Poonal Nr. 506

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischen Agenturen vom 14. Dezember 2001

Inhalt


MEXIKO

GUATEMALA

NICARAGUA

HAITI

Von Gotson Pierre

OAS-Generalsekretär will vermitteln

Von Andrés Canizalez

Kokabauer ermordet

BRASILIEN

ARGENTINIEN


MEXIKO

Requiem auf die Landwirtschaft

Von John Ross

(Mexiko-Stadt, 10. Dezember 2001, na-Poonal).- In den mexikanischen Zeitungen häufen sich alarmierende Schlagzeilen über die „Krise auf dem Land“ oder die drohende „soziale Explosion“. Ein Blick quer durch das Land der Azteken zeigt folgende Bilder: Eine Barrikade aus Ananas, die einst süß und lecker waren, türmt sich auf einer Landstrasse im südlichen Bundesstaat Oaxaca. Wütende Bauern haben sie dort abgeladen, denn für ein Kilo der gelben Frucht erhalten sie gerade einmal vier Pfennig. In Ciudad Juarez, an der Grenze zu den USA, eroberten andere die Zollstation, um zu verhindern, dass Ladungen von billigem Mais aus den USA und Kanada nach Mexiko gelangen. Und in der Hauptstadt campieren seit über einem Monat direkt vor dem Landwirtschaftsministerium Arbeiter aus dem Zuckerrohranbau. Sie warten noch immer auf die Bezahlung der letzten Ernte.

Nur Präsident Vicente Fox und sein Landwirtschaftsminister Javier Usabiaga lassen sich angesichts solcher Meldungen die gute Laune nicht verderben. „Wir sind Männer vom Land. Wir wissen sehr genau, was man unternehmen muss“, erklärt Fox der Vereinigung der Agroindustriellen und Viehbesitzer. Fox und sein Minister sind alte Freunde und Nachbarn. Beide Familien haben mit dem Export landwirtschaftlicher Produkte ein Vermögen gemacht – und beiden wird vorgeworfen, Kinder unter 14 Jahren beschäftigt zu haben. Sehr wenig aber verbindet Fox und seinen Minister mit den Landarbeitern und Kleinproduzenten, die trotz harter Arbeit kaum mehr das Notwendigste aus ihrem Land herausholen können.

Der Kaffe, wichtigstes Exportgut Mexikos, wirft für gewöhnlich zwei Milliarden US-Dollar pro Jahr ab. Durch den rapiden Preisabfall auf dem internationalen Markt wird es nun nicht einmal die Hälfte sein. Umgerechnet 20 Pfennig pro Kilo Kaffe, mehr können die Produzenten nicht erwirtschaften. Die Kaffeekrise zeigt, zu welch absurden Konsequenzen der Weltmarktpreis führt: Um den Preisverfall aufzuhalten, haben die mexikanischen Kaffeebauern in diesem Jahr fünf Prozent ihrer Ernte vernichtet; gleichzeitig importiert Mexiko Bohnen niederer Qualität, um sie dem löslichen Kaffe, der innerhalb des Landes bleiben soll, beizumischen.

Währenddessen bleibt vielen nichts anderes, als mit illegalen Pflanzungen oder der Flucht in die USA ihr Glück zu versuchen. Die klassischen Kaffeeanbaugebiete, wie Atoyac in Guerrero oder Altos in Chiapas, wurden zu Zentren des Guerillaaufstandes und nachfolgend der militärischen Unterdrückung. „Folge nur immer der Blutspur, sie endet beim Kaffee“, fasst Luis Hernandez Navarro, früherer Berater der Zapatisten-Rebellen, seine Erfahrungen zusammen.

