Poonal Nr. 580

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen vom 8. Juli 2003

Inhalt


MEXIKO

GUATEMALA

HONDURAS

NICARAGUA

PARAGUAY

BOLIVIEN

PERU

BRASILIEN

ARGENTINIEN/VENEZUELA

CHILE

LATEINAMERIKA


MEXIKO

Parlamentswahlen: Herbe Verluste für die Regierungspartei

Von Gerold Schmidt

(Mexiko-Stadt, 7. Juli 2003, npl).- Bei den mexikanischen Parlamentswahlen am vergangenen Sonntag (6.7.) musste die Partei des noch bis 2006 amtierenden Präsidenten Vicente Fox herbe Verluste einstecken. Nach einem überraschend starken Absacken von 39 auf etwa 31 Prozent der Stimmen stellt die konservative Partei der Nationalen Aktion (PAN) künftig nur noch ein knappes Drittel der 500 Abgeordneten. Schon bisher ohne sichere Mehrheit im Parlament, ist Vicente Fox in der zweiten Hälfte seiner Regierungszeit nun noch viel mehr auf Verhandlungen und Kompromisse angewiesen, um Gesetzesvorhaben durchbringen zu können.

Obwohl die im Sommer 2000 nach 71-jähriger Herrschaft abgewählte Revolutionäre Institutionelle Partei (PRI) nur wenige Prozentpunkte mehr als die PAN gewann, ist sie aufgrund ihrer Allianz mit den mexikanischen Grünen in vielen Direktwahlkreisen die große Wahlgewinnerin. Mit deutlich über 200 Abgeordnetenmandaten wird sie im Parlament überrepräsentiert und die mit Abstand stärkste Fraktion sein. Zudem gelang es ihr, sich bei gleichzeitig in einigen Bundesstaaten abgehaltenen Gouverneurs- und Kommunalwahlen zu behaupten und der PAN unter anderem den wichtigen nördlichen Bundesstaat Nuevo Leon mit seiner Wirtschaftsmetropole Monterrey abzunehmen.

Als Siegerin durfte sich in der Nacht auf Montag auch die linksgemäßigte Partei der Demokratischen Revolution (PRD) darstellen. Ein überragendes Ergebnis in der Hauptstadt verhalf ihr zu einem leichten Anstieg auf landesweit 20 Prozent, der sich jedoch mit einer Verdoppelung der Abgeordnetensitze auf knapp 100 auszahlen wird. In Mexiko-Stadt, wo die PRD seit 1997 regiert, gewann die Partei ihre im Jahr 2000 verlorene absolute Mehrheit in der Ratsversammlung zurück. Ohne selbst zur Disposition zu stehen, entschied hier der populäre Bürgermeister Andres Manuel Lopez Obrador den Urnengang und gilt mehr denn je als nächster Präsidentschaftskandidat der PRD.

Eine Wahlenthaltung von fast 60 Prozent und die hohe Zahl aus Protest ungültig abgegebener Stimmen brachten nach Einschätzung vieler Kommentatoren deutlich die Enttäuschung über die drei großen Parteien zum Ausdruck, wobei die PAN durch diese Abstinenz besonders abgestraft wurde.

Die kleinen und zum Teil neuen Parteien konnten wenig vom Überdruss gegenüber dem traditionellen mexikanischen Politikgeschäft profitieren. Die diesmal mit der PRI statt der PAN verbündeten Grünen konsolidierten sich zwar, blieben aber weit hinter ihren optimistischen Prognosen zurück. Das mit Spannung erwartete Abschneiden der von einem Großteil der Intellektuellen unterstützten Partei México Posible war eher kläglich, die Partei verfehlte die für eine Parlamentspräsenz zu überspringende Zwei-Prozenthürde klar. Außer den Grünen schafften noch zwei weitere kleine Parteien dank regionaler Hochburgen hauchdünn den Sprung ins Abgeordnetenhaus.

Der politisch geschwächte Präsident Fox und Persönlichkeiten aller Parteien sprachen am Wahlabend aufgrund der fehlenden Mehrheiten im Parlament von der Notwendigkeit, den Dialog und Kompromisse zu suchen. Welchen Weg die mexikanische Bundespolitik in den kommenden drei Jahren nehmen wird, ist aber völlig ungewiss. In der PRI gibt es eine Parteiströmung, die sich eine Art Ko-Regierung vorstellen könnte und beispielsweise eine weitere Wirtschaftsliberalisierung mit entsprechender Öffnung des mexikanischen Energiesektors mittragen würde.

Eine andere Gruppe setzt auf stärkere Abgrenzung, unter anderem, um die Chancen für eine Rückkehr an die Macht im Jahr 2006 zu erhöhen. Ohne die PRI kann Fox kontroverse Reformen aber nicht durchsetzen. Sollten sich PRI und PRD annähern, hätte andererseits der Präsident bei vielen Vorhaben eine Vetomöglichkeit. Fest steht, dass der PRI in nur drei Jahren ein Comeback gelungen ist, das ihr erneut enorme politische Bedeutung verleiht.

Ein Fünftel der mexikanischen VW-Arbeiter muss um Job bangen

Von Gerold Schmidt

(Mexiko-Stadt, 6. Juli 2003, npl).- Für die Arbeiter des mexikanischen Volkswagenwerkes in Puebla beginnt heute (7. 7.) eine entscheidende Woche. Ihre Gewerkschaftsvertreter treffen sich zu einem ersten Verhandlungsgespräch mit der Leitung von VW-Puebla, um zu verhindern, dass es zu angedrohten Massenentlassungen kommt.

