Poonal Nr. 404

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 404 vom 15. Oktober 1999

Inhalt


KUBA

HAITI

MEXIKO

GUATEMALA

COSTA RICA

PANAMA

KOLUMBIEN

PERU

BRASILIEN

ARGENTINIEN

ECUADOR

CHILE

BOLIVIEN

LATEINAMERIKA – Die Mythen des Tourimus, V


KUBA

Guatemalas Präsident zu Besuch

(Havanna, 6. Oktober 1999, pl-Poonal).- „Fruchtbar“ nannte der guatemaltekische Staatschef Alvaro Arzú seinen dreitägigen offiziellen Besuch auf der Insel. Sein Hauptziel sei es gewesen, Dankbarkeit für die Aufnahme von 259 Student*innen an der jüngst eingerichteten Lateinamerikanischen Medizinischen Fakultät in Havanna auszudrücken. Gleichermaßen Arzú pries die „aufopferungsvolle Arbeit“ von 409 kubanischen Ärzt*innen, die nach der Mitch-Katastrophe im vergangenen Jahr nach Guatemala kamen, um solidarische Hilfe zu leisten. Neben dem Austausch von Höflichkeiten erfüllte der ausländische Staatsgast aber noch andere Programmpunkte. Er unterschrieb mehrere Abkommen zur bilateralen Zusammenarbeit. Auch die Arzú begleitende Unternehmerdelegation nutzte den Aufenthalt zu verschiedenen Vereinbarungen mit dem kubanischen Wirtschaftssektor. Guatemala und Kuba nahmen erst im Januar des vergangenen Jahres die diplomatischen Beziehungen wieder auf.

Nach 40 Jahren auf der Suche nach dem eigenen Weg

(Havanna, 6. Oktober 1999, pl-Poonal).- Die Leitung der Kommunistischen Partei Kubas (PCC) will die Suche nach einem eigenen Konzept über den Sozialismus fördern. In einem langen Kommentar zitiert die Zeitung „Granma“ den zweiten Parteisekretär und Verteidigungsminister Raúl Castro. Dieser habe den Aufbau des Sozialismus unter den gegenwärtigen Bedingungen als Reise ins Ungewisse bezeichnet. Obwohl es angebracht sei, die Erfahrungen anderer zu sehen, müssten die Kubaner weiterhin ihre eigenen Konzepte schaffen. Raúl Castro äußerte demnach seine Überzeugung, der Sozialismus sei das Gerechteste, aber seine Durchführbarkeit müsse bewiesen werden.

HAITI

Wahlen für März und April 2000 angesetzt

(Port-au-Prince, 8. Oktober 1999, pulsar Poonal). – Der Provisorische Haitianische Wahlrat (CEP) hat den endgültigen Wahlfahrplan für die Parlaments- und Gemeindewahlen festgelegt. Danach soll der erste Wahlgang am 19. März 2000 und der zweite am 30. April 2000 stattfinden. Die vier Millionen Wahlberechtigten Haitianer*innen sollen ingesamt 19 Senator*innen, 83 Abgeordnete und 133 Gemeinderäte bestimmen. Die Wiedereinsetzung des Parlaments wird damit nicht, wie in der neuen Verfassung Haitis vorgesehen, am zweiten Montag im Januar 2000 stattfinden.

Mehr als 200 Millionen US-Dollar internationaler Hilfsgelder wurden vor zwei Jahren von der Interamerikanischen Entwicklungsbank BID eingefroren. Sie sollen erst wieder freigegeben werden, wenn die Parlamentarier neu eingesetzt sind. Die Oppositionsparteien haben die Regierung kritisiert. Sie und der Wahlrat hätten die eigentlich für Dezember dieses Jahres vorgesehenen allgemeinen Wahlen absichtlich verschleppt. Dies begünstige die Kandidaten der Lavalas-Partei des Ex-Präsidenten Aristide.

