Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen vom 15. Oktober 2002

Inhalt


BRASILIEN

VENEZUELA

GUATEMALA

URUGUAY

DOMINIKANISCHE REPUBLIK

KUBA

BOLIVIEN

ARGENTINIEN

ECUADOR


BRASILIEN

Präsidentschaftswahlen – Plebiszit über bisherige Regierungspolitik

(Rio de Janeiro, 8. September 2002, oficina de informações-poonal).- Entgegen der Auffassung des noch amtierenden Präsidenten Fernando Henrique Cardoso zeigen die Zahlen der Präsidentschaftswahl vom 6. Oktober, dass es sich auch um eine Volksabstimmung über die bisherige Regierungspolitik gehandelt hat. Zählt man die Anzahl der Stimmen, die den Oppositionskandidat*innen (Luiz Inácio Lula da Silva, Garotinho, Ciro Gomes, Zé Maria und Rui Pimenta) zuteil wurde, zusammen, kommen sie auf insgesamt 76,8 Prozent. Diese Zahl belegt eine deutliche Absage an die derzeitige Regierung, zumal alle Kandidaten dem linken Spektrum zugezählt werden und sich insbesondere von der neoliberalen Wirtschaftspolitik Cardosos distanziert hatten. Lula, dem für die Stichwahl am 27. Oktober favorisierten Kandidat der Arbeiterpartei PT, fehlten im ersten Wahlgang gerade mal 3,5 Prozentpunkte zum Wahlsieg.

Die „raue Stimme des Volkes“ habe am Sonntag Veränderungen des aktuellen Regierungsmodells gefordert, kommentierte Präsident Cardoso das für ihn und seinen Kandidaten José Serra unerfreuliche Wahlergebnis. Dem Wahlergebnis zufolge wird diese Veränderung am ehesten dem Ex-Gewerkschafter Lula, dem Kandidaten der Koalition aus PT und vier weiteren Parteien von links bis Mitte rechts (PL, PcdoB, PMN, PCB), zugetraut. Um die Stichwahl am 27. Oktober zu gewinnen, muss Lula noch drei Millionen Stimmen hinzu gewinnen. Seinem Gegenspieler in der zweiten Runde, dem Wirtschaftswissenschaftler José Serra von den noch regierenden Sozialdemokraten (PSDB) in Koalition mit der Zentrumspartei PMDB, fehlten zu einem Sieg jedoch 22,5 Millionen Stimmen.

Aus der Sicht des sogenannten „Marktes“ wäre es wohl besser gewesen, wenn sich die Frage nach dem neuen Präsidenten und dem wahrscheinlichen Regierungswechsel schon in der ersten Runde entschieden hätte. Laut Horário Lafer Piva, dem Vorsitzenden des Industrieverbandes des Bundesstaates São Paulo (Fiesp), hätte ein direkter Wahlsieg Lulas eine Einigung über die Regierungsbildung unter Beteiligung der PSDB erleichtert, was sich positiv auf die Wirtschaft ausgewirkt hätte. Piva betonte, es sei gerade jetzt wichtig, dass Lula und Serra nicht zur Konfrontation übergingen. Wenn die Stimmung sich jetzt aufheizen sollte, werde es nach drei Wochen nicht mehr möglich sein, zu einer Verständigung zu gelangen. Mit seinem Kommentar spielt der Vorsitzende des Industrieverbandes auf eine mögliche Allianz von Lulas Partei mit der PSDB an, denn trotz des hohen Stimmenzuwachses der PT-Fraktionen im Kongress wird die Partei womöglich nicht stark genug sein, um ohne die Bildung neuer Allianzen auszukommen.

Piva wünscht sich nicht nur eine wenig aufgeheizte Stimmung, er betont vielmehr, wie wichtig es für die Unternehmerseite sei, mit der Konkretisierung der Vorschläge fortzufahren, die bis zum jetzigen Zeitpunkt sehr allgemein gehalten worden seien. Wenn sich beide Kandidaten für Veränderungen ausgesprochen haben, dann stehen sie nun unter dem Druck, zu zeigen, wie sie diese Veränderungen bewirken wollen. In diesem Punkt wird es Serra um einiges schwerer haben als Lula. Zumal Serra auf Stimmen aus dem linken Lager nicht zählen kann, und er sich folglich um Stimmen aus der Mitte bis rechts bemühen muss.

Dem Meinungsforschungsinstitut Datafolha zufolge werden 46 Prozent derer, die Ciro Gomes ihre Stimme gaben, und 50 Prozent der Garotinho-Wähler ihre Stimme am 27. Oktober Serra geben. Wenn diese Prognose zutreffen sollte, dann würde das einen Stimmenzuwachs von zehn bis zwölf Millionen Stimmen bedeuten, also ungefähr die Hälfte der Stimmen, die Serra für seinen Sieg bräuchte. Dazu bleibt zu sagen, dass ein großer Teil der Wählerstimmen, die an die dritt- bzw. viertplazierten Garotinho und Ciro Gomes gingen, auch diejenigen mit einschließt, bei denen Serra unbeliebt ist, genau wie Lula aus ideologischen Motiven von konservativen Sektoren abgelehnt wird.

Auf der Suche nach neuen Stimmen ist Serra mehr oder weniger gezwungen, sich auf Lulas Wählerschaft zu beziehen, was aber nur wenig Aussicht auf Erfolg hat. Einer Untersuchung der Ibope zufolge unterstützten 13 Prozent der Lula-Wähler*innen die derzeitige Regierung. Von diesem Anteil könnte Serra eventuell noch Stimmen gewinnen, aber dafür müsste er sich noch enger an die Seite Fernando Henrique Cardosos stellen. Damit ginge er jedoch das Risiko ein, auf der anderen Seite wiederum Wähler*innen zu verlieren, die für Veränderungen im Land votierten. Seine Strategie der „Kontinuität ohne Wiederholung“ scheint ihm also zum Nachteil zu geraten. Für Lula sieht es einfacher aus, denn um seine Wählerschaft zu halten und weitere drei Millionen hinzu zu gewinnen, muss er nur noch bei seinem Wort bleiben, für Veränderungen in Brasilien einzustehen, so wie es – der allgemeinen Stimmung nach zu urteilen – die Wählerschaft wünscht.