Vor genau einer Woche hatte Unternehmenssprecher Thomas Karig erklärt, vor allem aufgrund eines Absatzeinbruches der Marken Jetta und New Beetle in den USA müsste in den kommenden Wochen 1800 bis 2000 Arbeitern gekündigt werden. Das entspricht einem knappen Fünftel der Belegschaft von Puebla. Der Stellenabbau der vergangenen Jahre würde damit drastisch fortgesetzt. Allerdings ließ die Unternehmensleitung durchblicken, als Alternative sei sie zu Diskussionen über eine verkürzte Arbeitszeit bei entsprechendem Lohnverzicht bereit. Konkret heißt das Vier-Tage-Woche und 20 Prozent Lohneinbuße.

Die Betriebsgewerkschaft mit ihrem Generalsekretär José Luis Rodríguez befindet sich in keiner beneidenswerten Lage. Einerseits hat sie die nackten Zahlen gegen sich. Statt der bereits vor Monaten von ursprünglich 345 000 auf 310 000 Einheiten gesenkten Produktionsprognose geht zumindest die Werksleitung von nur noch 285 000 in Puebla produzierten Volkswagen-Autos in diesem Jahr aus. Zur geringeren Nachfrage gesellt sich der endgültige Abschied vom VW-Käfer, der seit 1996 weltweit nur noch in Puebla vom Band lief.

Andererseits musste sich die VW-Gewerkschaft, eine der stärksten Mitgliedsorganisationen im wenige Jahre alten regierungsunabhängigen Dachverband UNT, jüngst in einer vergleichbaren Situation unsolidarisches Verhalten von anderen Gewerkschaften vorwerfen lassen. Im März 2003 stimmte eine Mehrheit der organisierten Beschäftigten im Werk Puebla gegen die Empfehlung ihrer Führung. Sie sprachen sich für die Entlassung von etwa 500 Kollegen mit überwiegend ungesicherten Arbeitsverträgen aus anstatt Zugeständnisse beim Lohn zu machen. Das kam mit Blick auf das vergleichsweise hohe Lohnniveau bei VW und in der Autoindustrie allgemein bei vielen nicht gut an.

Jetzt stehen zu allem Überfluss auch Verhandlungen über den neuen Tarifvertrag an, der alte läuft Mitte August aus. Die Gewerkschaft hatte kurz vor Eintreffen der Kündigungsnachricht entschieden, mit einer Forderung von 13,6 Prozent in die betriebliche Lohnrunde zu gehen. Die Chancen, am Ende in die Nähe dieser Forderung zu kommen, sind nicht gut.

Die Gewerkschaftsstrategie für das heutige Treffen besteht in einem dritten Vorschlag. Mit so genannten technischen Arbeitsniederlegungen von einer Gesamtdauer bis zu fünf Wochen sollen sowohl Entlassungen wie auch generelle Lohnkürzungen verhindert werden. Rodríguez und seine Kollegen glauben zudem, eine Produktion von 310.000 Autos könne noch erreicht werden. Es wird nicht damit gerechnet, dass die Unternehmensleitung auf diese Kalkulation eingehen wird. Die Gewerkschafter selbst haben auf Versammlungen der verschiedenen Produktionsbereiche ihre Vertreter ermächtigt, auch das Modell mit Vier-Tage-Woche und Lohnverzicht zu verhandeln. Dieses könnte schon ab dem 1. August in Kraft treten.

In diesem Fall bliebe der Gewerkschaftsführung allerdings wenig mehr übrig, als um Details zu feilschen. So möchten die VW-Manager die Kürzungen für 18 Monate festschreiben. Danach geht mit dem Jetta A5 ein neues Modell in Puebla in Serie und die Produktion wird voraussichtlich wieder ansteigen. Die Gewerkschaft dagegen kann sich das Lohnzugeständnis nur bis zu einer Überprüfung am Jahresende vorstellen und will es auf die Führungskräfte des Unternehmens ausdehnen.

Mit dem Gouverneur des Bundesstaates Puebla sowie Bundesarbeitsminister Carlos Abascal wird in dieser Woche parallel über staatliche Kompensationszahlungen im Rahmen von Regierungsprogrammen verhandelt. Es könnte vom Erfolg dieser Parallelgespräche abhängen, ob ein Verhandlungsergebnis von Gewerkschafts- und Unternehmensführung letztlich in den Betriebsversammlungen mehrheitsfähig sein wird.

50.000 Minderjährige flüchten jährlich in die Vereinigten Staaten

(Mexiko-Stadt, 25. Juni 2003, adital).- Nach Angaben von Gerardo Sauri, dem Leiter des „Netzwerk für die Rechte der Kinder“, überqueren jährlich 50.000 mexikanische Jugendliche unter 17 Jahren auf der Suche nach Arbeit die Grenze Richtung USA. Das dort verdiente Geld wird dann nach Hause geschickt, um die vor allem in den ländlichen Gebieten herrschende extreme Armut zu lindern. Die Kapitalerträge der migrierten Arbeiter, in den meisten Fällen Minderjährige, nehmen mittlerweile einen wichtigen Anteil des Bruttosozialprodukts in vielen lateinamerikanischen Ländern ein – auf Kosten der im Ausland Arbeitenden.

