Poonal Nr. 469

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 469 vom 2. März 2001

Inhalt


MEXIKO

GUATEMALA

EL SALVADOR

MITTELAMERIKA

KOLUMBIEN

GUYANA

PERU

BRASILIEN

URUGUAY

ARGENTINIEN


MEXIKO

Im Bann des Zapatistenmarsches – Aufbruch in San Cristobal

Von Gerold Schmidt

(Mexiko-Stadt, 25. Februar 2001).- Am Sonntag (25.2.) machte sich in dem südmexikanischen Bundesstaat Chiapas eine 24-köpfige Delegation der aufständischen Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) auf den Weg in die Hauptstadt. Mehrere zehntausend Menschen – die Zahlenangaben sind sehr unterschiedlich – begrüßten die aus verschiedenen Regionen kommenden Zapatisten bereits am Samstag in der Stadt San Cristobal de las Casas. Bis zu ihrer Ankunft am 8. März in Mexiko-Stadt wollen die mehrheitlich indianischen Führungsmitglieder der EZLN zwölf Bundesstaaten durchreisen. Die seit vergangenem Dezember amtierende neue Regierung unter Präsident Vicente Fox sicherte den Aufständischen noch einmal freies Geleit zu und versprach, für ihre Sicherheit zu garantieren.

Gegner und Sympathisanten der Zapatisten zieht der Marsch gleichermaßen in ihren Bann. In den Tagen vor dem 25. Februar schlugen die Wellen noch einmal richtig hoch. So warf der EZLN-Sprecher Subcomandante Marcos insbesondere dem Außenminister Jorge Castañeda vor, die von den Zapatisten vorgeschlagene neutrale Begleitung des Marsches durch das Internationale Rote Kreuz mittels Intrigenspielen hinter den Kulissen verhindert zu haben. Die Regierung dementierte das heftig. Eine nachgereichte Begründung des Internationalen Rotes Kreuzes, in dem es seine Ablehnung mit dem fehlenden Antrag „einer der Seiten“ erklärte, verleiht den zapatistischen Vorwürfen allerdings gewissen Rückhalt.

Die zwanzig Männer und vier Frauen der unbewaffneten EZLN-Delegation wollen nun vor allem auf den Schutz sie unterstützender ziviler Organisationen während des Marsches vertrauen. Aus dem Ausland sind mehrere hundert Beobachter anwesend. Einreisen konnten auch diejenigen, die noch unter der Vorgängerregierung aufgrund von Einmischung in die inneren Angelegenheiten Mexikos „für immer“ des Landes verwiesen wurden. Gerüchte über geplante Attentate auf die Zapatisten und insbesondere ihr Sprachrohr Marcos machten noch am Wochenende die Runde. Bundesstaaten wie beispielsweise Queretaro, wo der Gouverneur und Parteikollege des Präsidenten die Aufständischen Verräter nennt und die Todesstrafe für sie fordert, gelten als kritische Punkte auf der Marschroute. In Chiapas selbst sorgte die Entlassung von weiteren 16 zapatistischen Häftlingen durch den Gouverneur Pablo Salazar am Samstag für ein positives Signal.

In dem Bemühen, sich flexibler als die Rebellen zu zeigen, zog Präsident Fox zuletzt noch einmal alle Register. Vor Medienvertretern versicherte er vergangenen Freitag, mit seinem Zugehen auf die Zapatisten riskiere er seine Präsidentschaft und „mein ganzes politisches Kapital“. Am selben Tag sprach er der EZLN in einer landesweit übertragenen Fernsehrede einen Willkommensgruß aus und bot den Indigenas einen Frieden „mit Würde und sozialer Gerechtigkeit“ an. Vicente Fox lässt andererseits bis zuletzt eine starke Fixierung auf den sprachgewaltigen weißen Subcomandante Marcos erkennen, den Verfasser der meisten Rebellen-Kommuniques.

Gouverneur Salazar spricht angesichts dieser Situation vom Duell zweier Propaganda-Strategien. Viele Medien tendieren dazu, den letztendlichen Sinn des Marsches in die Hauptstadt auf eine Art verbalen Showdown zwischen Fox und Marcos zu reduzieren. Nach Ansicht zahlreicher Chiapasbeobachter handelt es dagegen um einen von vielen noch ausstehenden Schritten, die zum Ende 1994 offen ausgebrochenen Konfliktes führen könnten.

Derzeit vereint Präsident und EZLN das Ziel, die bereits 1996 von einer parteiübergreifenden Parlamentskommission ausgearbeitete Gesetzesreform über die Rechte und die Kultur der mexikanischen Indigenas durch den Kongress zu bringen. Spätestens bei der konkreten Umsetzung werden unterschiedliche Konzeptionen deutlich zu Tage treten.

 

Cancún wegen des Weltwirtschaftsforums von Polizei belagert

(Cancún, 27. Februar 2001, pulsar-Poonal).- Cancún hat sich von einer touristischen in eine von Polizei belagerte Stadt verwandelt. Hunderte komplett ausgerüstete Aufstandsbekämpfungspolizisten wurden nach Cancún geschickt. Dort sollen sie möglichen Protesten gegen die beim Weltwirtschaftsforum versammelten Bänker, Industriellen und Politiker entgegentreten.

Die Diskussionen beim Weltwirtschaftsforum werden sich darum drehen, wie in dieser Region noch mehr Reichtümer produziert und noch mehr Profite erzielt werden können. Dennoch waren auch etwas andere Stimmen zu hören. So sagte z.B. der Ex-Präsident Costa Ricas, José María Figuera, bestimmte von der Globalisierung ausgegrenzte soziale Gruppen müssten auch berücksichtigt werden.

Parallel zum Unternehmerforum findet in Cancún ein alternatives Forum statt. Das sogenannte Weltsozialforum wird von zahlreichen Gruppen organisiert. Ihrem Selbstverständnis nach wollen sie für die armen, von der Globalisierung ausgebeuteten Sektoren und gegen die sogenannten „Übel der Globalisierung“ kämpfen. Beide Foren werden von Montag bis Mittwoch tagen.

Die Organisator*innen des Gegenforums erklären, dass sie nicht planen, irgendeine Art gewaltsamen Protests auszuüben. Dennoch wurde das Polizeiaufgebot ausdrücklich als Antwort auf den Aufruf des sozial-alternativen Forums aufgestellt. Die mexikanische Regierung sagte, sie wolle kein Risiko eingehen. Sie fürchtet, das alternative Forum könne Konsequenzen wie die Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizei während der Foren in Seattle, USA, und in Davos, Schweiz mit sich bringen.