VENEZUELA

Kräftemessen zwischen Opposition und Regierung

Von Roberto Roa

(Berlin, 13. Oktober 2002, npl).- In Venezuela messen Opposition und Regierung erneut ihre Kräfte. Am vergangenen Donnerstag (10.10.) veranstalteten Kritiker der Regierung eine Großdemonstration in der Hauptstadt Caracas, zu der Medienberichten zufolge rund Hunderttausend Menschen kamen. Zentrale Forderung war der Rücktritt von Präsident Hugo Chávez. Dessen Partei, die „Bewegung 5. Republik“, hatte den Fehdehandschuh aufgenommen und für den Samstag (13.10) ebenfalls eine Demonstration angekündigt, diesmal zur Unterstützung des umstrittenen Präsidenten. Beobachtern zufolge nahmen an dieser Demonstration noch mehr Menschen teil als am Donnerstag, so dass der Plan der Opposition, die Regierung als isoliert darzustellen, offenbar misslang.

Zu der Anti-Chávez-Demonstration rief unter anderem die „Demokratische Koordonation“, ein Zusammenschluss von 32 recht unterschiedlichen oppositionellen Organisationen auf, aber auch Unternehmerverbände und der Gewerkschaftsdachverband CTV. Gewerkschaftssprechern zufolge sollte es die größte Demonstration seit dem 11. April dieses Jahres werden – damals war es im Anschluss an einen Protestmarsch zu einem Putschversuch gekommen, in dessen Verlauf mindestens 19 Menschen starben: Einige Militärs nahmen den Präsidenten Chávez fest und setzten einen Unternehmer als neuen Machthaber ein. Erst als am folgenden Tag eine riesige Menschenmenge vor allem aus den armen Wohnvierteln gegen den Putschversuch protestierte und regierungstreue Militärs einen Aufstand ankündigten, gaben die Putschisten auf und Hugo Chávez, der vor zwei Jahren mit großer Mehrheit zum Präsidenten gewählt wurde, war nach 48 Stunden Abwesenheit wieder im Amt.

Im Vorfeld der Demonstrationen war das Klima im Land besonders angespannt, da der Regierung zufolge erneut ein Putschversuch geplant worden sei. Der Plan sei aber rechtzeitig aufgedeckt worden. Der Geheimdienst erklärte vor neun Tagen, die gleichen Kräfte, die bereits im April den Umsturzversuch unternahmen, hätten für Anfang vergangener Woche geplant, Präsident Chávez zu stürzen und den früheren Außenminister Enrique Tejera París zum Interimspräsidenten zu erklären.

Tejera París, der daraufhin sechs Stunden lang verhört wurde, bezeichnete die Vorwürfe als absurd. „Ich habe immer gesagt, dass ich den Rücktritt von Chávez für notwendig halte, aber auch, dass nur Kriminelle oder Idioten versuchen würden, ihn mit Gewalt zu stürzen,“ erklärte Tejera París, als er nach dem Verhör auf freien Fuß gesetzt wurde. Unterdessen schloss Innenminister Diosdado Cabello nicht aus, dass es weitere Festnahmen und Hausdurchsuchungen gegen mutmaßliche Putschisten geben werde.

Im Verlauf der vergangenen Woche nahmen die Spannungen in Caracas weiter zu. Offenbar kam es zu Auseinandersetzung zwischen Einheiten der metropolitanen Polizei (PM), bei denen mehrere Uniformierte verletzt wurden. Die PM untersteht dem oppositionellen Bürgermeister Alfredo Peña und ist für die Sicherheit während Demonstrationen zuständig. In diesem Kontext hatte einer der höchsten Militärs des Landes, Divisionsgeneral Melvin López, vergangene Woche erklärt, dass es Hinweise auf „bewaffnete Gewalttaten“ gebe, die während der Demonstration Unruhe und eventuell eine kritische Situation wie zu Beginn des Aprilputsches provozieren sollten.

Einige Oppositionelle warfen Präsident Chávez vor, den Putschversuch erfunden zu haben, um die Oppositionsdemonstration zu kriminalisieren. Regierungsvertreter wiesen dies zurück. Rafael Simón Jiménez, Vizepräsident der Nationalversammlung, rief beide Seiten zur Mäßigung auf: Die Regierung habe das Recht und die Pflicht, die Verfassungsordnung zu wahren, müsse aber gleichzeitig Beweise für die Putschvermutung vorlegen, so der Politiker der MAS, einer Partei, die selbst in Befürworter und Gegner von Hugo Chávez gespalten ist. In Bezug auf die Demonstration der Opposition sagte Simón Jiménez: „Es gibt zwei Strömungen, eine demokratische und eine, die bereit ist, den institutionellen Rahmen zu brechen“.

Angesichts der unüberwindbaren Spaltung im Land mehren sich die Stimmen sowohl auf Regierungsseite wie bei der Opposition, die für baldige Neuwahlen plädieren. Die Kritiker von Chávez fordern dies seit langem in der Hoffnung, der verhasste wie populäre Präsident werde nicht ein weiteres Mal einen Urnengang gewinnen, obwohl er aus allen Abstimmungen der vergangenen Jahre als klarer Sieger hervor ging. Genau deswegen halten die Chávez-Anhänger vorgezogene Wahlen für überflüssig. Auch Parlamentsvize Rafael Simón Jiménez ist der Ansicht, dass Neuwahlen im kommenden Jahr „mit Sicherheit“ stattfinden werden: Sie seien nicht zuletzt deswegen notwendig, um denjenigen, die für ein „undemokratisches“ Ende der Chávez-Regierung eintreten, zu isolieren, so der MAS-Politiker, der zum Chávez-freundlichen Flügel der Partei zählt.

