Poonal Nr. 446

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 446 vom 02. September 2000

Inhalt


 

MEXIKO

PANAMA

HONDURAS

KOLUMBIEN

SÜDAMERIKA

CHILE

ECUADOR

PERU

BRASILIEN


 

INHALT:

MEXIKO – Veto gegen umstrittenes Abtreibungsgesetz

PANAMA – Verdacht auf geheimen Friedhof

HONDURAS – Haftbefehl gegen Mitglied von Militärjunta

KOLUMBIEN – Clinton-Besuch löst heftige Proteste aus

SÜDAMERIKA – Staatschefs diskutieren Integration

CHILE – Kupferregen für die Militärs

ECUADOR – Heißer Herbst

PERU – Urteil gegen US-Bürgerin annulliert

BRASILIEN – Mode imitiert die Ausgeschlossenen – Die Rolle Brasiliens im „Plan-Condor“

 

MEXIKO

(Mexiko-Stadt, 30. August 2000, pulsar-Poonal).- Der Gouverneur des Bundesstaates Guanajuato, Ramón Martín Huerta, hat mit seinem Veto die Umsetzung einer Gesetzesreform verhindert, die Abtreibungen unterschiedlos kriminalisierte. Nach den Vorstellungen seiner Parteigenossen von der konservativen Partei der Nationalen Aktion (PAN) sollten selbst vergewaltigte Frauen, die eine Abtreibung vornehmen, mit Haftstrafen rechnen müssen. Die Reform hatte landesweit Proteste ausgelöst. Auch der am 2. Juli als PAN-Kandidat gewählte Präsident Vicente Fox und die Parteiführung auf Bundesebene sprach sich gegen die Gesetzesinitiative aus, auch wenn Kritiker dabei weniger die Überzeugung als Imagegründe im Spiel sahen. Gouverneur Huerta begründete sein Veto mit der Umfrage, nach der sich eine Mehrheit gegen ein verschärftes Abtreibungsrecht aussprach.

 

PANAMA

(Panama-Stadt, 30. August 2000, pulsar-Poonal).- Vor einem Jahr wurden auf dem Gelände der ehemaligen Kaserne Tocumen am Rande der Hauptstadt die Überreste des Volksaktivisten Heliodoro Portugal gefunden. Er galt seit 30 Jahren als verschwunden. Jetzt vermutet die panamaische Staatsanwaltschaft, es könnte sich ein geheimer Friedhof auf dem Areal befinden. Die Leiche von Portugal war in gewisser Weise ein Zufallsfund. Damals war auf Bitten der katholischen Kirche vergeblich nach dem kolumbianischen Priester Gallego gesucht worden, der die Rechte der Campesinos verteidigt hatte und 1971 verschwand. Doch die Ermittlungen lösten dutzender weiterer Anzeigen über die Fälle von verschwundenen Personen aus, die in den 70er Jahren in Opposition zum Militärregime standen. Vieles deutet darauf hin, dass die Kaserne von Tocumen ein Folterzentrum verbarg. Oberstaatsanwalt Juan Antonio Tejada erklärte, seine Behörde sei immer daran interessiert gewesen, die Verschwundenen aufzufinden, doch bisher habe es an den dazu notwendigen Mitteln gefehlt. Es bestehe jedoch die Möglichkeit, Spezialgerät einzusetzen, mit dem Überreste von vergrabenen Leichen gefunden ohne Ausgrabungen entdeckt werden könnten.

 

HONDURAS

(Tegucigalpa, 30. August 2000, pulsar-Poonal).- Die Sonderstaatsanwältin für Menschenrechte, Aída Romero, hat bei Gericht einen Haftbefehl gegen Oberst Amílcar Zelaya wegen systematischer Verletzung der Rechte von Oppositionellen beantragt. Zelaya war Mitglied der Militärjunta, die das Land von 1978 bis 1980 regierte. Zwei Jahre später wurden sechs von der Polizei verhaftete Universitätsstudenten auf einem Landgut des Oberst verhört, gefoltert und ermordet. Zelaya blieb bis 1990 in der Armee und sieht sich wegen des Falles seit 1995 einem Gerichtsverfahren gegenüber. Ein Haftbefehl war aber bisher nie gegen ihn ausgesprochen worden. Es wird vermutet, dass der Militär viel mit dem Verschwindenlassen von insgesamt 186 Zivilisten in den 80er Jahren zu tun hatte. Sie sind inzwischen von der Regierung offiziell als Diktaturopfer anerkannt worden. Wenn Zelaya vor Gericht für schuldig befunden würde, erwartete ihn eine Haftstrafe zwischen acht und zwölf Jahren.

