Poonal Nr. 549

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen vom 19. November 2002

Inhalt


ECUADOR

BRASILIEN

PARAGUAY

BOLIVIEN

PERU

URUGUAY

GUATEMALA


ECUADOR

Schlammschlacht vor der Stichwahl

Von Kintto Lucas und Roberto Roa

(Quito, 18. November 2002, npl).- In Ecuador hat die heiße Phase des Wahlkampfes begonnen. Wie in früheren Jahren bedeutet dies noch mehr Schlammschlacht und Diffamierung des Gegners und noch weniger Argumente und politische Positionen als sonst üblich. Dabei steht für die Wählerschaft in dem andinen Land viel auf dem Spiel: Auch wenn die beiden Kontrahenten, die kommenden Sonntag in der Stichwahl um die Präsidentschaft aufeinander treffen, beide als Populisten gelten, so vertritt doch der eine die Reichen, während der andere vor allem von den Verarmten und den Indígenas gewählt wird.

Jüngster Höhepunkt der politischen Debatte: „Gutiérrez hat früher einmal meine Ehefrau misshandelt,“ erbost sich Kandidat Alvaro Noboa über den Kandidaten Lucio Gutiérrez. Letzterer konterte mit einer Klage wegen Verleumdung. Wenn sich beide nicht gegenseitig beschuldigen, sprechen sie gern vom Vaterland, ihren christlichen Überzeugungen und versprechen warmherzig, dass sie – einmal gewählt – das Land von Armut und Elend befreien werden. Weitere Ankündigungen lassen wenigstens die politische Herkunft erahnen: Der Milliardär Noboa überlegt, ob er die Einkommenssteuer abschaffen soll und kündigt an, allzu kritische Presseorgane an die Leine zu legen. Der frühere Oberst Gutiérrez erklärt der Korruption den Kampf und plant lebenslange Haftstrafen für dieses Vergehen. Vielleicht keine schlechte Idee, nur glauben die Ecuadorianer keinem der beiden, fanden Umfragen heraus.

Die Wahlforscher sagen dem jungen Ex-Militär Gutiérrez 60, dem gewichtigen Bananenunternehmer 40 Prozent voraus. Sollte sich diese Prognose bestätigen, würde das Wahlspektakel in Ecuador plötzlich durchaus politische Brisanz auch über die Landesgrenzen hinaus bekommen. Denn Gutiérrez vertritt eine starke Bewegung von Indígenas, Gewerkschaften und weiteren Basisorganisationen, die überraschend erfolgreich für ihre radikalen sozialen Forderungen kämpft. Zwei Präsidenten trieb sie bereits aus dem Amt: 1997 den korrupten Schlagersänger Abdalá Bucarám, dessen Spitzname „el loco“ (der Verrückte) durchaus ernst gemeint war. Und im Januar 2000 den konservativen Jamil Mahuad wegen seiner unsozialen Wirtschaftspolitik. Als damals die Indígenas den Kongress stürmten, übernahm für wenige Stunden ein dreiköpfiges Gremium die Macht im Staat, unter ihnen Lucio Gutiérrez, der den fortschrittlichen Flügel im Militär vertrat.

Nach wenigen Monaten Haft gründete Gutiérrez die Partei „Patriotische Bewegung 21. Januar“, um auf legalem Weg ins Präsidentenamt zu gelangen. Aufgrund dieses Werdegangs wird er gern mit Hugo Chávez verglichen, dem linksnationalistischen Präsidenten Venezuelas, der seit einem Putschversuch ebenfalls auf populistische Reden setzt und von der verarmten Mehrheit in Land unterstützt wird. Gutiérrez weist den Vergleich zurück und gibt sich moderat: Er werde keinen radikalen Politikwechsel vollziehen, die Auslandsschulden bezahlen und wie sein Vorgänger Gustavo Noboa mit dem Weltwährungsfonds IWF und den USA über Freihandelsabkommen verhandeln. Dennoch fürchten seine Gegner, er werde zusammen mit Chávez, dem neuen, gemäßigt linken Präsidenten Inacio Lula da Silva in Brasilien, der starken Opposition von Evo Morales in Bolivien und nicht zuletzt mit Fidel Castro eine linke Front in Lateinamerika aufbauen.