MEXIKO

Größte Stadt der Erde von Frau regiert

(Mexiko Stadt, Oktober 1999, fempress Poonal). – Die bevölkerungsreichste Metropole des Erdballs, Mexiko-Stadt, wird seit dem 30. September von einer Frau regiert. Rosario Robles, Mitglied der linksgemäßigten PRD und bisherige Innensenatorin, erhielt im Stadtparlament 50 von 64 Stimmen. Sie löst ihren Parteigenossen Cuauthemoc Cardenas ab, der zum dritten Mal den Versuch startet, Präsident von Mexiko zu werden. Bei ihrem Amtsantritt widmete sich die erste Frau auf diesem Posten den populären Themen Abbau der Gewalt und Dialogförderung, um die Probleme in der mexikanischen Hauptstadt zu lösen. Bereits als Innensenatorin hatte Robles die Frauenförderung vorangetrieben. So rief sie in den 16 Stadtbezirken Zentren gegen innerfamiliäre Gewalt ins Leben und veranstaltete eine Jobbörse für Frauen. Der Amtsantritt von Robles verlief unter großem Applaus nahezu des gesamten Stadtparlaments. In der darauffolgenden Pressekonferenz sprach sie ein Reporter als „Regierungschef“ an. Robles antwortete darauf: „Dieses Substantiv gibt es auch in der weiblichen Form: Es heißt dann Regierungschefin.“

GUATEMALA

Verantwortliche für Massaker zum Tode verurteilt

(Guatemala Stadt, 8. Oktober 1999, cerigua Poonal). – Die guatemaltekische Justiz hat drei ehemalige Paramilitärs zum Tode verurteilt. Die drei Männer wurden für schuldig befunden, im Jahre 1982 zwei Massaker durchgeführt zu haben, bei denen 269 Indígenas starben. Die Massenmorde, bei denen auch 50 Kinder massakriert wurden, fanden in der Provinz Quiché statt. Bei den ehemaligen Mitgliedern der paramilitärischen Zivilpatrouillen handelt es sich um Fermín Lajuj Xitimul, Pedro González Gómez und Carlos Chen. Sie erhielten ihre Befehle von Militärs und Großgrundbesitzern. Etwa 400 Bewohner der Siedlung Xecoj, aus der die Verurteilten stammen, protestierten gegen den Richtspruch. Zwei vorangegangene, ähnliche Urteile wurden bereits angefochten. Auch in diesem Fall ist von einer Berufung auszugehen.

COSTA RICA

Härtere Gesetze gegen illegale Einwanderer

(San Jose, 30.September 1999, pulsar Poonal). – Die große Zahl mittelamerikanischer Bürger, die versuchen, illegal nach Costa Rica einzureisen, hat die Regierung veranlasst, harte Maßnahmen zu ergreifen. Präsident Miguel Angel Rodríguez zufolge hat die Regierung vor, Gesetze zu präsentieren, die Schleuser mit Gefängnisstrafen belegt und Arbeitgebern, die Illegale beschäftigen, höhere Strafen auferlegt als bisher.

Damit wird ein Schlussstrich unter die zur Zeit geltende Amnestieregelung gezogen. Mitte des Jahres hatten 150.000 illegal im Land lebende Mittelamerikaner auf diese Weise ihren Aufenthalt in Costa Rica legalisieren können. Bei der Mehrheit von ihnen handelt es sich um Nicaraguaner, die meist als Niedrigstlohnarbeiter auf dem Bau, in der Landwirtschaft oder in Haushalten beschäftigt sind. Die Regierung geht aber von weiteren 500.000 sich illegal im Land aufhaltenden Nicaraguanern aus. Diese hätten sich nicht unter die Amnestie gestellt, weil sie keine Steuern zahlen wollten, nutzten aber öffentliche Dienste wie Erziehungs- und Gesundheitswesen, heißt es in der Regierungsversion.

PANAMA

Texaco scheut die Marktwirtschaft

(Panama Stadt, 8. Oktober 1999, pulsar Poonal). – Die Kommission für freien Wettbewerb und Verbraucherangelegenheiten hat der panamaischen Präsidentin Mireya Moscos nahegelegt, den Liefervertrag mit der multinationalen Ölfirma Texaco zu überprüfen. Texaco betreibt die einzige Ölraffinerie Panamas. Das verschafft dem Konzern in eine Monopolstellung, obwohl Panama offiziell marktwirtschaftliche Prinzipien verfolgt. Texaco kassiert von den brennstoffimportierenden Unternehmen eine Art Korksteuer von 14 Prozent. Dies verteuert die Produkte der anderen Firmen und verringert deren Gewinn. Texaco steht auf dem Standpunkt, die Steuer schützte die Raffinerie, die in der Provinz Colon seit 1962 Brennstoffe produziert.