Laut Sauri „weiß das Netzwerk von Minderjährigen, die nicht nur von den US-amerikanischen Arbeitgebern ausgebeutet werden und keine Lohnzahlungen erhalten, sondern zudem auch nur unzureichend mit Nahrungsmitteln versorgt und körperlich misshandelt werden“. Von den 50 000 emigrierenden Minderjährigen sind 18 Prozent Mädchen. Angelockt von Versprechungen für Arbeit in Bars und Restaurants finden diese sich am Ende in Prostituiertenringen wieder, da sich die scheinbar legalen Bars oder Restaurants als Bordelle entpuppen.

Nach Angaben des mexikanischen Außenministeriums werden von den Tausenden illegal emigrierenden Minderjährigen fast 5 000 zurück nach Mexiko abgeschoben. Die mexikanische Regierung verfügt aber über keine genauen statistischen Angaben über Minderjährige anderer Nationalitäten, in der Mehrzahl Honduraner und Guatemalteken, die die mexikanisch-US-amerikanische Grenze nutzen, um die Lebensbedingungen ihrer daheim gebliebenen Angehörigen zu verbessern. Und es werden immer mehr Jugendliche dazu angehalten, allein zu emigrieren.

GUATEMALA

Morddrohung gegen Korrespondentin von cerigua

(Guatemala-Stadt, 30. Juni 2003, cerigua-poonal).- Gegen Carmen Judith Morán Cruz, die cerigua-Korrespondentin in der guatemaltekischen Region Baja Verapaz, ist eine Morddrohung eingegangen. Es wurde ein Ultimatum gestellt, nach dem sie ihre Mitarbeit für dieses Medium innerhalb von 24 Stunden beenden soll. Die Direktorin der Agentur Ileana Alamilla verurteilte die Drohung als groben Anschlag auf das Recht der freien Meinungsäußerung.

Carmen Judith Morán Cruz erhielt in der Nacht zum vergangenen Sonntag (29.6.) zwei Telefonanrufe, während sie sich in ihrem Haus in der Stadt Salamá aufgehalten hatte. Ein Unbekannter forderte sie auf, ihre journalistische Tätigkeit für cerigua in der Region einzustellen. Andernfalls hätten sie und ihre Familie die Konsequenzen zu tragen.

Gemäß Moráns Erklärung erhielt sie gegen neun Uhr abends einen Anruf, in dem ihr ein Mann mitteilte: „Ich gebe Dir 24 Stunden, um bei cerigua zu kündigen. Ich habe die Schnauze voll von Euren Veröffentlichungen hier. Wenn Du Dich weigerst, werden Du und Deine Familie die Konsequenzen tragen.“

Zehn Minuten später rief der Unbekannte erneut an, um seine Drohung zu wiederholen. Dies wurde von Ileana Alamilla als grobe Aggression bewertet, die in einer Reihe von weiteren Angriffen gegen Personal der alternativen Nachrichtenagentur stünde. cerigua wurde im Laufe dieses Jahres bereits Ziel mehrerer Angriffe durch bewaffnete Gruppen. Unter anderem wurde eine Auto samt wichtiger Informationen gestohlen und Reporter sowie administratives Personal wurden physisch angegriffen. Die Aktion waren immer getarnt als Alltagskriminalität.

Aus Daten einer Kommission für Pressefreiheit geht hervor, dass im Zeitraum von Januar bis Juni dieses Jahres mindestens zehn Journalisten und Korrespondenten Morddrohungen erhalten haben, Einschüchterungsversuche erfuhren oder Opfer von Attentatsversuchen wurden. Keiner dieser Angriffe, obwohl den zuständigen Stellen angezeigt, ist bislang aufgeklärt worden.

Keine Untersuchung von Mordfällen an Frauen

(Guatemala, 1. Juli 2003, cerigua-poonal).- Auch wenn die Zahl der Mordfälle an Frauen seit dem Jahr 2000 gestiegen ist, findet das Thema weder die notwendige Beachtung durch die nationale Zivilpolizei (PNC) noch durch das Ministerium für Öffentliche Angelegenheiten (MP), erklärte Giovanna Lemus, die Vertreterin der „Guatematekischen Gruppe der Frauen“ (GGM) gegenüber cerigua.

Im Gespräch sagte Lemus weiter, dass die Ermordungen von Frauen sogar derart wenig Beachtung durch die Ordnungshüter fänden, dass die Daten und Gründe, die Ministerium und Polizeibehörde über die Fälle seit dem Jahr 2000 angeben, nicht übereinstimmten. Sie stellte zudem fest, dass ein großes Problem in der Überzeugung des Ministeriums und der Polizei liege, dass die Morde sich auf Streitigkeiten zwischen verfeindeten Gruppen etwa von Drogenhändlern beschränke. Oder aber sie seien die Folge der Anwendung häuslicher Gewalt, weshalb eine tiefergehende Beachtung des Problem für die Institutionen nicht erforderlich sei.

Die Repräsentantin der GGM beklagte zudem die Aussagen des Ministerpräsidenten Adolfo Reyes Calderón, der die Mordfälle an Frauen in Verbindung mit satanischen Handlungen stellte. Calderón habe sich auch noch so geäußert, obwohl eine weitergehende Untersuchung der Fälle zum gegebenen Zeitpunkt noch nicht vorgelegen habe.

Entlassungen wegen Versuchs der gewerkschaftlichen Organisierung

(Guatemala, 27. Juni 2003, cerigua-poonal).- Nach Angaben des guatemaltekischen Gewerkschaftsverbandes UNSITRAGUA (Unión Sindical de Trabajadores de Guatemala) wurden 48 Landarbeiter von der Finca „La Esperanza“ in der Gemeinde Pochuta in Chimaltenango entlassen, nachdem sie versucht hatten, eine Gewerkschaft zu bilden, um ihren Arbeitgeber zur Zahlung des Mindestlohns anzuhalten.