Dem Optimismus der Regierung zum Trotz sind die Großgrundbesitzer unruhig geworden. Immer häufiger findet man deswegen die sogenannten Guardias Rurales, inoffizielle Trupps von Landarbeitern, die militärisch ausgebildet und bewaffnet werden, um die großen Landgüter zu schützen. Eine bittere Ironie der Geschichte, denn in den 30er Jahren wurde staatlicherseits schon einmal „Guardias Rurales“ eingesetzt, damals aber, um enteignete Ländereien gegen ihre früheren Besitzer zu verteidigen. Heute dienen die wiederaufgebauten Guardias zur Aufstandsbekämpfung auf dem Land, die gegen jegliche Opposition mit dem Argument vorgehen, es handele sich um „subversive Gruppen“.

Seit dem Inkrafttreten der nordamerikanischen Freihandelszone NAFTA im Januar 1994 wurden 57 mexikanische Zuckerraffinerien privatisiert. Inzwischen schulden sie den Arbeitern, die vor dem Landwirtschaftministerium campieren, 17 Millionen US-Dollar. Denn die Abkommen wirken sich nun auch auf die dortigen Zuckerbarone aus: Die protektionistische Agrarpolitik der USA lässt keinen mexikanischen Zucker ins Land, während sich der US-amerikanische Maisirup ungehindert nach Mexiko ergießt. Ausschließlich Maissirup findet denn auch als Süßmittel für Coca-Cola Verwendung, eine Vereinbarung, die die mexikanische Zucker-Industrie von dem lukrativen Geschäft ausschließt.

Auch in Oaxaca ist die Ananas aus Thailand oder den USA billiger als die vor Ort geerntete. Reisanbau im benachbarten Campeche lohnt inzwischen auch nicht mehr, da über die Hälfte des Bedarf aus den USA, Vietnam oder den Philippinen gedeckt werden. Wenn sich diese Entwicklung fortsetzt, wird die Landwirtschaft in Mexiko zu einem Auslaufmodell.

 

GUATEMALA

Militärs ins Innenministerium berufen

(Guatemala-Stadt, 8. Dezember 2001, cerigua-Poonal).- Die Menschenrechtsorganisation „Gruppe zur gegenseitigen Hilfe“ (GAM) befürchtet, dass es mit dem Wechsel einiger Militärs ins Innenministerium zu neuen Menschenrechtsverletzungen kommen wird. Diese Militärs hatten bereits zu Bürgerkriegszeiten das Kommando über Einheiten, denen vorgeworfen wird, Massaker an der Zivilbevölkerung verübt zu haben.

Die GAM erklärt, dass die Ernennung des Divisionsgenerals Eduardo Arévalo Lacs zum Innenminister, die Ernennung des Oberst Francisco Nájera Avedano zum stellvertretenden Innenminister und die Ernennung des Oberst der Luftwaffe Luis Emery zum Beauftragten für die Flugsicherung nichts dazu beitrage, auf gewaltlose Weise für Sicherheit zu sorgen oder gar die Fähigkeiten der Zivilgesellschaft zu stärken, sondern viel eher einen Beweis darstelle, dass das Denken bestimmte Kreise auch weiterhin in militaristischen Bahnen verlaufe.

Der GAM zufolge wurden in der Zeit, in der Nájera den Militärischen Geheimdienst G-2 leitete, verschiedene Menschenrechtsverletzungen registriert, die dieser Behörde angelastet werden. Die Organisation wirft dem neuen stellvertretenden Innenminister vor, für mehr als 200 Morddrohungen gegen Mitglieder der GAM verantwortlich zu sein, sowie für eine Kampagne zur Rufschädigung wie auch für eine Bombe in den Büroräumen, diverse illegale Hausdurchsuchungen und Verhaftungen im Jahre 1993.

Arévalo Lacs und Nájera leiteten außerdem das Kaibil-Ausbildungszentrum, in dem den Mitgliedern der Spezialeinheit Foltertechniken und das Vorgehen bei illegalen Festnahmen und Massakern gelehrt wurden, um sie gegen die wehrlose Bevölkerung einzusetzen. Deswegen schließt die GAM nicht aus, dass es mit der Ernennung der Militärs zu neuen Menschenrechtsverletzungen und Morddrohungen gegen Menschenrechtsaktivist*innen kommen wird.

 

Opfer der staatlichen Korruption?