Nicht erst seit dem Putschversuch im April ist das südamerikanische Land tief gespalten – auf der einen Seite steht der populistische Präsident Chávez, der von mehreren linken Parteien und der verarmten Bevölkerungsmehrheit gestützt wird, auf der anderen Seite die Mittel- und Oberschicht, Unternehmer und Vertreter der politischen Klasse, deren korrupten Politiker und Parteien das einst so reiche Erdölland Venezuela ruinierten.

GUATEMALA

Berufungsgericht hebt Haftstrafen wegen Mordes an Bischof Gerardi auf

(Guatemala, 8 Oktober 2002, cerigua-poonal).- Die vierte Kammer des guatemaltekischen Berufungsgerichts unter dem Vorsitz von Richter Wilebaldo Contreras hat die Verurteilung von drei Militärs und einem Priester wegen Mittäterschaft am Mord des Bischofs Juan José Gerardi Conedera zurückgenommen. Dieser Richtspruch annullierte in zweiter Instanz die am 7. Juni 2001 durch das dritte Strafgericht ausgesprochene Haftstrafe für den Priester Mario Leonel Orantes Nájera sowie die Militärs Byron Disrael Lima Estrada, Byron Miguel Lima Oliva und José Obdulio Villanueva Arévalo vollständig, und sprach darüber hinaus die mitangeklagte Haushälterin Margarita López frei.

Da das Gericht einige Unstimmigkeiten im Urteil der ersten Instanz feststellte, ordnete es die Wiederaufnahme des Gerichtsprozesses an, allerdings ohne die Beteiligung der Richter*innen, die im vergangenen Jahr die Urteile gegen die Militärangehörigen und den Priester gefällt hatten. Das neue Urteil, das zugunsten der Verurteilten ausgefallen ist, basiert darauf, dass die Mitglieder des dritten Strafgerichts die Aussagen des Zeugen Ruben Chanay Sontay nicht als Beweismaterial zugelassen hatten. Es wurden lediglich seine neueren Aussagen anerkannt, da diese schwerer wögen als die vorherigen Aussagen, so das Argument der Richter.

Der Direktor der Menschenrechtsorganisation der Bischöfe (ODHA), Nery Rodenas, mutmaßte, als er vom neuen Urteil erfuhr, dass die Entscheidung der Kammer möglicherweise nicht rechtmäßig sei, weshalb er sie durch die katholische Kirche analysieren lassen werde, um diese auf ihre Rechtsgültigkeit zu überprüfen. Unterdessen bezeichnete Capitán Lima Oliva, einer der zuvor zu 30 Jahren Haft Verurteilten, diejenigen, die ihn damals verurteilt hatten, als „Kommunisten“ und versicherte, dass Bischof Gerardi durch Mitglieder des organisierten Verbrechens ermordet worden sei. Außerdem seien diejenigen, die versuchten, den Gerichtsprozess zu manipulieren, Teil jener Kriminellen.

Die Menschenrechtlerin Claudia Samayoa bedauerte die Position der Kammer. Ihrer Meinung nach weist das neue Urteil Fehler auf, da neue Beweismittel anerkannt wurden, obwohl die Aufgabe des Gerichts eigentlich in der Analyse der juristischen Argumentation der ersten Instanz lag.

Reaktionen auf Gerichtsurteil im Fall Myrna Mack

(Guatemala-Stadt, 4 Oktober, cerigua-poonal).- Man spürte vor allem Genugtuung und Erleichterung im Verhandlungssaal, in dem das zuständige Gericht Oberst Juan Valencia Osorio wegen Urheberschaft des Mordes an der Anthropologin Myrna Mack zu dreißig Jahren Haft verurteilte. Die Generäle Edgar Godoy Gaytán und Guillermo Oliva Carrera wurden im gleichen Anklagepunkt mangels Beweisen freigesprochen.

Nach einer einmonatigen Verhandlung gegen die drei Militärs, die der geistigen Urheberschaft am Mord Macks angeklagt waren, wurde die Entscheidung des Dritten Gerichtshofes letzten Donnerstag bekannt gegeben. Oberst Valencia, der im Jahr 1990 Chef der Abteilung für Sicherheit des Generalstabs des Präsidenten (EMP) gewesen war, wurde wegen Mordes verurteilt.

Fünf Audiokassetten mit Aufnahmen eines Interviews des ehemaligen Angeklagten Jorge Lemus Alvarado mit dem unmittelbaren Täter Noel de Jesús Beteta waren die wichtigsten Beweisstücke, auf deren Basis das Urteil gegen den ehemaligen EMP Chef gefällt wurde. Jesús Beteta ist bereits wegen Ausführung des Mordes zu dreißig Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden war. Auf diesen Bändern wie auch bei anderen Interviews hatte Beteta Oberst Valencia direkt belastet. Dieser habe ihm die Akte des Opfers gegeben und ihm später den Befehl erteilt, Mack zu beschatten und zu beseitigen, wenn er ihm das Zeichen der Römer geben würde, die Faust mit dem nach unten zeigenden Daumen.

