen Militäranlage exhumiert.

Die Gruppe für gegenseitige Unterstützung GAM (Grupo de Apoyo Mutuo), in der sich Familienangehörige von 9.000 der insgesamt 45.000 Verschwundenen des bewaffneten Konflikts von 1960 bis 1996 organisieren, erklärte, dass die Exhumierungen im Juli beginnen könnten. „Am 6. Juli werden wir eine Inspektion der Massengräber vornehmen, die wir in der Gemeinde Ixcán entdeckt haben", sagte Sara Vázquez, Leiterin der GAM. Sie erklärte weiter, dass bis jetzt 12 Massengräber gefunden worden sind. Insgesamt geht sie von 30 Massengräbern aus, in denen mindestens 150 Bauern begraben wurden.

Die geheimen Friedhöfe befinden sich in einer alten Militärbase des Departments Quiché. Die Region war nach Angaben der Wahrheitskommission am Schwersten vom Bürgerkrieg betroffen. In dem 1999 veröffentlichten Bericht "Memorias del Silencio" wurde dokumentiert, dass in Quiche 344 der insgesamt 669 Massaker verübt wurden. Insgesamt hinterließ der Bürgerkrieg in Guatemala 200.000 Tote und Verschwundene.

Jugendliche besetzen Gebäude

(Guatemala-Stadt, 15. Juni 2004, cerigua-poonal).- Ein Zusammenschluss von Jugendlichen, der sich "El Bloque" nennt, hält das ehemalige Gebäude der Generaldirektion für Migration seit Anfang Juni besetzt. Sie wollen damit Räume zur Förderung von Politik, Kultur und Identität für Jugendliche schaffen, meinte Rubén Mendoza, ein Mitglied der Bewegung

Laut dem jugendlichen Aktivisten werden dort verschiedene Aktivitäten angeboten, um der politisch-kulturellen Mitgestaltung von Jugendlichen mehr Raum zu verschaffen. Es sollen Videos und Dokumentarfilme über den Bürgerkrieg und Landräumungen gezeigt, sowie Theater und Musikstücke aufgeführt werden.

Mit der Inbesitznahme des Hauses am 4. Juni verfolge man das Ziel, den Jugendlichen durch die Rückgewinnung des von US-Amerikanern geraubten Gebäudes, das dem alten "Amerikanischen Club" gehörte, eine Lokalität für politisch-kulturelle Arbeit zur Verfügung zu stellen.

Mendoza erklärte der Nachrichtenagentur Cerigua, dass das Gebäude in der 12. Straße zwischen 7. und 8. Avenida in der Zone 1 als offener Raum für Kreativität, Diskussion und Debatten gedacht sei. Außerdem sollen Jugendliche dort die Möglichkeit haben, Versammlungen abhalten zu können, ohne dafür bezahlen zu müssen. Er betonte, dass das Gebäude anfänglich von etwa 40 Jugendlichen besetzt wurde, doch inzwischen mehr als 600 junge Menschen abwechselnd die Protestaktion unterstützten.

Zu den sozialen Gruppen, die die Aktion unterstützen, gehören die Jugendlichen der Vereinigung Angehöriger von Verschwundenen Guatemalas FAMDEGUA (Asociación de Familiares de Detenidos Desaparecidos de Guatemala), Manifestarte, die Organisation der Söhne und Töchter verschwundener Personen H.I.J.O.S, die Christliche Jugendvereinigung ACJ (Asociación Cristiana de Jóvenes) und die Koordination der Universitätsstudenten CEU (Coordinadora de Estudiantes Universitario).

Die Bewegung sammelt derzeit Unterschriften, um sie der Ombudsstelle für Menschenrechte PDH (Procuraduría de los Derechos Humanos), dem Innenministerium und anderen betreffenden Behörden vorzulegen, damit das Gebäude den guatemaltekischen Jugendlichen übergeben werde.

Morde an Frauen und Jugendlichen nehmen zu

Von Andreas Behn

(Berlin, 15. Juni 2004, npl).- Gewaltverbrechen und Menschenrechtsverletzungen in Guatemala haben erschreckende Ausmaße erreicht. Dem jüngsten Bericht des staatlichen Menschenrechtsbeauftragten in dem mittelamerikanischen Land zufolge nehmen insbesondere die Mordserien an Minderjährigen und an Frauen ständig zu: Allein im Jahr 2003 wurden 568 Mädchen und Jungen brutal ermordet, die doppelte Zahl von 1.185 ergibt sich, wenn die getöteten Jugendlichen bis zum 21 Lebensjahr gezählt werden.

Die Serie von Morden an jungen Frauen, die an eine ähnliche Mordserie in der nordmexikanischen Grenzstadt Ciudad Juárez erinnert, hat im vergangenen Jahr 383 Opfer gefordert. Die Presseagentur CERIGUA errechnete, dass seit vier Jahren im Durchschnitt monatlich 14 Frauen, offenbar ohne Anlass oder eindeutiges Motiv, ermordet werden. Der guatemaltekische Ombudsmann spricht von einem "Femizid".

Menschenrechtler kritisieren, dass weder Justiz noch Polizei oder sonstige Sicherheitskräfte gewillt scheinen, den Gewaltorgien Einhalt zu gebieten. Vielmehr, so wird vermutet, seien Teile der Staatsdiener zumindest mittelbar in kriminelle Handlungen verstrickt. Erschreckend sei auch, wie wenig solche Themen in der Öffentlichkeit thematisiert würden.