Von Ileana Alamilla

(Guatemala-Stadt, 7. Dezember 2001, cerigua/alai-Poonal).- Die Bilanz dieses Jahres fällt für die Guatemaltek*innen negativ aus. Zu den Themen, die die Bevölkerung im Allgemeinen bekümmern, gehören die Erhöhung der Lebenshaltungskosten, die öffentliche Unsicherheit, Arbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit und die Verminderung des familiären Einkommens. Dennoch waren die Anzeigen wegen Korruption und das Wiederauftauchen von massiven Versorgungsengpässen bis hin zu Hungersnöten in einigen Teilen des Landes die folgenreicheren Aspekte. Sie zeigen, dass die positiven Veränderungen durch den Friedensprozess für die Mehrheit der Einwohner des zentralamerikanischen Landes nicht zugänglich sind, obwohl die traumatischen Zeiten der Repression, des Krieges und des Völkermordes vorbei sind.

Die Vereinten Nationen legten Anfang Dezember einen Bericht über die nationale menschliche Entwicklung vor, der zu dem Schluss kommt, dass die Korruption einen der gravierendsten Effekte des Mangels an öffentlicher politischer Transparenz darstellt. Sie führe zu einer ineffizienten Verwendung staatlicher Gelder.

Dieser Vorwurf wird nahezu allen zentralen und regionalen staatlichen Einrichtungen gemacht. Die wiederholten Klagen seitens der sozialen Sektoren wurden unterstützt von schriftlichen Nachweisen und Dokumentationen über Misswirtschaft und Korruption. Die Rechungsstelle, hat Bedenken wegen dieses Phänomens hervorgebracht. Dennoch reagieren die politischen Autoritäten nicht, obwohl Bestechung, Begünstigung und Vetternwirtschaft zwischen den Regierenden und den Verantwortlichen unübersehbar geworden sind.

Die Republikanische Front Guatemalas (FRG) an der Macht hat nicht nur stark an Glaubwürdigkeit und Sympathie verloren, weil sie ihre Wahlversprechen nicht einlöst und einen Regierungsstil pflegt, der den Interessen der Mehrheit der Menschen widerspricht. Die FRG Administration überflügelte sogar viele ihrer Vorgängerregierungen, was das Versagen und die Vernachlässigung der öffentlichen Angelegenheiten in Rekordzeit angeht.

Der UNO-Bericht kommentiert, dass diese Tatsache den Steuerzahler demoralisiere, was sich in einem Land ohne eine lange Tradition des Steuerzahlens noch verstärkt auswirke. Wenig Guatemalteken seine bereit, weiterhin hinzunehmen, dass die Steuergelder straflos veruntreut werden.

Der Zusammenbruch von Banken, eine steigende Inflation, Betrug und das Verschwinden öffentlicher Gelder zur Begleichung privater Rechnungen, persönliche Bereicherung und das Investieren öffentlicher Mittel in Luxusfahrzeuge für die Regierenden etc. sind Aktivitäten, mit denen die politischen Funktionsträger viel Zeit zu verbringen scheinen.

Das Verschwinden staatlicher Gelder durch Raub und Unterschlagung, begleitet von einer schlechten Verwaltung der Finanzen, begründe – laut dem Bericht – den Mangel der zur Verfügung stehenden Mittel für die menschliche Entwicklung. Die sozialen Ausgaben decken nicht einmal die Basisbedürfnisse der Bevölkerung im Gesundheits-, Bildungs- und Wohnungsbaubereich ab, ebenso wenig wie eine ausreichende Wasserversorgung gewährleistet ist, ganz zu schweigen vom Kanalisationssystem.

Die derzeitige Wirtschaftskrise, begann mit dem Antritt der FRG-Regierung Ende 1999, die als erste Maßnahme die Diäten der Abgeordneten und Parteifunktionäre erhöhte, Personal ernannte und einstellte, das für die jeweiligen Posten und Aufgaben nicht qualifiziert war, private Geschäfte auf Kosten des staatlichen Haushaltes begann und das Bankenwesen zum Zusammenbruch brachte.

