Poonal Nr. 619

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen vom 20. April 2004

Inhalt


GUATEMALA

KOLUMBIEN

ECUADOR

VENEZUELA

PARAGUAY

BRASILIEN

CHILE


GUATEMALA

Gemeinsame Grenze mit Honduras in der Kritik

(Guatemala-Stadt, 14. April 2004, cerigua).- Die Präsidenten von Guatemala und Honduras, Oscar Berger und Ricardo Maduro, unterschrieben am Mittwoch (14. April) eine Erklärung, um die Zollgrenze der beiden Länder zu vereinigen. Der Festakt fand an der Grenze von Agua Caliente, Esquipulas und Chiquimula statt.

Nach Angaben des honduranischen Innenministers werden die Einwanderungsbehörden beider Nationen durch diese Initiative zusammengefasst. Ab heute beginnt die Umsetzung des gemeinsamen Zollprojektes. Honduras schloss sich damit dem Vorgehen El Salvadors an. Vor einigen Tagen hat El Salvador mit der guatemaltekischen Regierung vereinbart, die Grenzen zu öffnen, um die kommerziellen Vorgänge und auch den Übertritt von Personen zu beschleunigen. Dieses Mittel wurde von den Regierungen der unterzeichnenden Länder als positiv bewertet, jedoch von Gruppen kritisiert, die sich für die Interessen von Migranten einsetzen.

Um die Grenze zu überschreiten, wurden bislang 50 Minuten für behördliche Vorgänge benötigt. Nun werde man nur noch durchschnittlich 20 Minuten brauchen, sagte Oscar Cordova, Vertreter der Generaldirektion der Einwanderungsbehörde in Guatemala. Nicht ändern werde sich die Überprüfung der Abstammung und die Erfassung von Minderjährigen, um einen Personenhandel zu verhindern. Die Initiative hat Gültigkeit in Agua Caliente, el Florido und el Cinchado.

Hinter der Öffnung der Grenzen in Zentralamerika stünden nur ökonomische Interessen und keine humanitären, erklärte jüngst Pfarrer Ademar Barilli gegenüber cerigua. Er ist Direktor des Hauses der Migranten (Casa de Migrantes) mit Sitz in Tecún Umán, San Marcos. An der Grenze zu Honduras würden die meisten Menschenrechtsverletzungen durch Mitarbeiter der Einwanderungsbehörden verübt. Das sei vor einer Dekade noch nicht so gewesen, sagte Barilli.

„Was nützt es, Verträge zu unterschreiben, wenn die Zentralamerikaner Objekte von Erpressung und Beeinträchtigungen vor oder nach der Grenzüberschreitung sind,“ fragte sich der Geistliche. Er bestätigte, dass viele Personen Opfer von Ausbeutung der Behörden seien, obwohl sie einen Personalausweis bei sich tragen, der ihnen freien Transit in Guatemala gewähre. Bei den Behörden finde man immer irgendeine Ausrede, um die Migranten zu erpressen oder zu beeinträchtigen.

Straflosigkeit bei Kindermorden kritisiert

(Montevideo, 13. April 2004, púlsar).- Die Organisation Casa Alianza gab bekannt, dass im vergangenen Jahr insgesamt 747 Kindern und Jugendlichen unter 23 Jahren in Guatemala ermordet wurden. Dieser Tatbestand wird zudem erschwert durch die geringe Strafverfolgung bei dieser Art von Verbrechen. „Ganz genau wie in Honduras ist die Anzahl der Morde, die keine Strafverfolgung nach sich zieht, sehr hoch. Die Länder kommen ihrer Aufgabe, die Täter zur Verantwortung zu ziehen, nicht nach und missachten so die Menschenrechte von Jungen und Mädchen,“ sagte der regionale Leiter der Organisation Casa Alianzas in Lateinamerika Bruce Harris.

Nach Angaben von Casa Alianza waren 93 Prozent der Opfer männlichen Geschlechts, 229 unter 18 Jahren und die anderen weniger als 23 Jahre alt. 23 ist auch das maximale Alter derjenigen, um die Casa Alianza sich in ihren Programmen bemüht. In weniger als fünf Prozent aller Fälle kommt es zur Verurteilung der Täter.

„Wir fordern von der nationalen Zivilpolizei, vom Innenministerium und von den anderen Organen des Rechtsstaats, ihrer Verantwortung gerecht zu werden, die rechtliche Untersuchung dieser Fälle durchzuführen, die entsprechenden Beweise offen zu legen und die Täter zu bestrafen“, sagte der guatemaltekische Leiter Casa Alianzas Arturo Echeverría.

Anthropologen graben die Wahrheit aus

Von Eduardo García und Roberto Roa

(Comalapa, April 2004, npl).- Es gehe nicht um Zahlen, sagen die Anthropologen, sondern um die Menschen – um ihre Vergangenheit und ihre Zukunft. Oft sind die Wissenschaftler nur mit Schaufeln ausgerüstet, wenn sie im Dorf Comalapa, rund zwei Stunden von der Hauptstadt Guatemala-Stadt entfernt, ihrer makabren Arbeit nachgehen: Mit Hilfe einiger Nachbarn ist es ihnen mittlerweile gelungen, 721 geheime Gräber in der Umgebung ausfindig zu machen. Darin fanden sie die Überreste von 119 Menschen. Fast alle waren Männer, außer einer Frau und einem Kind.

Im Auftrag der Witwen-Organisation Conavigua suchen die Mitarbeiter der „Stiftung Gerichtsanthropologie Guatemalas“ (FAFG) nach verschwundenen Opfern des internen Krieges, der in dem mittelamerikanischen Land Zehntausenden das Leben kostete. Auf der einen Seite standen das Militär und andere Repressionsorgane des diktatorischen Staates, auf der anderen eine Guerillabewegung, soziale Organisationen und Zivilisten, die verdächtigt wurden, mit den Aufständischen zu sympathisieren.

„Ein großer Teil der Leichen zeigt eindeutige Folterspuren,“ sagt der FAFG-Anthropologe Juan Carlos Gatica. Die meisten Menschen verschwanden zwischen 1981 und 1983, fand die Wahrheitskommission heraus. In diesen drei Jahren ereigneten sich über 80 Prozent der dokumentierten Menschenrechtsverletzungen. Es war die Zeit, in der unter anderem Ex-Diktator General Rios Montt, der kürzlich noch für die Präsidentschaft Guatemalas kandidierte, an der Macht war.