 

GUATEMALA

Empfehlungen der Kommission zu Geschichtlichen Aufklärung bislang ohne Umsetzung

(Guatemela-Stadt, 26. Februar 2001, cerigua-Poonal).- Zwei Jahre nachdem die Kommission zur Geschichtlichen Aufklärung (CEH) ihre Empfehlungen ausgesprochen hat, stellten Menschenrechtsaktivist*innen fest, daß bislang kein einziger der 84 Vorschläge von der Regierung in Angriff genommen worden ist.

An diesem Sonntag jährt sich zum zweiten Mal die Veröffentlichung des Berichts der CEH zur Verletzung der Menschenrechte während des 36 Jahre andauernden Bürgerkrieges in Guatemala. Der Bericht machte die Armee für die meisten der Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die an der Bevölkerung verübt wurden, verantwortlich.

Orlando Blanco, der Vertreter der Nationalen Koordination für die Menschenrechte in Guatemala (Conadehgua), wies darauf hin, dass die Empfehlungen der CEH aufgrund mangelnden politischen Willens zu ihrer Umsetzung von der Zentralregierung nicht in Angriff genommen worden seien. Und dies trotz des Kompromisses, das während der Übernahme der Regierungsgeschäfte durch Alfonso Portillo erzielt worden war.

Eine Untersuchung auf der Grundlage der Vorschläge brachte zutage, dass bis zu diesem Augenblick nicht ein einziger Vorschlag umgesetzt worden ist. Die Menschenrechtsbewegung ist sehr beunruhigt, da die Umsetzung der Vorschläge entscheidend zur Schaffung einer Kultur der Harmonie und des Respekts beitragen könnte.

Dem Sprecher zufolge gehören zu den wichtigsten Punkten, die von der Regierung umgesetzt werden sollen, die Suche nach Verschwundenen, die Erklärung des 25. Februars zum Nationalen Tag der Würde der Opfer, die offizielle Anerkennung der zahllosen Menschenrechtsverletzungen durch den Staat und vor allem die Einrichtung einer Kommission für den Frieden und der Versöhnung.

 

EL SALVADOR

Erdbeben zerstören nicht nur die Infrastruktur, sondern die Psyche der Menschen

Von Gerold Schmidt

(Mexiko-Stadt, 2. März 2001, Poonal).- „Mindestens zweimal am Tag gibt es bei uns im Büro einen kollektiven Aufschrei“, sagt Silke Helfrich. „Dann hat die Erde wieder einmal besonders stark gebebt und jeder fürchtet, die Katastrophen vom 13. Januar und 13. Februar könnten sich wiederholen.“ Helfrich leitet das Büro der deutschen Heinrich Böll Stiftung in dem mittelamerikanischen Land El Salvador. Sie erlebt seit Wochen hautnah die permanente Stress-Situation mit, in der die gesamte Bevölkerung des Landes lebt.

Seit am 13. Januar ein Erdbeben mit der Stärke 7,6 auf der Richterskala große Teile El Salvadors zerstörte und mehr als 800 Menschen das Leben kostete, haben die Leute praktisch keine ruhige Minute mehr gehabt. Über 6.000 zum Teil heftige Nachbeben sind in den darauffolgenden sechs Wochen gemessen worden. Das Schlimmste forderte am 13. Februar noch einmal mehrere hundert Tote, tausende Verletzte und richtete weitere Verwüstungen in dem geschundenen Land an. Experten sagen voraus, die Bodenerschütterungen könnten noch Monate andauern.

Noch am Mittwoch (28.2.) dieser Woche löste ein Erdstoß mit der Stärke 6,2 eine erneute Panik aus. Niemand weiß, ob und wie lange die im Vergleich zu den anderen Landesteilen noch halbwegs intakt gebliebene Hauptstadt San Salvador den Beben trotzen kann. Denn in San Salvador sind zwar verhältnismäßig wenige Häuser eingestürzt, doch viele haben bereits Risse bekommen.

Im Landesinneren sind ganze Ortschaften bis auf den Grund zerstört. Nur fünf der 14 Provinzen kamen mit kleineren Schäden davon. Eine Zahl zeigt besonders das Ausmaß der Zerstörung: Schätzungsweise 1,3 bis 1,5 Millionen Salvadorianer verloren ihre Behausungen. Bei einer Gesamtbevölkerung von gut 6 Millionen in dem kleinsten, aber am dichtesten besiedelten Land Mittelamerikas ist das fast Viertel der Einwohner. Zum Vergleich: In der Bundesrepublik wären das knapp 20 Millionen Menschen.

Von keiner Regierung könnte erwartet werden, Schäden solchen Umfangs wie in El Salvadors in Kürze zu beheben. Dennoch mehrt sich Kritik am Verhalten von Präsident Francisco Flores und seinem Kabinett. Die rechtsgerichtete Regierung will alle Hilfsgelder möglichst nur über sich laufen lassen. Weil aus Spanien 0,6 Prozent der Mittel direkt an Kommunen gingen, die von der linken, ehemaligen Guerilla-Organisation FMLN regiert werden, herrscht helle Empörung in Regierungskreisen.

Helfrich kritisiert, wie wenig Lehren aus dem Hurrikan Mitch gezogen wurden, der im Herbst 1998 in fast ganz Mittelamerika schwerste Schäden anrichtete. „Es gibt so gut wie keine Vorbereitung auf Katastrophen, keine funktionierende Nothilfe, keinen gesetzlichen Rahmen. An den Schulen sind nicht einmal Notausgänge ausgewiesen.“ Die unzureichenden Sicherheitsbedingungen an den Schulen sind ein wesentlicher Grund dafür, dass der für vergangenen Montag (26.2.) vorgesehene Beginn des Schuljahres erst einmal ausgesetzt worden ist.

Auf Proteste aus der Bevölkerung reagieren die staatlichen Autoritäten hilflos und gereizt. Gegen eine Demonstration von Erdbebenopfern, die vor dem nationalen Katastrophenschutz-Komitee in der Hauptstadt für eine schnellere Hilfe protestieren wollten, setzte die Polizei am 27. Februar Tränengas ein. Dabei erlitten mehrere Kinder Vergiftungen. Die Begründung der Polizei für ihr aggressives Vorgehen: Man habe eine Belästigung der Funktionäre verhindern wollen.