Abgesehen von der Korruption, die für die Bevölkerung bedeutet, sich einem staatlichen Apparat gegenüber zu sehen, dem es offenbar an Vertrauenswürdigkeit mangelt, wird in dem UNO-Bericht auch festgehalten, dass in Guatemala eine extreme Konzentration des Einkommens auf eine sehr kleine Gruppe zu beobachten ist, das heißt, nur 2000 Familien – ein Prozent aller Haushalte – verfügen über ein jährliches Einkommen von fast zwei Millionen Quetzales.

Die Armut und die soziale, ökonomische und politische Marginalisierung, mit der ein Großteil der Guatemaltek*innen leben muss, gehören zu den größten Herausforderungen für die Modernisierung des Landes im neuen Jahrhundert. Diese Herausforderung wird schwer zu meistern sein, denn zwischen dem „korrupten ökonomischen Sektor, der zu einem guten Teil für die soziale Ungleichheit verantwortlich sei“ und dem unkontrollierten Agieren derjenigen, die heute das Land regieren, werden die Entwicklungsmöglichkeiten für die 83 Prozent der Guatemaltek*innen, die in extremer Armut leben, zunehmend eingeschränkt.

Sogar die internationale Gemeinschaft, die lange Zeit gegenüber der aktuellen Regierung schwieg, hat begonnen, sich angesichts der drohenden Ausweitung der Hungersnot besorgt über das Ausmaß der Korruption und des schlechten Politikstils zu zeigen. Inzwischen nimmt das Land einen der ersten Plätze in der Liste der rückständigen und verarmten Staaten ein. Doch die guatemaltekische Gesellschaft behält die Hoffnung, die FRG-Katastrophe zu überwinden und die Bedingungen für einen neuen Staat zu schaffen, wie er in den Friedensverträgen vorgesehen ist.

 

„Trópico Verde“ mobilisiert gegen die Risiken des Planes Puebla-Panamá

(Petén, 7. Dezember 2001, cerigua-Poonal).- Nach Mitteilung von Ruth Catalán Rangel entwickelt die Organisation “ Trópico Verde “ in Petén momentan ein Programm zur Aufklärung über die Risiken, die der Plan Puebla Panamá (PPP) mit sich bringt. Catalán ist Vertreterin der Organisation.

Der PPP, der von der mexikanischen Regierung auf den Weg gebracht wurde, wird sich für die Bevölkerung im industriellen und im Angestelltensektor nachteilig auswirken. Außerdem ist, so Catalán, mit schwerwiegenden Schäden bei der Umwelt und dem Biosphärenreservat der Maya zu rechnen.

Den Befürworter*innen des PPP zufolge, hat die Region Petén viele Rohstoffe und ein großes touristisches Potenzial, die man für sich nutzbar machen könnte. Dabei wurde bisher nicht in Betracht gezogen, dass der Bau von Überlandstrassen letztlich nur eine zeitlich begrenzte Beschäftigung erzeugt. Weiter würde es das Ende der Flora und Fauna bedeuten, von der die Kleinbauern des Gebietes ihren Lebensunterhalt bestreiten, versichert die Ökologin.

Der Plan würden zu einer Reihe von Problemen führen, zu denen unter anderem die Migration gehören wird. Gleichzeitig verweist Catalán darauf, dass die öffentliche Kampagne des „Grünen Wendekreises“ am Ende dazu führen soll, dass die gesamte Bevölkerung den Plan Puebla-Panamá ablehnt.

Während der letzten Wochen hat die Vereinigung verschiedene Konferenzen und Treffen mit Repräsentant*innen von sozialen Organisationen mit dem Ziel veranstaltet, sie für die Aufklärungskampagne zu gewinnen und den Plan Puebla Panamá zurückzuweisen.

Kürzlich wurde in Quetzaltenango das Forum Xelajú 2001 ausgerichtet, auf dem die Politiken der Globalisierung kritisiert wurden. Diese haben in den mittelamerikanischen Ländern eine breite Debatte angestoßen, zumal die einzigen Auswirkungen dieser Politiken bisher die Armut und der Hunger waren, von dem die indigenen Gruppen in besonderer Art und Weise betroffen sind.