Das Ausmaß der Gewalt in Guatemala sei durchaus mit der blutigen Zeit des Bürgerkrieges in den 80-er Jahren vergleichbar, kommentiert die Journalistin und Politikexpertin Ileana Alamilla. "Damals wurden Tausende Menschen Opfer einer Repression, die sich gegen all jene richtete, die mit abweichenden Meinungen sympathisierten." Alamilla zufolge sind die heutigen Gewaltexzesse auch eine Spätfolge der damaligen Zustände. Um so dramatischer sei es, wenn "die Behörden heute solche Barbarei mit dem Vorwurf rechtfertigen, die Frauen oder Jugendlichen seien Mitglieder von Banden, illegalen Gruppen oder gingen der Prostitution nach," so die engagierte Journalistin in einem internationalen Aufruf.

Frauen- und Kinderrechtler sprechen mittlerweile von einem Zusammenbruch des sozialen Gefüges in der guatemaltekischen Gesellschaft. Angesichts der Gewaltakte gerate die Situation außer Kontrolle, zumal fast alle Täter straffrei herumlaufen können. Kritisiert werden auch einige Medien, die mit Veröffentlichungen von brutalen Bildern zur allgemeinen Abstumpfung beitragen.

Alarmierend ist in diesem Zusammenhang, dass Guatemala im Vergleich zu den zentralamerikanischen Nachbarländern mit 23,4 Prozent den weitaus höchsten Kinderarbeits-Index aufweist. Den neuesten Zahlen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zufolge gehen 1,2 Millionen Minderjährige in Guatemala einer Lohnarbeit nach. Dies ist ein Zeichen für extrem hohe Armut, aber auch Desinteresse seitens der Behörden, zumal die Arbeitsbedingungen in Industrie wie in der Landwirtschaft manchmal unerträglich seien, so der ILO-Bericht.

Nicht nur beim Thema Kinderarbeit, auch wegen der zunehmenden Militarisierung der Gesellschaft steht der neue Präsident Oscar Berger in der Kritik. Dessen Regierung plant, entlassene Soldaten in die nationale Zivilpolizei zu integrieren. Da oftmals Polizisten, aber vor allem Militärs in Straftaten verwickelt seien, würde dieser Plan die öffentliche Sicherheit noch weiter gefährden.

HONDURAS

Lehrer und Lehrerinnen streiken wieder

(Montevideo, 17. Juni 2004, púlsar-poonal).- Die honduranischen Lehrerorganisationen verließen die Lohnverhandlungen mit der Regierung und kündigten die Rückkehr zum Streik an. Das Gremium, das mehr als 60.000 Lehrer und Lehrerinnen vereinigt, kündigte eine "Verschärfung" der Druckmittel in Bezug auf die Forderung der Einhaltung der Gehaltsklauseln in den Statuten der Lehrkräfte an.

Die Lehrer und Lehrerinnen verließen die Verhandlungen, nachdem der honduranische Präsident Ricardo Maduro angekündigt hatte, dass seine Regierung keine Kapazitäten habe, um die finanziellen Forderungen des Gremiums zu erfüllen.

Der Vorsitzende des Lehrerkollegiums für Mittleren Schulabschluss Nelson Cáliz, kündigte an, falls es keine Antworten auf ihre Vorschläge gäbe "wird es eine große Demonstration der Lehrer in Tegucigalpa geben“. Vertreter der Regierung, der Lehrerschaft und der Zivilgesellschaft versuchten zwei Tage lang eine Lösung für den Konflikt zu finden. Die Verhandlungen wurden abgebrochen, nachdem die Regierungsseite erneut wissen ließ, dass es keine Mittel gäbe um die Forderungen der Lehrer und Lehrerinnen zu befriedigen.

Die Streikenden fordern vom Staat die Zahlung von Bezügen, die seit zehn Jahren ausstehen und eine 30 prozentige Erhöhung der Jahresgehälter. Nach Regierungsangaben würde die Befriedigung der Forderungen der Lehrerkräfte eine Zahlung von 158 Millionen US-Dollar bedeuten.

EL SALVADOR

Amnesty International: Anti-Mara-Gesetz ist diskriminierend

Von Evandro Bonfim*

(San Salvador, 17.Juni 2004, adital).- Die Maßnahmen des Anti-Mara-Gesetzes, mit dem gegen die von Jugendgruppen begangenen Straftaten vorgegangen wird, beurteilt Amnesty International als diskriminierend. „Es ist besonders besorgniserregend, dass das Gesetz Mitglieder der "Maras“ oder Banden einfach wegen ihres Aussehens und ihres sozialen Umfeldes bestraft. Der Gesetzestext nimmt unmittelbar Bezug auf Tattoos und Identifizierungssymbole, die typischerweise von diesen Gruppen benutzt werden“, erklärte die Menschenrechtsorganisation.

In Wirklichkeit, so betont selbst der Oberste Gerichtshof des Landes, betrifft das Anti-Mara-Gesetz Delikte, die im Strafgesetzbuch schon berücksichtigt sind. Damit sei das Gesetz unnötig und außerdem gesetzeswidrig, weil darin vorgesehen ist, Jugendliche unter 18 Jahren wie Erwachsene zu bestrafen. Das Komitee für Kinderrechte der Vereinten Nationen hatte bereits zuvor festgestellt, dass das Anti-Mara-Gesetz die Kinderrechtskonventionen verletzt. Die Organisation fordert von der Regierung El Salvadors die Gültigkeit des Gesetzes aufzuheben.