Der Wahrheitskommission zufolge müsste es im ganzen Land 669 geheime Friedhöfe mit Opfern der Gewalttaten geben, die FAFG schätzt die Zahl sogar doppelt so hoch ein. Opfer wie Täter hatten zumeist ein ähnliches Profil: 83,3 Prozent der Opfer gehörten den Maya-Indígenas an und 93 Prozent der Verbrechen wurden von staatlicher Seite begangen.

Die mühsame Arbeit der Gerichtsanthropologen kommt nur langsam voran. 3.000 Kadaver konnten sie in den vergangenen zwölf Jahren ausfindig machen. „Bei dieser Geschwindigkeit werden wir noch weitere 15 Jahre brauchen,“ klagt FAFG-Direktor Alan Robinson. Den Menschen gehe es allerdings nicht um abstrakte Zahlen, sondern um individuelle Schicksale, betont Jesús Hernández von Zentrum für Gerichtsanthropologische Wissenschaft (CAFCA), einer weiteren Institution, die sich seit 1999 an der Bergung von Bürgerkriegsopfern beteiligt.

Die Conavigua-Aktivistin Carmen Gómez ist eine der 200 Bewohner von Comalapa, die seit über 20 Jahren nach ihren Angehörigen suchen. Zuletzt sah sie ihren Ehemann am 8. Mai 1981, als Unbekannte in ihr Haus eindrangen und ihn einfach mitnahmen. Der 24 Felipe Pollan wusste, was ihn erwartete: „Er sagte noch 'lebe wohl, und schütze meine Kinder'. Seitdem ist er verschwunden,“ berichtet Carmen Gómez.

„Seit wir diese Arbeit begonnen haben, erreichen uns immer mehr Anfragen und Hinweise,“ erklärt CAFCA-Mitarbeiten Hernández. „Deswegen führen wir immer mehr Exhumierungen durch – offenbar lässt die Angst bei den Betroffenen allmählich nach,“ ergänzt er. Ziel der Anthropologen ist es, die Körper der Verschwundenen anhand des Alters, des Geschlechts, der Statur und anderer Merkmalen zu identifizieren. Derzeit liegt die Identifizierungsquote bei 56 Prozent. Erschwert wird diese Arbeit dadurch, dass es oft an Informationen fehlt und die Täter ihre Opfer oft weit entfernt verscharrten, um Spuren zu verwischen.

Die Mission der Anthropologen ist aber nicht nur rein technischer Natur, vielmehr geht es ihnen und den Auftraggebern darum, die Vergangenheit nicht zu vergessen und Gerechtigkeit zu schaffen. So soll auch gegen die weitverbreitete Angst vorgegangen werden. Den Familien soll geholfen werden, die psychologischen Folgen zu überwinden, an denen viele Überlebende leiden.

Denn die geheimen Friedhöfe sind nicht nur Symbol des Schmerzes der Opfer, sondern auch ein Zeichen für die Straffreiheit, die nach wie vor in Guatemala herrscht. Der Wunsch nach juristischer Aufklärung ist eine der Hauptmotivation der Anthropologen, dieser unerfreulichen Tätigkeit nachzugehen. Jede einzelne Exhumierung wird formal im Auftrag des Generalstaatsanwaltschaft vollzogen. Allerdings führen sie so gut wie nie zu Gerichtsprozessen gegen eventuelle Verantwortliche. „Ich glaube schon, dass es irgendwann Gerechtigkeit geben wird, aber es ist sehr mühsam,“ meint Hernández.

Äußerungen von Leuten, die noch heute den Völkermord der Achtzigerjahre leugnen, machen deutlich, wie notwendig das Auffinden der Körper der Verschwundenen ist. Unter ihnen sind wichtige Persönlichkeiten der neuen Regierung unter Präsident Óscar Berger wie Otto Pérez Molina, Kommissar für Sicherheit und Verteidigung. Zu Zeiten des Krieges diente er als General der Armee im Bundesstaat Quiché, heute vertritt er eine eigenwillige Version des Geschehens: „Hier gab es keinen Genozid – es war eine Schlacht zwischen den USA und Russland. Wir stellten die Toten und sie die Ideologie.“

KOLUMBIEN

Die FARC bekennt sich zu einem Hinterhalt gegen Polizisten

(Bogota, 14. April 2004, adital).- Die Bewaffneten Revolutionären Kräfte Kolumbiens FARC (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia) übernahmen die Verantwortung für einen Hinterhalt, der sich am 20. März 2004 im Kreis Guaitarilla in Nariño ereignet hat. Während der Operation kamen neun Polizisten ums Leben. Die Guerilleros konnten Waffen und Vorräte sicherstellen. Die Kommandantur der FARC hatte am 14. April ein Kommunique veröffentlicht, indem sie sich zu dem Vorfall bekennt. Nach Angaben der FARC verharmlost die kolumbianische Regierung den internen Konflikt um Paramilitarismus und Drogenhandel und bewahrt außerdem Stillschweigen über die Aktionen der Aufständigen.

Ziel des Hinterhalts war eine Patrouille von Polizisten aus Guala – eine Einheit der Gemeinde Chiles im Landkreis Cumbal -, die ein Maschinengewehr vom Typ M-26, vier Magazine, 600 Patronen und zwei Granaten vom Typ M-26 besaßen. Es kam zu einem eineinhalbstündigen Kampf zwischen Einheiten der FARC und herangezogenen Militäreinheiten.

Die Kommandantur der FARC erklärt, dass „wir später bemerkten, dass die neun Polizisten und zwei Paramilitärs, die während des Hinterhalts umgekommen waren, an einem anderen Ort aufgefunden wurden. Gleichzeitig gaben hohe Befehlshaber der Armee, der Polizei und ein Regierungsvertreter lächerliche Erklärungen ab, um zwei Wahrheiten auszuweichen: Zum einen der Tatsache, dass die Aktionen der FARC überzeugen und zum anderen, dass interne Widersprüche im Apparat existieren, die durch die Beteiligung der Polizei und der Armee am Drogenhandel und an paramilitärischen Aktionen in der Region hervorgerufen werden“.