 

NICARAGUA

Camino Cristiano trennt sich von Liberalen

(Managua, 30. November 2001, alc-Poonal).- Die Partei Camino Cristiano Nicaragüense (PCCN, Partei Christlicher Weg) wurde immer wieder vom „evangelischen Sektor“ (Bezeichnung für Apostoliker, Menoniten, Methodisten, Baptisten u.v.m., Red.) scharf für die Koalition mit der regierenden Partido Liberal Constitucionalista (PLC, Liberale Konstitutionalistische Partei) kritisiert. Nach den Wahlen am 4. November wurde diese Zusammenarbeit nun aufgekündigt.

Die PCCN versteht sich als Partei der evangelischen Inspiration und wird mit vier Sitzen als eigenständige Fraktion im neuen Parlament vertreten sein. Sie will sich für Reformen des Wahlrechts und gegen des Proporzsystem zwischen PLC und der sandinistischen FSLN einsetzen.

Der Vorsitzende des Christlichen Weges, Pastor Guillermo Osorno sagte, dass er dem scheidenden Präsidenten Arnoldo Aleman weder persönlich noch institutionell verpflichtet sei, und dass seine Parte nach dem 9. Januar 2002, dem Datum der Regierungswechsels, eigenständige Positionen im Parlament einnehmen werde.

Der Abgeordnete Orlando Tardencilla, voraussichtlicher Fraktionsvorsitzender der PCCN, kündigte an, dass seine Partei u.a. Gesetze zur steuerlichen Entlastung der Ehe und ein Reformpaket zur Abgabenverordnung einbringen wird.

Pastor Osorno, bezeichnete es als wichtigste Aufgabe, die Demokratie in Nicaragua zu festigen. Er kündigte die Zusammenarbeit der Fraktion mit dem neuen Präsidenten Enrique Bolaños in den Bereichen der Bildung und der Gesundheit an.

Er befürwortete außerdem eine nicaraguensische Vertretung in Jerusalem, und sprach sich dafür aus, dass die Regierung eine Israelische Botschaft in Nicaragua akzeptieren solle. Die Partei würde auch eine Botschaft des „kommunistischen Chinas“ akzeptieren, da sie niemandes Feinde seien und wenn selbst Taiwan in China Investitionen tätige, warum solle dann Nicaragua keine Beziehungen zu einem der am stärksten industrialisierten Länder der Erde haben.

Er bestätigte, dass seine Partei offiziell die Koalition mit der PLC aufgekündigt habe. Er erinnerte daran, dass die Abgabenbefreiungen für einige evangelische Kirchen (Asambleas de Dios), die unter der Regierung Aleman eingeräumt wurden, sie zu nichts verpflichte. „Wir schulden Aleman keine einzigen Gefallen“ erklärte er.

 

HAITI

Die Liste der ermordeten Journalisten wird länger

Von Gotson Pierre

OAS-Generalsekretär will vermitteln

Menschenrechtslage in Venezuela hat sich verschlechtert

Von Andrés Canizalez

Kokabauer ermordet

Anwohner klagen über Vergiftungen durch Shell-Chemiefabrik

(Sao Paolo, Dezember 2001, NA-Poonal).- Die Klagen der Bewohner der südbrasilianischen Stadt Paulinia gegen den Öl- und Chemiekonzern Shell haben politische Rückendeckung bekommen. Der Gesundheitsminister des Bundesstaates Sao Paolo schloss sich der Aussage einer Umweltstudie an, der zufolge über die Hälfte der untersuchten Anwohner der Chemiefabrik unter „chronischer Vergiftung“ leiden. Die Ende November veröffentlichte Untersuchung war vom Innenministerium in Auftrag gegeben worden und bescheinigt den Verantwortlichen von Shell „Nachlässigkeit, Unfähigkeit und Fahrlässigkeit“ beim Umgang mit hochgiftigen Stoffen, die zu einer Verschmutzung des Bodens und der Anwohner geführt habe.