Bananenbaron Alvaro Noboa, der reichste Mann des Landes, schlägt in die gleiche Kerbe: Zwischen „Freiheit oder Kommunismus“ müssten sich die gut acht Millionen Wahlberechtigten entscheiden. Doch die Ecuadorianer haben ganz andere Sorgen. Seit es Jamil Mahuads Nachfolger Gustavo Noboa trotz aller Proteste schließlich gelang, die Landeswährung durch den US-Dollar zu ersetzen, hält sich zwar die Inflation in Grenzen, doch nimmt die Verarmung und Arbeitslosigkeit stetig zu. Einziger Ausweg ist für viele im wahrsten Sinne des Wortes die Flucht – nach Europa, vor allem Spanien, oder in die USA.

Auch wenn Gutiérrez für viele ein Hoffnungsträger ist, wird ihm kaum zugetraut, Ruhe ins Land zu bringen, zumal er im Kongress keine Mehrheit hat. Hier sind auch noch die traditionellen Parteien im Spiel, die beim ersten Wahlgang Ende Oktober die Quittung für ihre jahrelange Misswirtschaft und Klientelismus bekommen hatten. Andererseits wird der ehemalige Oberst gezwungen sein, seine kämpferische Basis nicht zu enttäuschen, die von ihm vor allem eines fordert: mehr soziale Gerechtigkeit.

Interview mit Präsidentschaftskandidat Lucio Gutiérrez

Von Raquel Gargotte

(Quito, 14. November 2002, na-poonal). -Überraschend gewann der ehemalige Oberst Lucio Gutiérrez Ende Oktober den ersten Durchgang der Präsidentschaftswahlen in Ecuador. Vor allem die Unterstützung seitens der Indígena- und Basisbewegungen in dem verarmten Land macht ihn zum Favoriten für den zweiten Durchgang am 24. November, in dem der charismatische Politiker auf den Unternehmer Alvaro Noboa trifft.

Gern wird Gutiérrez mit den venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez verglichen: Beide Ex-Militärs sind Populisten und beide werden von einem großen Teil der Linken im Land unterstützt. Gutiérrez war mit dabei, als ein Aufstand von Indígenas gegen die neoliberale Wirtschaftspolitik im Januar 2000 dem Präsidenten Jamil Mahuad das Amt kostete.

Für die Linke wie für die Rechte und vor allem die Wirtschaft stellt sich die Frage, welchen wirtschaftspolitischen Kurs eine eventuelle Regierung unter Gutiérrez einschlagen wird und vor allem: Wird sich das andine Land an der von den USA voran getriebenen Gesamtamerikanischen Freihandelszone ALCA beteiligen? Die Linke hofft auf ein klares Nein, die traditionellen Parteien setzen wie in Brasilien, wo kürzlich der Gewerkschafter Lula die Präsidentenwahl gewann, darauf, dass sich ein gemäßigter Kurs durchsetzt. Im npl-Gespräch legt Lucio Gutiérrez seine Argumentation dar.

Herr Gutiérez, soll sich Ecuador an der Gesamtamerikanischen Freihandelszone ALCA beteiligen?

In der heutigen Situation, in der Ecuador völlig unvorbereitet ist, bedeutet der ALCA eine Bedrohung. Aber es ist die Herausforderung für die Ecuadorianer, ihn in eine Chance zu verwandeln. Ich denke, im Moment sind die bevorstehenden Verhandlungen das Entscheidende. Ecuador muss in diesen Verhandlungen klarmachen, dass es ein weniger wohlhabendes Land ist, insbesondere was die Industrialisierung betrifft. Wir sind ein Entwicklungsland, dessen Währung durch den Dollar ausgetauscht wurde, was uns wie eine Zwangsjacke einengt. All dies muss in den Verhandlungen Thema sein.

Was macht diese Zwangsjacke konkret aus?

Wenn zum Beispiel andere Länder ihre Agrarprodukte subventionieren, was sollen dann wir machen? Wenn andere ihre Währungen abwerten, was sollen wir machen, ohne eigene Währung? Deswegen ist der Ausgang der Verhandlungen entscheidend für unsere Haltung dem ALCA gegenüber. Wir Ecuadorianer haben noch bis zum Jahr 2005 Zeit zu überlegen, ob uns der Eintritt in den ALCA nützt oder nicht. Wenn wir nein sagen, bleiben uns sogar noch weitere zehn Jahre bis 2015, dem letzten Termin, zu dem wir dem Abkommen beitreten können. Ich glaube, wir müssen uns gut vorbereiten, um unter für uns günstigsten Bedingungen dem ALCA beizutreten. Aber je länger wir zögern, um so negativer werden die Konsequenzen ausfallen.