Der Kommandantur zufolge hat die Regierung Kolumbiens die Öffentlichkeit und die wichtigsten Medien instruiert, die Aktivitäten der bewaffneten Revolutionäre zu verschweigen. „Vermutlich glaubt die Regierung, dadurch die gravierenden Probleme Kolumbiens lösen zu können“. Dem Kommunique der FARC zufolge haben die kolumbianischen Autoritäten die Öffentlichkeit instruiert, alltägliche Vorkommnisse und militärische Konfrontationen zu verleugnen oder zu verdrehen, um damit „den Krebs zu verschweigen, der die Polizei, die Armee und andere terroristische staatliche Mechanismen zerfrisst“.

Wird der Fall Mapiripán gelöst?

Von Eduardo Carreño Wilches

(Bogotá; 16. April 2004, actualidad colombia-poonal).- Am 20. April wird der General (im Ruhestand) Jaime Humberto Uscátegui Ramírez vor einem Spezialgericht in Villavicencio erscheinen und in einer öffentlichen Gerichtsverhandlung wegen seiner mutmaßlichen Beteiligung am Massaker von Mapiripán abgeurteilt werden. Seine jüngsten Erklärungen lassen vermuten, dass man bald die Wahrheit über dieses Massaker wissen wird.

Der Erfolg der Privatisierung des Staatsterrorismus – indem man andere dessen beschuldigt, was die Armee oder ihre Befehlshaber tun – zeigt sich in der Weise, wie die Abnahme der Zahl der Menschenrechtsverletzungen durch die Armee simultan zur Zunahme der Menschenrechtsverletzungen durch die paramilitärischen Verbände verläuft.

In Kolumbien sind Fälle nachgewiesen worden, bei denen der Staat in seinem Eifer, alles aus dem Weg zu räumen, was seiner Arbeit entgegenstehen könnte, bereit war, seine militärischen Kräfte mit den Paramilitärs zu vereinen. Dies ist beim Massaker von Mapiripán der Fall, das in einem kleinen Ort im Departement Meta Mitte des Jahres 1997 verübt wurde, wo eine große Gruppe von Paramilitärs in Koordination mit Mitgliedern der Armee rund 50 Personen folterten, zum Verschwinden brachten und ermordeten.

Monate vor den Ereignissen hielten die Paramilitärs zusammen mit den Militärs Sitzungen ab, um den Überfall in der Gemeinde Mapiripán zu planen, wie Pedro Alex Conde Anaya, ein reuiger Paramilitär, zugegeben hat. Dieser berichtete auch, wie die Aktionen zur Einnahme des Dorfes koordiniert wurden.

Die Ankunft einer großen Gruppe bewaffneter Männer auf dem Land-, Fluss- und Luftweg in den Departements Meta und Guaviare sind ein Schlüsselpunkt in der Koordination dieses Verbrechens, da in diesen Departements aufgrund der Situation der öffentlichen Sicherheit zahlreiche Armeestationen, Kontrollposten und Sicherheitspersonal stationiert sind.

Wie dieser Aufmarsch von mehr als 200 Bewaffneten unbemerkt stattfinden konnte, wurde bis jetzt nicht überzeugend erklärt. Einige der Männer flogen von Bogotá oder Medellín aus nach Necoclí und Apartadó, um dort uniformierte und bewaffnete Paramilitärs abzuholen. Mit diesen landeten sie auf den Flughäfen von Villavicencio und San José del Guaviare, ohne dass sie kontrolliert wurden. Andere bewegten sich trotz ihrer großen Zahl völlig ungehindert auf dem Land- oder Flussweg nach Mapiripán.

So stellte sich die Frage, wie eine Gruppe bewaffneter Krimineller problemlos die Flusskontrollposten in Charras und El Barrancón oder die Straßensperren in Charras, San Martin, Puerto López und El Dorado passieren konnten. Dies offenbart eine große Koordination mit hohen Befehlsstrukturen der Armee.

Im Prozess steht fest, dass die Bevölkerung von Mapiripán unter der Kontrolle des Bataillon Joaquin Paris von San José del Guaviare stand, welches von Oberst Carlos Eduardo Avila Beltrán von der 7. Armeebrigade mit Sitz in Villavicencio befehligt wurde. Diese wiederum stand unter dem Kommando von General Jaime Humberto Uscátegui Ramírez.

Ein weiteres wichtiges Indiz ist die kritische Situation der öffentlichen Ordnung, die der Ort Mapiripán zur Zeit des Massakers erlebte. Es ist erstaunlich, dass Tage vor dem Massaker die Truppen des Bataillons in die Orte Calamar, El Retorno und Puerto Concordia verlegt wurden, wobei San José del Guaviare und Mapiripán ohne Schutz blieben.

Der Befehl zur Truppenverlegung wurde von der 7. Armeebrigade unter dem Kommando von General Uscátgui Ramírez und vom Kommandanten des Bataillon Joaquin Paris, Oberst Avila Beltán, koordiniert. Oberst Avila Beltrán wurden sonderbarerweise und ohne administrativen Beleg die Ferien auf den 8. Juli verschoben – ein Datum nahe dem paramilitärischen Überfall – obwohl er die Ferien auf den 1. Juni 1997 geplant hatte. Dies wurde von General Uscátegui bestätigt.

Die Truppenbewegungen basierten auf bloßen Vermutungen; alles wurde zur Verübung des Massakers von Mapiripán vorbereitet. Fest steht, dass es keine umfassenden Gründe gab, welche die völlige Schutzlosigkeit des Ortes gerechtfertigt hätten. Dies zeigen Berichte vom 14. Juli 1997 von der 2. Abteilung des Bataillon Joaquin Paris. Die Erklärung von Oberst Orozco bei einer öffentlichen Anhörung bekräftigt, dass eine falsche Truppenbewegung autorisiert wurde – Bezug nehmend auf die Truppenentsendung nach Calamar -, die auf den falschen Informationen basierte, die er über einen möglichen Überfall der Guerilla erhalten hatte.