Die Demonstranten forderten unter anderem die Versorgung mit Lebensmitteln. Die Vorräte des Welternährungsprogrammes sind bereits aufgebraucht. Auch, als die Verteilung von Nahrungsmitteln über das Programm noch auf vollen Touren lief, waren die Bilder von Menschen, die auf den Landstraßen um Wasser und Essen bettelten, bereits Alltag. Oswaldo Guerrero, der Vorsitzende des Komitees zur Verteidigung der Opfer, versichert: „Wir werden mit unseren gerechten Forderungen nicht zurückstecken. Die Leute sterben vor Hunger. Die Hilfe kommt, aber sie wird geraubt.“ Schon nach Mitch gab es zahlreiche Klagen über Korruption und Unterschlagung von Hilfsgütern.

Viele Salvadorianer sind mit den Nerven am Ende und zermürbt. Die ständigen Beben erschüttern im wahrsten Sinne des Wortes den Durchhaltewillen, der nach vielen Krisen Jahren geblieben ist. Von Anfang der 80er Jahre bis zum Friedensschluss 1992 forderte der Krieg zwischen Armee und Guerilla etwa 75.000 Tote, fast jede Familie war von der Auseinandersetzung direkt betroffen. Nach 1992 wurden die Hoffnungen auf eine verbesserte wirtschaftliche Lage für die breite Masse der Bevölkerung ein um das andere Mal enttäuscht. 1998 dann Mitch. Die Wiederaufbauarbeiten nach dem Hurrikan waren längst nicht abgeschlossen, als am 13. Januar das erste Erdbeben kam.

Nun steht als Schreckgespenst die Regenzeit vor der Tür. Sie wird voraussichtlich in zwei Monaten einsetzen. Es gibt wenig geschützte Regionen im Land, überall haben die Menschen ihre Häuser an Hängen gebaut. Was wird noch alles wegrutschen?, fragen sich viele. Erdverschiebungen als Folge der Beben und beschädigte Hausstrukturen erhöhen das Risiko. Früher als gewohnt einsetzender Regen wäre verheerend. Schon die Zweimonatsfrist reicht nicht aus für die notdürftigsten Maßnahmen. Hunderttausende Menschen müssen sich darauf einrichten, für lange Zeit in Massenunterkünften oder unter primitivsten Bedingungen hausen zu müssen.

Für Silke Helfrich ist es verständlich, dass noch mehr Menschen als früher daran denken, das Land zu verlassen. „Viele Menschen wollen einfach nur raus, sie sehen keine Perspektive mehr in El Salvador.“ Um die dauernden Krisen und Katastrophen auch psychisch meistern zu können, meint sie, „ist ein schier unerschöpflicher Überlebensmut nötig“.

 

MITTELAMERIKA

Der lange Arm der „Migra“ – US-Agenten verhaften und deportieren schon in Mittelamerika

Von Paul Jeffrey

(Tegucigalpa, Februar 2001, na-Poonal).- Krushnakeint kauert eine weitere Nacht auf dem kalten Fußboden tausende Kilometer von seinem Heimatland Indien entfernt. Vier Monate schon teilt sich der Zwanzigjährige eine Zelle im alten Strafgefängnis in der honduranischen Hauptstadt Tegucigalpa mit drei anderen Hindus. Nebenan schlafen zwei schwermütige Chinesen. Eine Kommunikation mit ihnen gibt es wegen der Sprachunterschiede kaum. Was sie gemeinsam haben, ist der Traum von der Ankunft in den USA. Doch ihr Unterfangen ist bereits in Mittelamerika abrupt geendet.

Diese Männer sind zusammen mit tausenden Lateinamerikanern von einheimischen Einwanderungsfunktionären festgenommen worden, die von der nordamerikanischen Migrationsbehörde bezahlt sind. Eine kostensparende Maßnahme. Die Migranten schon in Honduras abzufangen – wo die Rechtsgarantien gering und die Aufmerksamkeit weniger groß ist – und sie von dort zu deportierten, kostet die als „Migra“ bekannte US-Behörde ein Drittel oder weniger der Summe, die sie bei einer Ausweisung aus den USA aufbringen müsste.

„Die Einsparung ist enorm“, versichert Jö Banda, Migra-Sonderagent der US-Botschaft in Tegucigalpa. Durchschnittlich kostet die Verhaftung und Deportation von Honduras aus pro Einwanderer nach seinen Angaben 3.000 Dollar. Migranten zu verhaften, ist das Ziel der Operation Unterbrechung (Operation Disrupt), einer Kampagne, die 1995 in Lateinamerika begann. Von Zeit zu Zeit begleiten Mitglieder der Migra Beschäftigte von einheimischen Einwanderungsbehörden an Grenzübergänge, Kontrollposten an den Straßen, zu einschlägigen Orten, Hotels und Flughäfen. Sie helfen, verdächtige Reisende zu identifizieren. Manchmal sind mehrere Länder gleichzeitig in eine solche Operation eingebunden. Die Migra zahlt die Überstunden und zusätzliche Ausrüstung für das Personal vor Ort. Ebenso übernimmt die US-Behörde die Verpflegungs- und Rückreisekosten für die Verhafteten.

Aber manchmal kommt das Geld verspätet. Wenn der honduranische Einwanderungsinspektor Antonio Martínez zum Gefängnis geht, bringt er auf spezielle Art gekochten Reis für die Hindus und für die Chinesen mit. Laut Martínez bezahlen er und seine Kollegen das Essen aus der eigenen Tasche. „Die US-Botschaft muss für das Essen der Migranten aufkommen, aber immer sind sie mit den Zahlungen im Rückstand“, beteuert der Inspektor.

Honduras ist zu einem neuralgischen Punkt bei dem Versuch geworden, den Einwandererstrom zu unterbrechen, seit das benachbarte Nicaragua Visa praktisch an jede Person vergibt, die in das Land kommt und die Gebühr bezahlen kann. Viele Afrikaner, Asiaten und Lateinamerikaner reisen legal nach Nicaragua ein – dann beginnt der Weg Richtung USA über Honduras, Guatemala und Mexiko. In Honduras sind in den vergangenen Monaten Menschen aus Ghana, Niger, Pakistan und Gambia verhaftet worden.