 

KOLUMBIEN

Von Roberto Sepulveda

(Bogota, 31. August 2000, npl).- Der Besuch von US-Präsident Bill Clinton in Kolumbien hat heftige Proteste und widersprüchliche Reaktionen ausgelöst. Clinton selbst bezeichnete sich während seines ersten Aufenthalts in dem südamerikanischen Land als „treuer Freund und guter Nachbar“, während Gewerkschaften, Menschenrechtsgruppen und die Guerilla dem hohen Gast vorwarfen, den langjährigen Bürgerkrieg mittels Militärhilfe anzuheizen. Wichtigster Streitpunkt ist die US-Unterstützung für den „Plan Colombia“, der laut Präsident Andres Pastrana der Bekämpfung des Drogenhandels dient. Regierung und Unternehmerverbände in Kolumbien bezeichneten den Staatsbesuch am Mittwoch als historisch. Der konservative Präsident Pastrana betonte, Clintons Anwesenheit sei eine Rückendeckung für den Friedensprozess, die keineswegs als Einmischung in die inneren Angelegenheiten verstanden werden könne. „Ich wiederhole, dass es während meiner Amtszeit zu keiner Präsenz ausländischer Militärs in Kolumbien kommen wird,“ erklärte Pastrana mit Blick auf die Kritiker, die den „Plan Colombia“ und das militärische Interesse der USA in der Region als Schritt zur „Vietnamisierung“ Kolumbiens sehen. Der umstrittene „Plan Colombia“ der Pastrana-Regierung umfasst insgesamt 7,5 Milliarden Dollar. Damit sollen Armee und Polizei modernisiert werden, um effektiv gegen den Anbau von Drogen und den Handel damit vorgehen zu können. Hinzu kommen einige soziale Programme und Ausgaben zur Stärkung der Menschenrechte. Die USA beteiligen sich mit 1,3 Milliarden Dollar an dem Plan, von denen rund zwei Drittel auf den Militärsektor entfallen. Es ist diese militärische Komponente, die die Kritiker auf die Barrikaden bringt. Der labile Friedensprozess, den Pastrana nach seinem Amtsantritt vor zwei Jahren neu belebte, kommt nur langsam voran, immer wieder werden die Verhandlungen zwischen Regierung und Guerilla ausgesetzt. Inzwischen kontrolliert die Guerilla weite Teile des Landes und ist so gut organisiert, dass sie militärisch kaum zu besiegen ist. Unter anderem werden die USA eine ganze Hubschrauber-Flotte an Kolumbien liefern, die zur Entlaubung von Drogenplantagen eingesetzt werden soll. Menschenrechtsgruppen sehen darin lediglich eine Stärkung der Armee im Anti-Guerilla-Kampf, womit der Bürgerkrieg intensiviert und verlängert wird. Zudem beklagen sie, dass viel zu wenig Maßnahmen zur Wahrung der Menschenrechte vorgesehen sind. Dies betrifft insbesondere die Aktivitäten der Paramilitärs, die immer wieder – oftmals mit Duldung oder Unterstützung der offiziellen Armee – Massaker an Zivilisten begehen, denen sie Sympathie mit der Guerilla vorwerfen. Unverhohlen bezeichnen Guerillasprecher den „Plan Colombia“ als „schleichende US-Intervention in Kolumbien“. Im Vorfeld des Clinton-Besuchs verübten Guerilla-Einheiten rund 50 Anschläge, darunter Angriffe auf mehrere Bankfilialen und eine Autobahn, wobei insgesamt sechs Polizisten und vier Zivilisten ums Leben kamen. Überraschend war jedoch der breite Protest, den der Staatsgast aus dem Norden auslöste: Schon am Vortag besetzten Studenten das Anden-Parlament in der Hauptstadt Bogota und verließen es erst, als Clinton nach zehn Stunden Aufenthalt das Land wieder verließ. In mehreren Städten protestierten vor allem Studenten auf Demonstrationen gegen die Präsenz Clintons, wobei US-Fahnen verbrannt wurden und regelrechte Kämpfe mit der Polizei ausgefochten wurden. In Bogota starb ein Polizist, nachdem Sprengkörper aus dem Universitätsgebäude geworfen wurden. Die Präsidentin den Lehrer-Vereinigung FECODE, Ines Ramirez, rechtfertigte die Proteste: Clintons Besuch sei eine „direkte Intervention der USA, um den Friedensprozess und damit die Interessen der Kolumbianer zu torpedieren“.