Die Einheiten des Bataillon Joaquin Paris kamen am 23. Juli 97 von Calamar nach Mapiripán, was den Schluss zulässt, dass es in Calamar keine Störung der öffentlichen Ordnung gab und die Präsenz der Armee dort nicht notwendig war. Die Erklärung von José Luis Parra Vásquez, dem damaligen regionalen Staatsanwalt von San José del Guaviare, verweist darauf, dass erstaunlicherweise die Armee in Mapiripán eintraf, als die Paramilitärs den Ort bereits wieder verlassen hatten.

Auch die Vorfälle auf dem Flugplatz von San José del Guaviare vom 12. Juli 1997 werfen Fragen auf. Dort hatten Kontrollinstitutionen die Landung von irregulären Flügen aus Necoclí und Apartadó zugelassen. Die Passagiere dieser Flugzeuge konnten ungehindert auf die dort auf sie wartenden Lastwagen steigen, als ob es sich um eine Militäroperation gehandelt habe. Die Landung von derart vielen Männern, die die Kontrollen des Flugplatzes umgingen, als ob es sich um Armeepersonal handeln würde, konnte von den hohen militärischen Vorgesetzten der Zone, zu denen u.a. General Uscátegui gehört, nicht unbemerkt bleiben.

Die Zusammenarbeit von Armee und Paramilitärs ist offensichtlich. Die Handlungen von Unteroffizier Juan Carlos Gamarra Polo, Mitglied der Geheimdienstabteilung des Bataillon Joaquin Paris, können vor den hohen Kommandanten nicht unbemerkt geschehen, weil die Kontrollen innerhalb des Bataillons koordiniert verlaufen und die Kommandanten darüber informiert werden müssen. Es konnte nicht zur Funktion eines Mitgliedes der Geheimdienstabteilung gehören, die Ankunft der Paramilitärs zu erleichtern, ohne dass ein hoher Vorgesetzter sich dem widersetzt oder dies zugelassen hätte.

Zudem zeigt das ungehinderte Passieren der Paramilitärs von San José del Guaviare nach Mapiripán, wobei sie durch Trainingsgebiete der 2. Mobilen Brigade in El Barrancón fahren mussten, ein weiteres Element der Koordination auf. Denn dort hatten sich genügend Soldaten, Helikopter und Kriegsmaterial befunden, um das Massaker von Mapiripán zu verhindern.

Nach dieser makabren Vorbereitung wurden etwa 50 Bauern und Einwohner*innen von Mapiripán ermordet und in den Guaviare-Fluss geworfen. Von den Opfern konnten nur acht identifiziert werden, obwohl selbst Paramilitärchef Carlos Castaño die Ermordung von 50 Personen zugab.

General Uscátegui wurde telefonisch am 15. Juli 1997 und am 16. Juli schriftlich von Major Hernán Orozco Castro über die Ereignisse informiert. Doch General Uscátegui setzte mit Hilfe von Täuschungen Major Orozco Castro unter Druck, erpresste und zwang ihn, den Inhalt der Nachricht vom 16. Juli 1997 abzuändern, um so seine Verantwortung bei dem Verbrechen zu verdecken.

Das Massaker von Mapiripán wurde präzis ausgeführt und die kriminelle Struktur von höchster Stelle in der Zone perfektioniert: Dazu beigetragen haben Oberst Sánchez Prado, Kommandant der 2. Mobilen Brigade; General Uscátegui, Kommandant der 7. Armeebrigade und Oberst Avila Beltrán, Kommandant des Bataillon Joaquin Paris. Damit sollte die Straflosigkeit des Verbrechens garantiert werden. Es wird selbst die Beteiligung von weiteren hohen Befehlshabern in Erwägung gezogen, da zugelassen wurde, dass der Bevölkerung sämtliche Möglichkeiten versagt blieben, eine Anklage zu erheben oder ein Hilfsgesuch zu stellen.

Andrerseits ist die unerklärliche Verlegung von Truppen in weit von Mapiripán entfernte Orte, die keine klare Störung der öffentlichen Ordnung aufwiesen, nicht nur eine bloße Unterlassung der Unterstützung der Bevölkerung von Mapiripán. Sie ist eine aktive Handlung, die mit dem Ziel gemacht wurde, die Bedingungen für die paramilitärische Operation zu schaffen, damit diese das Monate zuvor festgelegte Ziel erreichen konnte.

Die jüngsten Erklärungen von General Uscátegui, die in der Zeitschrift Cambio vom 29. März 2004 erschienen, stellen die Armeeführung zwischen Hammer und Amboss. Bis jetzt wurde im Prozess die Koordination, Unterlassung und Aktion der Armee mit den Paramilitärs von Urabá, Meta und Casanare zur Verübung des Massakers von Mapiripán nachgewiesen. Aber es fehlt die Identifizierung anderer einbezogener hoher, mittlerer und niedriger Militärs, die sieben Jahre nach dem Massaker möglicherweise als Folge der Aussagen von General Uscátegui Strafprozesse zu erwarten haben. Denn General Uscátegui denkt nicht daran zuzulassen, dass er allein für das Massaker verantwortlich gemacht und abgeurteilt wird.

Die Organisation, die Ausführung und die Verdeckung dieses abscheulichen Verbrechens gegen die Menschlichkeit kann nicht durch Befehle oder ein Befehlschaos gerechtfertigt werden. Der Tod von rund 50 Kolumbianer*innen darf nicht straflos bleiben, die Wahrheit der Ereignisse soll aufgeklärt und die Verantwortlichen bestraft werden. Dies alles muss über die Bestätigung von Dokumenten hinausgehen. Wenn also General Uscátegui Informationen besitzt, die zur Aufklärung der Ereignisse dienen, so hat er als Person, als Militär und als Kolumbianer die Pflicht zu reden.

Der General hätte diese Beweise bereits zu Beginn der Untersuchungen der Justiz unterbreiten müssen und nicht zulassen dürfen, dass so viele Jahre verstreichen. Jetzt fühlt er sich allein und von jenen verlassen, die ihn einmal zum Schweigen gezwungen hatten. Deshalb habe er sich jetzt entschieden, zu reden, meinte er in seinen Erklärungen.

