Poonal Nr. 442

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 442 vom 4. August 2000

Inhalt


VENEZUELA

ECUADOR

KOLUMBIEN/USA

CHILE

ARGENTINIEN

URUGUAY

BRASILIEN

GUATEMALA

EL SALVADOR

NICARAGUA

USA/MEXIKO

LATEINAMERIKA


VENEZUELA

Hugo Chavez gewinnt Präsidentenwahl Der Ex-Putschist betont Legitimität seines Reformprojekts

Von Alvaro Cabrera und Roberto Roa

(Caracas, 31. Juli 2000, npl).- Venezuelas Präsident Hugo Chavez ist am Sonntag mit großer Mehrheit für weitere sechs Jahre im Amt bestätigt worden. Noch vor der Verkündung des Endergebnisses dankte er seinen Wählern für das Vertrauen und kündigte „einschneidende Reformen“ für die ersten 100 Tage seiner neuen Regierung an. Offiziellen Zwischenergebnissen zufolge liegt Chavez mit knapp 60 Prozent der Stimmen uneinholbar vor Francisco Arias Cardenas mit 22 Prozent und dem Sozialdemokraten Claudio Fermin, der als einziger Repräsentant der traditionellen Parteien abgeschlagen bei unter drei Prozent landete. Mit rund 57 Prozent war die Wahlbeteiligung höher als erwartet.

„Eine neue legitime Republik wird geboren,“ rief der im Ausland heftig umstrittene Populist seinen Anhängern zu. „Kein Staatsstreich, sondern es ist das Volk, das die Institutionen in Venezuela legitimiert.“ Damit bezog sich Hugo Chavez, der vergangenen Freitag 46 Jahre alt wurde, auf die vergangenen 18 Monate, in denen er nach seiner ersten Wahl zum Präsidenten die politischen Institutionen grundlegend reformierte: In insgesamt vier landesweiten Abstimmungen sprachen sich die Venezolaner*innen für eine neue Verfassung aus, die einerseits den Minderheiten und sozial Schwachen mehr Rechte einräumt, andererseits die Machtfülle des Präsidenten entscheidend erweitert.

Die Kritik an Chavez entzündet sich demnach nicht an einer Verletzung der Spielregeln, wie sie dem peruanischen Präsidenten Alberto Fujimori vorgeworfen wird. Vielmehr ist es seine linkspolulistische Ausrichtung: Markige Sprüche und unverhohlene Geißelung des Neoliberalismus, der seiner Ansicht nach nur einer korrupten Schicht von Reichen dient und die Mehrheit der Bevölkerung in Armut hält. Eben diese rund 80 Prozent Armen in Venezuela sind es, die Chavez' Erfolg ein ums andere Mal sicherten. Und obwohl es ihm bislang nicht gelang, die versprochene Bekämpfung von Armut und Arbeitslosigkeit umzusetzen, ist das 40 Jahre lang regierende Zweiparteiensystem aus Sozial- und Christdemokraten in Bedeutungslosigkeit versunken.

Zudem macht Chavez seine Vergangenheit zu schaffen. 1992 versuchte er zusammen mit anderen Militärs einen Putsch, der nur knapp scheiterte. Kurioserweise standen sich bei dieser Präsidentenwahl vom vergangenen Wochenende in erster Linie zwei der damaligen Putschisten gegenüber: Wie Chavez war damals auch Arias Cardenas einer der Putschführer. Im Gegensatz zu Chavez, der fortan an seiner „Bolivarianischen Mission“, mit der er das südamerikanische Land friedlich revolutionieren möchte, festhält, bezieht sich Arias Cardenas eher auf die gemäßigten Kräften im Land. Doch erst im März dieses Jahres kam es zur endgültigen Trennung von der Chavez-Partei MVR (Bewegung Fünfte Republik), als sich Arias Cardenas mit den beiden anderen der vier Putschisten von Chavez lossagte und die eigene Kandidatur vorantrieb.

Trotz seines klaren Wahlsieges wird Chavez mit einer starken Opposition konfrontiert sein. Aufgrund von Streitigkeiten in seinem Parteienbündnis wird er im gleichzeitig gewählten Parlament nur mit einer einfachen Mehrheit rechnen können. Und knapp die Hälfte der Bundesstaaten gingen ebenfalls an die Opposition, doch im Distrikt der Hauptstsadt Caracas behielt der Chavez-Kandidat die Oberhand.