Können Sie dafür ein Beispiel nennen?

Wir haben zum Beispiel sehr lange gebraucht, der Welthandelsorganisation WTO beizutreten, und taten dies aus einer Position der Schwäche heraus. Aus dieser Lektion müssen wir lernen. Jetzt müssen wir zu einem Konsens zwischen den produktiven und den sozialen Sektoren im Land kommen und unsere eigenen Interessen artikulieren.

Erwägen Sie die Möglichkeit eines Plebiszits, um zu prüfen, ob die Bevölkerung mit diesem Vorschlag einverstanden ist?

Ich denke, das wäre eine Option, aber zuvor sollten wir das Thema auf internationalen Treffen diskutieren, mit den sozialen Organisationen und mit den Unternehmern. Denn wir müssen auch verstehen, was überhaupt der ALCA ist. Manchmal protestieren wir dagegen, ohne genau zu wissen, was der ALCA im einzelnen wirklich bedeutet. Ich denke, wir sollten weder ja noch nein sagen, solange wir nicht genau analysiert haben, was der ALCA ist, welche die Vorteile und welche die Nachteile sind, die dieser gemeinsame Markt für Ecuador bringt.

Wie ist Ihre Haltung zu den Auslandsschulden?

Wir werden alle eingegangenen Verbindlichkeiten erfüllen. Wir haben immer gesagt, das Ecuador unter einer Regierung von Lucio Gutiérrez alle internationalen Abkommen und Vereinbarungen einhalten wird, und die Auslandsschuld ist natürlich eine solche internationale Abmachung.

Wie kommentieren sie den Wahlsieg von Lula in Brasilien?

Sein Erfolg hat gezeigt, dass die Brasilianer für etwas anderes votiert haben, für eine Alternative, die Lula anbietet. Dies sollten wir nicht nur respektieren, sondern nach Kräften unterstützen. Und ich wünsche Präsident Inácio Lula da Silva viel Erfolg.

Gutiérrez liegt in Umfragen vorn

(Montevideo, 8.November 2002, comcosur-poonal).- Der Präsidentschaftskandidat Lucio Gutiérrez liegt laut Umfragen kurz vor dem zweiten Wahldurchgang, der für den 24. November vorgesehen ist, noch immer mit 20 Punkten vor seinem Rivalen Álvaro Noboa.

Gutiérrez erreichte in Wahlumfragen 44 Prozent der Stimmen. 22 Prozent der Wahlberechtigten sind nach wie vor unentschlossen. Der Favorit Gutiérrez überraschte mit dem Wahlergebnis des ersten Wahldurchgangs. Er gelangte zu Berühmtheit als er im Jahr 2000 eine Schlüsselrolle im Volksaufstand spielte in dessen Verlauf der damalige Präsident Jamil Mahuad gestürzt worden war. Unterstützt wurde er auch damals von indigenen Organisationen, linken Sektoren, Arbeitern und anderen sozialen Organisationen. Gutierrez rechnet laut eigenen Aussagen ebenfalls mit der Unterstützung von ecuadorianischen Militärs. Noboa ist ein millionenschwerer Geschäftsmann aus dem Bananengeschäft.

BRASILIEN

Landlosenbewegung gönnt Lula Ruhepause

(Montevideo, 8.November 2002, comcosur-poonal).- Die Bewegung der Landlosen MST (Movimento sem Terra) wird dem neu gewählten Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva eine Ruhepause zugestehen. Jaime Amorin, ein Sprecher der Bewegung, teilte mit, dass sich diese Pause bis zum nächsten April erstrecken werde. Es wird angenommen, dass die neue Regierung zu diesem Zeitpunkt ihre Pläne erarbeitet haben wird.