 

SÜDAMERIKA

(Brasilia, 1. September 2000, pulsar-Poonal).- Die zwölf Präsidenten Südamerikas sprachen in der brasilianischen Hauptstadt zwei Tage lang über die Integration der Region und verschiedene wirtschaftliche und politische Probleme. Ausgeschlossen von der Agenda blieben die Lage in Kolumbien und die spezielle Diskussion um den Plan Colombia.

 

CHILE

(Santiago, 29. August 2000, pulsar-Poonal).- Die chilenische Regierung wird den Streitkräften des Landes mehr Geld als ursprünglich vorgesehen zuweisen. Grund sind die gestiegenen internationalen Kupferpreise. Nach dem Gesetz müssen zehn Prozent der Erlöse aus den chilenischen Kupferexporten Heer, Luftwaffe und Marine zugute kommen. Jeden Armeezweig erhält dieses Jahr etwa 100 Millionen Dollar. Der gestiegene Kupferpreis führt indirekt zur Aufrüstung. Die chilenische Luftwaffe komplettiert mit der Budgeterhöhung die Summe für den Kauf von zwölf Jagdbombern. Die Marine hat den Bau von Fregatten im Auge, muss aber vorerst die Schulden für zwei U-Boote abbezahlen.

 

ECUADOR

(Quito, 29. August 2000, pulsar-Poonal).- Der Indigena-Dachverband CONAIE hat für den 4. September zur Rebellion gegen die Wirtschaftspolitik der Regierung von Präsident Gustavo Noboa aufgerufen. Die Indigenas erklären, sieben Monate auf einen Dialog gewartet zu haben, der nicht funktioniere. Man könne nicht Gesetze verabschieden und danach reden wollen, kritisierte CONAIE-Vorsitzender Antonio Vargas.

 

PERU

(Lima, 29. August 2000, pulsar-Poonal).- Die peruanische Militärjustiz hat überraschend die lebenslange Haftstrafe für die US-Bürgerin Lori Berenson aufgehoben. Berenson soll die Chance auf ein Verfahren vor einem zivilen Gericht bekommen. Die Nordamerikanerin war 1992 zusammen mit Führern der Guerillabewegung Tupac Amaru festgenommen worden. Sie gestand ihre Mitgliedschaft in der Organisation, doch konnte ihr keine Beteiligung an Terroranschlägen nachgewiesen werden. Dennoch lautete das Urteil auf Terrorismus unnd „Vaterlandsverrat“ und damit lebenslange Haft. Die US-Regierung und zivile Organisationen hatten sich mehrfach über die Art des Verfahrens beschwert. Mit der Entscheidung im Fall Berenson steigen die Chancen für vier in Peru wegen Terrorismus zu lebenslanger Haft verurteilte Chilenen auf eine Neuaufnahme ihres Verfahrens vor zivilen Gerichten. Im vergangenen Jahr hatte der Interamerikanische Menschenrechtsgerichtshof genau dies empfohlen, war jedoch auf eine vollständige Ablehnung bei der Regierung des Andenlandes gestoßen. Es wird aber schwierig für sie sein, offen zweierlei Maß anzulegen. Allerdings dürften es vor allem Opportunitätsüberlegungen gewesen sein, die den Meinungswandel der Regierung bewirkten. Die Verwicklung von Militärs im Ruhestand in Waffenschmuggel an die Guerilla nach Kolumbien und die internationale Isolierung aufgrund der Unregelmäßigkeiten bei den Präsidentschaftswahlen haben Alberto Fujimori unter Druck gesetzt.