Im Juli letzten Jahres dehnte Nicaragua die formlose Visaerteilung auf Peruaner und Ecuadorianer aus. Seitdem finden sich nach Angaben der Einwanderungsfunktionäre vermehrt Angehörige dieser beiden Nationalitäten unter der Masse von Migranten, die über Mittelamerika in die USA einreisen wollen. Ein bei einer Razzia festgenommener Peruaner, der im vergangenen November nach zwei Wochen im Gefängnis in sein Heimatland zurückgeschickt wurde, berichtete über seinen Weg: Juan Manuel Cueva und seine Frau erhielten legale Visa in Nicaragua. Dann zahlten sie 50 Dollar pro Person an einen „Coyote“ (Menschenhändler), um an einer einsamen Stelle mit dem Pferd die Grenze nach Honduras zu überqueren. In der honduranischen Stadt Choluteca bestiegen sie einen Bus, der von Agenten der Einwanderungsbehörde registriert wurde. Sie hatten keine Aufenthaltserlaubnis und ihr Akzent verriet sie.

Laut Cueva wären seine Frau und er vor Hunger während der Haft in Choluteca gestorben, wenn eine Nonne sie nicht mit Lebensmitteln versorgt hätte. Menschenrechtsorganisationen haben errechnet, dass die honduranischen Autoritäten weniger als zwei US-Cents täglich für das Essen pro Häftling vorgesehen haben. Cueva wurde ins Strafgefängnis von Tegucigalpa verlegt. „Sie behandelten uns wie gewöhnliche Häftlinge, obwohl wir weder Diebe noch Drogenhändler noch Mörder sind. Wir Migranten schliefen nachts zusammen, aber mit offenen Augen“, erzählte er.

Die Migra hat die Operation Unterbrechung als eine Anstrengung bezeichnet, die Coyotes zu fangen, aber Beobachter meinen, dass die Mehrheit der Verhafteten einfache Migranten sind. Während der achten Razzia der Operation Unterbrechung nahmen Agenten der US-Migrationsbehörde und einheimische Funktionäre im Rahmen der Aktion Coyote 2000 etwa 3.500 Personen in Belize, Mexiko, Guatemala, El Salvador, Panama und Honduras fest. Doch nur 38 davon waren Menschenhändler.

Für Honduras nennt Jö Banda die Zahl von 317 verhafteten Migranten und fünf oder sechs Coyotes. In diesem Jahr seien die Kampagnen mehr auf die Festsetzung der Menschenhändler ausgerichtet, versichert er. Die Menschenrechtsanwältin Maureen Zamora sieht das anders. Die Operation Unterbrechung habe wenig mit den Coyotes zu tun, ist sie überzeugt. „Sie wurde entworfen, um die Migranten, die Richtung Norden gehen, zu stoppen, und für nichts anderes. Zamora koordiniert das Programm eines Menschenrechtszentrums für Flüchtlinge und Einwanderer. Ihren Informationen nach bezahlt die honduranische Polizei die Coyotes, damit diese die Migranten denunzieren. „Die Menschenhändler werden reicher und die Einwanderer kommen ins Gefängnis“, ist ihr Resumee. Die Razzien in Honduras und El Salvador haben viele gezwungen, eine gefährlichere Route in kleinen Booten entlang der Pazifikküste zu nehmen.

Die Hast, Personen festzunehmen und zu deportieren, führt nach Zamoras Erfahrungen zu Missbräuchen. Sie zitiert den Fall eines Kolumbianers, der von Nicaragua nach Honduras einreiste. Für Honduras hatte er kein Visum, wohl aber für Mexiko. Trotz seiner Proteste hielt die US-Botschaft seinen Pass zurück. Nach drei Wochen deportierte sie ihn nach Kolumbien, den Pass übergab die Botschaft erst nach sieben Wochen – an die honduranischen Behörden. „Wenn jemand ein Visa für ein den USA naheliegendes Land hat, nehmen sie (die US-Diplomaten) dieser Person die Dokumente weg und schicken sie in ihr Ursprungsland zurück“, sagt Zamora.

Die Migra mag sich noch so sehr anstrengen, die Migrationsstrom ist in den vergangenen Monaten angewachsen und erreicht die höchsten Zahlen seit Ende der 80er Jahre. Damals sorgen die Hyperinflation und die bewaffneten Konflikt für den Exodus hunderttausender Lateinamerikaner. Viele kommen aus dem Süden des Kontinents. Das US-Konsulat in Bogota vergibt bis zum März 2002 keine Termine mehr für Visa-Anträge. In Ecuador sollen laut Experten-Angaben in den letzten zwei Jahren etwa 500.000 Personen das Land verlassen haben – fast vier Prozent der Bevölkerung. In Mittelamerika ist der Strom der Wirtschaftsmigranten nach dem Hurrikan Mitch im Herbst 1998 drastisch angeschwollen. Migra-Agent Jö Banda geht davon aus, dass nach Mitch zwei- oder dreimal so viele Menschen über Honduras in die USA kommen wollen.

Solange sich die wirtschaftlichen Bedingungen in Lateinamerika nicht verbessern, werden sich weiterhin große Menschenmengen auf den Weg Richtung Norden machen. „Früher oder später werden wir in die USA kommen“, sagte Juan Manuel Cueva, als sie ihn aus dem Gefängnis holten, um ihn mit dem Flugzeug zurück nach Lima zu schicken. „In Peru haben wir keine Chancen, zu überleben.“

 

KOLUMBIEN

Präsident Bush bietet Unterstützung und Ausweitung des „Plan Colombia“ an

(Bogotá, 27.Februar 2001, pulsar-Poonal).- Die Präsidenten Kolumbiens und der USA, Andrés Pastrana und George W. Bush, bekräftigten ihre Entscheidung, den sogenannten „Plan Colombia“ voranzutreiben. Diese Erklärung wurde während Pastranas Besuch bei seinem Amtskollegen in Washington bekanntgegeben. Bush betonte die Verpflichtung der USA zur Unterstützung des „Plan Colombia“ mit dem Ziel, Drogenhandel und aufständische Gruppen, die sie als Narco-Guerrilla bezeichnen, zu bekämpfen.