Die Erklärung erfolgte angesichts der Ankündigungen Lulas, ab dem kommenden Januar einen Plan zu entwickeln, der sich mit dem Problem des Großgrundbesitzes im ganzen Land beschäftige. Die Unterbrechung ihrer Aktionen führte zu internen Debatten innerhalb der MST, die die Kandidatur von Lula unterstützt hatte. Der neue Präsident steht jetzt vor der Herausforderung, die Erwartungen zu erfüllen, die er bei den ärmsten Schichten der brasilianischen Bevölkerung geweckt hat: „Es war ein Traum, bei dessen Schaffung wir geholfen haben“, sagen die Bauernführer und erinnern daran, dass die Organisation „jetzt eine historische Verantwortung hat, vor der sie sich nicht drücken wird“.

Die MST erwartet, dass die neue Regierung eine Agrarreform vorantreiben wird, die den Großgrundbesitz abschafft. Ohne die Bedeutung dieses Moments zu verschweigen, erinnerte Amorin, dass „500 Jahre lang die Großgrundbesitzer dieses Land regierten. In diesem Augenblick findet ein wichtiger Einschnitt in unserer Geschichte statt, von dem viele, die Lula gewählt haben, so wie wir auch, träumen“. Die Landwirte brauchen eine Politik, die die Kleinbauern unterstützt und die ständige Landflucht beende. Lula müsse außerdem erklären, wie er sich den Umgang seiner Verwaltung nun mit der Partei, die er gegründet habe und mit der er an die Macht gelangte, aussehen werde. Innerhalb der Arbeiterpartei PT (Partido de los Trabajadores) gibt es verschiedene Strömungen, die Lula auf kluge Weise miteinander in Einklang bringen muss.

Interne Debatten gibt es über so grundlegende Themen, wie die Frage nach dem Umgang mit der Auslandsverschuldung, die an die 260 Milliarden Dollar beträgt oder über die vom scheidenden Präsidenten Fernando Henrique Cardoso getroffenen Vereinbarungen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF). Angesichts von Äußerungen einiger Gruppierungen, die zum Ausscheiden aus dem IWF auffordern, rufen andere zur „Realität“ auf. Lula schlägt einen frontalen Kampf gegen die Armut vor, die das Leben von 50 Millionen Brasilianern bestimmt, aber auf der Basis von Stabilität und einem korrektem Umgang mit dem Steuerdefizit. Die MST macht auch darauf aufmerksam, dass der neue Präsident einem starken Druck von Seiten des Großkapitals ausgesetzt sein werde. Joao Pedro Stedile, Vorsitzender der Landlosenbewegung bekräftigt, dass „der Sieg von Lula der Sieg eines leidenden Volkes ist, das Veränderungen will. Lula ist ein engagierter Politiker, aber das Kapital schläft nicht und wird weiterhin Druck ausüben“. Die Organisation wird in der Zukunft weiter „die sozialen Bewegungen organisieren und mobilisieren, um die neue Volksregierung zu unterstützen oder Druck auf sie auszuüben“.

Mehr Frauen in den Parlamenten

(Brasilia, 8. November 2002, adital-poonal).- Laut Daten des feministischen Studien- und Beratungszentrums CEFEMEA (Centro Feminista de Estudios y Asesoría) in Brasilia ist der Anteil an weiblichen Bundesabgeordneten gegenüber den Wahlen im Jahr 1998 um 45 Prozent gestiegen. Damals erhielten 29 weibliche Abgeordnete einen Sitz, was 5.5 Prozent der Abgeordnetenkammer ausmachte.

Laut den Ergebnissen des Instituts wird es in fünf von insgesamt 27 Bundesstaaten keine weiblichen Abgeordneten im Kongress geben: Alagoas, Ceará, Mato Grosso do Sul, Pernambuco y Sergipe. 1998 wurden in neun Staaten des Landes keine Frau gewählt. Die Staaten, die die größte Anzahl an weiblichen Abgeordneten verzeichnen sind Sao Paulo und Rio de Janeiro mit jeweils sechs Frauen.

Was die Parteien betrifft, liegt die PT mit 14 weiblichen Abgeordneten vorn. Gefolgt von der PSDB – der Partei des noch amtierenden Präsidenten Fernando Henrique Cardoso- und der PFL, jeweils mit sechs weiblichen Abgeordneten. Dahinter die Kommunistische Partei Brasiliens und die PMDB mit jeweils vier Sitzen, die von Frauen eingenommen werden.