Das Gesetz wurde im Oktober 2003 für die Dauer von sechs Monaten verabschiedet. Im April war es seinen Fürsprechern nicht gelungen es auf unbefristete Zeit zu verlängern. Lediglich eine Verlängerung bis Juli wurde erreicht. Jetzt, da das Gesetz nicht noch einmal neu aufgelegt werden kann, gibt es Pläne der gesetzgebenden Versammlung, ein neues Gesetz zur Bekämpfung der Maras zu schaffen, das von dem noch gültigen beeinflusst sein soll. Amnesty International spricht sich gegen das Vorgehen aus, ein diskriminierendes Gesetz zu erhalten.

"Es ist sehr wahrscheinlich, dass jeder Vorschlag für ein endgültiges Gesetz nur wenig von den vorherigen abweicht. Selbst wenn es eine andere Fassung ist, Konzept und Substanz des neuen endgültigen Vorschlags werden gleich sein, wie im für verfassungswidrig erklärten Gesetz", erklärte die internationale Menschenrechtsorganisation.

AI fordert die gesetzgebende Versammlung in El Salvador deshalb auf, „die aktuelle Gesetzgebung zu annullieren und von jeglicher Absicht abzusehen, neue Anti-Mara-Gesetze zu schaffen, die sowohl gegen die Verfassung als auch gegen internationale Normen und Menschenrechte verstoßen“.

* Evandro Bonfim arbeitet als Journalist für Adital

HAITI

Amnesty international kritisiert US-geführte Besatzungstruppe

Von Andreas Behn

(Berlin, 21. Juni 2004, npl).- Menschenrechtler kritisieren die US-Interventionstruppe, die seit fast vier Monaten in dem Karibikstaat Haiti stationiert ist. Einem am Montag (21.6.) veröffentlichten Bericht von Amnesty International (AI) zufolge versäumten sie die Gelegenheit, die Bevölkerung und vor allem paramilitärische Gruppen in dem Krisenland zu entwaffnen. Schätzungen gehen davon aus, dass derzeit rund 25.000 Haitianer bewaffnet sind und von diesen Waffen auch Gebrauch machen.

Obwohl sie die einzigartige Gelegenheit zu einer umfassenden Entwaffnung hatten, hätte die US-Führung der Truppe nicht einmal versucht, mit der haitianischen Polizei zu kooperieren, kritisiert Amnesty International. Die 3.600 Mann starke Truppe aus den USA, Chile, Frankreich und Kanada hätte mehr für eine effektive Entwaffnung im Land tun müssen, monierte Eric Olson, AI-Direktor für Nord- und Südamerika. Ein Sprecher der US-Armee erwiderte, eine Entwaffnung sei nicht ihr Auftrag gewesen. Sie hätten illegale Waffen beschlagnahmt, wenn sie welche fanden. Ihr Ziel sei es jedoch gewesen, für Ruhe und Ordnung zu sorgen, was ihnen in der Hauptstadt Port-au-Prince auch gelungen sei.

Kritiker der neuen, US-gestützten Regierung von Haiti gehen in ihrer Kritik weiter. Sie werfen dem neuen Premier Gerard Latortue vor, brutal gegen die Opposition vorzugehen und den Paramilitärs, deren Rebellenarmee im Februar einen Aufstand gegen den gewählten Präsidenten Jean-Bertrand Aristide anführte, freie Hand zu gewähren. Immer wieder komme es zu Übergriffen gegen missliebige Personen, viele Anhänger des ehemalige Präsidenten trauen sich kaum noch in die Öffentlichkeit. Auch wird Premier Latortue vorgeworfen, alle Aristide-Leute aus den Ämtern und Behörden zu entlassen.

Ende Februar hatte Präsident Aristide, der einst als Hoffnungsträger der Armen zum Präsidenten gewählt wurde, fluchtartig das Land verlassen. Zuvor hatten sich immer mehr Haitianer von ihm abgewandt, weil sie mit seinem inzwischen autokratischen Regierungsstil nicht mehr einverstanden waren. Eine US-gestützte Rebellenarmee nutzte diese Unruhe, um gegen die Regierung mobil zu machen. Sie errang immer mehr militärische Erfolge, und Ende Februar drängten die USA und Frankreich den amtierenden Präsidenten ultimativ, das Land zu verlassen.

Vom Exil aus klagte Aristide die Mächte, die inzwischen Soldaten in Haiti stationiert hatten, an, sie hätten ihn entführt. Mittlerweile erhielt er in Südafrika Asyl. Insbesondere die Staaten der karibischen Gemeinschaft CARICOM stehen dem putschartigen Umsturz in Haiti kritisch gegenüber und weigern sich trotz des Drucks seitens Washingtons bislang, die neue Regierung unter dem aus Miami eingeflogenen Premier Gerard Latortue anzuerkennen.

Dieser Tage wird die umstrittene, US-geführte Besatzungstruppe von einer UN-Mission abgelöst. Die 7.600 Blauhelmsoldaten werden von Brasilien angeführt, das mit diesem Engagement seine Rolle als regionale Führungsmacht unterstreichen will. Auch aus den Nachbarländern Argentinien und Uruguay sowie aus Chile werden Kontingente bereit gestellt.

KOLUMBIEN

Repräsentantenkammer billigt Antiterrorstatut

(Montevideo, 11. Juni 2004, comcosur-poonal).- Die Regierung Álvaro Uribes hat einen Sieg errungen: das Repräsentantenhaus billigte mit 90 Stimmen bei 20 Gegenstimmen ein Gesetz, welches es dem kolumbianischen Militär erlaubt, ohne richterliche Anordnung Telefonate zu überwachen sowie Hausdurchsuchungen und Verhaftungen durchzuführen. Das neue Gesetz verpflichtet außerdem die Bewohner von Gebieten, die zur Kriegszonen deklariert wurden, zur Anmeldung ihres Wohnsitzes bei den Behörden.