Die Tochter der Ermordeten, Lucrecia Hernández Mack, zeigte sich zufrieden mit dem Urteil, obgleich sie meinte, es müsste nochmals überprüft werden, da die beiden Freigesprochenen Godoy und Oliva auch Mitschuld an der Tat gehabt hätten. Helen Mack, Nebenklägerin und Schwester des Opfers, meinte, dass man Gerechtigkeit habe walten lassen. Sie betonte aber mehrmals, dass es nur eine teilweise Genugtuung sei, weil zwei der drei Angeklagten ungestraft davon gekommen waren. Sie habe aufgrund der zum Zeitpunkt des Mordes herrschenden Befehlskette unter den Tätern eine Verurteilung aller drei Militärs erwartet. Das Urteil werde nun geprüft und das Ergebnis zu einem späteren Zeitpunkt bekannt gegeben.

Mynor Melgar, Mitarbeiterin des Ministerio Público (besondere Staatsbehörde mit Funktionen im Justizwesen) und verantwortlich für den Fall Mack, bestätigte, dass das zuständige Team die Untersuchung des Urteils vornehmen und dann über die Möglichkeit der Berufung entscheiden werde. Das Ergebnis werde vor Ablauf der gesetzlich vorgegeben Frist von zehn Tagen bekannt gegeben.

URUGUAY

Proteste an der Grenze

(Montevideo, 4.Oktober 2002, comcosur-poonal).- Mehr als 1.500 Personen kamen zu einem bislang beispiellosen Treffen an der Grenze zwischen Uruguay und Brasilien zusammen, um gegen die kritische Situation in Uruguay zu protestieren. Organisationen der Basisbewegung hatten zu dieser Aktion aufgerufen, um auf die große Zahl von Uruguayer, die das Land aus Not verlassen, aufmerksam zu machen. Organisiert wurde der „regionale Bürgerstreik“ von Staatangestellten, die unter dem Motto „Basta – es reicht“ zum Kampf gegen den „Ausverkauft des gesamten Wohlstands des Landes einschließlich seiner Bürger“ aufriefen. Die Plattform plädierte auch für den Erhalt der Staatsunternehmen, „die nicht verkauft werden sollen, da sie den Uruguayern gehören“.

Grundgesetzreform gegen Privatisierungen vorgeschlagen

(Montevideo, 5. Oktober 2002, comcosur-poonal).- Mit dem Argument, dass das „Wasser ein Gemeingut der Menschheit sei und deshalb nicht als Ware gehandelt werden könne“, hat die Vereinigung der Funktionäre des staatlichen Wasserwerks OSE (Obras Sanitarias del Estado) eine Grundgesetzänderung vorgeschlagen. Diese soll „die Wasserverwaltung zur Staatspolitik machen, damit sie nicht zum Spielball der jeweiligen Regierenden wird, die nur fünf Jahre lang an der Macht sind.“

Auch die Gas-Organisation UAOEGAS spricht sich für eine Kontrolle von Ressourcen aus. Sie fordert die Gewerkschaftsspitze (PIT-CNT) dazu auf, eine Kommission zu gründen, die eine mögliche Grundgesetzänderung prüft, damit auf diesem Wege „eine nationale Debatte über die Rolle des Staates und den direkten Zusammenhang zwischen seiner Politik und der Situation der Bevölkerung entfacht wird“. Diesbezüglich wurde darauf hingewiesen, dass die Abmachungen der letzten Zeit zwischen der uruguayischen Regierung und internationalen Organismen (wie der Weltbank d. Ü.) eine Aufgabe der nationalen Souveränität bedeute und die Übergabe des nationalen Erbes an Dritte.

Als Beispiel wird der Prozess der Abwicklung und Privatisierung von strategisch wichtigen Bereichen des Staates wie der Eisenbahn, der Häfen, des Trinkwassers, des Flugbetriebs, der Gasleitungen, der Energieversorgung, des Telekommunikationsbereichs und den Raffinerien angeführt. Die Gasgewerkschaft wies weiter darauf hin, dass vielerorts den Transnationalen die Verwaltung von lebensnotwendigen Bereichen wie der Trinkwasserversorgung überlassen werden solle. Im Fall Uruguay sei nicht nur das staatliche Wasserversorgungswerk OSE in Gefahr, sondern die Regierung plane weiterhin die Privatisierung und den Verkauf der Flüsse und unterirdischen Wasserreserven an ausländische Anleger.

Das Projekt der OSE-Funktionäre hat seine Grundlage auf der Forderung, „dass der Staat eine Verantwortung gegenüber der Bevölkerung trägt und alle geplanten Privatisierungen, Konzessionen und andere Formen der Übergabe zurückziehen sollte“. Außerdem wird ein Dreierpakt zwischen den Arbeiterorganisationen, den Verbrauchern und der Regierung gefordert. Die Funktionäre erklären weiterhin, dass es angesichts dieser Situation „unabdinglich sei, eine Grundgesetzänderung voranzutreiben.

Für eine solche Grundgesetzänderung sind zehn Prozent der im Wahlregister eingetragenen Stimmen notwendig. Die geplante Volksabstimmung soll parallel zu den nationalen Wahlen stattfinden. Die Eingabe dieser Initiative hätte auch einen sofortigen Effekt: die momentanen Privatisierungsprozesse würden blockiert, da die Anleger aus Angst vor einem für sie negativen Ausgang des Volksentscheids ihr Geld erst einmal zurückhalten würden.

Landlose fordern Land

(Monteviedeo, 4. Oktober 2002, comcosur-poonal).- Eine Gruppe von Uruguayern ohne Landbesitz fordert vom Staat ihr Recht zu produzieren und zu arbeiten. In einem Zeitungsartikel kritisieren zwei Vertreter der Landlosenbewegung, Diego Querio und Carlos Sanguinetti, dass städtischer Grund an „eine italienische Gruppe, die in eine Pflanzung von Olivenbäumen investiert“ gegeben wird und dass ihnen außerdem „drei Millionen Dollar gewährt werden“. Zumal solche Wohltaten den ansässigen Arbeitslosen nie zugute kämen.