 

BRASILIEN

(Sao Paulo, 30. August 2000, alc-Poonal).- Die Marginalisierten inspirieren die aktuelle Mode und die Modezaren bringen Kollektionen auf den Markt, die sich an der Kleidung der Bettler inspirieren, schreibt die Journalistin Leusa Araujo in der jüngsten Ausgabe der Zeitschrift „Sem Terra“. Als konkretes Beispiel nennt sie die bekannte Marke M. Officer, die in Sao Paulo, die „Mode der Ausgeschlossenen“ ankündigte. Der Designer Carlos Miele präsentierte seine Kreationen unter dem Titel „Fluchtkleidung“ aus kugel- und feuersicherem Material. „Es ist eine Kleidung, die einem das Leben in einem Land retten kann, das die Kinder zu Mördern macht und in dem die Jugendlichen in der Nacht Indios und Bettler anzünden“, führte er aus. Dieselbe Tendenz machte sich auch auf der Schau des englischen Designers John Galliano für Christian Dior in Paris bemerkbar. Galliano präsentierte Kleider, die als „Bettler elegant“ bezeichnet werden können, kosten die Modell doch mehr als 50.000 Dollar. Die Inspiration stammt aber von den „Lumpen“ der Bettlern und herumirrenden geistig Verwirrten. Für den Bildhauer und Professor Silvio Dworecki „verleibt sich die Mode nur den künstlerischen Diskurs ein , um ihn uns als Konsumware, als Neuheit, zurückzugeben“. Das schockierende Bild finde Echo in den Medien und die Mode der Ausgeschlossenen garantiere Platz in den Zeitungsspalten. „Der politische Diskurs ist nur ein Vorwand, um Publizität zu erreichen“, so Dworecki. BRASILIEN Zahlenspiel der Regierung (Brasilia, August 2000, nt-Poonal).- Die permanente Regierungspropaganda verkündet die Erfolgsmeldung, dass 400.000 Familien seit der Amtsübernahme von Präsident Fernando Henrique Cardosos angesiedelt wurden. Verschwiegen wird dagegen, dass während seiner Amtszeit mehr als 400.000 bäuerliche Kleinbetriebe zugrunde gingen. So ist in Wahrheit in den letzten Jahren ein großer Anstieg der Landbesitzkonzentration in Brasilien zu verzeichnen: Eine vergleichende Analyse der Grundbucheintragungen von Landreformbehörde (INCRA) über die Jahre 1992 bis 1998 stellte die Enteignung von 16 Millionen Hektar für Agrarreformzwecke fest. Gleichzeitig konnte jedoch belegt werden, dass sich die Großgrundbesitzer mit mehr als 20.000 Hektar Landbesitz insgesamt weitere 80 Millionen Hektar während dieser Periode aneigneten.

 