In den Kongressen der Bundesländer erlangten 134 Frauen einen Sitz von den 1059 insgesamt zur Verfügung stehenden. Das bedeutet eine Steigerung von 25,5 Prozent im Vergleich zu den Wahlen von 1998, bei denen es nur 106 weibliche Abgeordnete gegeben hat. Die Präsenz von Frauen ist in den Landeskongressen somit von zehn auf 12,6 Prozent angestiegen.

PARAGUAY

Obdachlosenbewegung wird kriminalisiert

Von Ramiro González

(Asunción, 12. November 2002, adital-poonal).- Letzte Woche trafen sich hohe Vertreter des Militärs, der Polizei und der Regierung hinter verschlossener Tür mit Ausbildern der Vereinigten Staaten zu einem Intensivkurs über Bekämpfungsstrategien gegen den sogenannten Terrorismus. Die Tagungen wurden vom „Büro für Antiterroristische Koordination“ des State Departement der USA veranstaltet. Laut eigenen Aussagen soll dieses „51 Regierungen auf der Welt über die Komplexität, terroristische Vorfälle effektiv zu vermeiden und zu unterdrücken, informieren und ausbilden“.

Mark Thompson, der verantwortliche Sprecher des Ausbilder-Teams äußerte gegenüber der BBC-Mitarbeiterin in Paraguay, Andrea Machain: „Wir vermitteln im Grunde die Lektionen, die wir in den USA erlernt haben und erklären, wie wir Paraguay helfen könnten, um einem terroristischen Vorfall vorzubeugen oder zu begegnen. Wir achten darauf, dass alle zur Verfügung stehenden Mittel bestmöglichst koordiniert genutzt werden.“

Der wahre Grund dieser Kurse ist ein anderer. In Paraguay wird die Obdachlosenbewegung immer größer. Sie nennen sich „Los Sin Techo“, mehr als 150.000 Menschen gehören ihr an. Sie wohnen in 78 neu gegründeten Ansiedlungen, um die gesamte Hauptstadt Asunción herum. In der Presse werden diese als „subversive Ansiedlungen, die begonnen haben, einen bewaffneten Aufstand vorzubereiten“ bezeichnet. Raúl Marín und Marilina Marichal, führen in „La Marquetalia“ in der Umgebung von Asunción beinahe 1600 Familien bzw. 10370 Menschen.

Hinter der Errichtung des Lagers stecke die kolumbianische Guerrilla FARC, die „ihre Revolution nach ganz Lateinamerika exportieren“ würden. Der Beweis für diese Anschuldigung sei der Name der am besten organisierten Ansiedlung: La Marquetalia, der Name des kolumbianischen Ortes, in dem die FARC entstanden. Jeder Kolumbianer kennt den Namen des Ursprungs der FARC-EP. Das kleine Dorf im Departement Tolima, wo im Mai 1964 16.000 Soldaten, und Flugzeuge mit nordamerikanischer Unterstützung eine Offensive gegen 48 Bauern starteten, die von dem legendären Guerrillero der 50er-Jahre, Manuel Marulanda Velez, angeführt wurden. Die Regierung und die Botschaft der Vereinigten Staaten sahen sie als eine prokubanische Unabhängige Republik an und entwickelten den „Plan Lazo“, der die Saat des bewaffneten Widerstandes hervorbrachte, die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens – FARC.

Neun Prozent der paraguayischen Bevölkerung haben weder Land noch Obdach. Laut Raúl Marín, gibt es etwa 400.000 Personen, bei einer Gesamtbevölkerung von 5 Millionen, die weder ein Grundstück noch ein eigenes Haus besitzen. Und: Paraguay ist ein Agrarland, in dem mehr als die Hälfte der Bevölkerung auf dem Land wohnt und arbeitet. „Etwas mehr als ein Prozent besitzt neunzig Prozent des Landes. Und so nennen sich die Besetzer ,Los Sin Techo' – ,die ohne Dach'“, erläutert er.