Sie stellten klar, dass sie nicht dagegen sind, dass den Italienern Land zum investieren gegeben wird. „Was wir wollen ist, dass auch wir in ähnlicher Weise berücksichtigen. Wir wollen Land, um es zu bearbeiten, es muss nicht so groß sein wie das, das sie den Italienern für 99 Jahre zur Ausbeutung geben werden. Wir bitten nicht darum, dass sie uns einen Teller zu essen geben, sondern fordern nur unser Recht ein, arbeiten zu können. Wir wollen keine Almosen,“ erklärten sie.

DOMINIKANISCHE REPUBLIK

Proteste gegen Morde an Frauen

Santo Domingo (10. Oktober 2002 – textosdom-poonal).- Aus Protest gegen die Ermordung von 76 Frauen in den ersten neun Monaten dieses Jahres haben am Donnerstagmorgen (Ortszeit) etwa 100 Frauen und ein Dutzend Männer in Santo Domingo kurzzeitig den Eingang des Justizpalastes blockiert. Jeden Monat werden rund acht Frauen in der Karibikrepublik durch die Hand ihres Gatten, Lebensgefährten, Geliebten oder Freiers ermordet. Die als Zeichen der Trauer schwarz und weiß gekleideten Demonstrant*innen forderten von den dominikanischen Strafverfolgungsbehörden und der Justiz, dem „Femizid“ Einhalt zu gebieten.

Es helfe nicht, die vielen toten Frauen zu lamentieren, sagte die Koordinatorin des „Colectiva Mujer y Salud“, Sergia Galván, „wir müssen handeln“. Während bei jedem heraufziehenden Hurrikan eine Sonderkommission gebildet werde, entwickle die Regierung von Staatspräsident Hipólito Mejía in Sachen „der von Männern ermordeten Frauen“ wenig Aktivität. In vielen Fällen zeige weder die Polizeibehörde noch die Justiz „in machistischer Komplizität“ ein Interesse, die männlichen Täter wirklich strafrechtlich zu verfolgen. Es gebe zahlreiche Fälle, in denen die Mörder auf freiem Fuße seien. Die Demonstrant*innen verteilten eine Liste mit den Namen von insgesamt 40 in diesem Jahr namentlich bekannten Fällen, in denen Männer, die in intimer Beziehung zum Opfer standen, die Mörder waren. Deren Namen wurden ebenfalls in dem Flugblatt publiziert.

Die Zahl der „Femizide“ sei in der Dominikanischen Republik im Verhältnis zu anderen Ländern Lateinamerikas ungewöhnlich hoch, sagte die dominikanische Rechtsanwältin Susi Pola. Im Auftrag von dominikanischen Frauenorganisation hat die Juristin sämtliche Straffälle des vergangenen Jahres, bei denen Frauen umgebracht wurden, untersucht. Von den 131 Fällen, die sie in den Archiven der Justizbehörden gefunden habe, seien nur 104 öffentlich bekannt gewesen. Die Dunkelziffer dürften um einiges höher sein, denn viele „Beziehungsmorde“ würden nicht bekannt. Über die Zahl der Frauen, die aus Verzweiflung über die Misshandlungen ihrem „Leben ein Ende gesetzt“ haben, gäbe es kein Zahlenmaterial, sagte Pola. Im Jahre wurden 94 Frauen aus „Beziehungsmotiven“ ermordet.

Die Emotionen schlugen Anfang der Woche hoch, als im nördlichen Touristenzentrum Puerto Plata ein dort lebender Franzose seine ehemalige haitianische Geliebte, die ihn vier Wochen zuvor verlassen hatte, mit ihren drei Kindern in ihrem Haus so einsperrte, dass sie es nicht mehr verlassen konnten. Dann übergoss er das Gebäude mit Benzin und steckte es in Brand. Die Frau und die Kinder verbrannten. Der Mann erhängte sich an den Gittern des Hauses. Frauenproteste gab es auch, als der Fall einer Frau bekannt wurde, die während ihrer Vernehmung als Zeugin von einen hohen Polizeioffizier zum Oralsex gezwungen wurde. Der Polizist ist, eher ungewöhnlich, in Haft.

29 Tote bei einer Gefängnismeuterei

(Port-au-Prince., 7. Oktober 2002, alterpresse-poonal).- Amnesty International fordert eine „unabhängige Untersuchungskommission“, die den Tod von 29 Gefangenen während eines Feuers im Gefängnis La Inmaculada Concepción de la Vega in der Dominikanischen Republik aufklären soll. In einer am 24. September veröffentlichten Erklärung zeigte sich die internationale Organisation für die Verteidigung der Menschenrechte bestürzt über die Geschehnisse, die am 20. September in dem dominikanischen Gefängnis stattgefunden haben.

Nach den verfügbaren Informationen hatte eine Gruppe von Häftlingen Matratzen und persönliche Gegenstände angezündet, um die Gefängnisbehörden daran zu hindern, eine Durchsuchung nach Waffen und nach anderen verbotenen Gegenständen durchzuführen. Verwandte und Nahestehende der Gefangenen haben erklärt, dass die Aufseher aus Angst, angegriffen zu werden, die Zellen nicht rechtzeitig geöffnet hatten und dass diese zeitliche Verzögerung bei vielen Insassen zum Tod durch Erstickung geführt hat.

„Das ist nicht das erste Mal, dass so etwas in der Dominikanischen Republik passiert“, betonte die Gefangenenhilfsorganisation Amnesty International und brachte ihre Beunruhigung über die Situation zum Ausdruck. Die Organisation erinnerte daran, dass bereits im Juni 2000 ein Feuer im Gefängnis La Victoria mindestens 13 Gefangene getötet hatte – offenbar aufgrund der Überbelegung der Einrichtung.