In der Zeitschrift Cambio macht der General Aussagen wie: Ich lasse mich nicht zu 40 Jahren Gefängnis verurteilen. In einem Gespräch mit einer Person, deren Stimme nicht identifiziert werden konnte, machte General Uscátegui klar, dass er Beweise vorbringen werde, welche keinen Zweifel über die Nähe der Armee mit den Paramilitärs offen lassen würden, sollte er nicht von der Armeeführung unterstützt werden.

ECUADOR

Konflikt in den Gefängnissen von Quito dauert an

(Montevideo, 13. April 2004, púlsar).- Die Häftlinge von Quito kontrollieren einige der Gefängniseinheiten der Stadt. Es war bislang nicht möglich, zu einer Übereinkunft zwischen Regierung und den Inhaftierten zu gelangen. Es geht um die Befreiung von 45 als Geiseln genommene Personen, darunter zwei Journalisten. Sie alle sind in der Gewalt der aufständischen Häftlinge. Diese fordern unter anderem die Wiederaufnahme des Gesetzes über die Verringerung von Verurteilungen, ein Gnadenjahr wegen Überbelegung und die Rückführung von ausländischen Gefangenen.

Die Proteste der Häftlinge begannen am 4. April und haben auf Grund des Streiks der Aufseher und Verwaltungsbeamten noch gravierendere Auswirkungen. In den Gefängnissen herrscht großes Chaos. Die Polizei hat indes die Besuchsmöglichkeiten der Familienangehörigen eingeschränkt, was zu weiterem Unmut sowohl unter den Häftlingen als auch deren Angehörigen führte. Letztere haben angekündigt, vor den Gefängnissen zu warten, bis man sie hereinlasse. Sie wollen ihren Verwandten Essen bringen, da diese bereits ohne Lebensmittel seien.

VENEZUELA

Kampf zwischen Regierung und katholischer Kirche

(Caracas, 14. April 2004, adital).- Die katholische Kirche Venezuelas klagte die Regierung von Präsident Hugo Chávez aufgrund von angeblichen Menschenrechtsverletzungen und Angriffen gegen die Kirche an. Der Präsident der venezolanischen Bischofskonferenz Monsignore Baltasar Porras fuhr in den Vatikan, um seine Aussage zu machen.

Porras erklärte, dass die Menschenrechtsverletzungen während der letzten Kundgebungen ein Thema des jährlichen Treffens der Internationalen Bischofskonferenz sein werde. Neun Menschen wurden während der Demonstrationen gegen die Regierung getötet. „Diese Reise wird vor dem Hintergrund dieser Ereignisse, der Krise des Landes und der Angriffe gegen die katholische Kirche noch wichtiger sein“, deutete Porras an.

Eine Mitteilung des Sekretariats der venezolanischen Bischofskonferenz erklärt, dass „man sich im Vatikan über die venezolanische Lage Sorgen mache und die ständigen Überfälle gegen den Klerus große Aufmerksamkeit geweckt haben.“

Präsident Hugo Chávez verteidigte sich am 11. April gegen die Vorwürfe und bezeichnete Porras als einen großen Schwindler. Chávez sagte, dass der Monsignore ein Politiker mit Soutane sei, der nur das Interesse der oberen Schichten berücksichtige. Des weiteren fügte Chávez hinzu, dass die venezolanische Bischofskonferenz wie eine Partei der Opposition handeln würde. Die Mönche und Nonnen, die auf dem Land arbeiten, seien durch sie nicht vertreten. Porras hat Chávez als Diktator charakterisiert und ihn mehrmals mit Adolf Hitler, Josef Stalin und Francisco Franco verglichen.

Chávez wies die Kritik ab und erklärte, dass die katholische Kirche den Putsch vom 11. März 2002 unterstützt habe. Des weiteren sagte Chávez, dass der im vergangenen Jahr verstorbene Erzbischof von Caracas Kardinal Ignacio Velasco während der zweitägigen faktischen Regierung die Abschaffung der demokratischen Institutionen mit seiner Unterschrift unterstützte.

PARAGUAY

Opfer der Strössner-Diktatur werden entschädigt

(Asunción, 13. April 2004, adital-poonal).- Die Regierung Paraguays nahm kürzlich die Auszahlung von Entschädigungen an die Opfer der Diktatur von General Alfredo Strössner auf. Strössner regierte das Land zwischen 1954 und 1989. Trotz der Entschädigungszahlungen bemängeln Menschenrechtsorganisationen die bisher unterlassene Verurteilung des in Brasilien lebenden Generals.

In einem feierlichen Akt und entsprechend gesetzlicher Regelungen erhielten 34 Opfer insgesamt eine Entschädigung im Wert von 600.000 US-Dollar. Nach den Worten des Finanzministers Dionisio Borda bilden diese ausgewählten Menschen einen Teil derer, die für die Freiheit und Demokratie während der Diktatur kämpften. Viele von ihnen kämpfen bis heute mit den schweren gesundheitlichen Folgen der erlittenen Folterungen. Anlässlich dieser Veranstaltung forderte der Menschenrechtler Martín Almada die Rückkehr des Generals, unter dessen Regentschaft das Land fast 35 Jahre gelitten hatte, damit man ihn für die zahlreichen unter seiner Herrschaft begangenen Verbrechen zur Rechenschaft ziehen könne.

Die Zahlungen stellen einen Erfolg für all diejenigen Gruppierungen dar, die sich schon länger für eine Entschädigung der Opfer einsetzen. Jedoch verlangen sie vom Staat auch, dass all diejenigen, die in die Verbrechen der Diktatur verstrickt waren, ob hohe Funktionäre oder nicht, Auskunft über den Verbleib der sterblichen Überreste der Opfer geben müssen. Viele dieser Opfer waren verschwundene politische Häftlinge, deren Angehörige bis heute nichts über die Orte, an denen sie vergraben wurden, wissen.

Die Interamerikanische Arbeiterorganisation ORIT (Organización Regional Interamericana de Trabajadores), eine derjenigen Gruppierungen, die sich für die Entschädigungszahlungen eingesetzt hatte, bekräftigte, dass „der Staat die Verpflichtung habe, den Opfern der Strössner-Diktatur moralische und finanzielle Wiedergutmachung zu leisten und zu verhindern, dass weitere Fälle wie der von Livio González Santander geschehen. Livio González Santander starb im vergangenen Januar in Folge der schweren Folterungen, ohne rechtzeitig seine Entschädigung zu erhalten. Die 34 entschädigten Opfer, die Vielzahl von ihnen älter als 50 Jahre, bilden nur eine kleine Gruppe der verbleibenden 400 Personen, die noch eine Wiedergutmachung erhalten müssen.