Im Gegensatz zum ersten Anlauf zur „Megawahl“, die vor zwei Monaten kurzfristig vom Obersten Gericht wegen mangelnder Transparenz verschoben worden war, gab es diesmal bislang kaum Klagen wegen Unregelmäßigkeiten. Die ursprünglich zum gleichen Termin geplanten Kommunalwahlen werden jedoch erst im Oktober stattfinden.

 

ECUADOR

Volksbegehren vor dem Obersten Wahlgericht

(Quito, 2. August 2000, pulsar-Poonal).- Der Indigena-Dachverband Conaie und die Koordination der sozialen Bewegungen überreichten am Mittwoch dem Obersten Wahlgericht den Antrag für eine Volksbefragung. Das Anliegen ist wird mit den Unterschriften von mehr als einer Million Ecuadorianer*innen unterstützt. Indigena- Gemeinden aus dem Norden und dem Süden des Landes kamen in die Hauptstadt Quito, um mit den Aktivist*innen anderer Organisationen zum Sitz des Wahlgerichtes zu ziehen. In dem von Conaie und anderen Bewegungen ausgearbeiteten Entwurf für die Volksbefragung, soll sich die Bevölkerung unter anderem zur Erneuerung von Kongress und Obersten Gerichtshof, zur aktuellen Wirtschaftspolitik und der us-amerikanischen Militärpräsenz äußern.

 

KOLUMBIEN/USA

NGO's in den USA wollen Militärhilfe für Kolumbien blockieren

(Bogota, 1. August 2000, pulsar-Poonal).- 30 einheimische und internationale Nicht-Regierungsorganisationen mit Sitz in den USA haben Präsident Clinton aufgefordert, die Militärhilfe an Kolumbien zu blockieren. Die Menschenrechtslage in dem lateinamerikanischen Land entspreche nicht den Kriterien, die der US-Kongress für die Freigabe von Geldern selbst aufgestellt habe. Zu den unterzeichnenden Organisationen gehören Amnesty International, WOLA, das Zentrum für Internationale Politik und das Zentrum Robert F. Kennedy für die Menschenrechte.

Das Bündnis verlangt von Clinton nicht von der Ausnahmeregel Gebrauch zu machen, die aufgrund „nationaler Interessen“ erlaubt, die Menschenrechtsfrage zu vernachlässigen. Zwar habe die kolumbianische Regierung einige Offiziere abgesetzt, doch immer noch gäbe es viele, die befördert würden, obwohl sie in Menschenrechtsverletzungen verwickelt seien. Die Organisationen kritisierten die Regierung in Washington, weil sie keine konkreten Aktionen unternommen habe, die Zivilbevölkerung in Kolumbien vor den Massakern der Paramilitärs zu schützen. Zudem werden zahlreiche Hinweise auf die Verbindungen zwischen Paramilitärs und Armee in den Gebieten La Unión, Tibú, San José de Apartadó und El Salado zitiert.

 

CHILE

Verkündung des Pinochet-Urteils erneut aufgeschoben

(Santiago, 1. August 2000, pulsar-Poonal).- Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes in Chile, ob die Aufhebung der parlamentarischen Immunität für den Ex-Diktator und Senator auf Lebenszeit Augusto Pinochet bestätigt oder rückgängig gemacht worden ist, soll erst in der kommenden Woche an die Öffentlichkeit gelangen. Ein Urteil haben die 20 Richter bereits gefällt, die schriftliche Darlegung steht allerdings noch aus. In der vergangenen Woche waren Informationen durchgesickert, nach denen eine Mehrheit im Gericht gegen Pinochet entschied. Menschenrechtsvereinigungen erklärten: „Die Verzögerung von einer Woche ist unbedeutend angesichts der Tatsache, dass wir seit 26 Jahr auf Angaben über den Verbleib unserer Familienangehörigen hoffen.“ Sie zeigten sich erwartungsfroh, dass Pinochet seine Immunität endgültig verliere und damit in Chile vor Gericht gestellt werden kann.

 

ARGENTINIEN

Fälle geraubter Kinder bleiben bei Zivilgerichten

(Buenos Aires, 3. August 2000, recosur-Poonal).- In Argentinien hat der Oberste Gerichtshof entschieden, die Untersuchung über den systematischen Kindesraub durch die Militärs während der Diktatur (1976-1983) an den Bundesrichter Adolfo Bagnasco zurück zu geben. Das Urteil antwortet auf einen Antrag des Obersten Streitkräfterates Argentiniens, das Verfahren innerhalb der Militärgerichtsbarkeit zu führen. Die Möglichkeit, die Militärs könnten erneut selbst über ihre Verbrechen urteilen, hat innerhalb von Menschenrechtskreisen für Alarmstimmung gesorgt. Der Direktor des Zentrums für gesetzliche und soziale Studien, Martín Abregú, erklärte: „Das ganze hin und her am Gerichtshof zeigt uns interne Spannungen. Nicht alle sind einverstanden und es gibt auch Platz für die schlimmsten Auffassungen.“

 

Wenig Auswege aus der Wirtschaftskrise

Von Dafne Sabanes Plou

(Buenos Aires, Juli 2000, alai-Poonal).- Kaum sieben Monate an der Macht, streitet die sozialdemokratische Regierungskoalition mit Präsident Fernando de la Rua an der Spitze darüber, ob sie die vom Internationalen Währungsfonds (IWF) diktierten Strukturanpassungsprogramme weiter verfolgen oder eine schnelle Antwort auf die innere wirtschaftliche und soziale Krise geben soll, die sich in einem Besorgnis erregenden Anstieg der Arbeitslosigkeit äußert. Die offiziellen Zahlen weisen für Mai eine Arbeitslosenquote von 15,4 Prozent aus, das sind knapp 2,1 Millionen Menschen. Weitere zwei Millionen gelten als prekär beschäftigt. Die Arbeitslosigkeit unter den 19 bis 24-jährigen liegt sogar bei 25 Prozent. Im Vergleichszeitraum vor einem Jahr betrug die Gesamtquote der Erwerbslosen noch 13,8 Prozent.

Für die fast 30 Prozent der erwerbsfähigen Bevölkerung zügig eine Lösung zu bieten, gestaltet sich mehr als diffizil. Besonders dramatisch ist die Situation in den großen Städten – beispielsweise in der Hauptstadt-Provinz Buenos Aires und im Landesinneren. Früher zeichneten sich die Städte hingegen durch ihre Industrieproduktion aus. Allgemein sind die Frauen härter betroffen als die Männer.

Schon seit Monaten macht sich bei einem Gutteil der Bevölkerung Enttäuschung breit. Die offiziellen Schätzungen gehen von mindestens 120.000 Menschen aus, die die Suche nach einem Arbeitsplatz aufgegeben haben und keine Chancen mehr für sich auf dem Beschäftigungsmarkt sehen. Eine private Studie verweist auf den hohen Anteil derer – darunter vor allem junge Leute – die bereit sind im Ausland ihr Glück zu versuchen würde. Insgesamt könnten sich 21 Prozent der Argentinier*innen vorstellen, Arbeit jenseits der Grenzen Argentiniens zu suchen. Viele der direkten Nachkommen von Italienern oder Spaniern haben bereits ihre ausländischen Reisepässe in der Hoffnung auf eine bessere soziale Perspektive in der Heimat ihrer Großeltern ausstellen lassen. Ein knappes Drittel der Aspiranten sind Hochschulabsolventen, ein weiteres knappes Drittel hat Abitur. Die offiziellen Zahlen zeigen, dass derzeit vor allem die Akademiker am stärksten unter dem knappen Arbeitsmarkt leiden. Nicht wenige ziehen es nun vor, das Land zu verlassen, anstatt weiter unterqualifizierten Arbeiten nachzugehen.

Gleich nach ihrem Wahlsieg sah sich die De la Rua-Administration zu einer starken Haushaltskürzung gezwungen. Die konservative Vorgängerregierung unter Präsident Carlos Menem hatte ihr ein Elf- Milliardenloch im Staatsbudget vererbt. Doch die Maßnahmen vom Dezember 1999, die vor allem die Mittel- und Oberschichten hoch besteuerten, reichten nicht aus. Im Juni verfügte die neue Regierung eine Lohnkürzung von 12,5 Prozent für die Staatsbeschäftigten. Wie nicht anders zu erwarten, stiegen die fast 200.000 Betroffenen auf die Barrikaden. Mit Streiks, Straßendemonstrationen und einer spürbaren Reduzierung ihrer Arbeitsleistung führen die Beschäftigten im öffentlichen Dienst derzeit die sozialen Proteste an.

Die Regierungsmaßnahmen hatten zugleich eine abrupte Verringerung des Konsums zur Folge, selbst bei den Lebensmitteln, die zum Grundbedarf gerechnet werden. Industrie und Handel, insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen, sind ihrerseits durch geringere Verkäufe vor ernste Probleme gestellt.

Außerdem zahlen fast 66 Prozent der Mitglieder sowohl im staatlichen wie im privaten Sozialversicherungssystem ihre Beiträge nicht mehr regelmäßig. Das bedeutet: Etwa sieben Millionen eingeschriebene Arbeiter haben ihre Zahlungen in die Sozialversicherung derzeit praktisch eingestellt. Das sind in diesem Jahr geschätzte Einnahmeausfälle für den Staat in Höhe von 16 Milliarden Dollar. Bei dieser Entwicklung fürchten Regierung und private Fondsverwalter gleichermaßen, dass in 20 Jahren nur die Hälfte der Beschäftigten einen Rentenanspruch haben wird. Bislang beziehen immerhin 75 Prozent der Argentinier im Rentenalter eine monatliche Rente oder Pension. In der Mehrheit der Fälle ist der Betrag zwar bescheiden, reicht aber aus, um die Grundbedürfnisse zu befriedigen.

Regierungskoalition und Opposition glauben, dass eine verstärkte staatliche Internvention zur kurzfristigen wirtschaftlichen Reaktievierung notwendig ist, um noch größere soziale Übel zu vermeiden. Zu den wichtigsten Plänen der Regierung gehört ein öffentliches Bauprogramm, im Rahmen dessen der Wohnungsbau für untere und mittlere Einkommensschichten gefördert werden soll, die keinen Zugang zu normalen Bankkrediten haben. Mit niedrigen Zinsen und langen Kreditlaufzeiten soll etwa 3 Millionen Menschen zu einem eigenen Dach über dem Kopf verholfen werden. Als wichtigster Finanzier soll die einheimische Privatindustrie auftreten.

Zugleich soll mit dem Programm die brachliegende Baubranche wiederbelebt werden, in der normalerweise die meisten Arbeiter beschäftigt werden und die über Aufträge an die Zulieferindustrien Multiplikationseffekte entwickelt. Die Regierung hofft, dass ihr Plan der Wirtschaft einen neuen Schub gibt. Doch nicht nur sie: Es sind tausende Arbeiter, Familien, Jugendliche, die auf eine Perspektive hoffen, die aus der Rezession in Argentinien heraus führt.

 

Gesetzlicher Schutz für schwangere Schülerinnen

(Buenos Aires, Juli 2000, fempress-Poonal).- Die Abgeordnetenkammer verabschiedete ein Gesetz, das es den Autoritäten öffentlicher und privater Schulen untersagt, schwangeren Schülerinnern des Besuch des normalen Unterrichtes zu verbieten. Das von der Regierungsabgeordneten Adriana Puiggros eingebrachte Projekt wurde ohne Debatte und mit der Zustimmung aller Parlamentsfraktionen auf den Weg gebracht. Das Gesetz besagt, dass ein Verbot des Schulbesuches diskriminierenden Charakter hat und verfassungswidrig ist. Puiggros, eine renommierte Expertin in Bildungsfragen, erklärte gegenüber fempress, Ziel des Gesetzes sei es, „jeden diskriminatorischen Akt gegen eine heranwachsende Schülerin zu vermeiden, die ein Baby erwartet. Es gibt kein Prinzip, das unter diesen Umständen einer Schuleinrichtung zur Rechtfertigung dienen könnte, ihr (der Schülerin) das Recht auf Bildung zu verweigern und sie schutzlos zu lassen“.

 

URUGUAY

Der Liedermacher und die „Hurensöhne“

(Montevideo, 2. August 2000, comcosur-Poonal).- „Die Eltern, die ihre Söhne auf das Militärkolleg schicken, sind Hurensöhne“, erklärte der populäre Liedermacher José Carbajal in einer Fernsehsendung. Das Militärinstitut bilde die Menschen zum Töten aus. Mit seinen Äußerungen sorgte Carbajal nicht nur in Militärkreisen für Zorn, die Strafanzeige gegen ihn erstatteten. Seine Aussage wurde auch Thema im Parlament. Dort verurteilten sogar Abgeordnete der Linken Carbajals Ansichten. Während Sprecher der regierenden Rechtsparteien, zum Teil mit rechtsextremen Gruppen während der uruguayischen Militärdiktatur verbunden, von einer Beleidigung sprachen und das Image der Militärhelden des Landes beschmutzt sehen, beließen es die Linken dabei, von „völlig unangemessenen Aussagen“ zu sprechen. Der Abgeordnete Jose Bayardi von der links-Mitte-Plattform Frente Amplio merkte an, innerhalb der Linken gäbe es mehrere Mitglieder aus der Armee und die Linke sei nicht durch einen Antimilitarismus gekennzeichnet. Einer der wenigen bekannten Linken, die in Uruguay öffentlich den Liedermacher verteidigten, war Jorge Zabalza, der innerhalb der Frente Amplio für eine radikalere Strömung steht. Nicht diskutiert wurde, ob Carbajal mit seiner Gleichsetzung vielleicht eher die Prostituierten und ihre Kinder beleidigte.

 

Präsident Batlle befürwortet Folterer im Obersten Gerichtshof

(Montevideo, 1. August 2000, comcosur-Poonal).- Präsident Jorge Batlle hat mit seiner Ernennungspolitik ein weiteres Mal für Aufregung gesorgt. Er schlug dem Parlament vor, den Oberst im Ruhestand, Angel Neira, als Repräsentant des Militärs in den Obersten Gerichtshof zu schicken. Neira begleitete unter Präsident Lacalle (1990-95) verschiedene hohe Ämter im Verteidigungsministerium. Darüber hinaus wird er aber zusammen mit anderen Militärs angeklagt, 1975 mehrere Beschäftigte der staatlichen Hafenverwaltung im Rahmen ihrer „Befragung“ gefoltert und misshandelt zu haben. Der Fall sowie Neiras Beteiligung sind bis in die Details belegt. Erst im Mai dieses Jahres gestand der Oberste Gerichtshof in erster Instanz den Opfern eine Entschädigung zu und machte den Staat für die Misshandlungen verantwortlich, weil er „durch seine Funktionäre mit einer Illegitimität agierte, die die höchstgeschätzen individuellen Grundrechte verletzte“. Nun wird möglicherweise bald einer der Täter als Mitglied im Obersten Gerichtshof sitzen.

 

BRASILIEN

Indigenas nehmen Geiseln

(Para, 1. August 2000, pulsar-Poonal).- Die Indigenas der Caiapo im nördlichen Bundesstaat Para, einem Urwaldgebiet, halten 15 Fischer als Geiseln fest. Damit wollen sie Druck auf die Regierung ausüben, die immer noch keine eindeutige Grenzziehung für die Territorien der Caiapo beschlossen hat. Die Fischer gingen den Indigenas „ins Netz“, als sie das Land der Caiapo betraten. Nach Informationen der Nationalen Indigenabehörde (Funai) werden sie korrekt behandelt. Sie sollen aber nur freigelassen werden, wenn die Regierung ernsthaft verspricht, die Grenzen für das fast zwei Millionen Hektar umfassende angestammte Land der 121 Caiapo- Mitglieder zu markieren. Dieses Vorhaben wurde vor einigen Monaten auf Eis gelegt, weil Viehzüchter, die sich beeinträchtigt fühlten, vor Gericht eine einstweilige Verfügung erwirkten. Da die Justiz das Verfahren jedoch letztendlich zugunsten der Caiapo entschied, ist laut Funai mit einer baldigen Wiederaufnahme der Arbeiten zu rechnen.

 

GUATEMALA

Rückkehr der Reaktion

Von Patricia Zapata

(Guatemala-Stadt, 31. Juli 2000, Cerigua-Poonal).- Nach knapp sieben Monaten im Amt hat Präsident Alfonso Portillo von der regierenden ultrarechten republikanischen Front Guatemalas (FRG) eine Kabinettsumbildung vorgenommen, die für viele einheimische Beobachter verschärft Anlass zur Beunruhigung gibt. Sie sehen den sogenannten Hardlinerflügel innerhalb der guatemaltekischen Militärs gestärkt, die für die brutale Aufstandsbekämpfungspolitik Anfang der 80er Jahre und den mehr als drei Jahrzehnte andauernden Krieg gegen die Guerilla verantwortlich sind, der im Dezember 1996 durch ein Friedensabkommen formal beendet wurde. Das traurige Erbe eines der längsten und blutigsten internen bewaffnete Konflikte in der Geschichte Lateinamerikas sind 200.000 Verschwundene, rund 50.000 Tote und 1,5 Flüchtlinge.

Zwei Minister, drei stellvertretende Minister und zwei Präsidentensekretäre müssen nun im Rahmen der Veränderungen im Kabinett ihren Hut nehmen. Die größten Diskussionen hat allerdings die Neubesetzung des Innenministeriums ausgelöst. Mit Byron Barrientos wird es künftig von einem Major im Ruhestand besetzt, der nachweislich eng mit dem militärischen Repressionsapparat verflochten war.

1977 arbeitete Barrientos mit dem Grad eines Captains für den militärischen Geheimdienst. Er diente General Antonio Callejas y Callejas als Assistent. Dem General wird die führende Rolle beim Aufbau des berüchtigten Geheimdienstes G2 zugeschrieben. Zu den Aufgaben von Barrientos gehörte nach Quellen aus dem Militär die Koordinierung der Aufstandsbekämpfung. Später arbeitete er ebenfalls geheimdienstlich bei anderen Militäreinrichtungen wie der Ambulanten Militärpolizei und der Steuerpolizei. Beide Institutionen sind der Verbrechen gegen die Menschlichkeit während des Bürgerkriegs angeklagt.

Die politischen Gegner von Barrientos beschuldigen ihn, Folterexperten angeleitet zu haben. 1989 wurde Barrientos von der Armee entlassen, weil er an einem Putschversuch gegen den damals amtierenden christdemokratischen Präsidenten Vinicio Cerezo beteiligt war. Der jetzt frisch zum Innenminister ernannte Barrientos übernahm nach seinem Ausscheiden aus dem Armeedienst die Verantwortung für die Sicherheit des Ex-Diktators (1982/83) und heutigen Kongresspräsidenten, General Efrain Rios Montt. Der Gründer der FRG ist in Spanien unter anderem des Genozids an der indianischen Bevölkerungsmehrheit während seiner Militärherrschaft angeklagt.

Für Leonel Lopez Rodas, Generalsekretär der konservativen Partei des Nationalen Fortschritts (PAN), die in Guatemala bis Anfang dieses Jahres regierte, ist die Ernennung von Barrientos ein Anzeichen dafür, das Rios Montt dabei ist, den Machtkampf gegen Präsident Portillo innerhalb der FRG für sich zu entscheiden. Ein Leitartikel in der Tageszeitung „El Periodico“ machte am Montag dieser Woche darauf aufmerksam, dass der guatemaltekische Regierungschef mit seinen Kabinettsveränderungen vom vergangenen Wochenende die kritischen Vorhersagen gegenüber der FRG erfüllt, die Protagonisten des Krieges wieder an die Macht zu bringen. Die liberale Zeitung sieht angesichts des neuen Ministers einen „Rückfall in die dunkelsten Jahre des Terrors“. Zu der vorrangigsten Aufgabe gehöre es nun, wachsam zu sein, damit Barrientos nicht erneut eine Politik in die Praxis umsetze, „die unser Land Anfang der 80er Jahre zu einem unbewohnbaren Flecken Erde machten“.

 

EL SALVADOR

FMLN will US-Militär im Land verhindern

(San Salvador, 31. Juli 2000, pulsar-Poonal).- Mit einer Verfassungsklage will die oppositionelle FMLN die Präsenz einer Beobachtungsbasis der US-Truppen in El Salvador verhindern. Die ehemalige Guerilla bezweifelt, dass der Stützpunkt tatsächlich nur der Überwachung von Flugzeugen dienen wird, die angeblich aus dem Süden des Kontinentes Drogen in Richtung USA transportieren. Vielmehr handele es sich um einen Stützpunkt zur politischen und militärischen Kontrolle der mittelamerikanischen Region, so die Überzeugung der größten Oppositionspartei des Landes überzeugt.

Die Erlaubnis für die Militärbasis erteilten die Abgeordneten der Rechtsparteien im Parlament mit einfacher Mehrheit. In der salvadoreanischen Verfassung ist für Vereinbarungen solcher Art aber zumindest die absolute Mehrheit und zum Teil eine Zwei- Drittelmehrheit vorgeschrieben. Die FMLN hatte von Anfang an genauere Regelungen in dem Abkommen gefordert und wollte die allgemein gefassten Abschnitte ganz streichen. Beispielsweise heißt es in dem entsprechenden Dokument, dass die US-Militärs die Flughäfen, Häfen und „übrigen öffentlichen Einrichtungen“ nutzen dürfen. Dies könne in der Zukunft eine Menge Probleme provozieren, so die FMLN.

 

NICARAGUA

Entlassung nach Kritik an Präsident

(Managua, 1. August 2000, pulsar-Poonal).- Das Gesundheitsministerium entließ die Psychologin Dr. Gioconda Cajina, nachdem diese sich öffentlich zum Auftreten und zur Persönlichkeitsstruktur von Präsident Arnoldo Aleman geäußert hatte. Cajina, die eine 25-jährige Berufserfahrung aufweist, sagte gegenüber der Zeitung „El Nuevo Diario“, sie habe ihre Erklärungen nicht als Ärztin oder Beschäftigte des Gesundheitsministeriums, sondern als Individuum abgegeben. Sie beruft sich auf das Recht zur freien Meinungsäußerung.

Ihre Einschätzung Alemans beruhe nicht auf einer persönlichen Untersuchung. „Ich habe der gesamten Bevölkerung bekannte Gewohnheiten erwähnt, die Änderungen des Geisteszustandes der Personen hervorrufen, wie beispielsweise der Verfolgungswahn“, so Cajina. Die Psychologin führte weiter aus, der Verfolgungswahn zeichne sich dadurch aus, dass eine Person überall nur Feinde erblicke und daher auf eine Position zurückgreife, sich als allmächtig aufzuführen. Der am Verfolgungswahn erkrankte schreibe sich die Fähigkeit zu, zu wissen, was eine andere Person denke, und glaube auch die Antworten der Personen seiner Umgebung im Voraus zu wissen.

In der Bevölkerung stimmen nicht wenige der Analyse von Cajina zu. Niemand mag ausschließen, dass Präsident Aleman Probleme mit seinem Gemütszustand hat. Es gibt sogar eine Gruppe von Abgeordneten, die fordert, dass sich der Regierungschef einer Untersuchung seines geistigen Gesundheitszustandes unterzieht.

 

USA/MEXIKO

Grenztreffen

(Los Angeles, 31. Juli 2000, pulsar-Poonal).- Mehrere hundert Menschen aus verschiedensten sozialen Bewegungen und Gruppen in den USA und Mexiko kamen am Wochenende am Grenzübergang Tijuana- San Isidro zusammen, um gegen den Missbrauch von Migrant*innen an der Grenze zu protestieren. Getrennt durch einen hohen Stahlzaun erklärten sie, den Keim für eine Menschenrechtskoalition pflanzen zu wollen.

 

LATEINAMERIKA

Integration oder Freizone?

Von Emir Sader

(Río de Janeiro, Juli 2000, alai-Poonal).- Der Gemeinsame Markt des Südens (Mercosur) ist das einzige wirtschaftliche Integrationsprojekt Lateinamerikas ohne die Beteiligung der großen kapitalistischen Mächte des Nordens USA, EU und Japan. Der bescheidene Anfang des Mercosur nahm eine neue Form an, nachdem die Krisen in Mexiko 1994 und 1995 die nordamerikanischen Aspirationen blockierte, weitere lateinamerikanische Länder, wie das vorgesehene Chile, in den Nafta-Vertrag einzubinden. Zum einen nahm Chile selbst Abstand von der Idee, zum anderen verweigerte der US-Kongress Präsident Clinton den „fast track“ (schnellen Weg) für die Verhandlung über neue Handelsabkommen.

So gewann das Mercosur-Projekt Zeit und Spielraum. Zeit, um sich zu konsolidieren und Spielraum für den Beitritt von Chile und Bolivien sowie für den Beginn der Verhandlungen mit den kriselnden Ländern des Andenpaktes. Auf dem Gipfel zur Alca (Amerikanische Freihandelszone) 1998 in Chile gelang es dem Mercosur als Block zu verhandeln und festzulegn, dass keine Vereinbarung im Rahmen der Alca vor 2005 in Kraft treten wird. Das war der stärkste Moment des Marcosur.

Seitdem trieben die Wirtschaftkrise in Brasilien und die Abwertung des Real einen Keil zwischen die beiden wichtigsten Mercosur- Partner und stellten die Zukunft der bis dahin geförderten lateinamerikanischen Integration in Frage. Die Wechselkursparität (mit dem Dollar) wurde zu einer Last für Argentinien, verstärkte dessen Haushaltsdefizit sowie das der Handels- und Zahlungsbilanz und stellte das Land vor ein Dilemma: Wie aus der Parität herausfinden ohne die Stabilität zu verlieren?

Aus diesem Dilemma gibt es zwei Auswege: Dollarisierung oder eine einheitliche Währung für die Region. Die brasilianische Regierung äußert sich zwar öffentlich gegen die erstgenannte Lösung, unternimmt aber auch keine Schritte in die andere Richtung. Sie ignoriert dabei, dass die Dollarisierung das definitive Ende des Mercosur bedeuten und gleichzeitig der Alca den Weg endgültig frei machen würde. Zur Alca findet im April 2001 im kanadischen Quebec das entscheidende Treffen statt, auf dem die Verträge unterschrieben werden sollen, die dann im Jahr 2005 in Kraft treten würden.

In diesem Kontext wird Mexiko erneut von den internationalen Finanzorganisationen als das Beispiel herausgestellt, dem es zu folgen gelte. Der Nordgürtel des Landes und der Boom der nordamerikanischen Wirtschaft bewirkten zusammen einen neuen expansiven Zyklus. Makro-ökonomisch weist Mexiko die besten Ergebnisse des gesamten Kontinents auf, begleitet allerdings von einer sich verschärfenden sozialen Krise. Noch stärker wird jetzt – mit dem Stempel des Dritten Weges versehen, der den Kontinent nach Aussagen der Präsidenten von Argentinien, Chile, Mexiko und Brasilien bereits beherrscht – das mexikanische Modell als das gehyped, welches den Stillstand überwunden hat, weil es sich an die US-Wirtschaft anband. So könnte legitimiert werden, sich einem kontinentalen Intregrationsprozess unter der Hegemonie der stärksten Ökonomie des Kontinentes anzuschließen.

Worin besteht der mexikanische Wirtschaftsboom der vergangenen Jahre? Vier Merkmale kennzeichnen auf diesem Gebiet die Transformationen: die veränderten Kriterien für die Nutzung der nationalen strategischen Ressourcen (in erster Linie Erdöl), die Ausrichtung der Industrie auf die sogenannte Maquila-Produktion, eine Deregulierung des Arbeitsmarktes und der Einkommensverteilung und die wirtschaftliche Neuaufteilung des mexikanischen Territoriums.

Um sich von der Schuldenkrise zu Beginn der 80er Jahre zu erholen, machte Mexiko das Erdöl zum neuen Motor der Wirtschaft und förderte die produktive Verkettung mit dem Ausland, insbesondere mit den USA, anstatt das interne Produktionssystem und den nationalen Markt zu konsolidieren. Parallel dazu wurde die Förderung des „schwarzen Goldes“ dem nordamerikanischen Kapital geöffnet, was für die USA bedeutet nun über Reserven zu verfügen, die näher und sicherer sind als die im mittleren Osten.

Das mexikanische Lohnniveau ausnutzend, das um das siebenfache unter dem der USA liegt, machten die nordamerikanischen Unternehmen aus dem Norden Mexikos eine Art gigantische Biligproduktions- und Freihandelszone, wo Arbeitskraft ohne gewerkschaftliche Rechte ausgebeutet wird. Dieses Ungleichgewicht vermindert die Migration der Mexikaner in die USA nicht etwa, sondern provoziert im Gegenteil den größten Migrationsstrom der Welt.

Nach dem Ende der Agrarreform im Zuge der mexikanischen Revolution manifestiert sich mit der Verkaufserlaubnis des den Campesinos einstmals übergebenen Land die wirtschaftliche Reorganisation des mexikanischen Territoriums. Dies entspricht den geopolitischen Interessen der USA, die neben der Kontrolle des Erdöls, auch die der Artenvielfalt (Biodiversität) und den Bau eines neuen Kanals zwischen den Ozeanen durch die Landenge von Tehuantepec einschließen. Das Kanalprojekt, über das immer noch nicht endgültig entschieden ist, repräsentiert die Markierung einer neuen wirtschaftlichen internen Desintegrationsgrenze und gleichzeitig die den USA untergeordnete Integration Mexikos.

Bei den jüngsten Wahlen handelt es sich um eine, in den Augen der USA, „vertrauenswürdige“ Lösung durch die Rechte, mit einem siegreichen Kandidaten, der bereits die Privatisierung des staatlichen Erdölunternehmens Pemex akzeptierte. Der internationale Chor lässt nicht auf sich warten, CNN verkündet, dass „Mexiko die große demokratische Revolution des 21. Jahrhunderts“ macht. Fox selbst sagt, er werde mit dem „aufrichtigen“ Teil der PRI regieren.

Fernando de la Rúa in Argentinien führt die gleiche Wirtschaftspolitik ohne Menem weiter. Seine Popularität sank schnell. Fox verspricht die gleiche Wirtschaftspolitik ohne die PRI. Wird dies das Projekt des Dritten Weges für Brasilien sein? Die gleiche Wirtschaftspolitik ohne Fernando Henrique Cardoso? Brasilien und Lateinamerika stehen auf dem Scheideweg zwischen Dollarisierung oder regionaler Einheitswährung – zwischen einem erweiterten und vertieften Mercosur oder der Amerikanischen Freihandelszone.

 

 

   

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