Der Direktor der Gefängnisverwaltung, Miguel Mateo, kündigte am 21. September die Bildung einer Untersuchungskommission an. Diese Kommission werde sich aus zwei Armeegenerälen, einem Beigeordneten des Staatsanwalts und dem Staatsanwalt des Berufungsgerichtes von La Vega zusammensetzen. Es sei wesentlich, dass die Untersuchungskommission in völliger Unabhängigkeit und Transparenz von Vertretern der „einfachen“ Justiz durchgeführt werden könne und dass die dominikanischen Behörden der zivilen Justiz die Unterstützung zukommen lasse, die sie braucht, forderte Amnesty International. Die Behörden sollten von dieser Gelegenheit profitieren, um die Situation des Gefängniswesens in der Dominikanischen Republik mit Sorgfalt zu untersuchen und um Maßnahmen zu ergreifen, um zu verhindern, dass sich solche Geschehnisse wiederholten, unterstrich Amnesty International.

KUBA

Kommerzielle Beziehungen mit US-Unternehmen gestärkt

(Montevideo, 4.Oktober 2002, comcosur-poonal).- Der kubanische Präsident Fidel Castro begrüßte das Verhalten von Landwirten und Politikern der Vereinigten Staaten, das die Normalisierung der bilateralen Beziehungen beider Länder bedeute. Er wies zudem darauf hin, dass sich ein deutlicher Wechsel in unterschiedlichen Bereichen der US-amerikanischen Gesellschaft abzeichne. Auf diese Weise feierte Castro den Abschluss neuer Handelsverträge und beendete so die „Messe für Ernährung und landwirtschaftliche Unternehmen aus den USA“, die Ende September in Havanna stattfand – eine Veranstaltung, wie es sie seit Beginn der Blockade nicht gegeben hatte.

Castro nutze die Gelegenheit, um ein weiteres Mal die Gesetze Torricelli und Helms-Burton in Frage zu stellen, die für Kuba seit dem Zerfall der UDSSR eine zweifache Blockade darstellen. Weiterhin sagte Castro, dass die 750 Gesandten der fast 300 Unternehmen ein anderes Land vorfanden, als sie erwartet hatten, „denn hier ist niemals Hass gegen die Nordamerikaner geschürt, sondern immer Respekt und ehrliche Sympathie bewahrt worden“.

BOLIVIEN

Ein Kokaanbauer bei Zusammenstoß mit der Polizei getötet

(La Paz, Oktober 2002, comcosur-poonal).- Ein Kokaanbauer wurde umgebracht und zwei weitere verletzt, nachdem einer Gruppe von 300 Kokaanbauern eine Spezialeinheit der Polizei (Fuerza de Tarea de Conjunta – FTC) angriff, als diese ein Camp in der Gegend von Ichoa nahe der Stadt Cochabamba errichten wollten. Innenminister Alberto Gasser gab bekannt, dass der Tote Sabino Toledo heiße und 34 Jahre alt sei. Die Verletzten seien Erasmo Aguirre (18 Jahre) und Diógenes Melgarejo, die zur Zeit medizinisch versorgt würden.

Laut Erklärung der Behörden ereigneten sich die Zusammenstösse, als eine Einheit der FTC ein Camp errichten wollten, um die Ausrottung von illegalen Kokaanplanzungen fortzusetzen – entsprechend den Anweisungen der Polizeieinsatzplänen, die im Gesetz 1008 festgeschrieben sind. In diesem Augenblick wurden sie mit Dynamit von einer Gruppe von mindestens 300 Kokaanbauern angegriffen. Angesichts dieser Situation, so der offizielle Bericht, mussten die Polizisten der FTC reagieren, um ihre Sicherheit zu gewährleisten. Dabei wurden einer der Angreifer getötet und zwei weitere verletzt. Gasser informierte weiter, dass die Kokaanbauer den Ökonomen Calisaya gefangen nahmen und seinen Landrover verbrannten. Er unterstrich, dass die Polizisten der FTC niemals eine Konfrontation suchten, sondern im Gegenteil von den Kokaanbauern provoziert wurden. „Die Kokaanbauern stecken in einer Provokationsdynamik“, so Minister Gasser, als er daran erinnerte, dass letzten Freitag der Soldat Robin Guanacoma bei einer Explosion umkam.

Der Innenminister bedauerte diese Art von Vorkommnissen, die sich in einem Moment ereignen, in dem die Gespräche zwischen der Regierung und den Kokaanbauern vorankommen und Übereinkünfte zu einer Lösung für die Probleme diesen Sektors und der Region Chapare gefunden werden könnten. Er fügte hinzu, dass die Polizeieinheiten den Befehl hätten, mit Gelassenheit zu handeln, aber zugleich hätten sie auch die Erlaubnis, die Ordnung wieder herzustellen und Zusammenstöße zu vermeiden, was Tote sowohl auf Seiten der Kokaanbauern als auch der Uniformierten hervorrufen könnte.

Als der Regierungssprechers Mauricio Antezana die Vorkommnisse in Chapare bedauerte, versicherte er, dass die zwei Todesopfer, ein Soldat und ein Kokaanbauer, unmittelbare Folge des Drogenhandels im Lande seien. Derweil versicherte Vizepräsident Carlos Mesa, dass die Regierung mit dem Kokaanbausektor im Chapare weiterhin verhandeln werde, trotz der Gewalttaten der letzten Tage. Der Abgeordnete Evo Morales, Sprecher der Kokabauern, kritisierte die Gewalttaten der letzten Tage und äußerte die Befürchtung, dass die Vorkommnisse die bisherigen Verhandlungen mit der Regierung beeinträchtigen könnten. Derzeit, so der Abgeordnete, würden die Ereignisse noch von den Bauern und Bäuerinnen in der Region um Cochabamba analysiert.