Bereits im August hatte eine erste Studie festgestellt, dass 88 von 181 untersuchten Personen, die in der Nähe der Shellfabrik leben, Vergiftungserscheinungen aufweisen und mit mindestens einem Schwermetall kontaminiert sind. Unter anderem wurden bei den Bewohnern der 130 Kilometer nordöstlich der Metropole Sao Paolo gelegenen Industriestadt Rückstände von Blei, Kupfer, Zink und hochgiftige Pestizide nachgewiesen.

Die Studie mache die Notwendigkeit deutlich, die Bewohner des unmittelbar betroffenen Stadtviertels Recanto dos Passaros umzusiedeln, kommentierte Elizeu Diniz, Vizechef der Gesundheitsbehörde von Sao Paolo, die alarmierende Umweltstudie. Bislang hat Shell jedoch keinerlei Maßnahmen eingeleitet, obwohl die Fabrik bereits 1995 stillgelegt wurde. Schon damals hatte Shell die Behörden informiert, dass Böden und Grundwasser wahrscheinlich verseucht seien und sich bereiterklärt, Anwohnern ihre Wohnungen abzukaufen und sie kostenlos medizinisch zu versorgen.

Den Betroffenen war dies keinesfalls genug, inzwischen sind sie vor Gericht gegangen. Sie fordern die Übernahme aller Kosten der Umsiedlung und angemessene Entschädigungen. „Wir werden nicht auf eine Erklärung von Shell warten,“ so Vicente de Paolo Souza, Präsident der Anwohnervertretung von Recanto dos Passaros. „Wir haben das Ergebnis der Studie, und nun soll das Gericht über unsere Forderung befinden.“

Das ging Shell wiederum zu weit. „Die Studie ist nur eine Liste von Schlussfolgerungen ohne Beweise, die Shell als Verursacher von Vergiftungen mit Stoffen darstellt, die die Pestizid-Fabrik gar nicht benutzt hat,“ so die offizielle Stellungsnahme des britisch-holländischen Konzerns. In diesem Sinne war auch das Ergebnis einer von Shell durchgeführten Untersuchung, die im Blut von 159 Testpersonen keine Giftrückstände feststellte.

Dennoch sieht sich Shell in der Defensive und willigte nach anfänglicher Weigerung ein, die Weisung der Bezirksregierung umzusetzen und für die Kosten der Umsiedlung aufzukommen. Der Streit um die genaue Summe der Kosten ist freilich noch nicht entschieden. Shell ist dabei nicht das einzige Unternehmen, das wegen Umweltverschmutzung in der Chemiestadt Paulinia Entschädigungen zahlen muss. Unter anderem BASF, DuPont Texaco und Chrysler sind von den Behörden ebenfalls verpflichtet worden, Reinigungsarbeiten im Boden und Grundwasser zu leisten. Insgesamt haben 53 Firmen mit den Behörden vereinbart, sich an den 740 Millionen US-Dollar Kosten für die Sanierung der verseuchten Region zu beteiligen.

 

BRASILIEN

Parlamentarische Mehrheit für den Abbau von Arbeitsschutzrechten

(Brasilia 6.Dezember 2001, oficina de informacoes- Poonal).- Am vierten Dezember setzte sich in der Abgeordnetenkammer in Brasilien ein Gesetzesentwurf zum Arbeiterrecht durch, der allgemeine Bestimmungen und Übereinkünfte zwischen Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmer*innen enthält. Der Regierung gelang es, 264 Stimmen für den Gesetzesentwurf zu gewinnen. Es gab 213 Gegenstimmen und zwei Enthaltungen.