Um, bei so einer gigantische Masse an Leuten, vereint zu bleiben, haben die Ansiedlungen eine Struktur und Organisation entwickelt, die mehr oder weniger eine Volksmacht oder eine Parallelgewalt zum Staat darstellt. Es gibt sehr genau definierte Normen und Gesetze, über das was erlaubt und verboten ist. Wenn die Disziplin verletzt wird, können die Bewohner der Ansiedungen von Volkstribunalen verurteilt werden. „Jedes Mitglied der Siedlung hat das Recht, seine Anklage vor einer Volksversammlung vorzubringen. Die Presse beschuldigt uns, die offizielle Justiz auszugrenzen, aber ihre Justiz ist für die Kapitalisten gemacht“, sagt Marilina. „Wir wenden das Recht an, das vom Volk geschaffen wurde und viel demokratischer ist“, fügt Raúl Marín hinzu.

Insgesamt leben etwa 150.000 Personen in diesen Ansiedlungen, aber die Zahl wächst von Tag zu Tag, während sich die wirtschaftliche Krise verschärft. Laut den beiden Anwälten der Revolution, kann diese Konzentration Verzweifelter zu einer gefährlichen Situation für die Regierung führen. „Die Leute in den Ansiedlungen haben alles verloren, ihre Arbeit, ihre Ersparnisse, ihr Land, selbst ihr Zuhause“, erzählen sie. An dem Tag, an dem sie die Stadt umzingeln wollten, könnten sie das einfach machen. Diese Möglichkeit würden die Machthaber kennen und fürchten, aber sie wüssten zur Zeit nicht, was sie tun sollen. Der Präsident Luis Ángel González Macchi traf sich in den letzten Tagen mit Raúl und Marilina und schlug ihnen vor, die Zufahrtsstraßen und die Infrastruktur der Piratensiedlungen zu verbessern – allerdings unter einer Bedingung: der Name müsse geändert werden.

BOLIVIEN

Evo Morales gibt Geld für Wahlkampagne zurück

(Bolivia, 11. November 2002, adital-poonal).- Evo Morales hat dem Nationalen Wahlgericht von der Summe, die ihm für die Finanzierung seiner Präsidentschaftskampagne zustand, ca. 690.000 Dollar zurückgegeben.

„Geld ist nicht das Wichtigste in der Politik, sondern klare Versprechen“, sagte Morales. Zugleich bat er das Gericht, das übergebene Geld für die Renovierung von Schulen und Heimen zu verwenden. Jede Partei, die mehr als 15 Prozent der Stimmen gewinnt, hat per Gesetz das Recht auf staatliche Finanzierung. Es ist allerdings das erste Mal, das ein Teil der Subventionen zurückgegeben wird.

Morales und seine Bauern- und Indígena- Partei „Bewegung für den Sozialismus“ (MAS – Movimiento al Socialismo) hatten für ihre eher zurückhaltende Wahlkampagne 8.3 Millionen Bolivianos (ca. 1 Million Dollar) erhalten. Bauernführer Morales war bei den Wahlen überraschenderweise auf den zweiten Platz gekommen und ist nun Kopf der wichtigsten Oppositionspartei.

PERU

Kampagne: „Damit du es nicht vergisst!“

(Lima, 5. November 2002, alc-poonal).- Mit dem Ziel, eine Auflistung aller zwischen 1980 und 2000 durch politische und soziale Gewalt in Peru verschwundenen Personen zu erstellen, wird die Wahrheits- und Versöhnungskommission ihre Kampagne „Damit du es nicht vergisst!“ starten. An der Initiative beteiligen sich die Menschenrechtbehörde (Defensoría del Pueblo), das Internationale Rote Kreuz und der Dachverband der Menschenrechtsorganisationen im Land (Coordinadora Nacional de los Derechos Humanos).

Im Rahmen der Kampagne soll eine vorläufige Liste mit über 7000 Namen in den letzten 20 Jahren verschwundener Personen veröffentlicht werden. Familienangehörige oder Personen mit entsprechenden Informationen sollen so untereinander Kontakt aufnehmen können in der Hoffnung, zur Klärung der Vorfälle beizutragen. Die Wahrheitskommission sucht gleichzeitig Hinweise zu Personen, deren Namen nicht aufgelistet sind, um die Liste zu vervollständigen.

Zweck der Aktion „Damit du nicht vergisst!“ sind auch die Schaffung eines öffentlichen Bewusstseins über das Ausmaß der Vorfälle in Peru in jenen Jahren, bei denen Freiheit, Integrität und Würde der Menschen verletzt wurden, und eine Solidarisierung mit den Familienangehörigen der Opfer.