Das Gesetz regelt die schon im Dezember 2003 verabschiedete Verfassungsreform, das sogenannte Antiterrorstatut, das von der Linken und von Menschenrechtsorganisationen scharf verurteilt wird. Die Entscheidung über das Inkrafttreten der Reform obliegt nun dem Verfassungsgericht. Das Antiterrorstatut ist Bestandteil der von Präsident Uribe verfolgten Strategie der „demokratischen Sicherheit“, zu der auch eine Erhöhung des Militärhaushalts und der Truppenstärke sowie der Aufbau eines Netzwerkes bezahlter ziviler Informanten gehören. Menschenrechtsorganisationen haben diese Strategie wiederholt verurteilt, weil sie, wie in der Vergangenheit schon beobachtet werden konnte, schwerem Missbrauch durch die Militärs Tür und Tor öffnet.

ECUADOR

Präsident Gutiérrez gerät immer stärker unter Druck

Von Juis Ángel Saavedra und Roberto Roa

(Quito, 19. Juni 2004, npl).- "Wann fällt Gutiérrez?" Dies ist die meistgestellte Frage in Ecuador, nachdem der umstrittenen Präsident laut Umfragen nur noch von fünf Prozent der Bevölkerung unterstützt wird. Angesichts immer neuer Skandale, Korruptionsaffären und Streitigkeiten im Staatsapparat ist in den Medien nicht mehr das "ob", sondern nur noch der Zeitpunkt eines Machtwechsel Thema.

Ende Mai hatten sich mehrere wichtige politische Parteien darauf geeinigt, den Ex-Militär Lucio Gutiérrez wegen "Unfähigkeit zu regieren" aus dem Amt zu vertreiben. Mangels "Beweisen" für diese These wird zugleich versucht, die Korruptionsvorwürfe in den Mittelpunkt zu stellen: Gutiérrez und seinen Mitarbeitern wird nicht nur Bereicherung und eine illegale Wahlkampffinanzierung vorgeworfen, sondern auch Verbindungen zum Drogenhandel.

Palastrevolten sind durchaus üblich in dem kleinen Andenland Ecuador. Bereits vor sieben Jahren gelang es, einen Machthaber wegen "mentaler Inkompetenz" zu entmachten, Jahre später zwang eine soziale Protestwelle einen weiteren Präsidenten aus dem Amt. Eigentlich war die Wahl von Lucio Gutiérrez vor eineinhalb Jahren eine Folge der erstarkten Protestbewegung: Vor allem die Indígena-Organisationen und andere Aktivisten versprachen sich von ihm einen Politikwechsel hin zu mehr sozialer Gerechtigkeit. Doch kaum im Amt wechselte Gutiérrez die Seiten, verprellte seine eigene Basis und richtete seine Politik an den Interessen der Wirtschaft und der USA aus.

Die wichtigsten Indígena-Dachverbände CONAIE und FENOCIN fordern mittlerweile seinen Rücktritt und riefen zu neuen, landesweiten Mobilisierungen auf. Vor allem werfen sie Gutiérrez vor, dass er sich dem Diktat des Internationalen Währungsfonds IWF unterordne, wodurch sich die soziale Lage weiter verschlimmert habe und der Bildungs- sowie Gesundheitssektor verkümmere.

Nach dem Bruch der linken Allianz Ende vergangenen Jahres suchte und fand der Präsident Unterstützung bei rechten Parteien, namentlich bei den Christsozialen. Doch angesichts immer neuer Korruptionsvorwürfe ging jetzt auch die PSC wieder auf Abstand, um ihre Klientel nicht leichtfertig zu verspielen. Derart isoliert bröckelt es nun auch in seinem eigenen Kabinett: Sozialminister Patricio Acosta reichte am 27. Mai seinen Rücktritt ein, Wirtschaftsminister Mauricio Pozo tat selbiges am 1. Juni – der 26. Ministerwechsel in gerade mal 16 Regierungsmonaten.

Während Acosta offenbar zurücktrat, weil die USA ihm wegen Korruptionsvorwürfen ein Einreisevisum verweigerten, stolperte Pozo über den energischen Protest von Indígena-Bewegung und linker Opposition gegen seine Wirtschaftspolitik, die laut seinen Kritikern vor allem darin bestand, Geld für die Zahlung der Auslandsschulden zu beschaffen. Da Pozos Nachfolger Mauricio Yépez schon ankündigte, den neoliberalen Kurs seines Vorgängers fortzusetzen, sind weitere Konflikte vorprogrammiert.

Die Neubesetzung des Sozialministeriums hingegen zeigt, dass die starken sozialen Bewegungen in Ecuador nicht mehr so geeint agieren können wie zuvor. Antonio Vargas, früher selbst Präsident der CONAIE und mittlerweile Sprecher einer anderen, abtrünnigen Indígena-Organisation, akzeptierte Gutiérrez' Einladung, das Amt zu übernehmen. Damit ist die Spaltung der Bewegung endgültig vollzogen. "Wir verteidigen den Rechtsstaat und sind dagegen, einen für vier Jahre gewählten Präsidenten aus dem Amt zu treiben," so Marco Murillo, Präsident der in der FEINE organisierten evangelischen Indígenas Ecuadors. Mit diesen Worten rechtfertigte er im Namen mehrerer kleiner Indígena-Organisationen die Beteiligung von Vargas an der umstrittenen Regierung und verurteilte den CONAIE-Aufruf zu neuen Protesten. Diese Haltung brachte seiner Klientel bereits mehrere Posten im Regierungsapparat ein, die kurz nach der Wahl noch CONAIE-Aktivisten inne hatten.