BRASILIEN

Gouverneurin schlägt Mauerbau zur Isolation einer Favela vor

(Montevideo, 13. April 2004, púlsar).- Die Gouverneurin Rosinha Matheus von Rio de Janeiro von der mitte-rechts-orientierten PMDB hat den Bau einer drei Meter hohen Zementmauer in vier Favelas prüfen lassen. Es handelt sich um Armenviertel, die sich nahe den reichsten Vierteln der Stadt befinden. Nach Worten der Gouverneurin könnte die Mauer Drogenhändler isolieren, die in der Favela Rocinha aktiv sind, in dem es in den letzten Tagen zehn Tote bei Schusswechseln gegeben hat. Außerdem könne die Mauer die Ausdehnung der Favela, in der über 60.000 Menschen leben, in nahegelegene Naturschutzzonen verhindern.

Nach Worten des Ministers für Umweltschutz im Bundesstaat Río de Janeiro sollte die Mauer mehrere Türen haben, die den Anwohnern den Zugang gestatte, aber verhinderten, dass sich die vor der Polizei flüchtenden Drogendealer in die örtlichen Wälder zurückziehen können. Die Idee wurde vom Bürgermeister von Rio de Janeiro, César Maia, scharf kritisiert. Die Umzäunung werde lediglich dafür sorgen, dass ein „Spezialpark für Kokain“ geschaffen werde. Maia, der schon bei mehreren Gelegenheiten die Fähigkeit der regionalen Behörden, die Gewalt in Rio de Janeiro in den Griff zu bekommen, infrage gestellt hat, schlug eine Intervention der Zentralregierung als beste Form vor, den Drogenhandel zu unterdrücken. Diese Intervention impliziere die Anwesenheit von Bundestruppen in der Stadt, möglicherweise die Präsenz von Militärs.

„Es ist ein Witz, in einer Situation wie dieser eine Mauer um eine Favela bauen zu wollen,“ ergänzte Maia und verwies auf die konstanten Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und den Drogenhändlern in La Rocinha, die regelmäßig eine wichtige Verkehrsverbindung der Stadt blockierten.

Die Atmosphäre in der Favela La Rocinha ist immer noch gespannt

Von Micheline Matos

(Fortaleza, 14. April 2004, adital-poonal).- Die Szenen, die während des Osterfestes aus der Favela La Rocinha im Fernsehen übertragen wurden, erinnerten an eine Kriegsberichterstattung. Unzweifelhaft haben alle, die diese Bilder gesehen haben, das Gleiche gedacht: es sieht aus wie ein Film, aber es ist Realität.

Der Karfreitag war von Blut auf den Pfaden und Wegen der größten Favela Lateinamerikas gezeichnet. Mindestens zehn Personen haben ihr Leben verloren, nachdem Schwerbewaffnete Mitglieder einer Drogenbande versucht hatten, in das Terrain der illegalen Verkaufsstellen einer anderen Bande einzudringen. In Rocinha, das zwischen den beiden Nobelvierteln Sao Conrado und Gavea in der südlichen Zone Rios liegt, leben etwa 60.000 Einwohner.

Adital interviewte Ruben Cesar Fernandes, den Generalkoordinator der Nichtregierungsorganisation „Viva Rio“, zu den Ereignissen. Fernandes bestätigte, dass am heutigen 14. April Lulu, der Chef der lokalen Drogengeschäfte, von der Polizei getötet worden und das Klima noch immer sehr angespannt sei. Man habe nicht einschätzen können, was in den kommenden Stunden passieren werde.

Während die Politiker, um die Ordnung wieder herzustellen, das Eingreifen der Streitkräfte beschlossen hatten, haben einige Anwohner der Rocinha schon das Weite gesucht und ihr Haus und ihr Viertel verlassen. Der Konflikt ist nach Worten des Ministers für Sicherheit, Antony Garotinho, zwar „unter Kontrolle“, dennoch geht Garontinho nicht davon aus, dass der Frieden in nächster Nähe sei.

Für die Bewohner hat sich ihr Alltag seit den Feiertagen verändert. Handel, Banken und Schulen im Umkreis des Gebietes sind noch immer nicht wieder geöffnet. William Oliveira, Präsident der Gesellschaft für die Verbesserung der Situation in der Rocinha sagte der Lokalpresse, dass die Bevölkerung der Favela sich selber motivieren solle, dazubleiben. Die Menschen vermeiden es derzeit, nach 20 Uhr nach Hause zu kommen. Einige haben deshalb sogar die Geschäftsführung ihrer Arbeitsstellen bitten müssen, früher die Arbeit verlassen zu dürfen.

Fernandes bestätigt dies: „Das Klima in der Rocinha ist von Angst geprägt, obwohl sich die Situation seit dem Eintritt der Polizei in das Viertel etwas beruhigt hat. Die Bevölkerung ist zufrieden mit der Polizeiaktion. Sie fürchten aber noch immer den nächsten Tag, und das wird sich durch die Ermordung von Lulú durch die Polizei noch steigern. Fernandes rechnet damit, dass jetzt, wo ein Machtvakuum entstanden ist, Raum für mehr Gewalt geschaffen worden sei. Es könne eine Invasion von noch mehr Drogenhändlern stattfinden.

Eine Überlebende der Konfrontation berichtet auf der Website „Viva Favela“ (Es lebe die Favela!) von den Momenten der Panik, die sie erlebt hat. Elisete, so ihr fiktiver Name, schreibt, dass die Menschen, die in der Favela Rocinha leben, schon von klein auf gelernt hätten, niemals zu denunzieren. Das sei eine der Grundlektionen, um die eigene Haut zu retten. Und wer dennoch denunziere, dürfe niemals Spuren hinterlassen.