Von Denise Viola

(Rio de Janeiro, 30. August 2000, npl).- Mit über 20jähriger Verspätungbeginnen die Gerichte in Südamerika, ihre Ermittlungen zu der Verbrechen der Militärdiktaturen der 70er Jahre zu koordinieren. Ein notwendiger Schritt, denn die Militärs aus Chile, Argentinien, Brasilien, Uruguay, Paraguay und Bolivien hatten die Verfolgung von Oppositionellen systematisch und länderübergreifend organisiert: Der sogenannten „Operation Condor“ fielen damals Hunderte Regimegegner, aber auch eine große Anzahl bedeutender Politiker zum Opfer. Aufsehen erregte im Frühjahr die Entscheidung des Obersten Gerichts Brasiliens, der argentinischen Justiz erstmals bei ihren Nachforschungen über drei in Rio de Janeiro verschwundene Argentinier zu helfen. Dadurch geriet auch die Rolle Brasiliens selbst bei der „Operation Condor“ ins Blickfeld. Weit mehr als bisher angenommen sei das größte Land Lateinamerikas an den koordinierten Verbrechen der Diktaturen beteiligt gewesen, meinen Menschenrechtsgruppen. Dass in Brasilien Folterer aus Nachbarländern ausgebildet und schutzsuchende Ausländer entführt wurden, ist bereits durch Zeugenaussagen und CIA-Dokumente belegt; die ungeheuerliche Vermutung, dass 1976 zwei ehemalige, demokratisch gesinnte Präsidenten ebenfalls im Auftrag der „Operation Condor“ ermordet wurden, untersucht inzwischen ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss. Kronzeugin für die Teilhabe Brasiliens an der „Operation Condor“ist die Uruguayerin Lilian Celiberti. Zusammen mit einem Freund ist sie 1978 im Süden Brasiliens festgenommen, gefoltert und nach Uruguay verbracht worden. Kürzlich sagte sie vor einem Gericht in Rom aus, das das Verschwinden von italienischen Staatsbürgern in Brasilien untersucht. Ihre Zeugenaussagen sind für die italienische Justiz, wo das Verbrechen der Entführung nicht verjährt, bedeutsam. „Meine Aussage kann den Staatsanwälten im Fall der drei Argentinier, die in Brasilien verschwunden sind, jetzt weiterhelfen“, sagt sie. Die Umstände der damaligen Zeit sind ihr noch sehr präsent, und auch, dass sie nur knapp mit dem Leben davonkam. „Ich konnte nur deswegen aussagen, weil wir – glücklicherweise – nicht verschwunden sind“, erklärt sie nachdenklich und denkt dabei wohl an ihre vielen entführten und ermordeten Freunde und Bekannte. Für Lilian Celiberti stehen die Regierungen im Südkegel Lateinamerikas in der Verantwortung, dieses düstere Kapitel der Vergangenheit aufzuarbeiten: „Ich glaube, die einzige Art, wie diese traurige und dramatische Periode unserer Länder abgeschlossen werden kann, ist, dass die heutigen demokratischen Regierungen ihre Verantwortung wahrnehmen und der Bevölkerung erklären, wie der Plan Condor funktionierte, wer darin und mit welcher Reichweite verstrickt war.“ Viele Fragen sind für die Uruguayerin noch offen: „Wie war es möglich, das die Armee Uruguay in Porto Alegre, also in Südbrasilien agierte? Wer gab die Befehle und wo wurde das Ganze koordiniert? Wie kam es, dass eine Person aus einem anderen Land hier verschwand, oder dass jemand in einem Land verschwand und die sterblichen Überreste in einem anderen auftauchten?“ Von den laufenden Untersuchungen erhofft sich Lilian Celiberti zumindest einige Antworten. Erstmals äußerte 1979 der US-Journalist Jack Anderson die Vermutung, dass in Südamerika ein „internationaler Mordkomplott“ am Werk sei. Handfeste Belege gibt es seit 1992: Der Rechtsanwalt Martin Almada stieß in Paraguay zufällig auf ein geheimes Polizeiarchiv – vier Tonnen Akten und Dokumente, die die Existenz und die Verbrechen der „Operation Condor“ belegen. Die als „Archiv des Todes“ bekannten Dokumente zeigen Almada zufolge nicht nur, dass die „Operation Condor“ 1975 vom chilenischen Geheimdienstchef und Pinochet-Vertrauten Manuel Contreras ins Leben gerufen wurde, sondern auch die Kontakte der lateinamerikanischen Militärs nach USA: „In den Archiven haben wir sogar ein Verschwunden geglaubtes Schlüsseldokument gefunden, das