Für den Analysten Guadalupe Fierro ist Präsident Lucio Gutiérrez noch nicht am Ende: "Er ist ein Militärstratege, und seine wichtigste politische Funktion ist es, verschiedene soziale Kräfte gegeneinander in Stellung zu bringen, damit sie sich gegenseitig aufheben." In diesem Sinne sei die Ernennung von Vargas und die Spaltung der Indígenas ein strategischer Erfolg des Präsidenten, so Fierro. Und solange Gutiérrez von den USA und dessen Botschafterin in Quito, Kristie Kenney, geschützt wird, könne er sich im Präsidentenpalast sicher fühlen.

ARGENTINIEN

Neue Untersuchungskommission geschaffen

(Montevideo, 11. Juni 2004, comcosur).- Der argentinische Präsident Néstor Kirchner schuf per Dekret eine „Spezialeinheit für Nachforschung”. Diese soll das Schicksal von Kindern aufklären, die im Gefängnis geboren und deren Mütter während der Militärdiktatur ermordet wurden oder verschwunden sind.

Das Organ ist mit besonderen Befugnissen ausgestattet, um in allen offiziellen Körperschaften nach Informationen zu suchen. Eduardo Luis Duhalde, der Minister für Menschenrechte, sagte, dass die 500 Fälle untersucht werden. Bei der Zeremonie nahmen „Las Abuelas de Plaza de Mayo“ (Die Großmütter des Plaza de Mayo“) teil, mit deren Präsidentin Estela de Carlotto. Diese Organisation hat es bereits geschafft, 77 Jugendliche, die sich auf den Listen der Vermissten befanden, ausfindig zu machen.

Argentinien lehnte Ausweisung eines mutmaßlichen ETA-Mitglieds ab

(Montevideo, 17. Juni 2004, púlsar).- Der argentinische Richter Claudio Bonadío lehnte den Antrag Spaniens ab, den Basken Jesús María Laríz Iriondo auszuliefern. Laríz Iriondo war von der spanischen Justiz wegen seiner angeblichen Teilnahme an Attentaten der separatistischen Organisation ETA angeklagt worden.

Die argentinische Justiz war der Meinung, dass die Anklagepunkte gegen Laríz Iriondo, der seit Ende 2002 in Buenos Aires inhaftiert auf seinen Prozess wartete, mittlerweile verjährt sind. Die richterliche Entscheidung löste Beifallsstürme bei der baskischen Bevölkerung und bei Mitgliedern von Menschenrechtsorganisationen aus, die die Freilassung Laríz Iriondos forderten.

Im Prozess leugnete Laríz Iriondo die ETA-Zugehörigkeit und wies die Beschuldigungen auf versuchten Mord und gemeinschaftlichen Raub von sich. Gegenstand des Raubes am 9. Oktober 1984 war ein Fahrzeug, das danach mit Sprengkörpern versehen wurde und auf der Schnellstrasse von Elgoibar nach Eibar (Spanien) detonierte. Iriondo lebte einige Jahre in Uruguay. Die Justizbehörden dort wiesen zwar in drei Fällen die Auslieferungsgesuche des spanischen Richters Baltasar Garzón zurück, akzeptierten aber die Ausweisung von Laríz Iriondo. In Argentinien angekommen, wurde der Baske von Interpol festgenommen. Er wird jedoch aufgrund der richterlichen Entscheidung in Argentinien bleiben und sich in Sicherheit wahren können.

URUGUAY

Fall Berríos: Auslieferung von drei Militärs beantragt

(Montevideo, 11. Juni 2004, comcosur).- Der chilenische Oberste Gerichtshof forderte von Uruguay die Auslieferung von drei uruguayischen Militärs, die des Mordes an dem chilenischen Chemiker Eugenio Berríos angeklagt sind. Berríos war Agent des chilenischen Geheimdienstes unter Pinochet DINA (Dirección de Inteligencia Nacional) und wurde in Uruguay ermordet. Das Gericht verlangt die Auslieferung des Oberst a.D. Tomás Casella, des Hauptmanns Eduardo Radaelli und des Oberst Wellinton Sarli. Alle drei werden von dem chilenischen Richter Alejandro Madrid angeklagt, sich der unerlaubten Vereinigung und der Entführung des chilenischen Ex-Chemikers schuldig gemacht zu haben.

Berríos war in einer geheimen Aktion der DINA 1991 aus Chile geschafft worden, um so sein Erscheinen vor Gericht im Fall der Ermordung des Ex-Außenministers der Regierung Salvador Allendes, Orlando Letellier, zu verhindern. Letellier wurde 1976 in Washington bei einem Anschlag ermordet.

In Uruguay hatte Berríos versucht, seinen chilenischen und uruguayischen Entführern zu entkommen. Ihm gelang die Flucht bis zu einer Polizeistation, wo er um Schutz vor seinen Entführern bat. Die Polizisten jedoch brachten ihn zu seinen Entführern zurück und verschwanden anschließend. Die sterblichen Überreste Berríos wurden erst 1995 im uruguayischen Badeort El Pinar gefunden. Der Oberste Gerichtshof übersandte am 11. Juni 2004 seinen Richterspruch an die chilenische Regierung, die diesen wiederum an die zuständigen uruguayischen Regierungsstellen weiterleiten wird. Die uruguayische Regierung betonte, dass sie sich nicht in das Gesuch der chilenischen Justiz einmischen werde.