Nachdem es in der vorangegangenen Woche gehäufte Protestaktionen vor dem Regierungsgebäude und auf dem internationalen Flughafen der Hauptstadt gegeben hatte, protestierten führende Gewerkschaftler auch in Brasilia gegen die Durchsetzung der Gesetzänderung. Nach Einschätzung des Abgeordneten Inácio Arruda, Leiter der PSB-PCdoB, würden mit der Durchsetzung des Neuentwurfs die konstitutionelle Gesetzgebung und Sicherung der Arbeiterrechte untergraben, und Brasilien würde zur Herrschaft des „Großen Hauses und der Sklavenwirtschaft“ zurückkehren. Die Ungleichheiten zwischen den Interessen der Arbeitgeber und denen der Arbeitnehmer werde sich dadurch verschärfen.

Der Gesetzentwurf wird nunmehr dem Senat vorgelegt, zu einer abschließenden Entscheidung wird es laut Senatsvorsitzendem Ramez Tebet (PMDB-MS) jedoch erst im nächsten Jahr kommen. Tebet Vertritt die Position eines Teils der PMDB der sich gegen die Flexibilisierung der Arbeiterrechte ausspricht. Die Partei hege Zweifel an dem behaupteten Nutzen für die Regierung. Die Verschiebung des Senatsbeschlusses über den neuen Gesetzesentwurf steht seiner Billigung eher entgegen, weil es im Jahr 2001 Wahlen geben wird und der Entwurf als unpopuläre Maßnahme gilt.

Gewerkschafter veröffentlichten Anfang Dezember eine Reihe von Studien der Internationalen Arbeiterorganisation (OIT) in denen die negativen Folgen für den Arbeitsmarkt aufgezeigt werden, die durch die Flexibilisierung der Arbeitsgesetze in den achtziger Jahren in Europa und den neunziger Jahren in Argentinien entstanden sind. Die Arbeitsmarktsituation verschlechterte sich demzufolge und soziale Rechte wurden vermindert. Genau den gegenteiligen Effekt verspricht die Regierung Fernando Henrique Cardosos von der geplanten Flexibilisierung.

Laut Márcio Pochmann, Bezirksminister für Arbeit in Sao Paulo werde eine Gesetzänderung nichts nützen solange das Wirtschaftswachstum stagniere. In Deutschland erhöhte sich nach einer Nivellierung der Arbeitsbestimmungen das Niveau der Teilzeitarbeit von 10,5 auf 15 Prozent. Die Arbeitslosigkeit stieg von 4,8 auf 8,7 Prozent an. In Argentinien verdoppelte sich die Arbeitslosenrate sogar innerhalb des letzten Jahrzehnts. Laut Pochmann ist die Annahme, die Flexibilisierung würde Arbeitsplätze schaffen und die Gewerkschaft stärken, „zusammenhangslos“. Er erinnert daran, daß der kollektive Handel in Brasilien eine lange Tradition hat, die Reform dagegen begünstige nur die Arbeitgeberseite, und das in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit. Brasilien steuert nach Meinung des Ministers auf asiatische Arbeitsverhältnisse zu: die Arbeitgeber stacheln den Markt hoch und die Flexibilisierung beschleunigt diese Tendenz. Während 1990 die Beteiligung des Einkommens an der nationalen Rendite noch 45 Prozent betrug, sank sie inzwischen auf nur noch 36,7 Prozent.

 

ARGENTINIEN

Regierung will Freien Radios den Strom abdrehen

(Buenos Aires, 3. Dezember 2001, sem-Poonal).- Der Leiter des Präsidentenbüros, Nicolás Gallo, forderte die Elektrizitätsbehörde auf, alle Stromunternehmen des Landes anzuweisen, allen Radios, denen „eine legale Sendeerlaubnis fehlt“, den Strom abzudrehen. Die Maßnahme stieß auf heftige Kritik des Argentinischen Forums Freier Radios (FARCO). Das Forum, Mitglied im Weltverband Freier Radios (AMARC), drückte seine Verwunderung über das Regierungsvorgehen auf und forderte eine neue Radiogesetzgebung, mit der eine Legalisierung vieler Radios erst möglich würde. Bisher gilt noch das restriktive Gesetz Nr.22285 aus den Zeiten der Militärdiktatur. „Wir versuchen alles und beweisen unseren Willen zur Legalität, aber die Türen bleiben verschlossen“, heißt es in einem Brief des Forums an die Regierung

