Poonal Nr. 417

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 417 vom 28. Januar 2000

Inhalt


ECUADOR

BRASILIEN

VENEZUELA

VENEZUELA/KOLUMBIEN

KOLUMBIEN

NICARAGUA

COSTA RICA

KUBA

PARAGUAY

URUGUAY

ARGENTINIEN

LATEINAMERIKA


ECUADOR

Chronik eines Volksaufstands:

Militärs instrumentalisieren Rebellion zum Sturz Mahuads

Von Ramon Vera und Andres Canizales

(Quito, 24. Januar 2000, Poonal).- Für einige Stunden sah es vergangenes Wochenende so aus, als würden Indigenas zusammen mit Gewerkschaften und dem Militär die Macht in Ecuador übernehmen. Der Rückzieher von Verteidigungsminister Mendoza wenig später und die anschließende Einsetzung des bisherigen Vizepräsidenten Gustavo Noboa zum Staatschef wurden vom Dachverband der Indigena-Organisationen (CONAIE), die maßgeblich am Sturz des Regierungspräsidenten Jamil Mahuad beteiligt waren, als „Verrat“ bezeichnet.

Nach einer zweiwöchigen Streik- und Protestwelle umstellen und blockieren am Donnerstag Nachmittag mehrere tausend Indigenas, Gewerkschafter und Vertreter von Stadtteilorganisationen trotz großem Polizeiaufgebot den Sitz des Nationalkongresses in der Hauptstadt Quito. Vor den Fernsehern der Elektrogeschäfte und Kneipen versammeln sich Trauben von Menschen, um die Ereignisse zu verfolgen.

Am Freitag Morgen überspringen die Indigenas die provisorisch errichteten Abzäunungen aus Stacheldraht und dringen zum Parlament vor. Die Sicherheitskräfte schreiten nicht ein. Polizeikapitän Cesar Diaz erklärt: „Ich bin sehr bewegt und stehe auf der Seite dieser Volkserhebung. Denn wir erfahren ebenfalls Armut und Verachtung.“ Gegen halb elf schaffen es die Aufständischen, den Justizpalast, das Energieministerium sowie den Rechnungshof zu stürmen. Auf dem Dach des Kongressgebäudes weht neben der ecuadorianischen Fahne die „huipala“, eine Regenbogenflagge und Symbol der Indigena-Völker Ecuadors. Die Menschen rufen im Chor: „Wir haben keine Lust mehr, eine nordamerikanische Kolonie zu sein.“

Um 11 Uhr tagt im Kongressgebäude erstmals das „Nationalparlament des Volkes“ mit 44 Delegierten aus den 22 Provinzen des Landes, die der Welt die Ernennung einer „Junta zur Nationalen Rettung“ verkünden. Unter dem anschwellenden Applaus der Anwesenden werden der Oberst Lucio Gutierrez zum „Präsident des Volkes“, Antonio Vargas – Vorsitzende der CONAIE – zum Präsidenten des Volksparlamentes, und Verfassungsrichter Carlos Solorzano zum Vorsitzenden des Obersten Gerichtshofes, ernannt. Die drei Mitglieder der Übergangsregierung geben eine Zehn-Punkte-Erklärung ab. Dazu gehört neben tiefgreifenden sozialen und wirtschaftlichen Reformen auch der „ständige multikulturelle Dialog in einem multiethnischen Staat“ sowie die Ablehnung der US-Militärbasis in der Hafestadt Manta.

Gegen Mittag verbreitet sich wie ein Lauffeuer die Nachricht, dass sich eine Gruppe Militärs mittleren Ranges an die Spitze der Volksbewegung gesetzt hat und diese bedingungslos unterstützt. Die Abgeordneten der Partei der Demokratischen Linken treten geschlossen zurück. Der Abgeordnete Julio Novoa versichert: „Wenn das Volk uns bittet, dass wir nach Hause gehen, weil wir versagt haben, dann müssen wir als vom Volk gewählte Parlamentarier gehorchen.“

Um 13 Uhr gibt Verteidigungsminister General Carlos Mendoza öffentlich bekannt: „Die Streitkräfte und die Nationalpolizei fordern den Präsidenten der Republik geschlossen auf, eine dringende verfassungsmäßige Entscheidung zu treffen. Außerdem ermahnt die Militär- und Polizeiführung ihr Personal sowie die Indigena- und Klassenbewegung, Aktionen zu unterlassen, die die Suche nach verfassungsmäßigen Maßnahmen zugunsten der Forderungen des Volkes erschweren.“

Um 14 Uhr tagen im Kongress mehrere tausend Menschen. Ein junger Indigena spricht auf die schreiende Menge ein: „Heute haben wir das Mandat des Präsidenten widerrufen.“ Plötzlich tauchen zwischen den tosenden Menschenmassen einige Heeresoffiziere auf. Doch sie gehen nicht gegen die Leute vor, sondern mischen sich unter sie und machen sich mit ihnen in Richtung Parlament auf. „Es leben die aufrichtigen Militärs“ rufen die Menschen. Wieder verbreitet sich ein Gerücht unter den Leuten: „Die Militärführung hat mit Mahuad gesprochen, sie werden eine Erklärung abgeben“.