UNSITRAGUA-Mitglied Julio Cotz erklärte, dass die Arbeiter, die verschiedene Dienste am Hof und auf den dazugehörigen Kaffee- und Kardamomplantagen verrichtetet hatten, den Entschluss gefasst hätten, sich gegen die Verletzung ihrer Arbeits- und Menschenrechte durch den Arbeitgeber zu wehren. Als gewerkschaftliche Einheit wollten sie die Erfüllung der ihnen zustehenden Rechte und Garantien einfordern.

Der Gewerkschafter bezeichnete die Entlassung der Landarbeiter als Verletzung des freien Rechts auf gewerkschaftliche Organisierung, wie es in der politischen Verfassung der Republik sowie dem Arbeitsrechtskodex und den Bestimmungen des Abkommens 169 der Internationalen Arbeitsorganisation ILO festgehalten sei. Außerdem forderte er die Behörden auf, die Einhaltung dieser Bestimmungen zu wahren.

Nach Angaben von Cotz bedeuten diese Bedingungen eine weitere Zuspitzung der Kaffeekrise, die bereits viele ländliche Gemeinden im Hochland, die auf die Arbeit auf den Kaffeeplantagen angewiesen sind, in die Armut und Arbeitslosigkeit getrieben hat. Die 48 Landarbeiter wurden entlassen, ohne den Lohn für ihre Arbeit ausgezahlt zu bekommen.

Bedrohliche Unterernährung in Retalhuleu

(Retalhuleu, 28. Juni, cerigua-poonal).- Die extreme Armut, unter der die Bevölkerung der Gegend zu leiden hat, ruft ernsthafte Probleme von Unterernährung hervor, sagte Doktor Benjamin Calderón, Direktor des guatemaltekischen Instituts für Sozialversicherungen (Instituto Guatemalteco de Seguridad Social – IGSS) in Retalhuleu gegenüber cerigua.

Laut Calderón zeigen Daten des Sekretariats für Planung und Programmierung (Segeplan), dass beispielsweise 80 Prozent der Müllsammler in Armut leben. Die Betreffenden haben wegen fehlender ökonomischer Mittel keinen Zugang zu Nahrungsmitteln.

Gängige Probleme der Armenviertelbewohner ist das Auftreten von Darm- und Ateminfektionen, die sich besonders bei Kindern in Beschwerden der Bronchien und als Bluthochdruck bemerkbar machen, fügte der Direktor der IGSS hinzu. Viele Patienten der Arbeiterklasse in Retalhuleu leiden an Bluthochdruck, Diabetes und Magenproblemen.

HONDURAS

Demonstration gegen Waldzerstörung

(Tegucigalpa, 2. Juli 2003, ecupress-poonal).- Circa 30 studentische, bäuerliche, Indígena- und Menschenrechtsorganisationen sowie die katholisch-romanische und evangelische Kirche unterstützten einen Fußmarsch von 200 Kilometern gegen die „unbarmherzige Zerstörung“.

Der „Marsch fürs Leben“ wurde am 20. Juni mit einer Messe in der Kathedrale von Juticalpa im Bezirk Olancho eröffnet. Am Donnerstag, den 26. Juni, erreichte er das Haus des Präsidenten in Tegucigalpa, begleitet von einer mächtigen repressiven Überwachung durch die mit Schutzhelmen ausgerüstete Antiaufstandspolizei. Zu dem von den Demonstranten angestrebten Treffen mit Präsident Ricardo Maduro kam es jedoch nicht.

Maduro wollte Vizepräsident Vicente Williams schicken, aber die Demonstranten und Demonstrantinnen akzeptierten seine Entscheidung nicht. Nach drei Stunden des Wartens entfernten sich die Teilnehmer der Demonstration, wobei sie bekannt gaben, aufgrund des gescheiterten Treffens mit dem Präsidenten „einen baldigen Hungerstreik nicht ausschließen zu können“.

Der Priester José Andrés Tamayo äußerte die Bitte, „die Regierung möge der unbarmherzigen Zerstörung der Wälder von Honduras, im besonderen der von Olancho, ein Ende bereiten“. Dabei warf er den Holzfirmen vor, sie hätten versucht, ihn zu ermorden. Es wird vermutet, das die Firmen 40 000 Dollar für den Mord an dem Priester geboten hätten. Tamayo versicherte, dass vergangenes Jahr ein Mann bereits für seine Ermordung unter Vertrag genommen worden sei, dieser später aber aufgegeben und alles zugegeben habe. Honduras erstreckt sich auf 112 493 Quadratkilometer, davon entfallen 24 351 auf die Region Olancho.

NICARAGUA

Entlassung eines Polizisten gefordert, der eine Migrantin vergewaltigte

(Managua, 27. Juni 2003, alc-poonal).- Der Geistliche Norman Bent, Sonderankläger für die Indígena-Bevölkerung, forderte die unehrenhafte Entlassung und Bestrafung des Polizisten Lester García Guzmán. Der Beamte vergewaltigte in vermutlich betrunkenem Zustand die ecuadorianische Migrantin Alexandra Piñas, während diese sich im Gefängnis auf der Insel Isla de Corn an der südlichen Atlantikküste Nicaraguas befand. Piñas hatte auf ihre Überstellung nach Managua am 23. März gewartet. Dort sollte sie von der Einwanderungsbehörde befragt und danach ausgewiesen werden, da sie keine Papiere hatte.