CHILE

Wehrdienstreform ausgesetzt

(Santiago de Chile, 15. Juni 2004, adital-poonal).- Die Abstimmung in der Abgeordnetenkammer zur geplanten Reform des obligatorischen Wehrdienstes ist zunächst ausgesetzt worden. Führende Militärs verlangten Einschränkungen bei der Klausel zur Verweigerung aus Gewissensgründen. Die Klausel war im vergangenen Jahr von den beiden Abgeordneten Antonio Leal und Jorge Burgos eingebracht worden. Sie soll jungen Männern ermöglichen, die Einberufung aufgrund innerer Überzeugungen zu verweigern, wie es bereits in Brasilien möglich ist.

Die vom chilenischen Heereschef Juan Emilio Cheyre geäußerte Befürchtung, dass der Staat mit diesem Gesetz nicht genügend Männer zur Landesverteidigung einziehen könne, führte zu einer Neufassung der Verweigerungsklausel. Weitere Munition im Kampf gegen die Klausel lieferte das Zentrum für militärische Studien und Untersuchungen. Es warnte vor einem Anstieg der Kosten der öffentlichen Hand als Folge des Gesetzes. Es würde den Staat dazu zwingen, anderweitig Personal zu suchen, einschließlich Freiwilligen und Berufssoldaten.

Verteidigungsministerin Michelle Bachelet leitete eine Revision des Gesetzes ein, mit der Begründung des Mißbrauchs zu verhindern. Das Recht auf Verweigerung aus Gewissensgründen wurde stark eingeschränkt. So fällt jetzt, zum Beispiel, die endgültige Entscheidung über die Annahme der Verweigerung dem Verteidigungsministerium zu. Eine Verhandlung vor einem ordentlichen Gericht ist nunmehr ausgeschlossen.

Die antimilitaristische Gruppe “Wegtreten” (Rompiendo Filas), die für das Recht auf Verweigerung aus Gewissensgründen in Chile kämpft, bezeichnet die neue Klausel als „eine Lächerlichmachung der Menschenrechte, da die Militärs sich allzusehr in diese Sache einmischen. Die Regierung untegräbt aus Angst die Militärs zu verärgern lieber ein fundamentales Menschenrecht, das bereits in der Universellen Erklärung der Menschenrechte spezifiziert ist.”

Der Kampf für das Recht auf Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen begann in Chile im Jahr 1995, als sich das Chilenische Netzwerk für die Verweigerung aus Gewissensgründen ROC (Red Chilena de Objeción de Conciencia konstituierte. Im vergangenen Jahr schrieben 70 junge Männer Briefe an die Verteidigungsministerin, in denen sie feststellten, dass „sie nicht gewillt sind, den Gebrauch von Waffen zu erlernen oder andere Menschen zu töten, dass sie den Krieg (aus ethischen, philosophischen oder religiösen Gründen) ablehnen und für friedliche Konfliktlösungsstrategien eintreten” und deswegen das Recht haben sollten, den Wehrdienst zu verweigern. Zufall oder nicht, keiner von ihnen wurde bisher einberufen.

Um Anreize für den Wehrdienst zu schaffen, sieht das neue Gesetz wirtschaftliche Vergünstigungen vor, wie Solderhöhungen, Wohngeld und Fortbildungen bis hin zu Studienmöglichkeiten.

PARAGUAY

Plan Condor: Dokumentation in Rom vorgelegt

(Montevideo, 11. Juni 2004, comcosur).- Der paraguayische Rechtsanwalt und Menschenrechtler Martín Almada hat der italienischen Justiz eine vollständige Dokumentation über die Zeit der Repression in Paraguay vorgelegt. Auch italienische Bürger waren unter den Opfern. In den 70er und 80er Jahren koordinierte, den in die Jahre gekommenen Diktator (1954 – 1989) Alfredo Stroessners den schmutzigen Krieg mit anderen Militärregimes im Rahmen des Plan Condor.

Die dem italienischen Staatsanwalt Giancarlo Capaldo vorgelegte Dokumentation verdächtigt den paraguayischen General Alejandro Fretes und enthält Fahndungs- und Haftbefehle gegen mutmaßliche Täter aus Paraguay, Argentinien, Chile, Uruguay, Bolivien und Brasilien. Almada legte ebenfalls Dokumente über das Schicksal italienisch-argentinischer und italienisch-uruguayischer Bürger in Paraguay vor, die in eine Falle gingen. Der militärische Geheimdienst richtete ein Parallelbüro zum staatlichen Geheimdienst ein, um falsche Pässe für Ausländer auszustellen, die nach Europa reisen wollten. Beim Abholen der Dokumente wurden sie festgenommen. Almada entdeckte 1992 das geheime Archiv über die Operation „Condor“, in einem während der Diktatur von der Polizei genutzten Stützpunkt. Damit wurde weiter aufgeklärt und bestätigt, dass der „Plan Condor“ von den Vereinigten Staaten und den lateinamerikanischen Diktaturen ins Leben gerufen wurde, um den schmutzigen Krieg zu internationalisieren.

BOLIVIEN

Indigenas nehmen Siedler als Geiseln

(La Paz, 15. Juni 2004, adital). – Indigenas der Ethnie Yuracaré aus der Gemeinde Ibarecito, in den Tropen von Cochabamba in Bolivien, haben 40 Geiseln genommen. Die als „colonos“ bezeichneten Siedler waren zuvor in das Gebiet der Indigenas eingedrungen. Laut dem Bündnis der bolivianischen indigenen Bevölkerung CIDOB (Confederación de Pueblos Indígenas de Bolivia) haben die Yuracaré diese Maßnahme ergriffen, um die Behörden zu einem Eingreifen in dem Konflikt zu zwingen.