Militarisierung des Waldes

(Montevideo, 4.Oktober 2002, comcosur-poonal).- Die bolivianische Regierung erklärte ein Waldgebiet im Departement Santa Cruz zur militärischen Zone, nachdem sie 80 Bauern und Bäuerinnen, die das Terrain besetzt hielten, vertrieben hatten. Das Naturschutzgebiet „El Chore“ wird nun rund um die Uhr von Dutzenden von Soldaten bewacht. Die Bauerngemeinden beschuldigen Unternehmen, sich das Land unter den Nagel zu reißen, um es mit Gewinn wieder zu veräußern, nicht um es zu bewirtschaften.

ARGENTINIEN

In der Provinz Buenos Aires wird die Schulbildung militarisiert

(Montevideo, 3. Oktober 2002, comcosur-poonal).- Der Gouverneur von Buenos Aires, Felipe Solá, unterstützt weiterhin das Projekt von Senator Alejandro Corvatta zur Errichtung von Schulungszentren für Jugendliche beim Militär. In diesen sogenannten „colimbas“ soll das Militär Jugendliche aufnehmen, die nach der Grundschulausbildung ihre Schullaufbahn nicht fortsetzen wollen. Die Streitkräfte sollen, so sieht es das Projekt vor, 150 Pesos monatlich pro Schüler als Entschädigung für die Ausbildung erhalten.

Dieser Vorschlag stieß auf heftige Kritik und Ablehnung von verschiedenen Seiten: von den Müttern und Großmüttern der Plaza de Mayo, Friedensnobelpreisträger Adolfo Pérez Esquivel, den Lehrergewerkschaften Ctera und Suteba, dem Bündnis der Abgeordneten der ARI und den Piqueteros. Die ungewöhnlichste Ablehnung kam von Aldo Rico, dem Verwaltungsoffizier von San Miguel: „Kinder in Kasernen zu stecken ist barbarisch“, sagte er mitten in der Wahlkampagne um den Gouverneursposten.

Am 3.Oktober gab der Gouverneur Felipe Solá Anweisungen für ein Treffen zwischen Senator Corvatta und den technischen Angestellten der Regierung, um das Projekt voranzutreiben. Der Generaldirektor des Bildungswesens der Provinz sprach von „einer Idee, der wir unsere ganze pädagogische Unterstützung geben, damit die Militäreinrichtungen sich in einen Ort sozialer Mäßigung und des Lernens verwandeln, welcher der physischen Entwicklung und in erster Linie der Berufausbildung dient. Adolfo Esquivel sagte hingegen, das Ziel sei es, „die Armut und soziale Ausgliederung zu militarisieren“.

„Sie schafften die Stipendien ab, weil Gelder fehlten, und plötzlich tauchen 150 Pesos für jeden Jungen auf, die ins Militär fließen,“ sagte Hugo Yasky, Sprecher der Suteba (Gewerkschaft der Arbeiter im Erziehungswesen in Buenos Aires). Eduardo Macalusse, Abgeordneter der ARI, erklärte: „In jedem anderen ernst zu nehmenden Land der Welt sorgt der Staat dafür, dass die Jungen, die nicht weiter zur Schule gehen wollen, eine Ausbildung erhalten, die der lokalen Produktion zu Gute kommt. In Argentinien scheint die einzig funktionierende Industrie die der Unterdrückung zu sein.“

Der Vorschlag der Regierung von Buenos Aires besteht darin, einen „militärischen Bildungsdienst“ anzubieten. Die vom Projekt anvisierten Schüler zwischen 15 und 16 Jahren beenden das neunte Jahr der obligatorischen Grundschule und wollen statt weiterer Schulbildung einen Beruf erlernen. Dieser Initiative zufolge scheint das Militär die beste Form zu sein, um die Jugendlichen „im Zaum zu halten“, die nicht weiter die Schule besuchen wollen.

Mutmaßliche Attentäter identifiziert

(Montevideo, 4. Oktober 2002, comcosur-poonal).- Die argentinische Justiz hat offenbar einige mutmaßlich Beteiligte am Attentat auf das jüdische Gemeindezentrum AMIA, bei dem in Buenos Aires vor acht Jahren 85 Menschen getötet wurden, identifiziert. Die Anwältin Marta Nercella erklärte, dass der Richter Juan José Galeano eine Liste von Namen besitze. Zu den dort aufgeführten Beschuldigten gehören auch einige iranische Beamte. Der Iran reagierte sofort und erklärte die Anschuldigungen hinsichtlich seiner Beteiligung an de Anschlag für haltlos. Ein Sprecher der Botschaft betonte, dass „Anschuldigungen dieser Art von der öffentlichen Wahrnehmung der Aggressionen Israels gegen die Palästinenser ablenken sollen“ und dass man sich bereits diesbezüglich an die argentinische Regierung gewandt habe.

Protest gegen Repression in Jujuy

(Montevideo, 6. Oktober 2002 – comcosur-poonal).- Auf einer politischen Versammlung in San Salvador de Jujuy forderten die Teilnehmer*innen Freiheit für die politischen Gefangenen und das Ende der Repression. Zugleich wurde gegen Wahlfälschungen protestiert und Maßnahmen gegen zunehmende Armut und die Hungersnot gefordert. Auf der Veranstaltung wurde darüber informiert, dass sieben Aktivist*innen, die seit dem 20. September verschwunden waren, wieder aufgetaucht sind. Damals kam es in San Salvador de Jujuy zu einer Demonstration, auf der wie in vielen anderen Städten Argentiniens unter dem Motto „Sie alle sollen gehen – que se vayan todos“ gegen die Regierungspolitik protestiert wurde. Dabei wurden über Hundert Teilnehmer*innen festgenommen. Fünf der bislang vermissten Personen wurden in Haftanstalten geortet, die beiden anderen tauchten anderweitig wieder auf.