 

Basisorganisationen und religiöse Gemeinschaften veranstalten Plebiszit gegen Armut

(Buenos Aires, 6. Dezember 2001, alc-Poonal).- Zahlreiche Basisorganisationen, Interessensgruppen und religiöse Gemeinschaften, die sich in der Nationalen Front gegen die Armut zusammengeschlossen haben, rufen zu einer Volksbefragung gegen die Armut auf. Sie soll Mitte Dezember im ganzen Land durchgeführt werden.

In dem nicht-amtlichen Plebiszit mit dem Titel „Kein armer Haushalt in Argentinien“, sollen die Bürger entscheiden, ob der Nationalkongress über die Gründung einer Arbeits- und Ausbildungsversicherung debattieren soll und ob ein Gesetz verabschiedet werden soll, das die Regierung dazu verpflichtet, die Versicherung einzuführen.

Diese Arbeits- und Ausbildungsversicherung soll monatlich 380 Pesos (das entspricht demselben Betrag in Dollar) an alle arbeitslosen Familienvorstände überweisen. Für jedes minderjährige Kind sind 60 Pesos vorgesehen, sowie 150 Pesos für jede Person im Rentenalter, sofern sie keine Rentenzahlungen bekommt.

Die nötigen Ressourcen sollen aus der Umschichtung von Sozialausgaben, der Wiedereinführung von Arbeitgeberbeiträgen der privatisierten Unternehmen und Supermarktketten sowie der Streichung von Steuerprivilegien der Wirtschaftsbereiche kommen, die sich durch das neoliberale Modell bereichern konnten.

Das umverteilte Geld werde im Land ausgegeben werden, wodurch die Wirtschaft reaktiviert werde und die Steuereinnahmen wachsen könnten. Die Initiatoren des Plebiszits betonen, dass Argentinien ein sehr reiches Land ist. Jeder Einwohner erzeugt pro Jahr ungefähr einen Wert von 8.300 Pesos. Wenn mit 2.640 Pesos pro Jahr und Person die Grundbedürfnisse befriedigt werden können, beweise dies, „dass wir genügend Geld haben, damit alle gut leben können.“

Wegen der ungerechten Verteilung des Reichtums gebe es jedoch in Argentinien 14 Millionen Arme, wovon die Hälfte Kinder sind. Gleichzeitig machen etwa 200 Unternehmen und Wirtschaftsgruppen ein Vermögen mit der Arbeitslosigkeit, der Ausbeutung der Arbeiter, der Steuerflucht, der Korruption der politischen Klasse.

Die Nationale Front gegen die Armut ruft alle Personen über 18 Jahren dazu auf, in diesen Tagen zu wählen. Die Wahl wird in Schulen, Pfarrhäusern, Gemeindezentren, Krankenhäusern, Gewerkschaften, Vereinen usw. durchgeführt.

Zu den Mitgliedern der Front gehören Parlamentarier, der Rabbiner Daniel Goldmann von der Gemeinde Bet El, die Methodistenbischöfe Federico Pagura und Aldo Etchegoyen, Pastor José De Luca und Osvaldo Ullrich für die Ökumenische Bewegung für die Menschenrechte (MEDH), Führer des Argentinischen Gewerkschaftsbundes (CTA), der Agrarföderation und von APYME (Versammlung der kleinen und mittleren Unternehmer).

Außerdem rufen zu dem Plebiszit katholische Würdenträger, Leiter von Menschenrechtsorganisationen und von den Müttern der Plaza de Mayo, der Nobelpreisträger Adolfo Pérez Esquivel für SERPAJ (Dienst für Frieden und Gerechtigkeit), Leiter der Kooperativenbewegung, des Nationalen Koordinationskreises der Rentner und Pensionäre, von Universitätsstudenten, verschiedenen Gewerkschaften und unterschiedlichen Basisorganisationen.

 

 

 

   

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