Der US-amerikanische Präsident sagte, er werde den „Plan Colombia“ überprüfen um zu sehen, wie dieser ausgeweitet und was eingeschränkt werden könne. Dabei bestätigte er den Plan grundsätzlich. Er lehnte jegliche Beteiligung an Gesprächen ab, die im Zusammenhang mit dem Friedensprozess zwischen der kolumbianischen Regierung und den Aufständischen stehen. Bush sagte, das Friedensthema betreffe die Kolumbianer und ihre Regierung. Einige Stunden zuvor hatte eine Gruppe von 40 Intellektuellen aus verschiedenen Ländern einen „offenen Brief“ an die beiden Präsidenten geschickt. Darin forderten sie ein Konzept „konkreter Friedensinitiativen in Kolumbien“. Bei den Gesprächen der Präsidenten wurde der Brief jedoch offensichtlich nicht einmal thematisiert.

Die beiden Präsidenten sprachen auch über das „Abkommen über bevorzugten andinen Handel“ („Acta de Comercio Preferencial Andino“), ein legales Instrument zur Ausweitung des Handelsvertrages zwischen beiden Ländern.

 

GUYANA

Neue Gesetzgebung verbietet die Teilnahme von „amerikanischen Indigenas“ bei den Wahlen im März

(Georgetown, 19. Februar 2001, na-Poonal).- Mit einem neuen Gesetz ist die Präsidentschaftskandidatur des Vorsitzenden der von Teilen der indigenen Bevölkerung gegründeten Partei „Aktion für Guyana“ (GAP), Paul Hardy, für die anstehenden allgemeinen Wahlen am 19. März verboten worden. Das Gesetz reduziert außerdem die Anzahl der Parlamentssitze aus den mehrheitlich von Indigenen bewohnten Regionen.

Die indigene Bevölkerung liegt bei sieben Prozent der 750.000 Einwohner Guyanas. Die Politik ist bisher allerdings zum einen traditionell von der regierenden progressiven Volkspartei (PPP) dominiert worden, die von den aus Indien stammenden guayanischen Bevölkerungsgruppen unterstützt wird, die die Hälfte der Bevölkerung stellen. Zum anderen spielte der „National Kongress des Volkes“ (PNC), die den Rückhalt der so genannten afroguyanischen Bevölkerung (38 Prozent der Bevölkerung) eine wichtige Rolle.

Die Stimmen der indigenen Bevölkerung verteilten sich bisher auf die beiden großen Parteien sowie auf zwei weitere kleinere Organisationen aus der Hauptstadt Georgetown. Jede dieser beiden kleineren Parteien hat einen Vertreter in der Nationalversammlung, die insgesamt 65 Sitze hat.

Vor zwei Monaten gründete Paul Hardy – der in der von den so genannten amerikanischen Indigenas bewohnten Region Rupununi als Sohn einer Wapishana und eines Iren geboren – an, die GAP, die aus einem zehnköpfigen Exekutivkomitee besteht. Diesem Komitee gehören Vertreter der indigenen Sprachgemeinschaften Wapishana, Arawak, Macushi und Patamona an.

Das Gründungsmanifest der GAP stellt fest, das die Politik in Guyana „auf einer rassistischen Grundlage von den zwei großen Parteien dominiert ist, deren einziges Interesse es ist, um die Macht zu kämpfen, die Macht zu gewinnen und sie um jeden Preis zu behalten, zum Schaden des Volkes und des Landes. „Die GAP ruft die Guayaner dazu auf, „die ethnische Lüge zu zerreißen“ und die GAP als Alternative zu wählen.

Die Partei fordert außerdem „sofort das brennende Thema der historischen Landrechte der amerikanisch-indianischen Guyaner zu behandeln.“ Die Wald- und Mineralienvorkommen sowie andere natürliche Ressourcen seien „mit Respekt und Liebe“ und zugunsten der gesamten Bevölkerung Guyanas zu verwenden.

Seit ihrer Gründung hat die GAP zahlreiche Indigenas zu verschiedenen politischen Kundgebungen in der Region Rupununi mobilisiert: zahlreiche Autoritäten und Funktionäre der Gemeinden in Rupununi haben sich der Partei angeschlossen.

Umfragen haben ergeben, dass die Mehrheit der indigenen Bevölkerung für die GAP votieren würde. Ein Editorial der einflussreichen unabhängigen Tageszeitung Stabroek News gab an, dass die GAP eine entscheidende Anzahl an Sitzen im Nationalkongresss erringen könnte. Danach wäre es für keine der großen Parteien mehr möglich, eine absolute Mehrheit zu gewinnen und der GAP fiele eine Schlüsselrolle für die Regierungsneubildung zu.

Die großen Parteien reagierten prompt. Eine Verfassungsänderung, die von allen Parteien befürwortet wurde, besagt nun, dass alle Präsidentschaftskandidaten in Guyana gebürtig sein müssen, und – darin besteht die Neuerung – mindestens sieben Jahre, bevor sie sich zur Wahl stellen, im Land gelebt haben müssen. Der Vorsitzende der GAP, Hardy, lebte in der brasilianischen Stadt Boa Vista, lediglich an der Grenze zu Guyana.

„Dies ist ein Versuch, die Indigenas aus dem politischen Leben Guyanas fern zu halten „, beklagt Ian Melville, Vertreter des Exekutivkomitees der GAP. Er fügte hinzu, dass die Reform außerdem kontraproduktiv sein könnte, weil sie Unzufriedenheit und Beunruhigung der Guayaner, die im Ausland leben, hervorbringen könnte. Diese könnten sich fragen, ob ihre Rechte noch respektiert werden, wenn sie in ihr Geburtsland zurück kehren. Melville bestätigte, dass Hardy weiter Vorsitzender der GAP bleiben wird. Allerdings plane die neugegründete Partei, einen neuen Präsidentschaftskandidaten aufzustellen.

Die Verfassungsreform betrifft auch Joey Jagan, den Sohn des ehemaligen Präsidenten Cheddi Jagan (1953-64/1992-97). Jagan Junior legte sein Amt als Parlamentarier nieder und trat aus der PPP aus, um seine eigene Partei zu gründen. Jagan lebt in New York. Er klagt ein, dass man es ihm nicht verbieten könne als Kandidat für das Parlament an den Wahlen teilzunehmen, weil er zwei Jahre lang Parlamentarier gewesen sei und seit 1993 eine ständige Adresse in Guyana hat.