„Die Anklagevertreterin für Menschenrechte in Bluefields wurde beauftragt, den Fall auf Corn Island zu untersuchen und wir warten auf ihren Bericht, um dann offiziell die Entlassung und Bestrafung des Polizisten zu fordern“, sagte Pastor Bent. Die Beauftragte Rosa María Dávila, stellvertretende Leiterin für Öffentlichkeitsarbeit der nicaraguanischen Polizei, bestätigte, dass García und der Offizier Glady Barquero nach Eingang der Anzeige am 22. Juni vor dem Militärgericht erscheinen mussten. Die Anklagevertreterin in Bluefields Deborah Grandison äußerte in ihrem ersten Bericht, dass es sich scheinbar nicht um eine Vergewaltigung, sondern um eine Beziehung in gegenseitigem Einverständnis handeln würde. García sagte aus, er habe sich auf den ersten Blick in Alexandra Piñas verliebt.

Bent, Pfarrer der Morava-Kirche, erstattete auch gegen den ehemaligen Polizei-Hauptmann Francisco Orozco Guido aus der Gemeinde Nord-Siuna Anzeige und wirft ihm die Vergewaltigung einer Minderjährigen vor, die im Hause des Polizisten vermeintlich wegen einer Erkrankung wie im Gefängnis festgehalten worden war. Angehörige des Opfers sagten, dass sie ihn seelenruhig durch die Straßen hatten gehen sehen. Die Mutter der Minderjährigen Mirian Hernández reiste in die Hauptstadt, um Gerechtigkeit zu fordern.

Die Polizei von Managua gab weiterhin bekannt, dass zwei Tage zuvor im Grenzgebiet zu Honduras, 70 Kilometer von der Stadt Chinandega entfernt, drei Ecuadorianer festgenommen wurden: der 59-jährige Julio Francisco Campoverde Regalado, der 20-jährige Manuel Mesías Roa Robles und der 50-jährige Luis Manuel Naranjo. Die drei Männer wurden den Einwanderungsbehörden übergeben. Nach einer Studie des obersten Beauftragten für Menschenrechte der Vereinten Nationen ACNUR sind Nicaragua und Honduras die Länder, wo die Menschenrechte der Migranten am meisten verletzt werden.

PARAGUAY

Mbya-Indígena auf der Suche nach Nahrungsmitteln

(Quito, 27. Juni 2003, púlsar-poonal).- Hunderte Mbya-Indígena wandern derzeit auf der Suche nach Nahrungsmitteln in Richtung der ecuadorianischen Hauptstadt. Der Grund für die Entwurzelung der Indígena-Gruppe liegt in der Vernichtung ihrer angestammten Wälder, in denen sie gejagt und Früchte gesammelt hatten.

Die Indígenas kommen in kleinen Gruppen an, lassen sich an Ampelkreuzungen nieder und betteln bei den vorbeikommenden Autofahrern. Viele der Kinder im Alter zwischen fünf und zwölf Jahren schnüffeln Schusterleim, eine äußerst schädliche, chemische Droge. In den vergangenen Tagen mussten 15 Kinder vom Gesundheitsministeriums wegen schwerer Atembeschwerden behandelt werden. Einige von ihnen hatten Tuberkulose, bedingt durch geschwächte Abwehrkräfte aufgrund der mangelhaften Ernährung.

Die Bauern sind Opfer der wahllosen Abholzung der Wälder und neuer Siedlungen, die zunehmend die ursprünglichen Wälder zurückdrängen.

BOLIVIEN

APDHB: USA benutzen den Terrorismus-Vorwurf, um sich einzumischen

(La Paz, 30. Juni 2003, adital-poonal).- Die Ständige Versammlung für Menschenrechte in Bolivien (APDHB – Asamblea Permanente de Derechos Humanos de Bolivia) beklagt die Einmischung der Vereinigten Staaten in innere Angelegenheiten des Landes. Medien in Peru und Kolumbien versuchten mit ungenauen Berichten den Eindruck zu erwecken, dass das ELN (Ejercito de Liberacion Nacional – Heer zur Nationalen Befreiung) in Bolivien ähnliche Aktionen wie in Kolumbien plane. Mit dieser Medienkampagne solle künftige Gewalt im Kampf gegen den sich auf bolivianischem Gebiet angeblich formierenden Terrorismus gerechtfertigt werden.

Sacha Llorenti, Vizepräsident der APDHB, zog den Wahrheitsgehalt der Berichte in Zweifel, die um die Welt gingen und von der Existenz eines von zehn von kolumbianischen Guerilleros geführten Terrorkommandos berichteten. „Wir finden es bemerkenswert, dass es die Botschaft der Vereinigten Staaten war, die die Journalisten einlud, an Verhaftungen (in El Alto) teilzunehmen, und dass die Anschuldigungen auf einer Dokumentation beruhen, zu der weder die Verteidigung noch die Presse Zugang hatte, weil es sich um Geheimakten handelt,“ sagte er und fügte an: „Es würde uns nicht wundern, wenn dies ein weiteres Stück des Rätsels mit Namen Plan Colombia wäre, mit dem die Vereinigten Staaten – mittels des angeblichen Krieges gegen die Drogen und den Terrorismus – versuchen, ihre Einmischung in unsre Länder zu verstärken und ihre politische Kontrolle zu erhöhen, um uns ein Wirtschaftsmodell aufzuzwingen.“

Verhandlungsversuch zwischen Regierung und Landlosenbewegung

(La Paz, 1. Juli 2003, adital-poonal).- Die „Bewegung ohne Land“ (MST – Movimiento Sin Tierra) hat im Gebiet von Collana, etwa 100 Kilometer von La Paz und Terevinto entfernt, Ackerland besetzt. Sie will damit Druck auf die Regierung ausüben und deren Aufmerksamkeit auf Forderungen des MST lenken. Die Regierung hat die Bewegung aufgefordert, das Land friedlich zu verlassen.