Der Konflikt könnte in gewalttätigen Auseinandersetzungen enden, wenn die Regierung nicht sofort interveniert. Es kursieren Gerüchte, dass die Siedler sich organisieren, um ihre Kollegen zu befreien. Die CIDPB kritisiert die staatliche Untätigkeit in Bezug auf die Verzögerung der Erfüllung der rechtmäßigen Forderungen der indigenen Bevölkerung. „Unsere Brüder werden es nicht erlauben, dass die Siedler weiter in ihr Gebiet eindringen. Es war schon ein langer Prozess bis uns das Gebiet zugesprochen wurde. Wir haben uns auf das Gesetz gestützt und sogar gesetzliche Landtitel und die Sanierung des Gebiete zugesprochen bekommen“.

Das Problem der Yuracaré ist, dass sie in der Region weit verstreut leben. Und die Behörden ergreifen keine Maßnahmen, um die Siedler am Eindringen in das Gebiert zu hindern oder die Besitzansprüche der dort lebenden Bevölkerung zu stärken. Letztes Jahr wurden illegal Ländereien in der Guarayo-Gemeinde Yaguarú von Siedlern besetzt. Ebenfalls im Jahr 2003 besetzten Coca-Bauern Ländereien der Yuracaré. Die Probleme sind also nicht neu.

Die Yuracaré fordern die Anwesenheit des regionalen Präfekten aus Cochabamba, des Staatlichen Institutes für die Agrarreform (Instituto Nacional de Reforma Agraria), des Abgeordneten und Führer der Cocabauern Evo Morales Ayma sowie von Vertretern der Ombudsstelle (Defensoría del Pueblo) und Menschenrechtsorganisationen. Die Freilassung der Geiseln werde erst erfolgen, wenn die genannten Personen sich am Ort des Geschehens einfinden.

Bürgermeister gefoltert und getötet

(La Paz, 16. Juni 2004, adital-poonal).- Nachdem im April diesen Jahres der Bürgermeister der Ortschaft Ilave in Perú gelyncht wurde, hat nun einen bolivianischen Bürgermeister ein noch schlimmeres Schicksal ereilt. Bäuer*innen der Gemeinde Ayo Ayo, die 85 Kilometer von der Hauptstadt La Paz entfernt liegt, werden angeklagt, den Bürgermeister der Stadt, Benjamín Altamirano Calle, entführt, gefoltert und verbrannt zu haben. Benjamín Altamirano Calle wurde Korruption vorgeworfen. Laut Information der bolivianischen Nachrichtenagenturen hatten einige Bäuer*innen, angeführt vom Stadtrat Saturnino Apaza Aro, den Bürgermeister zuvor angehalten und ihn gezwungen in ein Privatauto zu steigen.

Aus ersten Ergebnissen der Autopsie geht hervor, dass der Bürgermeister einen Schädelbruch und zahlreiche schwere Knochenbrüche erlitten hatte. Als Todesursache wurden Dehydrierung und schwere Verletzungen des zentralen Nervensystems festgestellt, womit die Behauptung seiner Angehörigen, dass er an einem Pfosten festgebunden und anschließend verbrannt worden sei, widerlegt wurde. Saturnino Apaza Aro wurde festgenommen. Das Innenministerium kündigte an, den Fall zu untersuchen, um die materiellen und intellektuellen Urheber des Mordes zu fassen.

Benjamín Altamirano Calle wurde als aktives Mitglied der Neuen Republikanischen Kraft (Nueva Fuerza Republicana) zum Bürgermeister gewählt. Am 26 März 2002 konnten sich Altamirano Calle und sein Anwalt vor einem Lynchversuch retten. Einige Tage später brannten Bäuer*innen sein Haus ab. Der Bürgermeister musste seinen Wohnsitz in die Stadt El Alto verlegen. Die Bewohner*innen bezichtigten Altamirano Calle der Korruption und erstatteten Anzeige bei den Justizbehörden von Sica Sica, aber die Richter ließen die Anklage aufgrund von fehlenden Beweisen fallen.

Die Polizist*innen und Journalist*innen, die bei der Bergung des Körpers des Bürgermeister anwesend waren, mussten vor den Bäuer*innen fliehen, als diese begannen, die Beamten und Journalisten zu beschimpfen. Die vom staatlichen Kanal 7 ausgestrahlten Bilder zeigten die Bäuer*innen, wie sie die Journalist*innen daran hinderten, sie direkt zu filmen und Steine gegen sie warfen.

Laut Fernando Mayorga Ugarte, Direktor des Zentrums für höhere universitäre Studien der Universität Mayor von San Simón (Centro de Estudios Superiores Universitarios de la Universidad Mayor de San Simón), steht hinter dem Mord am Bürgermeister von Ayo Ayo „das Übel der sogenannten Gemeindejustiz. Das führt zu Lynchjustiz und macht die Abwesenheit von staatlichen Institutionen sehr deutlich. Es gibt keine Kanäle, um Konflikte zu bearbeiten oder um die institutionelle Justiz anzurufen. In diesem Fall war das Opfer eine öffentliche Person, ebenso wie in Ilave in Perú“.

Die Gemeinde Ayo Ayo zählt 7.000 Einwohner*innen und liegt in unmittelbarer Nähe zur peruanischen Grenze. Es sind nur 50 Kilometer bis in die Ortschaft Ilave, wo am 26 April der Bürgermeister Cirilo Robles gelyncht worden war.