Ein weiterer Schlag gegen die Möglichkeit der Indigenas auf einen Sitz im Parlament, war ein Schachzug der regierenden PPP, um die Opposition zu schwächen. Die PPP-Mehrheit im Nationalkongress hat ein Gesetz verabschiedet, das die Anzahl der Parlamentssitze in den Regionen Rapununi und Pakaraima von zwei auf einen Sitz für jede Region reduzierte, was die möglichen Auswirkungen der indigenen Stimmen reduziert, auch wenn die Mehrheit der Indigenas für die GAP votieren würde. Nach Einschätzungen von Beobachtern könnte es die Frustration vieler Wähler*innen an der Küste, die der konfrontierenden Politik der beiden großen Parteien müde sind, der GAP ermöglichen, Wählerunterstützung auch anderer ethnischer Gruppen zu erhalten.

Tatsächlich prophezeit Stabroek News, dass wenn die GAP „als mögliche Wahloption gesehen wird, sie auch größere Unterstützung von unentschiedenen Wählern erhalten könnte, die das Zweiparteiensystem zerreißen möchten, das einen Fortschritt seit langer Zeit verhindert.“

 

PERU

Korrupter Abgeordneter bei Rückkehr ins Land verhaftet

(Lima, 26. Februar 2001, pulsar-Poonal).- Diesen Montag (26.2.)kehrte der ehemalige Kongressabgeordnete Alberto Kouri nach Peru zurück und wurde auf einen Gerichtsbeschluss hin sofort verhaftet. Kouri war vom militärischen Geheimdienst dabei gefilmt worden, als er von dem nunmehr flüchtigen Vladimiro Montesinos Geld entgegennahm.

Kouri erklärte in Miami gegenüber einem US-amerikanischen Fernsehsender, dass er sich von dem Geruch der Macht habe verleiten lassen. Er sagte, dass er die Macht Fujimoris als ein großes Schiff gesehen habe, aber viel zu spät erst bemerkt habe, dass es sich um die Titanic handelte.

Kouri, der aus den Reihen der Opposition zur Regierung gekommen war, hatte Peru direkt nach dem Bekanntwerden des sogenannten ‚Vladivideos’ verlassen. Seine Rückkehr nach Peru könnte auf eine politische Abmachung hindeuten.

 

BRASILIEN

Abstimmung über das Freihandelsabkommen

Von Emir Sader

(Rio de Janeiro, Februar 2001, alai-Poonal).- Die brasilianische Regierung glaubte – aus Naivität, Inkompetenz oder aus bösem Willen – uneingeschränkt an die Marktgesetze, den wirtschaftlichen Liberalismus und an die Unparteilichkeit der internationalen Organisationen. Sie nahm an, die Welthandelsorganisation (WTO) würde als oberste Schiedsinstanz gegen jegliche Art von Protektionismus vorgehen. So wurde die Regierung in Brasilia zur treuesten Verfechterin der Deregulierung und des Neoliberalismus – wie ein Neureicher, der zu spät zum Festmahl kommt und mehr als die anderen das vorgesetzte Menu lobt.

Jetzt wird die Rechnung präsentiert: Brasilien erleidet drastische und ungerechte Sanktionen in allen derzeitigen internationalen Handelskonflikten, an denen es beteiligt ist. Das war wohl dazu nötig, die Regierung die offensichtliche Lektion der Dependenztheorie lernen zu lassen.

Fraglos sind die internationalen Beziehungen – insbesondere die Handelsbeziehungen – ein Bereich, in dem Mächte miteinander streiten, und diese Auseinandersetzungen werden im Kontext der internationalen Rezession an Heftigkeit zunehmen. Diese elementare Wahrheit – die in Lateinamerika seit der Texten von Raul Prebish und der Kritik der CEPAL an den Theorien des internationalen Handels bekannt sind – hatte die brasilianische Regierung nicht wahrhaben wollen.

Kurz vor seinem Rücktritt hatte der frühere Außenminister Luis Felipe Lampreira zugegeben, erkannt zu haben, dass sich die unterentwickelten Länder auf dem internationalen Markt schützen müssen, um konkurrieren zu können. Eine wichtige Erkenntnis, die auch in Büchern nach zu lesen ist und die eines der großen wirtschaftssozialen Phänomene des vergangenen Jahrhunderts hervorrief: die Industrialisierung der Länder in der kapitalistischen Peripherie, unter anderem Brasiliens.

Die offizielle Ideologie der Regierung bleibt, – ungeachtet aller Widersprüche – der fundamentalistische Marktliberalismus. So erklärten manche, die brasilianische Industrialisierung sei eine Verirrung, weil sie die heiligen Regeln des Marktes verletzt habe. Von ihnen wird die Wechselkurspolitik als Grund für die derzeitige wirtschaftliche Entwicklung gesehen. Dieser althergebrachten Vision zufolge hätte Brasilien ein Exporteur von Primärgütern bleiben sollen – ein Zustand, dem sich das Land heute wieder annähert, denn im Exportgeschäft nehmen Kaffee und Soja die Führungsposition ein, nachdem die entwicklungsfördernde monetäre Politik aufgegeben wurde.

Die drei Mega-Märkte, die die Macht auf der Welt untereinander aufteilen – alle in der nördlichen Hemisphäre -, konnten ihre Integration nur erreichen, indem sie die Gesetze des Liberalismus verletzten und ihre Beziehungen reglementierten. Sie unterstützten sich gegenseitig, brachen mit dem Freihandel – alles Maßnahmen, ohne die weder die Europäische Union, das Nordamerikanische Freihandelsabkommen noch die südostasiatische Integration möglich gewesen wären. Der Mersocur, soweit er bislang entwickelt ist, hat den regionalen Handel bevorzugt, gleichfalls ohne sich an die Normen des Freihandels zu halten.

Um sich jedoch zu integrieren, hat das ausgeglichenste Modell – das europäische – im Bewusstsein der Dimension der internationalen Integration die Bewohner des Kontinents in die Entscheidung über die europäische Einigung durch Volksbefragungen mit einbezogen. Im Fall Amerikas ist diese Frage noch brisanter, da es sich um extrem ungleiche Ökonomien handelt, zumal die USA rund 70 Prozent der Wirtschaftskraft des Kontinents ausmachen. Die Dominanz, die die USA in einer Gesamt-Amerikanischen Freihandelszone (Alca) hätte, verdeutlicht die Vormachtstellung, die sie bereits in der Nordamerikanischen Freihandelszone (Nafta) einnimmt: Mexiko wickelt 90 Prozent seines Außenhandels mit den USA ab, aber nur 4 Prozent mit Kanada.