Die Landbesetzung wurde vor zwei Wochen durch den MST angekündigt. Sie sollte eine Antwort auf die andauernde Einschüchterung durch die Großgrundbesitzer und die fehlende Aufmerksamkeit der Regierung darstellen.

Der Sprecher des Präsidenten, Mauricio Antezana, hat die mehr als 300 Bauern der Bewegung ohne Land aufgefordert, das Land in Collana friedlich zu verlassen, um so größere Konflikte zu vermeiden. Der Repräsentant der Landlosen, Angel Duran, warnte, dass die Besetzer dieses Land nicht räumten, solange die Regierung nicht ihre Versprechungen über die Übergabe von eigenem Land einhalte.

Der MST fordert die Überprüfung von brachliegendem Land zugunsten der Bauern, die sofortige Sanierung der Böden, den Wechsel der Verantwortlichen des nationalen Instituts für die Agrarreform (INRA – Instituto Nacional de Reforma Agraria) und einen gerechten Prozess bezüglich der Bauern, die bei Angriffen der Großgrundbesitzer in Pananti und in Yapacani gestorben sind.

Die Führer der Bewegung denunzierten, dass Polizeikräfte versucht hatten, die Bauern mit Gewalt zu vertreiben. Die Campesinos hatten sich auf dem ganzen bolivianischen Hochland in kleinen Zelten installiert, um die besetzten Grundstücke zu schützen.

Duran kritisierte die Regierung. Sie habe ihr Wort nicht gehalten. Schließlich habe sie versprochen, eine Lösung für das Problem zu finden, anstatt die Bauern zu unterdrücken. Durán versicherte, dass die Bauern des MST entschlossen seien, ihre Erde zu verteidigen.

Schließlich hat sich doch noch eine Delegation, bestehend aus den Vizeministern für Land, der Regierung, dem Direktor des INRA und dem Repräsentanten der Landlosen Duran sowie Bauern dieses Gebietes gebildet, um am Ort der Landbesetzung zu einem Dialog zusammenzukommen und so eine Lösung des Konflikts zu erreichen.

Erfolge im Kampf für den Bergbau

(Quito, 26. Juni 2003, púlsar).- Die Föderation der Bergbaukooperative von Bolivien errichtete auf der Hauptstraße des Landes eine Blockade, die bis letzten Montag (23.7.) aufrechterhalten wurde, um ein Abkommen mit der Regierung zu erreichen. Dadurch soll ein Plan zur Wiederaufnahme des Sektors in Gang gesetzt werden.

Bei Auseinandersetzungen während des Protestes kam ein Bergbauarbeiter ums Leben und es gab viele Verletzte. Auch aus ökonomischer Sicht gab es wichtige Verluste für die verschiedenen Sektoren.

„Die Regierung verpflichtet sich, mittels Beschluss des Obersten Dekretes einen Wiederaufbaufond für den Bergbau mit einem anfänglichen Gesamtbetrag von zwei Millionen Dollar zu gründen. Das Ziel soll der Wiederaufbau des Bergbaus sein. Zweitens stellt die Regierung eine Million Dollar für die Ausarbeitung bestimmter Projekte zur Reaktivierung der Minenkooperativen zur Verfügung,“ bestätigte der Regierungsminister Yerko Kukoc.

Des weiteren akzeptierte die Regierung, die Entschädigung der Familie des toten Bergarbeiters sowie die Übernahme der Kosten zu übernehmen, die sich aus der Verpflichtung der Verletztenkooperative ergeben. Zudem verzichtet die Regierung auf ein Justizverfahren gegen die Teilnehmer des Protestes.

PERU

Fujimori-Prozess wird in die Wege geleitet

(Quito, 30. Juni 2003, púlsar-poonal).- Nach Informationen des Außenministers Allan Wagner Tizón wird in Kürze der seit langem mit Spannung ersehnte Moment der Auslieferung des geflüchteten Ex-Staatsschef Alberto Fujimori an die Justiz kommen.

„Die Übersetzung der dazu notwendigen Akten wird bald abgeschlossen sein und im Juli wird man dann den entsprechenden Antrag stellen können“, erklärte Wagner Tizón. Und so werden derzeit in aller Form die Vorbereitungen für die definitive Auslieferung des wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagten peruanischen Ex-Präsidenten an die japanische Justiz zu ihrem Abschluss gebracht.

BRASILIEN

Eine Bank der Armen

(Quito, 26. Juni 2003, púlsar).- Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva eröffnete eine Bank der Armen. Nach Aussagen Lulas soll sie 25 Millionen Menschen dienen, die keinen Zugang zum traditionellen Banksystem haben. So soll die Bank das Kreditwesen demokratisieren.

„Dies ist eine Bildungsmaßnahme für die Bürger, da die Armen auf Tagesbasis kaufen und verkaufen, und keine Gelder ins Ausland überweisen oder Bankkonten in Steuerparadiesen haben“, erklärte Lula bei der Präsentation des nationalen Programms für Mikrokredite.

Mit dieser Maßnahme sollen die Kosten für Geld in Brasilien gesenkt werden. Die staatliche Bank Caixa Económica Federal reduzierte die monatlichen Zinsen von fünf Prozent auf 2,5 Prozent.

Erziehung zur Gleichberechtigung

(Quito, 27. Juni 2003, púlsar-poonal).- Im Mai nächsten Jahres wird in Sao Paulo die erste Universität für Schwarze ihre Tore öffnen. Die Universität, deren Name „Zumbi dos Palmares“ an den berühmten schwarzen Kämpfer gegen die Sklaverei erinnert, wird Seminare im Bereich der Verwaltung für die afro-brasilianische Bevölkerung des Landes anbieten.

Etwa die Hälfte der 175 Millionen Brasilianer*innen sind afrikanischer Herkunft. Die schwarze Bevölkerung Brasiliens stellt etwa 80 Prozent der Ärmsten und nur zehn Prozent der Reichen des Landes. Im Durchschnitt beträgt das Gehalt eines schwarzen Brasilianers etwa die Hälfte des Lohns eines Weißen und der Anteil an schwarzen Student*innen an den staatlichen Universitäten beläuft sich auf 2,2 Prozent.

„In Brasilien gibt es keine Schwarzen in Entscheidungspositionen. Es gibt keine Richter, keine Botschafter, keine Minister. Schwarze können nur im Sport oder der Bühnenkunst und Musik brillieren“, sagt José Vicente, der zukünftige Rektor der Universität „Zumbi dos Palmares“.

José Vicente ist diplomierter Rechtswissenschaftler und Soziologe und Direktor von „Afrobras“, einer NGO, die sich für die soziale und kulturelle Entwicklung der Community von Afrobrasilianer*innen einsetzt.

Die „Kultur des Folterns“

(Quito, 27. Juni 2003, púlsar-poonal).- Vergangene Woche startete Lula die bundesweite Kampagne „Gemeinsam gegen Folter“, die sich gegen diese in Brasilien noch weit verbreitete Praxis richtet.

In den meisten Fällen sind die Folterer Polizisten, die damit Geständnisse erwirken oder problematische Gefangene in Gefängnissen oder in Jugendstrafanstalten unter Kontrolle bringen wollen.

Nilmario Miranda, einer der Vertreter der Menschenrechtler, der selbst während der letzten Militärdiktatur in Brasilien Opfer der Folter wurde, erklärt, solche Methoden entsprängen einer „Kultur der Folter, Gewalt und der Korruption, die zu abartigen Justizpraktiken führe, sowie der Unfähigkeit der Polizei“.

Die Brasilianische Menschenrechtsbewegung merkte an, die Vorstellungen vieler Polizisten seien von Verurteilen geprägt. Dazu gehöre die sehr brasilianische Auffassung, „jeder, der arm ist, ist verdächtig“ und „der beste Verbrecher ist der tote Verbrecher“.

ARGENTINIEN/VENEZUELA

Kirchner und Chávez: ein historisches Abkommen

(Caracas, 30. Juni 2003, adital-poonal).- Zum ersten Mal seit über 70 Jahren wirtschaftlicher Beziehungen wird Venezuela einen Betrag in großer Millionenhöhe in die argentinische Wirtschaft investieren. Der Betrag, der mittelfristig angelegt werden soll, beläuft sich auf etwa 500 Millionen US-Dollar. Als Beweis dafür, dass die Sache Hand und Fuß hat, werden bereits in zwei Monaten etwa 220 Millionen Pesos (etwa 80 Millionen Dollar) aus dieser Goldgrube bewilligt werden.

Im Moment beträgt die Handelsbilanz zwischen beiden Ländern knapp 320 Millionen US-Dollar. Das ist weniger als ein Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) Argentiniens und nicht mehr als 2,5 Prozent des BIP Venezuelas. Bis 1998 verkauften 320 argentinische Firmen Güter und Dienstleistungen nach Venezuela. Die Zahl der venezolanischen Unternehmen auf dem argentinischen Markt war nie höher als 23.

Argentinien wurde 1997 der Hauptinvestor Lateinamerikas in Venezuela. Aber fast 40 Prozent dieser Kapitalgeber flüchteten, als die Wirtschaftskrise Asien, Russland und dann Brasilien erfasste. Die letzten suchten das Weite, als der Putsch gegen Hugo Chávez, der von einigen dieser Investoren unterstützt wurde, fehl schlug.

Ein weiteres Projekt der beiden Länder, das zur Zeit geprüft wird, ist die gemeinsame Investition in die venezolanische Fluggesellschaft.

CHILE

Geschichtsschreibung aus Sicht der Rechten

(Montevideo, 29. Juni 2003, comcosur-poonal).- Am 20. Juni legte die oppositionelle Unabhängige Demokratische Union (UDI) schließlich der Regierung ihren lange angekündigten Vorschlag zur Entschädigung der Angehörigen von Opfern von Menschenrechtsverletzungen während der Zeit der Militärdiktatur (von 1973 bis 1989) vor. Es handelt sich dabei um ein ausführliches, sorgfältig formuliertes Dokument, das ohne jeden Zweifel versucht, die Straflosigkeit für die Verbrecher der Diktatur für alle Zeiten festzuschreiben.

Das Dokument überrascht durch seine umfassende und eigenwillige Revision der chilenischen Geschichte, die in jeder Zeile der Ankündigungen und konkreten Vorschläge erkennbar ist. Es ist eben jener rechtsextreme Geist, der auch die Leserbriefseiten der wichtigsten Printmedien prägt. Wie gewöhnlich wird behauptet, dass die wahren Ursachen des Genozids in der Linken der Sechzigerjahre zu suchen seien und speziell in jenem von der Rechten tausendmal angeführten Kongress der Sozialistischen Partei im Jahr 1967, auf dem der „volkstümliche“ Sozialismus angeblich den bewaffneten Kampf als legitimes Mittel in der politischen Auseinandersetzung gerechtfertigt habe.