„Es ist, also ob nichts geschehen wäre. Die Regierenden stellen sich taub. Seit 15 Tagen streiken wir. Nicht nur die Staatsangestellten, sondern auch die Dozenten, die Beschäftigten des Gesundheitssektors und der Stadt. Vor kurzem haben sie uns den Juni bezahlt und sie tun so, also ob nichts geschehen sei. Man schaut sie an und sie reden von den nächsten Wahlen, als ob sie nichts mit dem Desaster zu tun hätten: Die Provinz steht still. Dies hier verwandelt sich in ein riesiges Loch und es gibt keine Möglichkeit, sie dazu zu bringen, sich mehr oder minder verantwortlich zu verhalten.“

Das waren die Worte von Nando Acosta, dem Generalsekretär der Gewerkschaft CTA (Central de Trabajadores Argentinos) von Jujuy vor mehr als zwei Monaten. Es war ein Protestschrei, der von den Verantwortlichen nicht gehört wurde. Sie merkten nicht, dass die Geduld der Hungrigen, der Verzweifelten ihre Grenzen hat. Sie hörten nicht zu. Am 20. September dann gingen die Menschen auf die Strasse. Die Antwort war eine brutale Repression gegen die Arbeitslosen und Beschäftigten. Die Bilanz: 129 Verhaftete, 56 Männer, 40 Frauen und 33 Minderjährige, die erst vor kurzem freigelassen wurden.

In dieser Situation veröffentlichte die CTA eine Erklärung, in der sie aufdeckte, dass „die Staatsanwältin Laura Lamas gegen alle Festgenommenen strafrechtliche Konsequenzen wegen der „Bildung von Räuberbanden“ anstrengt, ein Vorwurf, der zwingend mit Gefängnisstrafen geahndet wird“. Die anderen Beschuldigungen gegen die Demonstranten lauteten: Schwere Sachbeschädigung, Aufruf zu strafbaren Handlungen, öffentliche Erpressung und Körperverletzungen. Höchst verwunderlich sei auch, dass der Provinzialmagistrat entschied, den Artikel 213 des Strafgesetzes anzuwenden, der im Jahre 1975 geschaffen wurde, um soziale Bewegungen und Oppositionsparteien zu illegalisieren.

Der juristische Berater der CTA, Juan Carlos Capurro, informierte seinerseits über die Auswirkungen dieser Verordnung: „Dieser Artikel kriminalisiert die gesamte Organisation, der ein Festgenommener angehört. Denn in einem der Gesetzesartikel steht geschrieben, dass die strafbare Handlung allein schon durch die einfache Tatsache begangenen wird, Mitglied der Vereinigung zu sein.“ Außerdem, fügte er hinzu, „bedeutet dies schlicht und einfach die Illegalisierung der Oppositionsgruppen mit pseudolegalen Mitteln“.

ECUADOR

Diskriminierende Gesetzgebung für unabhängige Radiostationen abgeschafft

(Montevideo, 6.Oktober 2002, comcosur-poonal).- Der ecuadorianische Kongress hat am 18. September beschlossen, die Radio- und Fernsehgesetze zu reformieren. Die Reformen gestehen unabhängigen Radios dieselben Rechte zu, die kommerzielle Stationen auch haben. Dieser demokratische Fortschritt wurde durch das Engagement von indigenen Abgeordneten, unter anderen Nina Pacari, sowie der Arbeit des weltweiten Verbands Öffentlicher Radiostationen (CORAPE), des lateinamerikanischen Netzwerks von Basisradios (ALER) und dem ecuadorianischen Indígena-Dachverband CONAIE ermöglicht. Sie hatten am 29 Januar dieses Jahres einen Vorschlag zu einer Gesetzesänderung eingebracht.

Die Verfassung garantiert das Recht auf Kommunikation und auf den allgemeinen und gleichen Zugang zu Radio und Fernsehen sowie das Recht, unabhängige Radiostationen zu gründen (Artikel 10, Absatz 23). Dennoch gibt es laut Aussage verschiedener sozialer Akteure und Wissenschaftler viele Gesetze, die der Verfassung widersprechen. Unter anderem ist es den unabhängigen Radios verboten, über eigene Mittel zum Beispiel durch Werbeeinnahmen zu verfügen. Außerdem werden sie in ihrer Reichweite und ihren Sendemöglichkeiten beschränkt. Um diese Schieflage zu korrigieren, hat der Kongress nun entschieden, dass „Ausstattung, Art, Befugnisse, Rechte, Pflichten und Möglichkeiten der Programme und Sender der unabhängigen, nicht-kommerziellen Sendeanstalten dieselben sein sollen, die laut Gesetz für private Anstalten mit kommerziellen Zielen gelten. Grundlage für das neue Gesetz ist Artikel 10, Absatz 23 der Verfassung.“

Das Recht indigener, afro-ecuadorianischer, bäuerlicher oder anderer sozialer Organisationen, deren Arbeit „die Stärkung der Gemeinden, die interkulturelle und soziale Festigung, sowie die Verteidigung menschlicher, historischer oder kultureller Grundwerte, die die nationale Identität festigen und die Gültigkeit der Menschenrechte bestätigen“ zum Ziel hat, „sich mit dem Ziel der Verbesserung und Instandhaltung von Ausstattung und Personal durch Spenden, Meldungen und Werbung selbst zu verwalten“ wird ausdrücklich anerkannt. Einzige Bedingung ist, dass die Einkünfte „in die Erweiterung des eigenen Angebots oder Aktivitäten derer, die sie repräsentieren, investiert werden.“ Auf diese Weise soll das Überleben der unabhängigen Radios ohne kommerzielle Interessen ermöglicht werden.

 

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