SURINAM

Militärübung boykottiert

(Lima, 16. Juni 2004, na).- Surinam wird nicht an der Operation „Nuevos Horizontes 2004“ teilnehmen, die US-amerikanische Militärs des „Comando Sur“ gemeinsam mit Soldaten aus einigen Ländern der Region in der Karibik abhalten werden. Laut der Tageszeitung De Ware Tijd vom 3. Juni sei der Entschluss gefällt worden, weil die Regierung nicht zulässt, dass US-amerikanische Militärs außerhalb des Trainingsgebietes Waffen tragen. Außerdem soll das Gepäck der Militärs am Zoll inspiziert werden. Die Vereinigten Staaten hatten gefordert, dass die Habe der Soldaten nicht kontrolliert werden soll.

Die Konsequenz daraus ist, dass das Land nichts abbekommt von den rund 5 Millionen US-Dollar, die als Ausgleich für die Nutzung der Infrastruktur im Gesundheits-, Bildungs- und Erholungsbereich durch die US-amerikanischen Truppen während der Operation, vorgesehen waren. Die Tageszeitung unterstützt die Position des Präsidenten Ronald Venetiaan und weist darauf hin, dass es „wichtig ist, dass es Entwicklungsländer wie Surinam nicht kümmert, wie arm sie sind und dass sie als souveräne Staaten ihre Würde behalten, anstatt sich mit Geld oder materieller Hilfe kaufen zu lassen. Der Respekt vor sich selbst ist wichtig damit jedes Land als volles Mitglied der internationalen Gemeinschaft anerkannt wird."

LATEINAMERIKA

Verhandlungen über Freihandelsabkommen EU-MERCOSUR stagnieren

Von Andreas Behn

(Berlin, 17. Juni 2004, npl).- Die Verhandlungen zwischen der Europäischen Union (EU) und den im MERCOSUR zusammengeschlossenen Staaten Südamerikas kommen nicht voran. Brasiliens Außenhandels- und Industrieminister Luiz Fernando Burlan erklärte am Donnerstag, dass die derzeit in Sao Paulo laufenden Verhandlungen ohne konkretes Ergebnis abgebrochen wurden. Laut Burlan sind es vor allem zwei Aspekte, die die Verhandlungen über eine gemeinsame Freihandelszone blockieren: Die Weigerung der EU, ihre Agrarmärkte für Exporte zu öffnen, und der Unwille seitens der MERCOSUR-Staaten, ihren Dienstleistungssektor vollständig zu deregulieren.

Im Vorfeld des Europa-Lateinamerika-Gipfeltreffens im mexikanischen Guadalajara Ende Mai war den Gesprächen noch ein schnelles Vorankommen prophezeit worden. Zumal das unmittelbare Konkurrenzprojekt – die von den USA vorangetriebene Gesamtamerikanische Freihandelszone ALCA – seit über einem Jahr stagniert, weil sich insbesondere Washington und die Regierungen von Brasilien und Argentinien nicht einig werden. Doch die Gelegenheit, den USA in Südamerika zuvorzukommen, könnte den 25 Mitgliedsstaaten der EU entgehen, wenn sie wie bisher nicht bereit sind, ihrerseits Kompromisse einzugehen. Ähnliches war bereits auf der letzten Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation WTO in Cancún geschehen, als erstmals ein Block von über 20 Entwicklungsländern, die G20, den einseitigen Forderungen der Industriestaaten wirkungsvoll Paroli bot.

José Martinez, Argentiniens Vize-Wirtschaftsminister, erklärte in Sao Paulo, angesichts dieser Sachlage sei es "schwierig, wie geplant bis Oktober dieses Jahres ein Rahmenabkommen zu erreichen". Die MERCOSUR-Länder Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay seien zudem unzufrieden über den Verlauf der Gespräche zu Finanzdienstleistungen. Es könne nicht angehen, dass Südamerika diesen Sektor vollständig den übermächtigen Unternehmen aus Europa öffne, präzisierte Martinez.

Diese Kritik des Südens ist allerdings eine andere Sichtweise als die der sozialen Organisationen beiderseits des Atlantiks. Dies wurde auf einer Konferenz der internationalern Bauernorganisation Via Campesina deutlich, die zur gleichen Zeit ebenfalls im südbrasilianischen Bundesstaat Sao Paulo stattfand. Sowohl die vielgerühmte G-20 wie auch die UNO wurden von Bauernvertretern aus über 80 Ländern – unter ihnen Vertreter der brasilianischen Landlosenbewegung MST wie auch der französische Aktivist José Bové – heftig kritisiert.

Sehr enttäuscht zeigte sich Rafael Alegría, Generalsekretär von Via Campesina, über die Verhandlungspositionen der G-20: "Sie suchen lediglich nach mehr Märkten, und das ist schlicht neoliberal," so der Honduraner Alegría. Seine Organisation werde solche Staatenbündnisse nur dann unterstützen, wenn sie sich dem Neoliberalismus entgegen stellten, ergänzte Alegría.

Auch die UN-Organisation für Landwirtschaft und Lebensmittel (FAO) stieß unter den Via Campesina-Delegierten auf Kritik. Ihrem Generalsekretär zufolge würden nur multinationale Unternehmen von den FAO-Aktivitäten profitieren, während Kleinbauern und Landlose das Nachsehen hätten. Dass die FAO in ihrem letzten Bericht zum Hunger in der Welt der Nutzung von biologisch modifizierten Lebensmittels Vorschub geleistet habe, bezeichnete Rafael Alegría als "Schande".

 

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