In zwei aufeinander folgenden Nächten schliefen Elisete und ihre beiden Kinder, Joã 16 Jahre und Marta 12 Jahre, nur während der wenigen Stunden des Waffenstillstandes notdürftig auf dem Boden. „Da das Fenster und die Tür des Wohnzimmers zur Straße führen und das Fenster des Schlafzimmers zur anderen Straßenseite führt, kriechen die Leute von einer Seite zur anderen. So war es die ganze Nacht über.“ Es sei das erste Mal gewesen, dass sie eine solche Situation in Rocinha erlebt habe.

Im Vertrauen auf den scheinbaren Frieden habe sie der Nachricht von vorangegangenen Samstag (3. April) keine große Bedeutung geschenkt. Demnach hatte die Polizei in der Favela Chabola das Eindringen des Drogendealer Eduíno Eustáquio de Oliveira, Dudu, und seiner kriminellen Bande vereitelt. „Alle Tänze, Feste und sonstige Veranstaltungen wurden abgesagt. Ich hielt dies aber nur für ein Gerücht. Die nächsten Tage waren ruhig und folglich glaubte jeder, dass nichts passieren würde – vor allem während der Osterwoche,“ schreibt Elisete.

„Ich hatte die Fenster ein wenig offen gelassen. Von dort aus konnte man die abgeschossenen Kugeln im Himmel sehen. Sie waren rot,“ wie Elisete erzählt, während sie sich an die schreckliche Donnerstagnacht (8. April) erinnert. Ohne zu wissen, dass die Freitagnacht noch schlimmer sein sollte: „Um 18:30 Uhr wurde das Licht abgeschaltet. Zu dem Zeitpunkt fing das Herz an zu rasen, weil jeder wusste, dass das Schlimmste passieren konnte. Dann fing der Schusswechsel an, der wesentlich stärker war als der vorangegangene. Wir rannten und warfen uns auf den Boden.“ Elisete betont, dass sie das Wochenende wahrgenommen habe, als ob sie sich mitten in einem Krieg befunden hätte.

Am Montag (12. April) wurden die Favelas Rocinha und Vidigal Chabolas durch mehr als 1200 Polizisten und Militärs im Rahmen einer Spezialoperation gestürmt.

Nach Daten des brasilianischen Instituts für Geografie und Statistiken ist die Anzahl der Tötungen in den letzten 20 Jahren um 130 Prozent angestiegen. Im Bundesstaat Rio de Janeiro hat die Anzahl der Ermordeten, also der Anteil der Verstorbenen, die eines nichtnatürlichen Todes gestorben sind, maßgeblich dazu geführt, dass sich die männliche Lebenserwartung um vier Jahre und einen Monat reduziert hat. In Brasilien wurden zwischen 1980 und 2000 zwei Millionen Tote registriert, die durch externe Einflüsse ums Leben gekommen sind. 598.000 davon wurden ermordet. Für den gleichen Zeitraum lässt sich feststellen, dass die Sterblichkeitsrate wegen einer Tötung in Brasilien für beide Geschlechter um 130 Prozent angestiegen ist: von 11,7 auf 27 pro 100.000 Einwohner.

Der Koordinator für eine flächendeckende Abrüstung des Gebietes Viva Rio Antônio Rangel erinnert daran, dass die Behörden nicht schnell genug handeln können, um diese Art der Kriminalität zu bekämpfen. „Die staatlichen Institutionen haben immer noch keine Lösung für das Drogenproblem gefunden. Das werde durch die Schwäche ihrer Handlungen belegt.

CHILE

Erneuter Hungerstreik von politischen Gefangenen

(Santiago de Chile, 13. April 2004, adital-poonal).- Nachdem sich im Zeitraum von Oktober bis Dezember 2003 bereits 23 politische Gefangene in verschiedenen Gefängnissen im Hungerstreik befunden hatten, verweigern die Häftlinge im Hochsicherheitsgefängnis von Santiago nun erneut für unbgegrenzte Zeit die Nahrungsaufnahme. Der vorherige Hungerstreik war unterbrochen worden, nachdem die Regierung ernsthafte Schritte im Hinblick auf die Verkündung des Begnadigungsgesetzes „Ley de Indulto“ versprochen hatte.

Am 12. April sind Pablo Vargas, Jorge Mateluna, Hardy Peña, Esteban Burgos, Jorge Espínola und Elizabeth Núñez in den Hungerstreik getreten. Sie fordern die Freilassung aller politischen Gefangenen im Land. Sie richteten einen Appell an die chilenische Gesellschaft und an soziale, kulturelle und politische Organisationen, um die Annahme des „Ley de Indulto“ zu erreichen. Außerdem fordern sie die Freilassung derjenigen, die bereits jetzt entlassen werden könnten. Dies betrifft z.B. Abraham Larrea Zamorano, der schon seit zwei Jahren frei sein könnte, wenn die „Leyes Cumplido“ angewendet würden, die eine Begnadigung im Falle einer Verurteilung während der Militärdiktatur vorsieht.

Die sechs Gefangenen befinden sich im Durchschnitt zwölf Jahre hinter Gittern. Sie sagen, dass sie „wissen, dass ihre Forderungen weitgehend sind und deren Umsetzung nur unter dem größten Einsatz und dem Kampf bis zum Sieg zu erreichen ist“.

Das Begnadigungsgesetz, das der Mehrheit der politischen Gefangenen eine reale Chance auf Freilassung bietet, hängt seit Juni 2003 im Senat fest. Es hat mit der Annahme durch die Menschenrechtskommission des Senats erst die erste Hürde des Gesetzwerdungsprozesses genommen. Allerdings hat es bis jetzt bereits ein Dutzend Mal auf der Tagesordnung des Senats gestanden, ohne dass es zu einer Abstimmung darüber gekommen wäre. Es wird von der Rechten, die den Senat dominiert, blockiert. Sie wollen eigene Gesetzesvorhaben durchsetzen, die den Schutz von Militärs und Handlangern der Diktatur vor Strafverfolgung sichern soll. Jetzt obliegt es dem Präsidenten des Senats Hernán Larraín von der rechtsextremen UDI-Partei, das Projekt wieder auf die Tagesordnung zu setzen.