erklärt wie man Gefolterte am Leben hält. Dieses Dokument kam mit einem Oberst aus den USA, den sie geschickt haben, um die Folterer auszubilden. Es wurde gegen die gesamte südamerikanische Opposition wie eine Bibel benutzt“, berichtet Almada. Und der Rechtsanwalt klärt über den Bezug zum nazistischen Deutschland auf: „Auf der anderen Seite haben wir eine Menge Erkenntnisse über die Naziconnection aus diesen Archiven – so auch die Vorgeschichte von Mengele, Martin Bormann und allen Nazis, die sich in Paraguay niedergelassen haben“. Die grenzübergreifende Hatz auf Oppositionelle machte weder vor großen Namen noch vor demokratisch regierten Ländern halt. Den Indizien zufolge war der Botschafter Boliviens in Paris der erste prominente Opfer im Ausland. Es folgte der chilenische Ex-Heereschef unter der sozialistischen Regierung von Allende, Carlos Prats, der mit seiner Frau einem Attentat in Buenos Aires erlag. Das meiste Aufsehen erregte die Ermordung von Orlando Letelier, Außenminister unter Allende, 1976 in Washington. Für diese Tat sitzt Drahtzieher Manual Contreras eine siebenjährige Haftstrafe in Chile ab. Auch der Tod des bolivianischen Ex-Präsidenten Juan José Torres wird der „Operation Condor“ zugeschrieben. Sollte die Vermutung brasilianischer Menschenrechtler zutreffen, wären allerdings die Demokraten Brasiliens die Hauptopfer des Mordkomplotts gewesen. Neben weiteren Indizien beziehen sie sich auf einen Brief des Condor-Drahtziehers Manuel Contreras an den Diktator Brasiliens, in dem er die guten Kontakte der US-Demokraten zu Orlando Letelier und dem brasilianischen Ex-Präsidenten Juscelino Kubitschek als „Gefahr für die Stabilität der Region“ bezeichnete. Einen Monat vor dem Mord an Letelier starb Juscelino bei einem mysteriösen Autounfall nahe Rio de Janeiro. Nur wenige Monate später starb ein weiterer brasilianischer Ex-Präsident und engagierter Gegner der Diktatur, Joao Goulart, an einem Herzinfarkt in Argentinien. Die Witwe von Joao Goulart beantragte vor kurzem die Exhumierung des Ex-Präsidenten, um die wirkliche Todesursache herauszufinden. Inzwischen hat auch das brasilianische Parlament eine Untersuchungskommission eingesetzt, um die These des Mordkomplotts zu untersuchen. Bereits am ersten Tag der Untersuchung hörte die Kommission den Sohn des Ex-Präsidenten, Vicente Goulart, an. Zweifel bestehen für Vicente Goulart an der wirklichen Todesursache seines Vaters, er sieht es als „eine der großen Fragen hierbei, warum damlas keine Autopsie stattgefunden hat, weder von argentinischer noch von brasilianischer Seite.“ Und er fährt fort: „Er kann durch aus an einem Herzinfarkt gestorben sein, den er litt am Herzen, aber es gibt auch andere Möglichkeiten, und ich finde, es ist eine historische Pflicht, dies herauszufinden und diese Zweifel und Unklarheiten bei diesem Fall aufzuklären.“ Sollte sich der Verdacht bestätigen, müsste die jüngste Geschichte Brasiliens neu geschrieben werden. Nimmt man den Tod des demokratischen Gouverneurs Carlos Lacerda, der im Mai 1977 aufgrund einer Fehlbehandlung einer Grippeerkrankung starb, hinzu, hätte sich somit die „Operation Condor“ innerhalb von nur neun Monaten dreier prominenter Diktaturkritiker in Brasilien entledigt und so ihre Macht für weitere Schandtaten gefestigt. Zwar kam die Untersuchungskommission Anfang August zu dem Schluss, dass zumindest Kubitschek nicht Opfer eines Attentats geworden ist. Doch Präsidentensohn Vicente Goulart drängt auf weitere Aufklärung: „Wichtig ist, dass die Kommission weiterarbeitet, und zwar solange, bis alle Aussagen und Beweise hier in Brasilien und auch derjenigen, die in Uruguay und Argentinien betroffen sind, zur Sprachen gekommen sind. Ich glaube, die Kommission ist auf dem richtigen Weg, damit ein für alle Mal aufgedeckt wird, was und was nicht geschehen ist im Zusammenhang mit dem Tode meines Vaters, dem Präsidenten Joao Goulart.“

 

 

   

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