Der Vorschlag einer Amerikanischen Freihandelszone bedeutet die Festigung und Formalisierung der nordamerikanischen Hegemonie auf dem Kontinent, eine Art Erneuerung der Monroe-Doktrin. Jegliche Form auch nur minimaler Gleichheit für Lateinamerika würde zuerst eine lateinamerikanische Integration voraus setzen, um eine Kraft zu entwickeln, die kollektive Verhandlungen mit den USA wie auch den anderen Mega-Märkten möglich macht. Ebenfalls wäre eine politische Allianz mit anderen wichtigen Ländern wie China, Indien, Südafrika, Iran und anderen notwendig.

Da das Schicksal Brasiliens und der anderen Länder des Kontinents vor der Form eine Einbindung in den internationalen Markt abhängt, muss jegliche Entscheidung in diesem Kontext den Bewohnern der jeweiligen Länder zur Abstimmung vorgelegt werden. Die Regierungen dürfen Entscheidungen mit solch großem Wirkungsgrad nur nach Volksabstimmungen treffen, wobei auch Alternativen existieren müssen. Und die Parlamente sollten die Gesetze in diesem Sinne verabschieden. Wenn nicht, wären kontinentweite Aufrufe für einen bestimmten Tag, zum Beispiel den 12. Oktober möglich, so wie es Brasilien mit dem Plebiszit zur Auslandsschuld getan hat.

Dies ist eine der vielen Initiativen des Weltsozialforums in Porto Alegre. Es wird viele Proteste bei dem Ministertreffen der Alca-Staaten am 7. und 8. April in Buenos Aires geben, das schon jetzt als das „Seattle des Südens“ bezeichnet wird. Neben den Protesten sollen Alternativen für die lateinamerikanische Integration entwickelt werden und das Projekt von Volksbefragungen über das Wie der Integration vorangetrieben werden.

 

URUGUAY

Folterarzt besteht auf seiner Unschuld

(Montevideo, 26. Februar 2001, comcosur-Poonal).- Der Arzt Juan Antonio Riva, der angeklagt ist, während der Diktatur Foltersitzungen an politischen Gefangenen beim „Bataillon der Ingenieure 2 Florida“ beigewohnt zu haben, widersetzte sich in dem Verfahren vor dem Tribunal der Medizinischen Ethik des Ärztlichen Zusammenschlusses (FEMI) einer Verurteilung. Riva argumentierte, dass er bereits „zweimal“, 1989 und 1999 „wegen der gleichen Tatsachen, die am gleichen Ort und zur selben Zeit geschahen“ angeklagt war und beide Verfahren mit Freispruch geendet hatten.

Der ehemalige Diktatur-Kollaborateur besteht darauf, dass dieses dritte Verfahren, dem er unterzogen wird, von einer „hässliche Kampagne“ begleitet wird, die er als „moralische Lynchjustiz“ bezeichnete. Sein Rechtsanwalt, Carlos Curbelo Tammaro, erklärte, dass er die Verteidigung Rivas „in der absoluten Überzeugung der Unschuld“ seines Mandanten übernommen habe. Der Anwalt begründete seine Überzeugung damit, dass der Arzt bereits vor Gericht gewesen und freigesprochen worden sei. Damals seien keinerlei Beweise gegen seinen Mandanten gefunden worden. Er gehe davon aus, dass die neue „verspätete und unzeitgemäße“ Anzeige Ziele verfolge, die mit dem Berufsumfeld seines Mandanten zu tun hätten.

Zwei Ärzte und acht ehemalige politische Gefangene sagten vor Gericht aus. Nach ihren Zeugnissen kam Riva seinen ethnischen Verpflichtungen als Arzt in keiner Weise nach. „Wir würden die Gesellschaft und unsere Familien, besonders unsere Kinder, hintergehen, wenn wir weiter zu dem Angriff auf die Menschenwürde und dem Mißbrauch des Arztberufs, den er beging, schweigen würden“ erklärten die Zeugen. Sie drückten außerdem den Wunsch aus, dass die Öffentlichkeit die Wahrheit erfahren sollte.

Das FEMI und die Gewerkschaft der Arzte in Uruguay sind zwei der wenigen Organisationen, die nach der Diktatur Kollaborateure wegen Menschenrechtsverletzungen ausschlossen. Bei allen Fällen wurden die Entscheidungen nach ausgedehnten Analysen in Ethik-Kommissionen in den höchsten Gremien getroffen. Dabei wurden Zeugenaussagen hinzugezogen und den in Frage gestellten Kollegen Gelegenheit gegeben, entlastendes Material beizubringen.

 

ARGENTINIEN

Serie zu Gefängnissen Teil 5: DarViCo – Auf gute Nachbarschaft

In einer der ärmsten Gegenden in den Außenbezirken von Buenos Aires arbeiten die Einwohner seit einiger Zeit daran, die Lebensbedingungen der Gemeindemitglieder zu verbessern und Häftlingen die Rückkehr in die Gesellschaft zu erleichtern.

Das Viertel „Villa Golf“ der Wohnsiedlung „La Unión“ befindet sich in der Nähe des größten internationalen Flughafens des Landes und nur knapp 700 m vom Golfplatz „Villa Golf“ entfernt – zwei der begehrtesten Knotenpunkte des sogenannten Großballungsraums Buenos Aires. Es liegt inmitten luxuriöser Wochenendhäuser, die von privaten Sicherheitsdiensten schwer bewacht werden. In „Villa Golf“ leben lediglich 4000 Menschen, von denen fast 60 Prozent arbeitslos sind, eine der höchsten Quoten der Außenbezirke Buenos Aires' und ganz Argentiniens.

30 Kilometer von Buenos Aires und nur drei Kilometer von dem Viertel entfernt liegt Ezeiza, ein Hochsicherheitsgefängnis, in dem einige Schwerverbrecher (wegen Mord, bewaffnetem Raubüberfall und Vergewaltigung angeklagt), nach bis zu 20-jähriger Haft bei guter Führung kurz vor ihrer Entlassung stehen. Im Gefängnis stehen den Inhaftierten Werkstätten und ein kleiner landwirtschaftlicher Betrieb zur Verfügung. Außerdem haben sie alle zwei Wochen die Möglichkeit des Freigangs in Begleitung von Familienangehörigen, die für sie bürgen.

Das Stadtviertelprojekt „Dar Vida a la Comunidad“ (DarViCo), was soviel wie „Der Gemeinschaft Leben geben“ bedeutet, betreut 150 Kinder aus Familien ohne festes Einkommen. Von 100 Vätern haben lediglich 15 Arbeit. Die Mehrheit verfügt nur über die 180 US$, die ihnen sechs Monate lang durch die staatliche Unterstützung „Planes Trabajar“ ausgezahlt werden, – ein Versuch, der sozialen Notlage entgegenzuwirken.