Deutsche Enklave Colonia Dignidad genießt weiterhin Straffreiheit

Von Pascale Bonnefoy und Roberto Roa

(Parral, 10. April 2004, npl).- 36 Jahre lang lebte Efraín Vedder in der berüchtigten Colonia Dignidad. Fast sein gesamtes Leben wurde er dort sexuell missbraucht, gequält, mit Elektroschocks behandelt und zu Arbeitseinsätzen gezwungen. Erst vor gut einem Jahr gelang es ihm, die von Deutschen gegründete Enklave im Süden Chiles zu verlassen. Vergeblich versucht er seitdem, vor Gericht gegen seine einstigen Peiniger vorzugehen. Trotz des Verdachts auf schwerste Menschenrechtsverletzungen mangelt es in dem südamerikanischen Land offenbar an politischem Willen, gegen die Verantwortlichen vorzugehen. Efraín Vedders Lebensgeschichte bringt das verdrängte Thema jetzt wieder auf die politische Tagesordnung.

Ende März erzählte Efraín Vedder erstmals vor laufender Kamera seine Leidensgeschichte. Kurz darauf reiste er nach Europa aus, um ein neues Leben zu beginnen – frustriert von der Unmöglichkeit, in Chile Gerechtigkeit zu erfahren, berichtet er im Fernsehen. 13 Führungsleute der Colonia Dignidad verklagte er im Mai 2003 vor einem chilenischen Gericht, doch weder vom Staat noch seitens gesellschaftlicher Institutionen erhielt er ernsthafte Unterstützung.

Während dessen leben weiterhin 250 Siedler auf dem 17.000 Hektar großen Kolonie-Gelände, völlig abgeschirmt von der Außenwelt, wobei einige von Ihnen – so wird vermutet – wie Sklaven gehalten werden. 1961 floh Paul Schäfer, gegen den wegen sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen ermittelt wurde, aus Deutschland und gründete das fragwürdige Anwesen. Gemeinsam mit vielleicht zehn Gesinnungsgenossen schuf er eine „Wohltätigkeitseinrichtung“, eine Art Gutshof mit einer Schule für die Kinder aus der Umgebung und dem besten Krankenhaus weit und breit, in dem mittellose Familien kostenlos sogar behandelt wurden.

Im Jahr 1967 kam der zwei Monate alte José Efraín Morales Norambuena in das Kolonie-Krankenhaus. Seine Eltern, Bauern aus der nahen Umgebung, forderten schon bald die Herausgabe ihres Jungen. Monatelang wurden sie vertröstet, angeblich weil das Kind zu krank sei. Später wurde der Knabe von der 55-jährigen Witwe Johanna Vedder Veuhoff adoptiert, seine leiblichen Eltern bekam er nie zu sehen.

Mit acht Jahren kam Vedder in den Kreis von rund 20 Kindern und Jugendlichen, die Paul Schäfer als Gehilfen und Sexsklaven dienen mussten. Zwischen 1961 und 1998, berichtete Vedder in chilenischen Fernsehen, wählte Schäfer fast jede Nacht ein Kind aus, setze es unter Drogen und vergewaltigte es. Er selbst erlitt diesem Missbrauch bis zu seinem 26sten Lebensjahr. Schäfer floh aus der Kolonie, nachdem ihm ein Verfahren wegen Missbrauchs von Kindern in 27 Fällen drohte.

Zu Zeiten der Militärdiktatur unter Pinochet (1973-1990) diente die Colonia Dignidad zudem als geheimes Haft- und Folterzentrum für über 100 politische Gefangene. Fast alle verschwanden spurlos nach den Folterungen, an denen laut Zeugenaussagen der wenigen Überlebenden auch Schäfer selbst teilgenommen haben soll.

Von Anfang an hatte Vedder versucht, sich dem Zwang und der Gruppendisziplin zu widersetzen. „Sie gaben mir zuerst Tabletten, später bekam ich jede Woche Spritzen. Als ich mich immer noch weigerte, gaben sie mir immer andere Medikamente und behandelten mich mit Elektroschocks,“ erzählt Vedder in gebrochenem Spanisch. „Aber es gelang ihnen nicht, meine Erinnerungen auszulöschen.“ Bereits mit zehn Jahren sei er zu harter körperlichen Arbeit verdonnert worden, wie die anderen Kindersklaven ging er niemals zur Schule, ergänzt Vedder.

Später musste Vedder in einer der fünf von der Colonia Dignidad gegründeten Firmen schuften. Zehn Jahre lang sah er nichts von dem versprochenen Lohn. Erst im Jahr 2002, nachdem er unermüdlich protestierte und immer wieder Rechte für sich einforderte, gaben seine Peiniger auf. Zwar wurde er weiterhin geschlagen und ständig bestraft, doch er konnte ein wenig Geld sparen und verließ schließlich die Kolonie, ohne dass ihn jemand aufhielt. Offenbar war er zu einem Problem geworden, denn andere Geknechtete fingen an, die gleichen Forderungen wie er zu erheben.

Als er die Kolonie verließ, blieben 15 Jugendliche, die ständig unter Drogeneinfluss lebten, zurück. Eine ähnliche Anzahl wollte die Kolonie verlassen, berichtete Vedder. In dieser Zeit gelang mehreren Menschen die Flucht, aber nur Vedder konnte das Anwesen ohne Hilfe von außen verlassen.

In einem parlamentarischen Untersuchungsbericht wird die Colonia Dignidad als „Staat im Staate“ bezeichnet. Sie habe völlige Autonomie, werde von keiner staatlichen Institution kontrolliert und ihre Mitglieder genössen Straffreiheit für alle Verbrechen, die bis heute auf ihrem Gelände begangen werden. Ohne ernsthafte rechtliche Konsequenzen sind mittlerweile rund 70 Verfahren gegen Führungspersonen der ehemaligen Deutschenkolonie wegen 18 verschiedener Delikte anhängig – von Steuerhinterziehung bis Entführung und Mord.

Für die Tatsache, dass bis heute niemand für die Verbrechen zur Rechenschaft gezogen wurde und dass ihre Mitglieder weiterhin ihr Unwesen treiben dürfen, haben Betroffene und Menschenrechtsorganisationen nur eine Erklärung: Die Deutschen-Enklave wird offenbar von einem engmaschigen Beziehungsgeflecht geschützt, an dem Politiker, Richter, Unternehmer Polizisten und Militärs beteiligt sind.

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