Um 15 Uhr erklärt General Mendoza nach einem Gespräch mit Mahuad: „Wir haben dem Präsidenten der Republik gesagt, dass wir ihm die Unterstützung der Streitkräfte entzogen haben und ihm empfohlen, zurück zu treten.“ Das ist das Zeichen für die Menge, auf den Regierungspalast zu zu stürzen. Niemand hindert sie daran. Angespannt nähern sich die Menschen dem Parlamentsgebäude. Als sie die Zufahrtsstraße kreuzen, ist der erste Ring von Polizisten sichtbar. Die Leute schreien die Polizisten an. Einige Militärs tauchen mit schweren Waffen auf. Eine Sekunde vor der ersten Salve von Tränengasgranaten laufen die Menschen weg. Nachdem es wieder ruhig ist, dringen die Menschen erneut vor. Nochmals dröhnen sechs Granaten, als sie an den Steinwänden aufschlagen. Die Auseinandersetzungen dauern den ganzen Nachmittag an, doch der Weg zum Parlament bleibt versperrt. Mahuad will nicht zurücktreten. Rundfunk und Fernsehen sprechen bereits von einem Militärputsch. „Dann sollen sie die Macht durch Gewalt haben“, wird Mahuad zitiert.

Gegen 18 Uhr ist durchgesickert, dass Mahuad den Regierungspalast verlassen hat und aus Quito geflüchtet ist. Oberst Lucio Gutierrez ruft die Bevölkerung der Hauptstadt auf, „in Richtung Regierungspalast zu gehen und den Volkswillen zu zeigen“. Tausende Hauptstadtbewohner sowie die aus den Provinzen gekommenen, schließen sich an und nähern sich erneut dem Regierungsgebäude. An der Spitze fährt ein Auto mit bewaffneten Soldaten, die der neuen Junta treu sind. An der Bannmeile angekommen, ziehen sich die Polizisten und Soldaten zurück, die nachmittags den Weg nicht freigeben wollten. In Minutenschnelle füllt sich der Platz. Die Menschen rufen „Ecuador, Ecuador. Gutierrez, Gutierrez.“

Im Inneren des Regierungspalastes beraten die Aufständischen mit General Mendoza. Kurz vor Mitternacht wird die neue Regierung ausgerufen, der allerdings eigenartigerweise nun Mendoza anstelle des Oberst Gutierrez angehört. Jubel auf den Straßen. Doch die Freude dauerte nur wenige Stunden. Um drei Uhr am Samstagmorgen erklärt Mendoza seinen Rücktritt und um sieben Uhr Noboa zum neuen Staatschef. Um acht Uhr wird Gutierrez verhaftet, die Indigenas ziehen sich in den nach wie vor besetzten Nationalkongress zurück. Noch am gleichen Tag wird der 62-jährige Anwalt Noboa im Verteidigungsministerium vereidigt.

Dieses Detail zeigt deutlich die Unterstützung durch die Militärführung, die das „Parlament des Volkes“ letztendlich nicht anerkannte und den Volksaufstand instrumentalisierte, um den laut jüngsten Umfragen von 89 Prozent der Bevölkerung abgelehnten Mahuad abzusetzen, aber mit Noboa die „demokratische Kontinuität und die Respektierung der Verfassung zu wahren“. Was damit gemeint ist kündigte dieser auch gleich an: die Fortsetzung der Wirtschaftspolitik Mahuads, d.h. das weitere Festhalten an der Einführung des US-Dollar als Landeswährung sowie dem Privatisierungskurs, was mit einem exploxiven Anstieg der Lebenshaltungskosten und der Arbeitslosigkeit verbunden ist.

Während des kurzen „rebellischen Wochenendes“ berichteten die Medien einhellig von der „Katastrophe für die Demokratie“, die der Umsturz bedeute. Cesar Gaviria, Chef der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) und Alberto Fujimori, rechtspopulistischer Präsident des Nachbarlandes Peru, drohten schon am Freitag abend mit einer militärischen Intervention in Ecuador, falls „die Revolution sich halten würde“. Ein Fehler der Indigena-Organisationen und anderen Aufständischen war es, nicht wenigstens einen Fernsehkanal besetzt zu haben, um eine breit getragene Gegenöffentlichkeit zu schaffen. Die Indigena- Organisationen – 30 Prozent der ecuadorianischen Bevölkerung verstehen sich als indianisch – sprechen nun von „Verrat“ durch die Militärs. „Die Ureinwohner Ecuadors werden Noboa niemals anerkennen“, erklärte CONAIE-Präsident Vargas und kündigte weitere Proteste an, solange die neue Regierung „nicht die gravierenden sozialen und wirtschaftlichen Probleme des Landes in Angriff“ nehme.

BRASILIEN

2000 Comunity Radios von Schließung bedroht

(Sao Paulo, 19. Januar 2000, pulsar-Poonal).- Der Bundesrichter José Marcos Lunadelli hat die Schließung der 2.000 Comunity Radios im Bundesstaat Sao Paulo bis zum 6. Februar verfügt. Er griff dabei auf die Argumentation der Vereinigung der (kommerziellen; die Red.) Radio- und Fernsehsender des Bundesstaates zurück. Diese behauptet, die freien Sender störten durch Interferenz die Flüge in dem Gebiet. Ein Angehöriger der Flugsicherheit für den Raum Sao Paulo hat dagegen eindeutig verneint, dass der Flugverkehr von den Comunity Radios beeinträchtig werden könnte.

Das Demokratische Kommunikationsforum, dem 900 freie Radios angeschlossen sind, wird gegen die Entscheidung Berufung einlegen und betrachtet sie als verfassungswidrig. Genauso äußert sich die Brasilianische Vereinigung der Comunity Radios. Die Journalistengewerkschaft im Bundesstaat hat den richterlichen Beschluss ebenfalls kritisiert. Selbst vom Vorsitzenden der Polizeigewerkschaft der Bundespolizei in Sao Paulo gab es Sympathiebezeugungen für die betroffenen Radios. Die Bundespolizei wäre mit der Radioschließung beauftragt, wenn es zur Vollstreckung des Urteils kommen sollte.

Chemie-Multi Monsanto baut neue Fabrik

(Sao Paulo, 14. Januar 2000, pulsar-Poonal).- Der multinationale Konzern Monsanto hat trotz bisherigem Verbot mit dem Bau einer Herbizyd-Fabrik in Brasilien begonnen. Für die Errichtung der Anlage, die in Camacarí, 2.600 Kilometer nordöstlich von Sao Paulo stehen soll, werden 550 Millionen US-Dollar investiert. Monsanto hatte für Aufregung gesorgt, als der Konzern versuchte, genetisch verändertes Saatgut in Brasilien herzustellen und zu vertreiben. Aufgrund der Intervention von Umweltschutzgruppen, die die Unabsehbarkeit der ökologischen Folgen für genetisch verändertes Saatgut an die Öffentlichkeit brachte, untersagte die brasilianische Justiz die Bepflanzung von entsprechenden Sojafeldern jedoch.

VENEZUELA

Sinneswandel der Regierung bezüglich mutmaßlicher Menschenrechtsverletzungen

(Caracas, 19. Januar 2000, pulsar-Poonal).- „Wer die Menschenrechte eines Verbrechers verletzt, begibt sich auf dasselbe Niveau wie dieser“, so Innenminster Jose Vicente Rangel. Damit deutete der Minister einen Sinneswandel der Regierung an. Diese hatte bisher Informationen über schwerste Menschenrechtsverletzungen der Militärs bei Rettungsarbeiten nach der Regenkatastrophe Ende vergangenen Jahres abgestritten. Die Streitkräfte sollen bei Plünderungen überraschte Menschen hingerichtet haben. Jetzt erklärt Rangel, es sei nicht verwunderlich, wenn die Anklagen wahr wären. Allerdings sei die Antwort der Autoritäten auf die Fälle wichtiger als diese selbst. Die Regierung strebe an, Menschenrechtsverletzungen im Land mit der ganzen Schwere des Gesetzes und unerbittlich zu bestrafen.

VENEZUELA/KOLUMBIEN

Venezuela beschuldigt Kolumbien wegen Flußverschmutzung

(Maracaibo, 14. Januar 2000, pulsar-Poonal).- Der venezolanische Vorsitzende der Kommission für Grenzangelegenheiten, Valmore Amaya, hat Kolumbien beschuldigt, für die Verschmutzung der Flüsse in seinem Land verantwortlich zu sein. Es handelt sich um die Gewässer, die durch Venezuela fließen, deren Quellen sich jedoch auf kolumbianischen Gebiet befinden. Die Wasserverseuchung ist eine Folge des Krieges in Kolumbien. Aufgrund der Zerstörung der Öl-Pipelines durch die Guerilla nimmt die Umwelt großen Schaden. Die Sprengung der Pipeline von Caño Limón nach Puerto Coveñas verursachte beispielsweise die Kontaminierung des Flusses Catatumbo, der, wenn er das Grenzgebiet passiert hat, hauptsächlich durch den venezolanischen Bundesstaat Zulia fließt. Zudem findet eine Verseuchung der Flüsse mit Chemikalien statt, die von der Drogenherstellung im kolumbianischen Urwald herrührt. Wie die zuständigen venezolanischen Behörden mitteilen, ist die Wasserqualität der Flüsse, zu denen auch der Táchira und der Orinoco gehören, derart gesunken, dass der Gebrauch des Wassers durch Menschen in Frage gestellt ist. Die Behörden forden von Kolumbien, dieses Problem zu lösen.

KOLUMBIEN

Friedliche Rebellion

Von Martin Hodgson

(Bogotá, 24. Januar 2000, na-Poonal).- Dies scheint nicht die Umgebung für eine Revolution zu sein. Unter der heißen Mittagssonne stammen die einzigen Lebenszeichen in dem vereinsamten bäuerlichen Ort von den wenigen Kindern, die auf dem Heimweg aus der Schule sind. Sie laufen an den Säcken mit Kaffeebohnen vorbei, die auf der gepflasterten Straße zum Trocknen stehen.

Dennoch haben die Einwohner von Mogotes, das im Norden Kolumbiens liegt, vor zwei Jahren ihrer lokalen Regierung die Zügel aus der Hand genommen und eine Bürgerversammlung eingerichtet, in der die Gemeinde bei allen Entscheidungen direkt mitbestimmen kann. In der einen Hand die Bibel und in der anderen die Verfassung, versprachen sich die Bewohner des Dorfes, die Korruption zu verdrängen und ein neues Modell von Frieden und Demokratie zu errichten. Von dem alten Modell, das das Land mit Gewalt und politischer Manipulation heimsuchte, wollten sie nichts mehr wissen.

„Dies ist eine friedliche Erhebung. Es ist eine Revolution im Dienste des Volkes“, erklärt Pedro Neira, Vorsitzender der Versammlung. Im Oktober vergangenen Jahres erhielt die Gemeinde den nationalen Friedenspreis. Aber obwohl anläßlich der Verleihung Rufe wie „noch Tausend Mogotes mehr“ skandiert wurden, ist allen Aktivisten klar, dass es für die Lösung des komplexen bewaffneten Konflikts im Land kein allgemeingültiges Rezept geben kann. „Man kann nicht einfach in die Vervielfältigung eines erfolgreichen Modells vertrauen. Viel hängt von den speziellen Gegebenheiten ab,“ sagt Laurente Céspedes von Peace Network, einem Zusammenschluß, der die lokalen Friedensinitiativen unterstützt.

Obgleich die offiziellen Friedensverhandlungen mit der linken Guerilla unter Schwierigkeiten voranschreiten, arbeiten viele Kolumbianer im Stillen an der Suche nach lokalen Lösungen des Gewaltproblems und der sozialen Ungerechtigkeit, versichert Esperanza Hernández. Sie ist Autorin von verschiedenen Büchern über lokale Friedensprojekte. In der Vergangenheit, erklärt sie, „hatte die Bevölkerung nur drei Optionen: sich in den bewaffneten Konflikt einmischen, fliehen, oder darauf warten, zum Opfer zu werden. Nun können die Leute den Frieden inmitten des Krieges aufbauen.“

Nach Darstellung von Diego Peña aus dem Menschenrechtsbüro der Regierung entstehen viele Initiativen aus dem einfachen Grund, weil der Staat keinerlei Lösungen für die alltäglichen Probleme der Kommunen anbietet. „Der Staat ist so schwach, dass die Leute sich gezwungen sehen, selbst für ihr eigenes Leben Verantwortung zu übernehmen. So suchen sie neue Formen der Konfliktlösung,“ meint er.

Die Versammlung von Mogotes fand sich im Dezember 1997 zusammen, nachdem die Guerilla der Nationalen Befreiungarmee (ELN) den Ort angriff, drei Polizisten und zwei Frauen ermordete und den Bürgermeister entführte, den sie wegen persönlicher Bereicherung an städtischen Gütern anklagten. Wenige der Bewohner wunderten sich über die Anklage. Die örtliche Politik wurde von einer einzigen Familie bestimmt, die die lukrativen Ämter unter sich und ihren Angehörigen aufteilte. Das ist keine Besonderheit auf dem kolumbianischen Land, wo Vetternwirtschaft und der Kauf von Wählerstimmen mit Armut und Unterentwicklung Hand in Hand gehen.

Den Unterschied machte die Reaktion der Dorfeinwohner aus. Sie verwehrten sich gegen die Einmischung. Wenige Tage nach dem Überfall der Rebellen realisierten sie eine Reihe von Protestdemonstrationen und sandten mehrmals Vertreter zu den Guerillakommandanten, um zu verhandeln. Nachdem sie drei Monate Druck ausgeübt hatten, ließ die ELN den Bürgermeister frei. Als dieser nach Hause zurückkehrte, stellte er fest, dass 90 Prozent der Einwohner für seine Amtsenthebung gestimmt hatten. So hatten die Bewohner ebenfalls dafür gesorgt, dass der Bürgermeister nicht nochmals sein Amt mißbrachen konnte.

„Dieses Buch sagt, dass die Hoheit über Kolumbien bei seinem Volk liegt,“ führt Neira aus, während er in einem abgegriffenen Exemplar der Verfassung blättert. „Deswegen haben wir uns dazu entschieden, die Macht einzufordern und sie zu gebrauchen. Wir begreifen unsere eigenen Probleme, und deswegen sind wir es, die sie lösen möchten.“ Mit Hilfe örtlicher Geistlicher organisierten die Einwohner ein Plebiszit und forderten den Rücktritt von Bürgermeister und Gemeinderat. Von den linken sowie von den rechten bewaffneten Gruppen forderten sie, die Entscheidung des Ortes zu akzeptieren.

Unterstützt von Seiten der katholischen Kirche stabilisierte sich die Initiative nach einiger Zeit. Der Gemeindepriester Octavio Arias weist darauf hin, dass die Kirche in dieser Region trotz der konservativen religiösen Tradition Kolumbiens auf eine lange Geschichte des politischen Aktivismus blicken kann. „Die Kirche in dieser Zone hat immer bei der politischen Bildung der Gemeinde mitgearbeitet“, versichert er. „Wir erinnern daran, das die Person, die in die Kirche geht, dieselbe Person ist, die bei den Wahlen ihre Stimme abgibt.“

Wie Neira ausführt, spielen Bibel und Verfassung in der Ordnung der Gemeinde beide eine wichtige Rolle. „Sie sind sehr ähnlich. Sie haben die gleichen Regeln, aber die Bibel hat mehr Seiten“, sagt er. „Sie beschreiben alle unsere Rechte und alle unsere Pflichten. Wir müssen sie nur umsetzen.“

Der nationale Friedenspreis, den die Bewohner von Mogotes erhielten, hat indes nicht immer Glück gebracht. Ende der 80er Jahre bekam das Dorf La India die Auszeichnung, weil es innerhalb seines Gebietes ein Friedensabkommen schloß. Wenig später kamen die rechten Paramilitärs und brachten die Föderer der Initiative um.

„Um den Krieg zu beenden“, sagt der jetzige Ortsvorsteher von Mogotes, José Ángel Gualdrón, „müssen wir erst mit der Korruption, der Vetternwirtschaft und dem Sektierertum fertig werden.“ Die Verhandlungen, so schließt er, dürften nicht immer nur von den Oberen der Kriegsparteien geführt werden. „Wir müssen den Frieden von unten beginnen. Wenn wir von oben anfangen, werden wir Jahrhunderte brauchen, um unsere Probleme zu lösen.“

Kindesmisshandlung und Gewalt

(Bogota, Januar 2000, fempress-Poonal).- Die schreckliche Mordserie an 140 Kindern durch einen Psychopaten hat in Kolumbien das Augenmerk auf die Vorgeschichte solcher Täter und auf die Kindesmisshandlung allgemein gelenkt. Viele der Psychopaten haben eine Kindheit durchlebt, die von Misshandlung, sexuellem Missbrach, ständigen Schlägen und fehlender Zuwendung geprägt war. Im jüngsten Bericht über die Kindheit der Ombudsstelle wird informiert, dass von den etwa 17 Millionen Minderjährigen in Kolumbien 7,8 Millionen Misshandlungen erleiden. Bei 850.000 liegt schwere Misshandlung vor. Schätzungsweise 25.000 Kinder werden sexuell ausgebeutet, ohne dass der Staat eine effektive Antwort auf diese Situation findet.

Kriegskosten

(Bogota, 24. Januar 2000, na-Poonal).- Der Bürgerkrieg in Kolumbien hat den Staat im Jahr 1997 knapp 440 Millionen US-Dollar gekostet. Die entsprechenden Statistiken hat die kolumbianische Tageszeitung „El Espectador“ mit Berufung auf Zahlen des Nationalen Rechnungshofes veröffentlicht. Der 20-tägige Waffenstillstand mit der FARC-Guerilla im Dezember letzten Jahres sparte der Regierung nach dieser Berechnung 10 Millionen US-Dollar ein. Diese Summe setzt sich zusammen aus: Einsparungen von 5 Millionen im Militärhaushalt, 1,8 Millionen an Lösegeldern, 1,7 Millionen für die Gesundheitsversorgung und „Menschenverluste“ sowie 355.000 US-Dollar an Geldern für den Wiederaufbau.

ELN stellt Bedingungen für ein Ende der Sabotage-Akte

(Bogota, 20. Januar 2000, pulsar-Poonal).- Das Nationale Befreiungsheer (ELN), zweitgrößte Guerilla-Organisation des Landes, hat die Bedingungen an die Regierung wiederholt, damit Sabatoge-Aktionen eingestellt werden. In den vergangenen Tagen hatte die ELN zahlreiche Strommasten gesprengt und Pipelines zerstört. Die Organisation fordert nach dem Vorbild der Verhandlungen zwischen der FARC-Guerilla und der Regierung eine umfassende entmilitarisierte Zone, um Gespräche zu beginnen. Außerdem wendet sich die ELN vehement gegen die Privatisierung des Energiesektors.

Guerilla-Chef Nicolás Rodríguez Bautista erklärte, langsam ginge die Geduld verloren. Bereits vor fast einem Jahr sei die Regierung aufgefordert worden, vier Landkreise im Norden Kolumbiens zu entmilitarisieren, ohne dass es bisher eine positive Antwort gegeben habe. Präsident Andres Pastrana sagte vor wenigen Tage, die Regierung prüfe, welches Gebiet für Friedensgespräche mit der ELN am besten in Frage komme.

NICARAGUA

Oberster Rechnungsführer freigesprochen

(Managua, 24. Januar 2000, na-Poonal).- Vor dem Berufungsgericht in Managua sind der oberste Rechnungsprüfer Agustín Jarquín sowie zwei Mitangeklagte vom Vorwurf des Betrugs freigesprochen worden. Ihre sofortige Freilassung wurde angeordnet. Am 10. November vergangenen Jahres war Jarquín verhaftet worden. Der Fall wurde von internationaler Seite stark kritisiert und war auch im Land selbst ein Diskussionsthema. Die Europäische Union ging soweit, Hilfen in Milliardenhöhe und Schuldenerlasse in Frage zu stellen. Das Vorgehen gegen Jarquín wurde allgemein als Racheakt der Regierung von Präsident Arnoldo Alemán eingeschätzt. Der oberste Rechnungsprüfer hatte wiederholt Korruptionspraktiken des Präsidenten angeprangert und Informationen über die wundersame Vervielfachung von Alemans Vermögen während seiner Amtszeit verbreitet.

Alemán kauft Journalisten ein

(Managua, 18. Januar 2000, pulsar-Poonal).- Präsident Arnoldo Alemán hat einen Gesetzesvorschlag zur Mindestbesoldung von 500 US-Dollar für Journalisten präsentiert. Die meisten Vertreter dieser Berufsgruppe verdienen momentan durchschnittlich etwa 100 US-Dollar. Nach den Vorstellungen des Präsidenten soll es außerdem für Journalisten, die über 25 Jahre alt sind sowie für diejenigen mit mehr als 10 Jahren Berufstätigkeit, Zuschläge geben.

Von Seiten der Medienvertreter wurde der Initiative allerdings teilweise mit Mißtrauen begegnet. Von den Kritikern wird der Gesetzesvorschlag als ein Korrumpierungsversuch gesehen. Mit den garantierten Lohnerhöhungen soll nach Meinung von Beobachtern die kritische Presse per Schweigegeld mundtot gemacht werden. Wenige Tage vor dem Vorschlag hatte Alemán Medienvertreter noch als „Informationsterroristen“ bezeichnet, weil diese über die ungezählten Korruptionsfälle der amtierenden Regierung und über die Verstrickung der Familie Alemán darin berichtet hatten.

COSTA RICA

Probleme im Öko-Paradies

(San José, 24. Januar 2000, na-Poonal).- Costa Rica ist für seine Naturschönheiten berühmt und weist einen florierenden Öko-Tourismus auf. Doch gleichzeitig fließt einer der dreckigsten Flüsse Mittelamerikas durch das Land. Es handelt sich um den Rio Grande de Tarcoles. Bevor er in den Pazifik mündet, durchfließt der Fluß das größte Tal des Landes. Trotzdem sein Bett gerade etwas über 2 Quadratkilometer, kaum 4 Prozent des Gebietes, einnimmt, beziehen 1,9 Millionen Menschen von ihm ihr Trinkwasser. Das sind knapp 60 Prozent der Bevölkerung.

Nach Expertenmeinung liegt der Grund für die steigende Verschmutzung des Tarcoles darin, dass in den vergangenen Jahrzehnten die Ufer des Flusses planlos besiedelt wurden. Fehlende Infrastruktur zur Beseitigung von Müll und Abwasser geht seit dieser Zeit zu Lasten des Gewässers. Hintergrund der chaotischen Besiedlung ist die das hohe Bevolkerungswachstum: In Zentralamerika, das derzeit eine Gesamtbevölkerung von 35 Millionen hat, liegt die Wachstumsrate mit 3,5 Prozent mit am höchsten auf dem Lateinamerikanischen Kontinent. Nach Enschätzung der Beobachter werden im Jahr 2005 circa 500.000 Menschen an den Ufern des Tarcoles leben.

1993 hatte Costa Rica einen Plan zur Eindämmung der Schäden und zur Erhaltung der Umwelt aufgestellt. An ihm nahmen Repräsentanten der nationalen und lokalen Regierung sowie Nicht-Regierungsorganisationen, Bürgergruppen und Privatunternehmen teil. Wie die Kommission zur Aufbesserung der Wasserqualität feststellte, sind für eine verbesserte Trinkwasserversorgung der Schutz der Quellen sowie die Verhinderung geheimer Müllentsorgung in den Fluß oder seine Zuflüsse nötig. Carlos Rosas, Delegierter der Kommission, erklärt, dass für die Organisierung und Koordination der Maßnahmen zur Reinigung des Flußbettes die Einrichtung einer eigens dafür vorgesehenen Verwaltung vonnöten ist. Aber ohne die entsprechenden Finanzmittel, sagt er, „haben wir nicht mehr als unseren guten Willen.“

Die Empfehlung der Interamerikanischen Entwicklungsbank, die auf einer von ihr veranlassten Studie beruht, favorisiert eine Reihe von Projekten zur Erhaltung der Umwelt. Deren geschätzte Kosten belaufen sich auf 319 Millionen US-Dollar. Aufgebracht werden soll die Summe von Privatunternehmen und durch Schenkungen anderer Länder. Die Kommission hat von allen Anrainern eine Beteiligung an der schrittweisen Säuberung des Gewässers und dem Bau eines Klärwerkes im Osten der costarikanischen Hauptstadt San José gefordert.

Beinahe 85 Prozent der Firmen und der Industrie Costa Ricas befinden sich an den Ufern des Tarcoles. Zu ihren Lasten gehen 31 Prozent der Verunreinigung. Fast die Hälfte des prozentualen Flußschmutzes gehen auf das Konto der kaffeverarbeitenden Industrie. Mit ihren organischen Abfällen ist sie für 45 Prozent der Wasserverseuchung verantwortlich. Kaffee ist eines der wichtigsten Exportprodukte des Landes und zwischen 60 und 70 Prozent der Gesamtproduktion werden an den Ufern des Flusses verarbeitet. Abwasser von den Haushalten machen den geringsten Teil, nämlich 24 Prozent der Verunreinigung, aus.

Neue Gesetze haben nichts gegen Kinderprostitution geholfen

(San Jose, 21. Januar 2000, comcosur-Poonal).- Costa Rica wird wegen seiner ungenügenden Bekämpfung der Kinderprostitution an den Pranger gestellt. Bruce Harris, Leiter der internationalen Organisation Casa Alianza in Lateinamerika kündigte an, im März vor der Interamerikanischen Menschenrechtskommission (CIDH) in Washington „deutlich zu machen, dass Costa Rica nicht die notwendigen Anstrengungen macht, die Kinderprostitution abzuschaffen“. Trotz gewisser Bemühungen, die Gesetzgebung zum Schutz der Minderjährigen zu verstärken verletze das Land den Artikel 19 der Amerikanischen Konvention über die Rechte des Kindes.

Laut Casa Alianza setzt Costa Rica eine Reihe von im vergangenen Jahr verabschiedeten Gesetzesreformen gegen die Kinderprostitution nicht effizient um. „Die Gesetze gegen die Pornografie und die Prostitution nützen wenig, wenn sie nicht angewendet werden“, bedauert Harris. Die Gerichte hätten keine „institutionelle Unterstützung“. Seit September 1999 können unter anderem die Freier von minderjährigen Prostituierten mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft werden. In der Praxis haben sie aber absolute Freiheit bei ihrem Vorgehen.

Frauengalerie

(San Jose, Januar 2000, fempress-Poonal).- Die Tatsache, dass sich auf der offiziellen Liste der herausragenden Persönlichkeiten des Landes nur Männer befinden, veranlasste die Abgeordnete Isabel Chamorro zu einer Gesetzesinitiative, die auf die Ehrung wichtiger costarikanischer Frauen abzielt. Das Gesetz ist bereits in zweiter Lesung im Parlament verabschiedet worden. Es sieht eine Galerie der Frau vor, die als Museum konzipiert ist, in dem Fotografien und Dokumente über die Frauen Auskunft informieren, die wichtige Veränderungen im Land erreicht haben. Der Namen der Frauen können von jeder physischen oder juristischen Person vorgeschlagen werden. Eine Kommission aus Mitgliedern der Nationalen Frauenbehörde, des Kulturministeriums, von Nicht- Regierungsorganisationen sowie der Nationaluniversität und der Universität von Costa Rica wird das Lebenswerk dieser Frauen bewerten.

KUBA

Außenminister schliest Europareise in Russland ab

(Moskau, 25. Januar 2000, pl-Poonal).- Nach Frankreich, San Marino, Italien (einschließlich des Vatikans) ist der kubanische Außenminister Felipe Perez Roque zum Abschluss seiner Europareise in Russland eingetroffen. Nachdem im vergangenen September sein russischer Kollege Igor Ivanov in Havanna war, haben sich die Beziehungen zwischen beiden Länder wieder spürbar verbessert. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, der für Kuba auch den Zusammenbruch der engen Wirtschaftsbeziehungen bedeutete, war das Klima zwischenzeitlich frostig gewesen. Inzwischen wächst die Kooperation wieder an. Das bilaterale Handelsvolumen betrug letztes Jahr 930 Millionen Dollar, eine Steigerung um fast ein Drittel gegenüber 1998.

PARAGUAY

Koalition vor dem Bruch

(Asunción, Januar 2000, na-Poonal).- Führende Politiker der Liberalen Partei haben Anfang Januar dafür gestimmt, sich aus der Regierungskoalition „Demokratisches Bündnis“ zurückzuziehen. Der liberale Landwirtschaftsminister Oscar Denis gab darauf hin bereits am 7. Januar sein Amt ab. Dagegen führte Außenminister Féliz Fernández Estigaribia, das zweite Kabinettsmitglied der Liberalen Partei, an, er sei vom Präsidenten und nicht von der Partei erannt. Er lehnte einen Rücktritt ab. Der Rückzug aus der Koalition muss auf dem Parteitag der Liberalen im Februar noch bestätigt werden.

Die Regierungsallianz umfasst außerdem die Colorado Partei von Präsident Luis González Macchi sowie die Partei Nationale Zusammenkunft. Die Colorados haben zwar im Parlament die absolute Mehrheit, sind aber in Anhänger und Gegner des flüchtigen Putschgenerals Lino Oviedo gespalten, der zusammen mit dem vor knapp einem Jahr zurückgetretenen Präsidenten Raul Cubas für den Mord an Vizepräsident Argaña im März 1999 verantwortlich gemacht wird. Die Oviedo-Gegner hatten sich mit der Opposition zusammengetan, um eine stabile Regierung bilden zu können.

URUGUAY

Immer mehr ziehen vom Land in die Stadt

(Montevideo, 20. Januar 2000, comcosur-Poonal).- Nach Angaben der uruguayischen Statistikbehörde leben nur noch 9 Prozent der Bevölkerung auf dem Land. Von 1985 bis 1996 wanderten jeden Tag durchschnittlich 18 Personen in die urbanen Zentren ab. Von den produktiven Böden mit weniger als 50 Hektar sind in den vergangenen 20 Jahren 43 Prozent aufgegeben worden. Ein Grund ist die schlechte Einkommenssituation auf dem Land. Seit 1992 haben die Löhne für Landarbeiter ein Drittel ihrer Kaufkraft verloren. Bereits damals galten 150.000 kleinbäuerliche Produzenten und Landarbeiter in dem drei Millionen Einwohner zählenden Uruguay als arm.

ARGENTINIEN

Regierung will bei Dollarparität bleiben

(Buenos Aires, 20. Januar 2000, pulsar-Poonal).- Wirtschaftsminister José Luis Machinea hat angekündigt, die Regierung werde die unter Ex-Präsident Carlos Menem eingeführte Parität des argentinischen Peso mit dem US-Dollar beibehalten. Er sprach dem gegenteiligen Ansinnen von Gewerkschaftsführern jegliche Möglichkeit ab, sich durchzusetzen. Die in Dollar konvertible Währung werde für lange Zeit gültig bleiben. Machinea gestand aber ein, die Parität führe zu gewissen Problemen für die Wirtschaft. So könne das Land nicht mit seinen Nachbarn konkurrieren, deren Währungen weniger wert als der Dollar sind und die daher ihre Waren und Dienstleistungen billiger anbieten können. Eine Abwertung des argentinischen Pesos sei jedoch keine Lösung.

Reguläre Rente für Emilie Schindler

(Buenos Aires, 18. Januar 2000, pulsar-Poonal).- Das argentinische Innenministerium gab bekannt, weiterhin mit 900 US-Dollar für den Lebensunterhalt von Emilie Schindler, Witwe von Oskar Schindler, aufzukommen. Nach Angaben des Innenministers Federico Storani waren mit dem Amtsantritt der neuen Regierung von Präsident Fernando de la Rua die Rentenzahlungen gestoppt worden, um die Rechtmäßigkeit der Ausgaben, die unter der alten Regierung Menem getätigt wurden, überpüfen zu können. Das Geld für Emilie Schindler war aus einem Sonderfonds gezahlt worden, jetzt handelt es sich um einen reguläre Rente. Wie in dem Film „Schindlers Liste“ dargestellt, hatte das Ehepaar Schindler im Zweiten Weltkrieg mehr als Tausend Juden das Leben gerettet. Emilie Schindler lebt seit 50 Jahren in Argentinien und ist heute 92 Jahre alt. Oskar Schindler trennte sich 1958 von seiner Frau und kehrte nach Deutschland zurück, wo er 1974 starb.

LATEINAMERIKA

Schuldenkrise, Teil 2

In Argentinien schweigen Medien und Parteien über die Enschuldungskampagne

Von Andés Gaudin

(Buenos Aires, 18. Januar 2000, na-Poonal).- Die weltweite Kampagne für den Erlaß der Schulden der sogenannten Dritten Welt stößt bei argentinischen Medien und Parteien bisher auf wenig Kooperationsbereitschaft. Als 1997 Papst Johannes Paul II. und der Weltkirchenrat (CMI) die Kampagne initiierten, entstand in Argentinien das Forum „Dialog 2000“. Damals hatte das Land eine Pro-Kopf- Verschuldung von 2.970 US-Dollar bei den Banken und multinationalen Kreditgebern. Zwei Jahre später, im Oktober 1999, gingen inoffizielle aber übereinstimmende Schätzungen von einer Pro-Kopf-Verschuldung von 4.206 US-Dollar aus. Diese Summe entspricht etwa dem Einkommen, das ein ungelernter Industriearbeiter in acht Monaten verdient.

„Dialog 2000 fordert nicht den vollständigen Schuldenerlaß, aber eine einheitliche Position der verschuldeten Länder. Diese sind auch deswegen verschuldet, weil ihnen lange Zeit ihre Ressourcen entzogen wurden und auch heute noch durch die andere Länder mißbraucht werden. Das ist das, was wir als ökologische Schuld bezeichnen,“ erklärt Matilde de Quarracino, eine der Initiator*innen der Kampagne.

Im Dezember 1998 entstand der „Zusammenschluß für eine Steuer auf die finanziellen Transaktionen zur Hilfe der Bürger“ (ATTAC). Dieser geht zurück auf die Idee des US-Amerikaners James Tobi, der 1981 den Nobelpreisträger für Wirtschaft erhielt. Der Vorschlag: das Gewicht der Schulden durch die Erhebung einer „moderaten Steuer“ auf spekulative Finanztransaktionen auf dem Kapitalmarkt zu reduzieren. Dieses, so glaubt Tobin, „würde den Regierungen erlauben, bestimmte Grenzen der Selbstbestimmung auf der Ebene der Wirtschaftspolitik wiederzuerlangen.“

Bis heute sind die von Dialog 2000 und ATTAC ausgearbeiteten Lösungsvorschläge in der argentinischen Öffentlichkeit aber kaum wahrzunehmen.“Obwohl wir mit der Initiative des Papstes und des Weltkirchenrates zusammenarbeiten und über die UNESCO unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen stehen, berichtet die Presse nicht über uns. Wir werden vollkommen ignoriert,“ berichtet Matilde de Quarracino.

Auch die großen Parteien des Landes, die neu regierende Allianz aus Radikaler Bürgerunion (UCR) und dem Bündnis Solidarisches Land (FREPASO) sowie die nun oppositionelle Partido Justicialista (PJ), zeigen keinerlei Reaktionen auf die Kampagne. „Wir wissen immer noch nicht, wie die funkelnagelneue Regierung mit den Problemen umgehen will. Die ständig wachsenden Forderungen der Zahlungsfonds, der Druck durch den Währungsfonds und die Defizite, die die alte Regierung hinterlassen hat und die mit Sicherheit im aktuellen Kontext von Rezession und Auslandsabhängigkeit steigen, erfordern Lösungen“ fügt Quarracino hinzu.

Dennoch wächst in der Gesellschaft das Bewußtsein über die Ungleichheiten des internationalen Finanzsystems und darüber, dass diese immer stärker zu Lasten der einzelnen Menschen gehen. Überall wird von der Ungerechtigkeit der Schulden, und vor allem von der Unmöglichkeit, sie zu bezahlen, geredet. Alle sind sich bewußt darüber, dass Länder wie Argentinien – das ein Fünftel seines Staatsetats für die Bezahlung der Schuldendienste aufwendet – ihre Wirtschaft in den Bankrott führen und soziale Ungerechtigkeit innerhalb des Landes nur noch verstärken werden.

Nach Angaben des Wirtschaftsministeriums, das regelmäßig über den Stand der Schulden informiert, ist die Verschuldung heute mit 147 Milliarden US-Dollar dreieinhalbmal so hoch wie 1989. In dem Jahr begann Carlos Menem seine erste Regierungsperiode als Präsdient Argentiniens. Auch die seit dem 10. Dezember 1999 amtierende Nachfolge-Regierung bleibt bisher ein neues Konzept schuldig. Jüngst ließ der jetzige Wirtschaftsminister José Luis Machinea doch etwas Besorgnis erkennen: Bei den anstehenden Neuverhandlungen mit dem Internationalen Währungsfonds wird sich, wie er erkannte, die Regierung de la Rua „aufgrund der Verschuldung in einer zugespitzten Finanzsituation“ befinden.

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