URUGUAY

Die Linke bereitet Weg in die Regierung vor

(Montevideo, 12.November 2002, adital-poonal).- Die stärkste politische Gruppierung auf Lokalebene, die Frente Amplio (FA), geführt von dem Sozialisten und Onkologen Tabare Vásquez, scheint sich dafür entschieden zu haben, ihren öffentlichen Diskurs speziell auf die möglichen Regierungsmaßnahmen auszurichten, die sie durchführen will, wenn es ihr gelingen wird, im Jahre 2004 die allgemeinen Wahlen zu gewinnen.

Diese Woche schien die Koalition, die traditionelle Parteien der Linken, wie Sozialisten und Kommunisten ebenso wie die Guerrillabewegung Tupac Amaru der nationalen Befreiungsbewegung MLN-T umfasst, ihren alten Kurs wieder aufzunehmen. Sie will eine starke Opposition zur aktuellen Regierung des Präsidenten Jorge Batlle darstellen.

Die Ankündigung, die Linke akzeptiere weder den Abbau der staatlichen Produktionsweise, den Raub und die Veruntreuung von Bankengeldern, noch eine Wirtschaftspolitik, die die seit Jahren größte Verschuldung des Landes provoziert habe, soll einen Weg zu einem nationalen Dialog schaffen, der dieses Mal wirklich möglich sei.

Diese Position wird lediglich von der linken Minderheitsbewegung Corriente de Izquierda (CI) kritisiert, ansonsten wird sie von allen Organisationen der Frente Amplio unterstützt. Was allerdings am meisten verwundert ist, dass die größte Organisation der Linken ihre Entscheidung beiseite lässt, alle Geschütze gegen die neoliberale Politik aufzufahren, durch die die Misere in Uruguay vergrößert und vertieft wird, und stattdessen andere strategische Themen auf den Tisch bringt.

Die Frage, ob die vorhandenen Auslandsschulden bei den internationalen Finanzorganen durch die Regierung der Partido Colorado (PC) und Partido Nacional (PN) beglichen werden oder nicht, möchte die Führung der FA lieber auf ihre Präsidentschaftszeit vertagen, sowie von speziellen Wirtschaftskomitees bearbeiten lassen. Und zu guter letzt sei die FA überraschenderweise noch zu keinem Schluss gekommen, in der Frage der gesamtamerikanischen Freihandelszone ALCA, die von den USA vorangetrieben wird, so haben Wirtschaftsspezialisten der Linken analysiert.

Analytiker meinen, dass alles darauf hinweise, dass die FA versuchen werde, größere Zustimmung für ihre Kandidatur zu bekommen, indem sie in ihrem Diskurs besonders sensible Themen vermeidet. Das kann allerdings dazu führen, dass große Teile der Bevölkerung das Vertrauen in diese politische Gruppierung verlieren, die dann keine wirkliche Alternative zu der aktuellen politischen Situation darstellt, in der Hunger, Arbeitslosigkeit und Hoffnungslosigkeit permanent ansteigen.

GUATEMALA

Guatemala hat die zweithöchste Analphabetenrate unter Frauen

(Guatemala-Stadt, 11. November 2002, cerigua-poonal).- Mehr als 34 Prozent der Frauen können weder lesen noch schreiben und von diesen sind etwa 60 Prozent Mayas. Damit ist Guatemala das Land mit der zweithöchsten Analphabetinnenrate in Lateinamerika, wie das Dokument „Fortschritte bei der Beteiligung der guatemaltekischen Frauen 1997-2001“ feststellt.

Laut der vom Nationalen Frauenforum (Foro Nacional de la Mujer) ausgearbeiteten und kürzlich an die Regierung übergebenen Studie bestehen trotz einiger Fortschritte zur Gleichstellung der Frauen auf rechtlichem Gebiet – national wie international – die Ungleichheit und die Verletzung ihrer Rechte fort.

In den ländlichen Gebieten werden immer noch lieber die Jungen in die Schule geschickt. Dies zeigt sich in den Bildungsstatistiken die bestätigen, dass nur 46 Prozent der Grundschüler Mädchen sind, und von diesen geben in ländlichen Gebieten 55 Prozent die Schule vor der dritten Klasse wieder auf. Als weiteres Beispiel nennt die Studie, dass nur eines von acht Mädchen die sechste Klasse abschließe.