„Wir kümmern uns nicht nur um Kinder im Alter zwischen drei und achtzehn Jahren der sogenannten „besonders gefährdeten Bevölkerungsgruppe“, sondern erstmals auch um eine Gruppe von Häftlingen, die in wenigen Monaten entlassen werden und im Gefängnis nicht auf ein Leben in Freiheit vorbereitet wurden“, sagte die Pädagogin Mariel Tamborini, die 1993 zusammen mit Einwohnern das Projekt DarViCo gründete.

Die erste Aktion des Projekts bestand im Aufbau einer Fußballmannschaft für die Jungen des Viertels. Die Idee, die Häftlinge um ihre Mithilfe zu bitten, entstand, als DarViCo beschloss, einen Sportplatz zu bauen. Zwanzig Häftlinge arbeiteten seitdem Hand in Hand mit dem Projekt und haben ein Gemeindezentrum, eine Volksküche und einen Sportplatz errichtet. Der Bau des einfachen Sportgeländes wurde durch Materialspenden der Einwohner und Geldspenden von kleinen Ladenbesitzern ermöglicht. Weder der Golfclub noch die reichen Nachbarn ermutigten die Projektteilnehmer in irgendeiner Form oder steuerten auch nur einen einzigen Pfennig bei. „Alles kam von den Eltern der Kinder, Gelegenheitsarbeiter, die zwei- bis dreimal in der Woche arbeiten und keine 200 US$ im Monat zusammenbringen, um ihre meist zahlreichen Familien zu ernähren“, sagte Andrés Díaz, der die Stadtteilzeitung „La Palabra“ (zu Deutsch: „Das Wort“) ins Leben gerufen hat.

„Alles, was man hier sieht, haben die Häftlinge geschaffen. Es war fantastisch. Als wir im Mai das Sportgelände eingeweiht haben, kam das ganze Viertel, sogar die Erwachsenen, die nichts mit DarViCo zu tun haben“, berichtete Ángel Soria, einer der Väter, die dieses Pilotprojekt ins Rollen brachten.

„In den Monaten, in denen wir gearbeitet haben, habe ich mich wirklich gut gefühlt, von allen geliebt, besonders von den Kindern. Zum ersten Mal wurde mir klar, wie wichtig es ist, Kindern etwas zu geben; etwas aus meinem Innersten, was ich noch nie hatte geben können“, erklärt Luis, einer der Häftlinge, der wochentags von 9-13 Uhr unter strenger Bewachung am Bau beteiligt war, gegenüber der Zeitung „La Palabra“. „Die anderen gaben mir, der ich es nicht bin, das Gefühl, ein wirklich guter Mensch zu sein. Sie haben mir gezeigt, dass ich, wenn ich wieder frei bin, stolz und ohne Hemmungen leben kann“.

Seit Mai sind zwei der zwanzig Gefangenen frei. Sie haben nie eine Gelegenheitsarbeit, geschweige denn eine feste Stelle gefunden. Ebensowenig hat ihnen die Regierung die Hilfeleistung der Sozialmaßnahme „Planes Trabajar“ zukommen lassen. Einer von beiden ist in seiner Auswegslosigkeit erneut straffällig geworden. Der andere, der sich alle zwei Wochen im Gefängnis melden mußte, ist verschwunden. Aufgrund der Änderungen, die die Regierung Anfang Oktober wegen eines angeblichen Bestechungsvorfalls im Senat erlassen hat und in Folge dessen die Gefängnisleitung ihres Amtes enthoben wurde, droht das Pilotprojekt nun zu scheitern. Die neuen Behörden stehen dem Projekt mit äußerster Skepsis gegenüber.

„Wir befinden uns in einer kritischen Situation. Die Gefangenen waren durch ihre uneigennützige Arbeit völlig akzeptiert worden, und jetzt, da sie sich endlich von der Gesellschaft anerkannt fühlen, müssen sie miterleben, wie die ganze Mühe der Bewohner, die ihnen vertraut hatten und ihnen die Türen zu einer Welt geöffnet hatten, welche sie normalerweise wegen ihrer kriminellen Vergangenheit ablehnt, von einem Moment auf den anderen zunichte gemacht werden kann“, sagte Tamborini.

Als die Landesregierung Buenos Aires im vergangenen Jahr beschloss, in einem Bundesland, das zum damaligen Zeitpunkt schon an die 12.500 Häftlinge zählte, neun weitere Gefängnisse zu bauen, ging sie von Protesten seitens der Bevölkerung der betreffenden Gebiete aus. So kam es recht überraschend, als sich fast augenblicklich 26 Städte bewarben, allerdings mit der Forderung, Volksabstimmungen abzuhalten, bevor der offizielle Antrag einzureichen sei. Die erste Volksbefragung fand am 14. Mai und die letzte am 24. September 2000 statt. Nur in einer Stadt wurde der Antrag zurückgewiesen, in den übrigen 25 stimmten mehr als 75 Prozent aller Befragten mit Ja. „Das ist verständlich, denn die Gefängnisse schaffen hunderte von Arbeitsplätzen und führen so zu einem erneuten wirtschaftlichen Aufschwung“, sagte der Gouverneut des Bundesstaates, Carlos Ruckauf.

Im Juli 1998 hatte man die Ortschaft General Alvear, im Westen Argentiniens, als Sitz eines neuen Gefängnisses gewählt, dessen Konstruktion 21 Monate und 65 Millioneno US$ erforderte. Und tatsächlich kurbelte das Gefängnis die Wirtschaft General Alvears an, einerseits durch die erforderlichen Bauten, andererseits durch die Schaffung 150 neuer Arbeitsplätze.

In den Städten Mercedes, Dolores, Magdalena, Campana, General Lamadrid, General Saavedra, Marcos Paz, González Catán y Pergamino sollen bis 2003 die neuen Gefängnisse errichtet werden, für die insgesamt ein Betrag von 300 Mio US$ vorgesehen ist. (Übersetzung: Margarita Ruby, Kristina Vesper)

 

 

 

 

   

  Über uns   Quienes somos

 

Sobre nós  About us  

Sur nous 

CC BY-SA 4.0 Poonal Nr. 469 von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert