Poonal Nr. 435

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 435 vom 16. Juni 2000

Inhalt


MEXIKO

COSTA RICA

PARAGUAY/BRASILIEN

 


MEXIKO

Mexikanische Wirtschaft nervös kurz vor den Wahlen Unsichere Aussichten setzen die Währung unter Druck

Von Gerold Schmidt

(Mexiko-Stadt, 9. Juni 2000, Poonal).- Ein Gespenst geht um in Mexikos Wirtschaft – der Faktor Francisco Labastida. Unüberlegte Äußerungen des Präsidentschaftskandidaten der seit über 70 Jahren regierenden Partei der institutionalisierten Revolution (PRI), werden als Ursache dafür gesehen, dass die Märkte in den vergangenen Tagen in Turbulenzen gerieten. Der Amtsanwärter hatte am Dienstag dieser Woche erklärt, wenn er bei den Wahlen am 2. Juli nicht überdeutlich gewänne, sei die Regierbarkeit Mexikos in Gefahr. Er beschwor die Möglichkeit gewalttätiger Proteste herauf. Dies wurde wohl nicht zu Unrecht auch als versteckte Drohung bewertet. Nach dem aktuellen Stand der Dinge wird der Wahlausgang äußerst knapp sein und ein Oppositionssieg ist nicht ausgeschlossen. Die Märkte reagierten prompt: Die Börse fiel am Mittwoch auf einen Schlag um 4,6 Prozent und der einheimische Peso verlor gut zwei Prozent an Wert gegenüber dem Dollar. Während die Aktien sich zuletzt wieder stabilisierten, sackte die Währung weiter ab. Nun geht die Angst um, es könne trotz positiver makro-ökonomischer Daten wieder zur traditionellen Krise am Ende der sechsjährigen Amtszeit des jeweiligen Präsidenten, kommen. Die letzte Erfahrung dieser Art um den Jahreswechsel 1994/95, die zur sogenannten Tequilakrise führte, ist für die meisten Mexikaner*innen immer noch traumatisch. Dem Faktor Labastida die Alleinschuld für die Nervosität in die Schuhe zu schieben, wäre aber ungerecht. Vor wenigen Wochen blies Präsidentschaftskandidat Vicente Fox von der konservativen Partei des nationalen Fortschritts (PAN) ins gleiche Horn, als er erklärte, jeden Wahlsieg der PRI mit weniger als zehn Punkten Vorsprung werde er nicht anerkennen. Entscheidender für die jüngste Entwicklung dürfte jedoch sein, dass immer mehr Leuten klar wird, auf welch schwachen Füßen die vermeintlich wieder prosperierende mexikanische Wirtschaft steht. Ein kleiner Anstoß könnte genügen und die Tendenz umkehren. So haben die kräftigen Wachstumsraten ab 1996 – für dieses Jahr werden 5 bis 5,5 Prozent erwartet – kaum ausgereicht, den katastrophalen Einbruch von 1995 wettzumachen. Da die Lohnerhöhungen der Inflationsrate fast immer hinterhinkten, hat das Wachstum der Mehrheit der Bevölkerung zudem nichts genützt. Nachdem Finanzminister Jose Angel Gurria Anfang der Woche die wirtschaftliche Lage des Landes noch als Paradies auf Erden ausmalte, rückte sein Vorgänger und derzeitiger Direktor der mexikanischen Zentralbank, Guillermo Ortiz, das Bild einen Tag später zurecht. Er erwähnte einige der Risikofaktoren, auf die andere Experten seit längerem hinweisen. Beispielsweise profitiert Mexiko stark von den hohen Ölpreisen. Die Gewinnabgaben des staatlichen Ölkonzerns PEMEX erleichtern die Budgetplanung der Regierung erheblich. Immer noch ist die Abhängigkeit von diesen Einnahmen relativ groß. Ein rapider Preisverfall beim Öl würde das Land schwer treffen. Ein anderer Schwachpunkt: Mexiko wickelt inzwischen über 80 Prozent seines Außenhandels mit den USA ab und ist damit sehr abhängig von dem Wirtschaftsriesen im Norden. Das Volumen von Importen und Exportenwies seit dem Inkrafttreten des Nordamerikanischen Freihandelsvertrages (NAFTA) im Januar 1994 jährliche Steigerungsraten von knapp unter 20 Prozent auf, 1999 hatte der bilaterale Handel einen Wert von 225 Milliarden Dollar. Der Exportüberschuss von 22 Milliarden Dollar mit den USA half Mexiko, das Defizit in der Gesamthandelsbilanz klein zu halten. Doch nun gibt es erste Anzeichen dafür, dass die Konjunktur des Wirtschaftsgiganten im Norden langsam schwächer wird. Das kann weniger Absatz für die mexikanische Wirtschaft bedeuten. Sollte sich das Wachstum in den USA stark verlangsamen, wäre das für Mexiko verheerend. Auf eine größere Entwicklung des Binnenmarktes kann das Land vorerst nicht hoffen. Die Kredite sind zu teuer und die meisten Banken kaum liquide. Noch ist Mexiko von einer Wirtschaftskrise ein gutes Stück entfernt. Der über ein Jahr lang sehr stabile Peso galt vielen ohnehin als überwertet. Die Börse hat schon schlimmere Tage gesehen. Doch der Faktor Labastida ist eine erste und ernste Warnung. Ende 1994 schmolzen innerhalb weniger Wochen die Devisenreserven von immerhin 30 Milliarden Dollar weg. Heute sind die Reserven mit knapp 33 Milliarden Dollar nicht viel höher. Vorsorglich vor Monaten mit dem Internationalen Währungsfonds ausgehandelte kurzfristige Kreditlinien über 5 Milliarden Dollar sollen das Vertrauen in die wirtschaftliche Stabilität steigern. Wenn jedoch ungünstige ökonomische Entwicklungen und politische Konflikte nach der Wahl zusammenfallen, wird das alles nicht viel helfen. MEXIKO Streikbewegung an der Nationaluniversität hat an Schwung verloren Letzte Studenten freigelassen Von Gerold Schmidt

(Mexiko-Stadt, 14. Juni 2000, Poonal).- Seit Mittwoch (14.6.) ist der Rektor der Autonomen Nationaluniversität Mexikos (UNAM) erneut ausgesperrt. Mitglieder der Studierendenbewegung und deren Eltern blockieren das Hochhaus, von dem aus Juan Ramon de la Fuente normalerweise die Geschicke der UNAM zu leiten versucht. Doch auch wenn es paradox scheinen mag: der Rektor kann sich der Kontrolle über die grösste Universität Lateinamerikas weitgehend sicher sein. Die Protestaktion hat vor allem symbolischen Charakter. Der Allgemeine Streikrat (CGH), dessen Besetzung der UNAM aus Protest gegen eine substantielle Erhöhung der Studiengebühren vor 15 Monaten auf große Unterstützung unter den Studenten rechnen konnte und der anfangs auch auf breites Verständnis unter der Bevölkerung stieß, hat wesentlichen Einfluss verloren. Den Anfang vom Ende markierte im Februar die Räumung der UNAM durch die Polizei, nachdem die Studierenden sie fast ein Jahr besezt gehalten hatten. Kurzfristig befanden sich etwa 1.000 Student*innen in Haft. Die letzten sechs Mitglieder des Obersten Streikrates, darunter die angeblich führenden Köpfe, kamen erst vor wenigen Tagen unter Kaution frei. Der Fall UNAM zeigt beispielhaft, wie meisterhaft es die seit 70 Jahren regierende PRI immer noch versteht, Opposition gehen ihre Politik ins Leere laufen zu lassen. Gleichzeitig wirft er ein beschämendes Licht auf die nach offizieller Version völlig unabhängige Justiz des Landes. Der Zeitpunkt der Freilassung der letzten Studierenden nach mehrmonatiger Haft ist geschickt gewählt. In der Zwischenzeit verstärkten sich die Widersprüche innerhalb des CGH und die Müdigkeit der schweigenden Mehrheit unter den Student*innen, sich zu weiteren Protestaktionen aufzuraffen. Andererseits wurde drei Wochen vor den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen am 2. Juli rechtzeitig ein Konfliktherd entschärft. Die Richter und die Staatsanwaltschaft halfen dabei mit: Waren sie im Februar nicht darum verlegen, zahlreiche Delikte bis hin zur „sozialen Gefährlichkeit“ aufzulisten, um die Massenverhaftungen zu rechtfertigen, so war es danach kein Problem für sie, die Studenten tröpfchenweise wegen Mangel an Beweisen freizulassen. Rektor de la Fuente leistete seinen Beitrag, indem er Stück für Stück die Klagen vor Gericht zurückzog. Die ohnehin geschwächte Studierendenbewegung konzentrierte ihre Kräfte auf den Kampf für die Freilassung ihrer „politischen Gefangenen“. Eine Diskussion um die Inhalte der Bewegung geriet in den Hintergrund. Alejandro Echevarria und Mario Benitez werden zumindest von der Öffentlichkeit als die treibenden Mitglieder des Allgemeinen Streikrates ausgemacht. Kurz vor ihrer Entlassung aus dem Gefängnis zogen sie eine kritische Bilanz der vergangenen Monate. Einen weiteren „Generalstreik“ der Studenten halte die UNAM nicht mehr aus, sind sie sich einig. Sie geben zu, dass die Streikkomitees kleiner wurden und sich isolierten. Sie erwähnen die Einschüchterung und Spaltungstaktiken der Autoritäten, aber sprechen genauso von den „Fehlern der Bewegung selbst“. Zuvor den „Ultras“ zugerechnet, machen sie jetzt den „starrsinnigsten Flügel“ des CGH für den Abbruch der Gespräche mit dem Rektor nach den Verhaftungen verantwortlich. Die verschiedenen Strömungen innerhalb des CGH zu einen wird unumgänglich sein, um wieder mehr Einfluss zu bekommen. Der Forderungskatalog der Studierenden ging von Anfang an weit über die – mit Einschränkungen erreichte – Rücknahme der Gebührenerhöhungen hinaus. Doch die Idee eines öffentlichen Universitätskongresses, der über eine demokratische Öffnung der UNAM debattieren soll, hat sich beispielsweise der Rektor in einem geschickten Schachzug selbst auf die Fahne geschrieben. Vorerst bleibt die bittere Erkenntnis, mit einer zu Beginn starken Streikbewegung in 15 Monaten wenig erreicht zu haben. MEXIKO In Chiapas sieben Polizisten in Hinterhalt getötet (Mexiko-Stadt, 13. Juni 2000, pulsar-Poonal).- Unter bisher ungeklärten Umständen starben in dem chiapanekischen Landkreis El Bosque sieben Polizisten in einem Hinterhalt. Zwei weitere wurden schwer verletzt. Polizei- und Armeetruppen sind auf der Suche nach den Tätern in verstärktem Einsatz. Der Landkreis gehört zu den konfliktreichsten im Bundesstaat Chiapas. Im Juni 1998 brachten Paramilitärs mit offensichtlicher Duldung der Behörden dort elf Indigenas um, die mit der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiuung (EZLN) sympathisierten. Es wird so gut wie ausgeschlossen, dass die Zapatisten für den Ueberfall verantwortlich sind. Dennoch wachsen in den vergangenen Wochen laut gewordene Befürchtungen, die Regierung wolle noch vor den allgemeinen Wahlen am 2. Juli eine Offensive gegen die EZLN unternehmen, jetzt umso mehr. Der Vorfall in El Bosque könnte zum Vorwand genommen werden. GUATEMALA Portillo bewilligt Gnadengesuch (Guatemala-Stadt, 12. Juni 2000, na-Poonal).- Präsident Alfonso Portillo gab dem Gnadengesuch eines zum Tod Verurteilten statt. Er begründete dies damit, dass der Prozess gegen den verurteilten Mörder Rax Cucul auf Spanisch geführt wurde, das Cucul nicht versteht. Die Gesuche dreier weiterer Mörder in zwei anderen Fällen lehnte der Präsident ab. Die Verurteilten müssen mit ihrer Hinrichtung rechnen. Es war das letzte Mal , dass ein guatemaltekischer Staatschef über Leben und Tod von Verurteilten entscheiden konnte. Zukünftig liegen die Gnadengesuche in der Kompetenz des Obersten Gerichtshofes des Landes. GUATEMALA Keine Frequenzen für Freie Radios (Guatemala-Stadt, 7. Juni 2000, pulsar-Poonal).- Fehlende Frequenzen für Community Radios und die Drohung der Telekommunikationsbehörde, bestehende freie Radios wegen fehlender Sendeerlaubnis zu schließen, könnten große soziale Konflikte verursachen. Die meint jedenfalls Edgar René Záenz, Vorsitzender der Vereinigung der Kommunikationsmedien in der Provinz Solola. Er klagt die Regierung an, bei der Vergabe von Frequenzen ohne Ernsthaftigkeit und Verantwortung vorzugehen. „Das Problem der Community Radios ist, das sie keine legalen Frequenzen besitzen. Sie entstanden nach dem Ende des internen bewaffneten Konfliktes und nach der Unterschrift der Friedensvereinbarungen als Eingangstür für neue (Ausdrucks-) Möglichkeiten der Bevölkerung“, erklärt Záenz. Viele der freien Radios senden ihre Programme in einer der Maya-Sprachen des Landes. Laut Záenz sind sie Zielscheibe von Druck und Einschüchterungen der Telekommunikationsbehörde. Diese will wegen unerlaubter Frequenzbenutzung Strafen von 10.000 Dollar verhängen. Das scheint unlogisch und unverhältnismäßig, denn die Radios funktionieren durch die Mitarbeit und die Beiträge der Bewohner der Gemeinden, in denen sie senden. Die Vereinigung in Solola setzt sich für eine Reform des Telekommunikationsgesetzes ein. Sie verweist auch auf die Friedensvereinbarungen, in denen das Recht der Gemeinden auf den Zugang zu den Kommunikationsmedien festgeschrieben wird. GUATEMALA/SPANIEN Klageerweiterung gegen Militärs in Spanien (Guatemala-Stadt, 8. Juni 2000, cerigua-Poonal).- Auf der Suche nach Gerechtigkeit hat wird sich die Guatemaltekin Adriana Portillo de Bartow der Klage anschließen, die Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchu bei der spanischen Staatsanwaltschaft gegen ehemalige Militärs und Regierungsfunktionäre ihres Landes eingereicht hat. Die Töchter von Bartow im Alter von neun und zehn Jahren sowie ihre 18 Monaten Tochter gerieten im September 1981 in die Gewalt der staatlichen Sicherheitskräfte und sind seitdem verschwunden. Portillo de Bartow macht den damaligen Präsidenten General Romeo Lucas sowie weitere hochrangige Militärs und Zivilisten für das Verbrechen verantwortlich. Vor guatemaltekischen Gerichten sei ihr keine Gerechtigkeit widerfahren, begründet die Klägerin den Gang nach Spanien. Der Fall von Bartow, bei dem es um das Verschwindenlassen von Kindern geht, ist keine Einzelfall. Nach dem Bericht der Kommission für historische Aufklärung waren elf Prozent aller Opfer in dem 36-jährigen Krieg zwischen Guerilla und Militärs Kinder. Bei den Ausgrabungen geheimer Friedhöfe, auf denen die Überreste der Opfer von Massakern ruhen, zeigte sich, dass etwa ein Drittel der Leichen Kinder unter 15 Jahren waren.

COSTA RICA

Strafen für sexuellen Missbrauch erhöht

(San Jose, Juni 2000, fempress-Poonal).- Die costarikensischen

Abgeordneten haben in erster Lesung eine Änderung des Strafgesetzbuches verabschiedet. Delikte, die keine Verwaltigung, aber sexuellen Missbrauch (sic!, die Red.) darstellen, werden künftig mit härteren Haftstrafen geahndet. Insbesondere die sexuelle Aggression gegen Minderjährige, Behinderte oder in einer Zwangssituation befindlichen Personen werden mit mehrjähriger Haft bestraft. Die Bandbreite reicht je nach Opfer und Art des sexuellen Missbrauch von zwei bis zehn Jahren Gefängnis.

PARAGUAY/BRASILIEN

Brasilien erhebt Anklage gegen Strössner Paraguay soll Zentrum der „Operacion Condor“ gewesen sein

Von Stefanie Kron

(Berlin 13. Juni 2000, npl).- 1989 zwang er den seit 35 Jahren in Paraguay herrschenden Diktator Alfredo Strössner mit vorgehaltener Pistole zur Aufgabe. 1996 wurde Lino Oviedo wegen eines Putschversuchs gegen den damaligen Pträsidenten Carlos Wasmosy zu zehn Jahren Haft verurteilt, aber von seinem Vertrauten und nachfolgenden Staatschef Raul Cubas wieder auf freien Fuß gesetzt. Zudem steht er in Verdacht, im März 1999 an der Ermordung von Paraguays Vize-Präsidenten Luis Maria Argana beteiligt gewesen zu sein. Am vergangenen Sonntag ist der mit internationalem Haftbefehl seit Monaten gesuchte ehemalige Heereschef Paraguays im brasilianischen Foz do Iguazu, einer Grenzstadt im Dreieck zwischen Paraguay, Brasilien und Argentinien festgenommen worden. Der Kommentar von Nelson Argana, Sohn des ermordeteten Vizepräsidenten und heute Verteidigungsminister Paraguays, die Verhaftung des Putschisten sei der „Beginn eines neuen Paraguay“, kann zukünftig eine sehr viel weitgehendere Bedeutung für das kleine südamerikanische Land erhalten. Denn während die Bemühungen, den chilenischen Ex-Diktator Augusto Pinochet vor Gericht zu bringen, international für großes Aufsehen sorgen und sich auch in Argentinien hohe Militärs wegen Menschenrechtsverbrechen vor der Justiz verantworten müssen, schien die Mauer des Schweigens über die dunkle Vergangenheit des paraguayischen Militärregimes unter Alfredo Strössner (1954 bis 1989) lange Zeit unumstößlich. Seine Colorado-Partei hält sich auch unter formaldemokratischen Verhältnissen bis heute an der Macht. Doch Anfang Juni entschied der brasilianische Kongress, Beweise zu sammeln, um den seit seinem Sturz 1989 unbehelligt unter dem Status des politischen Flüchtlings im Nachbarland am Amazonas lebenden Strössner wegen Folter, Verschwindenlassen von Personen und anderen Verstößen gegen die Menschlichkeit vor Gericht zu bringen. Man nimmt an, dass Paraguay das Zentrum der sogenannten „Operacion Condor“ war, ein Abkommen zwischen den südamerikanischen Militärdiktaturen, um den Austausch von politischen Gefangenen, von Informationen über Aktivist*innen der Linken und Foltermethoden zu koordinieren. Dr. Martin Armada, Präsident des „Ethnischen Tribunals gegen die Unmenschlichkeit“, einer Organisation verschiedener Menschenrechtsgruppen Paraguays entdeckte 1992 die sogenannten „Archive des Todes“ – die genauestens Auskunft über die Aktionen der „Operacion Condor“ geben – in einer Polizeistation in der Hauptstadt Asuncion. Laut Armada enthüllen die Archive, die nach der Entdeckung der paraguayischen Justiz übergeben wurden, von der Einmischung der USA bis hin zur Deutsch-Paraguayischen Nazi-Connection alle Aktivitäten, in die das Strössner-Regime verwickelt war. In einem Interview mit der Nachrichtenagentur ALER (vgl. Poonal 434) berichtet er: „In den Archiven haben wir sogar ein verschwunden geglaubtes Schlüsseldokument gefunden, das erklärt wie man Gefolterte am Leben hält. Dieses Dokument kam mit einem Oberst aus den USA, den sie geschickt haben, um die Folterer auszubilden. Es wurde gegen die gesamte südamerikanische Opposition wie eine Bibel benutzt. Auf der anderen Seite haben wir eine Menge Erkenntnisse über die Naziconnection aus diesen Archiven – so auch die Vorgeschichte von Mengele, Martin Bormann und allen Nazis, die sich in Paraguay niedergelassen haben.“ Kürzlich reiste Marcos Rolin, Präsident des Menschenrechtsausschusses des brasilianischen Kongresses nach Asuncion und holte dort die Dokumente aus dem „Archiv des Todes“ für ein mögliches Verfahren gegen Strössner in Brasilien ab. Voraussetzung dafür wäre allerdings, dass ihm der Status als politischer Flüchtling aberkannt wird. In Paraguay selbst gründete sich vor kurzem die erste Gruppe der Betroffenen der Militärdiktatur, die „Nationale Bewegung der Opfer“. Deren 20 Gründungsmitglieder fordern die Aufklärung des Schicksals der Verschwundenen sowie Entschädigung für die Diktaturopfer und ihre Angehörigen. Präsident Santiago Rolon geht jedoch davon aus, dass die „Bewegung“ bald mehrere hundert Mitglieder zählen wird, denn Betroffene gibt es genug. Nach offiziellen Angaben verschwanden unter Strössners blutiger Herrschaft 400, laut Menschenrechtsorganisationen 3000 Menschen. Weitere unzählige Oppositionelle wurden von den Militärs gefoltert. Die Chancen, Strössner in Paraguay den Prozess zu machen, stehen allerdings noch schlechter. Obwohl dort schon drei Verfahren gegen ihn anhängig sind und der Ex-Diktator nach Angaben von Juristen sofort festgenommen werden müsste, wenn er paraguayischen Boden betritt, sind Armada zufolge die Handlungsmöglichkeiten der derzeitigen Regierung Paraguays zur Unterstützung der Ermittlungen in Brasilien stark eingeschränkt: „Ich glaube nicht, dass sich die paraguayische Regierung auf irgendeine Zusammenarbeit mit dem brasilianischen Kongress einlassen wird. Präsident Macci ist abhängig von den Seilschaften der Diktatur. Er selbst ist Sohn eines Mörders, der 30 Jahre lang Justizminister war. Der Gesundheitsminister war unser Folterer, und so weiter.“ Armada räumt allerdings ein, dass die Justizapparat in Paraguay „sehr glaubwürdig“ sei und dass es nun des Drucks aus dem Ausland sowie seitens der sich langsam stärker artikulierenden paraguayischen Menschenrechtsbewegung bedürfe, um die Mauer des Schweigens zu durchbrechen. BRASILIEN Erstmals Großgrundbesitzer von Justiz zur Rechenschaft gezogen.

(Brasilia, 7. Juni 2000, pulsar-Poonal).- Als historisches Ereignis wird das Verhängen einer Haftstrafe von 19 Jahren wegen Mordes gegen einen mächtigen brasilianischen Großgrundbesitzer angesehen. Sechs von sieben Geschworenen sahen es als erwiesen an, dass Jerónimo Alves Amorim für den Mord an dem Gewerkschafter Expedito Ribeiro de Souza verantwortlich ist, weil er das Verbrechen beschloss und plante. Ribeiro de Souza war ein regionaler Landarbeiterführer der Landlosenbewegung MST. Im Februar 1991 geriet er in einen Hinterhalt und wurde umgebracht. Großgrundbesitzer Amorim wollte sich den Ermittlungen nach mit dem Mord vor Aktionen der Landarbeiter schützen. Er ist gegen das Urteil in Berufung gegangen. BRASILIEN Befreiungstheologie in anderen Zeiten Von Ricardo Soca (Rio de Janeiro, 5. Juni 2000, na-Poonal).- Vor fast dreißig Jahren publizierte der peruanische Theologe Gustavo Gutiérrez jenen Artikel, der der Befreiungstheologie ihren Namen gab. Weitab vom revolutionären Aufruhr, der die 60er und 70er Jahre in Lateinamerika markierte, sucht diese katholische Strömung heute neue Betätigungsfelder. Als die Befreiungstheologie als solche geboren wurde, existierten auf dem Subkontinent bereits Tausende von kirchlichen Basisgemeinden. Im Innern der katholischen Kirche brodelten die „fortschrittlichen“ Strömungen, die sich von der sogenannten Politischen Theologie inspirieren ließen, die in den 60er Jahren in Europa entstand. Es waren die Jahre des kalten Krieges, als die Menschheit den Zusammenstoß zweier antagonistischer sozio-ökonomischer und politischer Systeme erlebte. In dieser Zeit übte das marxistische Denken einen starken Einfluss auf die Christen aus, die versuchten das christliche Ideal der Solidarität mit einer politischen Theorie in Einklang zu bringen, die auf eine neue Gesellschaft hinwies. Ein Gutteil der bischöflichen Hierarchie Lateinamerikas gab seine Zustimmung. Zu Beginn des Jahrhunderts, mit einem am Horizont verschwindenden Realsozialismus, entfernen sich die Befreiungstheologen vom Marxismus und der Idee einer revolutionären Veränderung der Gesellschaft. Sie richten ihre theoretischen Instrumente auf andere Formen der Solidarität. So stärken sich Aktionen des Synkretismus. In Brasilien tendieren sie dazu, die katholische Liturgie mit den afrikanischen Riten zu vereinigen und im spanischen Amerika mit den Kulten und Gebräuchen der Indigenas. Genauso engagiert sich die Befreiungstheologie in der Verteidigung der Frauenrechte, im allgemeinen von der marxistischen Linken wenig beachtet, und für die Verteidigung der Umwelt. Der brasilianische Theologe Jo+o Baptista Libánio, Autor mehrerer Bücher über diese Bewegung, die viele einst „revolutionäre Kirche“ nannten, versichert kategorisch, dass „die Befreiungstheologie sich in ihrem Wesen der Solidarität treu bleibt. Der Schwerpunkt hat sich etwas verändert, weil der Kontext sich verändert hat.“ Das Verschwinden des sozialistischen Systems ist nicht der einzige Grund für die Veränderungen gewesen, die die Befreiungstheologie durchgemacht hat. Die Theologen geben zu, dass sich in ganz Lateinamerika eine Art „mystischer Aufbruch“ ausbreitet, der zum Nachteil der Solidarität den Akzent auf die Spiritualität setzt. Außerdem wird wie entschuldigend hinzu gefügt, dass sich die Leute in allen Bereichen weniger engagieren, nicht nur in der „fortschrittlichen“ Kirche. Der ehemalige Franziskanerpater Leonardo Boff, mit mehr als 60 veröffentlichten Büchern der bekannteste Autor dieser Strömung, stimmt mit Libánio darin überein, dass die Solidarität mit den Armen wie in den Anfangszeiten das zentrale Thema der Befreiungstheologie ist. Mit dem Unterschied, dass zu Beginn dieses von den Göttern des Marktes beherrschten Jahrhunderts, die Armen nicht mehr die Erben einer erträumten neuen sozialistischen und gleichberechtigten Gesellschaft sind, sondern wehrlose Opfer von Angebot und Nachfrage, der unberechenbaren Kapitalströme und der Launen eines zentralisierenden und ausschließenden Marktes. „Solidarität ist heute ein Synonym für den Kampf gegen sozialen Ausschluss“ erklärt Leonardo Boff in einer seiner seltenen Übereinstimmungen mit der Hierarchie in Rom. Der brasilianische Theologe schlägt eine Brücke zwischen dem Einsatz für die Umwelt und den Forderungen nach sozialer Gleichheit. „Die Ökologie behandelt nicht nur Fragen, die mit der Umwelt, dem Grünen oder den von der Ausrottung bedrohten Spezies zu tun haben. Sie steht für eine neue Art, die Beziehungen der Menschen unter sich, mit der Natur und mit ihrem Sinn in diesem Universum zu organisieren“, versichert Boff. „Wir haben entdeckt, dass nicht nur die Armen befreit werden müssen, sondern auch die Erde aus der Gefangenschaft eines Entwicklungstyps, der ihre Würde verleugnet, ihre Ressourcen vergeudet und das Gleichgewicht bricht, das sich in Millionen von Jahren kosmischer Arbeit bildete“. Für Boff „artikuliert sich der Schrei der Armen mit dem Schrei der Erde und macht so die Befreiungstheologie wahrhaft ganzheitlich und universell“. Laut Boff „erlaubt die ökologische Erfahrung eine neue heilige Rettung der Schöpfung, ein neues Bild von Gott, ein erweitertes und kosmisches Verständnis von christlichen Mysterium und eine neue Spiritualität“. Baptista Libánio unterstreicht den „pluraleren“ Charakter, den die Befreiungstheologie heute erlebt. Er gesteht ein, heute „sind wir besser für die Vielfältigkeit der Gesellschaft empfänglich“. Nachdem die sozialistische Gesellschaft nicht den neuen und solidarischen Menschen schuf, der erträumt wurde, stellt Libánio mit dem Fall der Mauern des Realsozialismus nun einen ungebremsten Egoismus und Konsumismus fest. „In der Realität gab es keinen kulturellen Wechsel“, schließt er. Trotz ihrer Transformationen in den vergangenen Jahren, hat die Befreiungstheologie nicht ihrer alten Idee abgeschworen, die Struktur der römisch-katholischen Kirche zu verändern. Im Gegenteil, die Entdeckung des Pluralismus und die Bejahung der partizipativen Demokratie gingen einher mit dem Wunsch nach einer Kirche, die weniger strenge Strukturen hat, die durchlässiger, beteiligender und demokratischer ist. „Statt einer Kirche ´mit´ den kirchlichen Basisgemeinden, muss es eine Kirche ´der´ kirchlichen Basisgemeinden sein“, heißt es in den jüngsten Dokumenten der Befreiungstheologie. URUGUAY Auf der Suche nach der Wahrheit Bischof soll Kommission über Verbrechen der Vergangenheit vorsitzen (Montevideo, 14. Juni 2000, comcosur-Poonal).- Das Thema der unter der Diktatur verhafteten und verschwundenen Personen ist eine offene Wunde in der uruguayischen Gesellschaft. Jetzt nimmt die Gründung einer Friedenskommission, die die Vergangenheit aufklären soll, Formen an. Als ihr Vorsitzender steht der katholische Erzbischof von Montevideo, Nicolas Cotugno fest. Außerdem werden ihr auf jeden Fall der Priester Luis Perez Aguirre, Gründer von Servicio Paz y Justicia (Serpaj), sowie ein Regierungsvertreter und ein Mitglied des linken Oppositionsbündnisses Frente Amplio angehören. Die uruguayische Militärdiktatur von 1976 bis 1985, der drei Jahres „kalter Staatsstreich“ des zivilen Präsidenten Bordaberry vorausgingen, galt nicht als so blutrünstig wie die Diktaturen der lateinamerikanischen Nachbarländer. Statt mehrerer tausend verschwanden dort im Rahmen der Repressionswelle durch die Militärs „nur“ 164 Menschen. Allerdings ist Uruguay mit gut drei Millionen Einwohnern auch ein relativ bevölkerungsarmes Land. Nach der Diktatur sollte das Thema der Verhafteten-Verschwundenen mit einer Generalamnestie zu den Akten gelegt werden. Sonst sei die Rückkehr zur Demokratie gefährdet, begründeten die konservativen Politiker der Zivilregierungen ab 1985. Erst kürzlich wiederholten die Ex-Präsidenten Lacalle und Sanguinetti, es handele sich um eine „juristisch und politisch abgeschlossene“ Angelegenheit. Doch in den letzten Jahren ließ sich die Vergangenheit nicht länger verdrängen. Die Familienangehörigen der Opfer legten den Finger in die offene Wunde. Die seit 1996 jeden 20. Mai stattfindenen Schweigemärsche weisen eine jedes Mal höhere Beteiligung auf. In diesem Jahr marschierten unter dem Motto „Wo sind sie? Die Wahrheit ist möglich und notwendig!“ nach unabhängigen Schätzungen mehrere zehntausend Menschen durch die Hauptstadt Montevideo, die Veranstalter sprechen sogar von 75.000 Teilnehmern. Mehrere konkrete Fälle wurden zuletzt zum Gegenstand öffentlicher Diskussionen und Anteilnahme. Seit mit Jorge Battle vor wenigen Monaten ein zwar ebenfalls konservativer, aber gegenüber dem Anliegen wesentlich aufgeschlossenerer Präsident die Regierung übernahm, ist noch mehr Bewegung in das Thema gekommen. Ein wesentlicher Anstoß war die nach 23 Jahren erfolgreiche Suche des argentinischen Dichters Juan Gelman nach seiner in Uruguay verschwundenen Enkelin. Die von den argentinischen Militärs nach Uruguay verschleppte Schwiegertochter Gelmans gebar das Kind in der Haft und verschwand wenige Tage danach. In einem anderen Fall, war der Ausgang weniger glücklich. Auf Drängen von Präsident Battle stimmte ein junger Mann nach jahrelanger Weigerung einem Gentest zu, der nachwies, dass er nicht der Sohn von Sara Mendez ist. Mendez, eine der Personen, die den Militärs lebend entkommen konnten, sucht nach ihrem Kind Simon, das ihr während der Haft von den Militärs entrissen wurde. Die Organisation der Familienangehörigen der Opfer hat den Verdacht, dass der uruguayische Geheimdienst sehr wohl über das Schicksal von Simon bescheid weiß, aber die Information nicht preis gibt. Viele der Verschwundenen werden in geheimen Gräbern vermutet, die sich meist auf Militärgeländen befinden sollen. Auf eine solche Hypothese stützen sich beispielsweise die Ermittlungen im Fall der 1976 verschwundenen Lehrerin Elena Quinteros, einer der wenigen Fälle, in denen aufgrund gerichtlicher Anordnung untersucht wird. Nach der Aussage eines ehemaligen Soldaten wurde Quinteros gefoltert, ermordet und auf dem Areal des damaligen 13. Bataillons der Panzerinfanterie begraben. Auch sie gebar zuvor noch ein Kind, das heute in Argentinien vermutet wird. Präsident Battle will allem Anschein nach an der Generalamnestie für die Militärs nicht rütteln. Er hat erklärt, die Militärs müssten keine Angst haben. Kein Mitglied der Streitkräfte werde in Uruguay ins Gefängnis kommen. Es gehe darum, den Bürgern „ihren Frieden zurück zu geben und ein Gefühl von Verständnis zu schaffen“. Dennoch ist die Unruhe unter aktiven und in den Ruhestand versetzten Offizieren unverkennbar. Und ob es gelingen wird, die verantwortlichen Generäle zum Sprechen zu bringen, ist mehr als unklar. So schloss der konservative „Militärkreis“ den ehemaligen Heereskommandanten General Daniel Garcia aus seinen Reihen aus, weil er öffentlich dafür eintrat, dass die Streitkräfte wegen der Menschenrechtsverletzungen unter der Diktatur um Vergebung bitten. Garcia kommentierte die Entscheidung seiner Kollegen dahingehend, „dass wir Militärs keine freien Personen sind, auch nicht im Ruhestand. Das heißt, wir sind Geiseln unseres Berufes bis zum Tod“. Genau diese Einstellung der Streitkräfte könnte eine Aufklärung verhindern. Das Mindestziel der Friedenskommission wird es sein, die Verantwortung des Staates für die Verbrechen der Diktatur offen zu legen und möglichst viele Schicksale von Verschwundenen zu klären. Fünfzehn Jahr nach dem Ende der Militärdiktatur in Uruguay ist das zumindest ein erster Schritt. URUGUAY Gewalt in der Familie nimmt zu (Montevideo, 13. Juni 2000, alc-Poonal).- Uruguay, einst als Modell für das Zusammenleben und Hort von Harmonie und Frieden in Lateinamerika angesehen, weist Macken dieses traditionellen Images zurück. Die familiären Beziehungen werden zunehmend von Gewalt getrübt, beziehungsweise gelangt dieser Umstand immer mehr an die Öffentlichkeit. 1998 verzeichnete die Behörde zur Verbrechensprävention 4.432 Anklagen wegen häuslicher Gewalt, im vergangenen Jahr hat sich diese Ziffer mit 9.283 Klagen mehr als verdoppelt. Das ist eine erschreckende Bilanz, zumal Schätzungen davon ausgehen, dass auf jeden zur Anklage gebrachten Fall neun weitere Opfer kommen, die von ihrem Recht auf eine Anzeige keinen Gebrauch machen, weil sie Repressalien ihrer Aggressoren fürchten. Laut jüngster Erhebungen von UNICEF, erleiden in Uruguay fast 50.000 Kinder Gewalttätigkeiten zuhause. In dem Buch „Gewalt in der Familie: Eine multidisziplinäre Annäherung“ wird auf die Situation der Frauen eingegangen. 48 Prozent der Befragten gab an, irgendeine Art von Gewaltanwendung durch den Partner zu erfahren. Der Machismo sowie eine patriarchal und autoritär ausgerichtete Kultur werden als Faktoren für die innerfamiliäre Gewalt angegeben. Verschärft wird die Lage durch eine soziale und wirtschaftliche Krise. Arbeitslosigkeit, frühzeitiger Schulabgang, eine Schwangerschaft im Minderjährigenalter und die Ausbeutung am Arbeitsplatz sind Indikatoren, die innerfamiliäre Gewalt begünstigen. Jetzt soll eine aus Ministerien, anderen staatlichen Institutionen und Nicht-Regierungsorganisationen zusammengesetzte Kommission ein Dokument erarbeiten, das Grundlage für ein Dringlichkeitsgesetz zum Thema sein wird. KOLUMBIEN Das Auf und Ab des Friedensprozesses (Bogota, 7. Juni 2000, ac-Poonal).- Jegliche Vorhersage über den Verlauf des Friedensprozesses in Kolumbien wird durch die Kraft der Ereignisse stets hinfällig. Noch keinen Monat ist es her seit der schwersten Krise des Verhandlungsprozesses. Sie wurde durch den Vorfall der „Kragenbombe“ ausgelöst. Die Regierung machte sofort die FARC-Guerilla für dieses Verbrechen verantwortlich und musste das später zurücknehmen. So erstaunt es, dass in diesen Tagen – und anscheinend diesmal ernsthaft – über einen Waffenstillstand und die Einstellung der Feindseligkeiten verhandelt wird. Tatsächlich wurde das Thema erstmals am 23. April 2000 vom wichtigsten Sprecher der FARC, Raul Reyes, angesprochen. Er erklärte, seine Organisation sei bereit, einen Vorschlag für einen multilateralen, zeitlich begrenzten und überprüfbaren Waffenstillstand am Verhandlungstisch zu präsentieren. Dieser Schritt kam unvorhergesehen und wurde von Seiten der Armee und einiger Unternehmerverbände scharf kritisiert. Sie bezeichneten die Initiative als einen Schachzug der Guerilla, um das Land noch mehr zu verwirren. Doch das Thema nahm seinen Lauf und in der letzten Woche erklärten Regierung und FARC in einer gemeinsamen Mitteilung, dass am kommenden 3. Juli die beiden Seiten ihre Vorschläge zu einem Waffenstillstand und einer Einstellung der Feindseligkeiten in verschlossenen Umschlägen austauschen werden. Dies ist das bedeutendste Ereignis seit Beginn der Verhandlungen. Erstmals kommen die beiden Seiten überein, einen der sensibelsten Punkte in Bezug auf die Durchführung des Friedensprozesses zu überprüfen: das berühmte Schema der Verhandlungen inmitten des Krieges. Diese Überprüfung war beständig von verschiedenen Sektoren der Zivilgesellschaft gefordert worden. Das Modell von Verhandlungen inmitten des Krieges erschien zu Beginn plausibel, da man von Vornherein wusste, dass die Verhandlungen ein langer Prozess sein würden. Es zeigte seine Begrenzung durch die verschiedenen militärischen Offensiven der FARC, die in der öffentlichen Meinung die Hoffnung auf Frieden untergruben. Die Konfrontation wurde auch auf die Ebene der Massenmedien getragen, dies dank der Erklärungen hoher Militärs und eines parteiischen Journalismus. Das machte den für das Vorankommen des Prozesses notwendigen Konsens zunichte. Jeder Angriff der Guerilla wurde von den Militärs als ein Attentat auf den Friedensprozess dargestellt, obwohl bereits im Voraus vereinbart worden war, dass die Verhandlungen inmitten der Feindseligkeiten geführt werden sollen. Vor diesem Hintergrund ist die Diskussion über einen Waffenstillstand und die Einstellung der Kämpfe zweifellos der größte Fortschritt des Friedensprozesses. Die Implikationen sind weitreichend in Bezug auf ein humanitäres Abkommen, den Austausch von Gefangenen und für die Entwicklung des „Plan Colombia“ (zu letzterem siehe frühere Poonalausgaben). Parallel wird sicherlich die Diskussion über die Finanzierung der Guerilla diskutiert werden. Dies ist einer der wichtigsten Punkte, denn wenn die Verhandlungen über einen Waffenstillstand vorankommen, müsste sich das dahingehend auswirkend, die Zivilbevölkerung nicht länger zu bedrängen. Dies wiederum hieße, alternative Formen der Finanzierung anstelle von Entführung und Erpressung zu suchen. Es gäbe keinen Sinn, nur einen Waffenstillstand und eine Einstellung der Feindseligkeiten auszuhandeln, die nur die bewaffneten Akteure betreffen würde. Im Gegenteil, Hauptziel müsste der Schutz der Zivilbevölkerung mittels eines humanitären Abkommens sein. Dies ist für die Regierung und deren Armee eine enorme Herausforderung. Sie müssten garantieren, dass die paramilitärischen Gruppen diesen neuen Friedensversuch in Kolumbien nicht zunichte machen. Während in der Verhandlungszone von El Caguán wieder ein wenig Optimismus aufkommt, sind die Aussichten bezüglich der Gespräche mit der ELN, der zweitgrößten Guerilla des Landes weiterhin sehr ungewiss. Nach hitzigen Debatten kamen die Regierungsvertreter und die Bauern des Südens des Dep. Bolívar überein, die Straßenblockaden aufzuheben. Um zu verhindern, dass die drei Gemeinden Yondó (Provinz Antioquia), San Pablo und Cantagallo (Provinz Bolívar) demilitarisiert werden, um dort die Nationale Konvention mit dem ELN durchzuführen, hatten Bauern der Region fast einen Monat lang die Straßen zur Atlantikküste blockiert. Jetzt soll die Bevölkerung der drei Gemeinden angehört werden. Ein in Deutschland geplantes Treffen zwischen ELN und Vertretern der Zivilgesellschaft konnte nicht durchgeführt werden, da die kolumbianische Regierung die notwendigen administrativen und diplomatischen Schritte, zur Ermöglichung der Reise und des Aufenthalt der ELN-Führungsleute, nicht unternahm. Dies zeigt einmal mehr die zweitrangige Behandlung, welche die Regierung dem Friedensprozess mit der ELN beimisst. So konnte oder wollte die Regierung eine entmilitarisierte Zone zur Durchführung der Nationalen Konvention nicht durchsetzen und erschwert zudem die Kontakte mit der Zivilgesellschaft. Letztgenannte unternimmt große Anstrengungen, um – wie einige ihrer Vertreter sagen – ein zweites Mainz (in Fortsetzung des ersten Treffens zwischen ELN und Zivilgesellschaft in Mainz im Jahr 1998) durchzuführen. KOLUMBIEN Verhandlungszone mit FARC bleibt entmilitarisiert (Bogota, 7. Juni 2000, pulsar-Poonal).- Die kolumbianische Regierung hat beschlossen, die Verhandlungszone für die Gespräche mit der Guerilla-Organisation FARC weitere sechs Monate entmilitarisiert zu lassen. Damit entfällt ein Hindernis für das Fortkommen des Friedensprozesses. In dem Gebiet von der Größe der Schweiz befindet sich seit Januar 1999 offiziell kein Militär mehr, die Verwaltung steht weitgehend unter Kontrolle der Guerilla. In Bezug auf die Guerilla der ELN unternahm die Regierung ebenfalls einen Schritt. Sie bekräftigte die Entscheidung, der ELN den „politischen Status“ zurückzugeben, um die Durchführung der von dieser Guerillagruppe vorgeschlagenen Nationalkonvention zu erleichtern. Präsident Andres Pastrana hat den Status nicht mehr anerkannt, nachdem die ELN bei Massenentführungen im vergangenen Jahr Flugpassagiere und die Besucher einer Sonntagsmesse in der Stadt Cali in ihre Gewalt gebracht hatte und sie monatelang als Gefangene hielt. PERU Andengipfel weiterer Erfolg für Fujimori (Lima, 10. Juni 2000, pulsar-Poonal).- Der zwölfte Andengipfel endete am vergangenen Samstag in Lima mit einer gemeinsamen Erklärung der Präsidenten der fünf Teilnehmerländer Venezuela, Kolumbien, Ecuador, Peru und Bolivien zur Demokratie und Nicht- Intervention. Angesichts des umstrittenen Wahlprozesses in Peru und der sozialen Proteste in anderen Ländern der Subregion gewinnt dieser Schritt eine besondere Bedeutung. Vor allem das autoritäre Regime von Perus Präsident Alberto Fujimori, der den Vorsitz der Andengemeinschaft an Venezuelas Staatschef Hugo Chavez abgab, geht gestärkt aus dem Gipfeltreffen hervor. Am 24. Juli soll bereits eine Sondergipfel stattfinden, um Mechanismen für eine effektive Integration der Andenländer festzulegen. Bis zum Jahr 2005 wollen die fünf Nationen einen gemeinsamen Markt nach dem Vorbild des Mercosur schaffen. Zum Ende des Gipfels verteidigte sich Fujimori gegen Kritik an seiner Regierung damit, dass er nicht vorhabe, „die Demokratie in seinem Land neu zu definieren, sondern in die Praxis umzusetzen“. Hugo Chavez warb für seine auch nicht unumstrittene Amtsführung mit den Worten, er sei auf der Suche eines venezolanischen Modells, das Gleichheit und Gerechtigkeit aller Bürger des Landes erlaube. PERU Streitkräfte stellen sich demonstrativ hinter Fujimori (Lima, 9. Juni 2000, pulsar-Poonal).- Die Armee- und Polizeikräfte haben den amtierenden Staatschef Alberto Fujimori bereits offiziell auch als neuen Präsidenten anerkannt. Damit kamen sie sowohl dem Nationalen Wahlrat als auch dem Kongress zuvor, der Fujimori am 28. Juli im Amt bestätigen muss. Das Vorkommnis wurde von Kritikern als erneuter Eigenputsch des Präsidenten bewertet, dessen Wahlsieg im In- und Ausland in Zweifel gestellt wird. Der General im Ruhestand Germán Parra Herrera sieht die Anerkennung Fujimoris als Drohgebärde gegenüber der Bevölkerung und insbesondere der Opposition. Genauso stelle sie eine Warnung die Mission der Organisation Amerikanischer Staaten (ÖA) dar, die demnächst das Land besuchen wird. In der peruanischen Verfassung ist das Vorgehen von Streitkräften und Polizei ohnehin nicht vorgesehen. Der Abgeordnete Harold Forsyth sieht in der Aktion der Militärs ein vorrangig politisches Ereignis. Es solle zudem die Unterstützung für Fujimori in einem Moment sichtbar machen, in dem seine reguläre Wahl zum Präsidenten fragwürdig sei. ARGENTINIEN Regierung bleibt trotz erfolgreichem Generalstreik hart (Buenos Aires, 10. Juni 2000, pulsar-Poonal).- Obwohl dem Aufruf der wichtigsten Gewerkschaften zum Generalstreik am 9. Juni fast vollständig befolgt wurde und das Land weitgehend lahmgelegt wurde, will die argentinische Regierung an ihren wirtschaftlichen Sparmaßnahmen festhalten. Sie erklärte sich jedoch bereit, die Gespräche mit Gewerkschaften, der Kirche, den Unternehmerverbänden und anderen Gesellschaftsgruppen wieder aufzunehmen. Es wird damit gerechnet, dass Präsident Fernando de la Rua entsprechende Anstrengungen nach dem Abschluss seines USA-Besuches unternimmt. Der Staatschef rechtfertigte allerdings ein weiteres Mal, seine am 29. Mai angeordneten harten sozialen Einschnitte, um das Haushaltsdefizit zu reduzieren. Die Arbeiter dagegen sehen nicht ein, dass sie die hauptsächliche Last von Entlassungen, Lohnkürzungen und Privatisierungen tragen sollen. Allein im öffentlichen Sektor betragen die Lohnkürzungen zwischen zwölf und 15 Prozent. Nichts spricht dagegen, dass die Unternehmer diesem Beispiel erfreut folgen werden. Die soziale Lage wird das voraussichtlich verschärfen. Von 34 Millionen Einwohnern sind zwei Millionen arbeitslos, in den städtischen Zonen lebt jeder dritte Argentinier in Armut. Zwölf Prozent der Bevölkerung verfügen nicht über ein Einkommen, das eine ausreichende tägliche Ernährung sichert. Das erklärt zu einem Teil, warum die unter sich zerstrittenen Gewerkschaftsdachverbände diesmal geeint zum Generalstreik aufriefen und damit Erfolg hatten. Das öffentliche Transportwesen funktionierte am 9. Juni so gut wie nicht, die staatlichen Büros blieben leer. Aber auch in der Privatindustrie standen die meisten Räder landesweit still. Die Regierung musste eine „wichtige Wirkung“ des Generalstreikes im ganzen Land eingestehen. Fernando de la Rua bezeichnete die Aktion aber als „unnötig“. CHILE Pinochet geht in die Berufung (Santiago, 9. Juni 2000, pulsar-Poonal).- Wie nicht anders erwartet haben die Anwälte von Ex-Diktator Augusto Pinochet gegen die Aufhebung der parlamentarischen Immunität ihres Mandanten Berufung eingelegt. Anwalt Gustavo Collao erklärt, Pinochet sei unschuldig. Es gäbe keine Beweise dafür, dass der General im Ruhestand für den Tod von 74 Aktivisten der Linken im Jahr 1973 verantwortlich sei. Obwohl es inzwischen mehr als hundert Anklagen gegen Pinochet gibt, stünde bei einem Strafverfahren wahrscheinlich das Verschwinden dieser 74 Personen im Mittelpunkt. Der Präsident des Obersten Gerichtshofes hat angekündigt, eine Entscheidung im Berufungsverfahren werde etwa einen Monat auf sich warten lassen. Dieses Urteil wird unwiderruflich sein. CHILE Sonderrichter für Hinrichtung von Studenten gefordert (Santiago, 9. Juni 2000, comcosur-Poonal).- Der Anwalt Nelson Caucoto hat die Ernennung eines Sonderrichters für die Ermittlungen über die Verbrechen der „Operation Albanien“ gefordert. Der Name bezieht sich auf die Hinrichtung von zwölf jungen Kommunisten im Juni 1987 während der Pinochet-Diktatur. Die Ermordeten gehörten der Guerilla-Gruppe Patriotische Front Manuel Rodriguez an, die damals mit der Kommunistischen Partei Chiles verbunden war. Nach offizieller Version des Regimes starben sie in „Zusammenstößen mit den Sicherheitskräften“. Die Autopsie ergab jedoch, dass die tödlichen Schüsse abgegeben wurden als die Opfer wehrlos auf dem Boden lagen. Die Kläger möchten, dass Richter Milton Juica, der sich bereits seit Februar in den Fall eingearbeitet hat, auch die weiteren Untersuchungen führt. Bisher konnte er 15 Militärs im Ruhestand und ehemalige Geheimdienstler vor Gericht bringen. CHILE Vereinbarung über Suche nach Verschwundenen (Santiago, 13. Juni 2000, pulsar-Poonal).- Am sogenannten Gesprächstisch über Menschenrechte trafen Vertreter von Religionsgemeinschaften, den Streitkräften, Menschenrechtsgruppen und weiteren Organisationen der Zivilgesellschaft ein Abkommen, auf welche Art und Weise nach den Personen gesucht werden soll, die unter der Militärdiktatur von Augusto Pinochet verhaftet wurden und danach verschwanden. Die Militärs übernehmen die Verpflichtung, Information zu sammeln und bereit zu stellen, um die Ueberreste der Verhafteten-Verschwundenen aufzufinden. Der Vereinbarung gingen ständige Treffen in den vergangenen elf Monaten voraus. Verteidigungsminister Mario Fernandez bezeichnete die jetzt gefundene Uebereinkunft als Tribut an das Land und diejenigen die die politische Gewalt erlitten. General Juan Carlos Salgado, Repräsentant des Heeres, stritt ab, das das Abkommen ein „Verrat“ an General Augusto Pinochet sei. An den Gesprächen beteiligte sich nicht die gesamte chilenische Menschenrechtsbewegung. Ein Teil lehnte es von Anfang an ab, sich mit den Militärs zusammenzusetzen.

 

 

 

 

 

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