Das Frauenforum nennt als Gründe dafür, dass die Mädchen die Schule wieder aufgeben, die niedrige Schulbildung der Väter und Mütter, ihre wirtschaftliche und soziale Lage die sie zwingt für ihren Lebensunterhalt zu arbeiten und vor allem dass die Minderjährigen als Helferinnen im Haushalt und bei der Betreuung der Geschwister gesehen werden.

Das Forum stellt zugleich fest, dass zwar in den letzten Jahrzehnten die Zahl der Frauen in berufsvorbereitenden Maßnahmen um 49,6 Prozent und in der höheren Bildung um 41 Prozent zugenommen habe, sich dies aber noch nicht in besseren Arbeitsplätzen widerspiegele. Denn ein großer Teil des Wissens und der Fertigkeiten, die Frauen erwerben, seien sozial nicht anerkannt.

Der Bericht endet mit der Feststellung, dass im gegenwärtigen Kontext und in einer Gesellschaft wie der guatemaltekischen, Frau zu sein bedeute, die zivilen und politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte nur eingeschränkt ausüben zu können.

Stillstand bei gesetzlicher Regelung für Basisradios

(Guatemala-Stadt, 12. November 2002, cerigua-poonal).- Der Verband der Basisradios von Guatemala ARCG (Asociación de Radios Comunitarias de Guatemala) verurteilte den mangelnden politischen Willen der Regierung zur Verabschiedung und zum Inkrafttreten des Gesetzes über Basisradios. Der entsprechende Gesetzesentwurf wurde im Jahr 2000 vorgelegt und in erster Lesung im Februar dieses Jahres angenommen, doch danach sei das Projekt zum Stillstand gekommen, erklärte Marcelino Nicolás.

Nicolás, Präsident der ARCG, behauptete in einem Gespräch mit Journalisten verschiedener Medien, Mitarbeitern der Lokalradios und Kommunikationsexperten, dass die gegenwärtige Regierung keinen politischen Willen gezeigt habe, den Konflikt mit den Basisradios endgültig zu lösen. Und das obwohl Leonel Soto Arango, Abgeordneter der Regierungspartei Republikanische Front Guatemalas FRG dazu aufgerufen hatte, eine hochrangige Kommission aus den drei Gruppen zu bilden.

Die Kommission setzt sich zusammen aus Abgeordneten der Regierung und der Revolutionären Nationalen Einheit Guatemalas URNG, Vertretern der Kammer für Radiokommunikation, der Telekommunikations-Aufsichtsbehörde von Guatemala SIT sowie Vertretern der Basisradios. Parallel zu den Treffen haben die Regierung und Unternehmer aber ihre eigenen Strategien forciert, und unter anderem die Solidarität der übrigen mittelamerikanischen sowie lateinamerikanischer Länder für die Schließung der Radios und den Abschluss von Regierungsabkommen gesucht.

Obwohl Nicolás beteuerte, dass die Basisradios der ARCG keine Vereinbarung mit der Regierungspartei getroffen hätten, so gab er doch zu, in engem Kontakt mit den Parlamentariern der FRG sowie mit Unternehmern der Kammer für Radiokommunikation zu stehen. Dies habe ihnen Pablo Ceto und Gregorio Chay von der URNG, empfohlen, da es deren Meinung nach wichtig wäre, in direktem Kontakt mit der FRG zu stehen, um eine Mehrheit im Kongress zu erreichen.

Nicolás wies auf eines ihrer größten Probleme hin – dass es keine nationalen Erhebungen gäbe und daher die Anzahl der Basisradios im Land ebenso wie die Zahl der noch nicht genützten Radiofrequenzen unbekannt wäre. Die Aufsichtsbehörde für Telekommunikation SIT und die Kammer für Radiokommunikation verfügten diesbezüglich ebenso wenig über Zahlen und verfügten laut eigenen Angaben auch über keine Mittel zur Durchführung einer solchen Erhebung.

Die Vertreter der Basisradios verlangen vom Staat 25 Prozent der Radiofrequenzen, wobei sie sich auf das Abkommen über die Identität und die Rechte der indigenen Völker berufen. Dieses sieht vor, dass den Gemeinden und Regionen, die bisher von der Entwicklung und dem Zugang zu Information ausgeschlossen gewesen waren, Kommunikationsmedien zur Verfügung gestellt werden müssen.

 

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