Am Anfang dieser langen, mit mystischen Anekdoten angereicherten Geschichtsbetrachtung äußert sich die UDI folgendermaßen: „Bis in die Sechziger hinein konnte Chile noch stolz darauf sein, dass die Konflikte zwischen den Chilenen nicht nur die Ausnahme waren, sondern auch schnell beendet und aufgrund einer raschen Versöhnung auch schnell wieder vergessen werden konnten.“ Wie unschwer zu erkennen ist, haben sie nicht einmal die Werke von Gonzalo Vial oder Francisco Encina gelesen. Leider ist die chilenische Geschichte ganz im Gegenteil reich an gewaltsamen innergesellschaftlichen Auseinandersetzungen und Blutvergießen. Dies zieht sich von der blutigen „Befriedung“ der einheimischen Mapuches bis hin zu Streiks und Repression in den Bergwerken im Norden des Landes.

Weiter gilt: Obgleich diese Konflikte relativ kurz waren, sind der Hass und der Groll, die zu den schlimmsten Ungerechtigkeiten geführt haben, noch immer in den Köpfen der Chilenn*innen verankert. Es ist nicht übertrieben zu behaupten, dass damals die Grundlagen für das spätere Blutvergießen während der Militärdiktatur geschaffen wurden.

Sie kennen die Geschichte Chiles nicht und sie interessiert sie auch nicht, sie hat sie vielleicht auch nie großartig interessiert, weil unter den Opfern keine ihrer Familienangehörigen waren oder je Straßen betroffen waren, in denen ihre Kinder spielten. Sie zitieren die Worte von Demetrio Sampson Trujillo, dem Sohn eines Verhafteten-Verschwundenen aus Pisagua: „Unser größter Wunsch ist, dass unser Land nicht geteilt ist.“ Hätten sie doch bloß auf die Zeugnisse der 42 000 Menschen gehört, die 13 Jahre lang ihr Leid in der Pfarrei der Solidarität dokumentiert haben. Wie viele Leben hätten gerettet werden können?

LATEINAMERIKA

Herausforderung für den Mercosur

Von Emir Sader*

(Rio de Janeiro, 30. Juni 2003, alai).- Die argentinische Regierung entschloss sich, ausländische Investitionen, die weniger als 180 Tage im Land verbleiben, zu besteuern. Damit legte sie den Grundstein für eine neue Entwicklung in der Wirtschaftspolitik der südamerikanischen Freihandelszone Mercosur. Argentinien war bisher, trotz des Verzuges bei der Zahlung der Auslandschulden, ein attraktives Land zum Investieren, da der Leitzins höher lag als in anderen wichtigen kapitalistischen Länder wie den Vereinigten Staaten. Die Regierung will mit dieser Entscheidung den Umtauschkurs des Peso unter Kontrolle behalten und damit verhindern, dass die Exportkapazität des Landes und die Devisenbilanz beeinträchtigt werden.

Eine ähnliche Maßnahme hatte Chile vor der brasilianischen Wirtschaftkrise 1999 ergriffen. Allerdings wurde diese aufgehoben, weil die Nachbarländer einen gegensätzlichen Wirtschaftskurs eingeschlagen hatten und bessere Bedingungen für internationale Investitionen anboten. Eine solche Maßnahme ist nicht mehr praktikabel, wenn die Nachbarländer einen höheren Zinssatz ohne Kontrolle behalten. Die Maßnahme der argentinischen Regierung zwingt das brasilianische Regime, ähnliche Schritte zu unternehmen. Ansonsten müsste Brasilien auf sein Projekt verzichten, einen stärkeren Mercosur aufzubauen, der ein eigenes Parlament und eine eigene Währung besitzen sollte. Ohne Koordination in der Steuerung der Währungspolitik werden hier keine Fortschritte gemacht werden können.

Allerdings nahm die neue brasilianische Regierung sechs Monate nach der Machtergreifung eine liberale Haltung in der Währungspolitik ein. Es gibt momentan keinen Anhaltspunkt zu denken, dass Brasilien dem argentinischen Kurs folgen wird. Die Regierung von Lula erklärte, Präsident Kirchner zu unterstützen, aber in Wirklichkeit blockiert sie die argentinischen Maßnahmen, weil der Realzinssatz in Brasilien noch höher als vor zwei Monaten liegt und die brasilianische Regierung bereit ist, kurzfristige, spekulative Investitionen in das Land aufzunehmen.

Die Wirtschaftslage stellt eine Herausforderung für den Mercosur dar und fordert eine Stellungnahme des Bündnisses über gemeinsame Maßnahmen, welche die Mitglieder der Freihandelszone momentan noch entzweit. Eine Lösung wäre eine Änderung der Wirtschaftspolitik von Lula während der zweiten Phase seiner Regierung. Damit würde man das Wachstum fördern und die kurzfristigen Investitionen unattraktiv machen. Das Wachstum könnte mit einer Kombination aus mikroökonomischen Maßnahmen gefördert werden, die nicht die Makroökonomie aus dem Gleichgewicht bringen würden. Wenn Lula aber den Kurs nicht ändert, wird er die Argentinier blockieren und damit eine Kluft zwischen den zwei wichtigsten Mitgliedern des Mercosur aufbauen.

*Emir Sader ist Soziologieprofessor an der Universität von Rio de Janeiro

 

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