KOLUMBIEN

Streit um den Status „kriegführende Kraft“

(Bogota, 13. Oktober 1999, ac-Poonal).- Eines der wichtigsten politischen Ziel, das die Guerilla-Organisation mit intensiver Paralleldiplomatie anstrebt, ist die Anerkennung als „kriegführende Kraft“. Eine Zeitungskolumne des Ex-Präsidenten Alfonso Lopez (1974-78)gab der Diskussion über das Thema zusätzlichen Auftrieb. Der juristisch-politische Status „kriegführende Kraft“ ist Teil des internationalen öffentlichen Rechts, allerdings nicht des internationalen humanitären Völkerrechts. Dieser Status kann bewaffneten Widerstandsorganisationen zuerkannt werden, die sich gegen einen Staat erheben.

Das hat zur Folge, daß für den jeweiligen Konflikt – zumindest theoretisch – die internationalen und nicht mehr die nationalen Rechtsnormen gelten. In einigen Fällen kann damit eine territoriale oder politische Sezession begründet werden. Der ehemalige Präsident Lopez schlägt die Anerkennung einer „beschränkten Kriegsführung“ vor. Diese Charakterisierung des Guerillakampfes soll vom kolumbianischen Staat selber und nicht von anderen verliehen werden. Viele rechtliche Analysen stimmen darin überein, dass es ein solches Statut im internationalen Recht nicht gibt.

Deshalb wird Lopez beschuldigt, schlecht informiert zu sein oder den Friedensprozess „torpedieren“ zu wollen. Der ehemalige liberale Präsident verteidigt seine Idee als eine Möglichkeit, die Normen des internationalen humanitären Völkerrechtes geltend zu machen und den Weg für einen Austausch von gefangenen Guerilleros gegen von der Guerilla gefangen gehaltene Zivilpersonen und Militärs frei zu machen. Die FARC beeilten sich, den Vorschlag zu feiern während die Regierung ihn genauso ablehnte.

Der Tod geht weiter um

(Bogota, 13. Oktober 1999, ac-Poonal).- Nur einen Tag, nachdem die Paramilitärs sich gegenüber den Gemeinschaften im Osten der Provinz Antioquia verpflichtet hatten, sich unter bestimmten Bedingungen aus der Region zurück zu ziehen, drangen sie in die Gemeinde Heliconia ein und ermordeten 12 Jugendliche. Einen Tag darauf, am 11. Oktober, ermordete ein anderes Kommando der Paramilitärs in zwei Gemeinden der weiter nördlich gelegenen Provinz Cesar sechs Personen.

Tage zuvor waren in der Provinz Arauca im Osten Kolumbiens nahe der Grenze zu Venezuela Anklagen über Massaker und Übergriffe gegen die Bevölkerung von Cabuya und Santo Domingo, Drohungen gegen Menschenrechtler und Vergehen der Sicherheitskräfte bekannt geworden. In der Provinz Valle del Cauca, im Südwesten des Landes, drangen Paramilitärs in die Gemeinden Buga, San Pedro, Tuluá, Andalucia und Bugalagrande ein. Sie massakrierten bei verschiedenen Aktionen 43 Personen und lösten die Vertreibung von 1.800 Bauern aus.

Die Paramilitärs pflegen zu argumentieren, dass ihre Opfer Helfer der Guerilla seien. In einem der jüngsten Kommuniqués der Vereinigten Selbstverteidigungsgruppen Kolumbiens (AUC) heißt es: „Dieser Krieg ist nur gegen die Guerilla gerichtet. Rechtschaffene und nicht in den Konflikt verwickelte Leute haben keinen Grund zur Sorge, besorgt müssen jene sein, die direkt oder indirekt die Guerilla unterstützen. Denn sie werden militärische Ziele sein … Entweder ziehen sich die Banditen eine Uniform an, oder sie sterben in ziviler Kleidung. So erzwingt es der Krieg.“

Diese paramilitärische und rechtsextreme Logik der Expansion des Krieges hat in den letzten Wochen die Zahl der im Ausland um Asyl nachsuchenden Menschenrechtsverteidiger*innen, Gewerkschafter*innen, Journalist*innen, Akademiker*innen und sogar Regierungsfunktionär*innen ansteigen lassen. Presseversionen sprechen von etwa 4.000 Menschen, die das Land aufgrund von Drohungen verlassen haben.

Große Bestürzung löste auch die Hinrichtung von drei Mitgliedern der Antidrogenpolizei durch die FARC aus. Die drei Polizisten, die seit mehr als eineinhalb Jahren von der FARC in einem ihrer Lager in der Provinz Vichada festgehalten wurden, waren geflüchtet. Verfolgt von hunderten von Guerilleros in einem Urwaldgebiet, wurden sie schlussendlich aufgefunden und erschossen. Dies verstößt gegen die Grundnormen über den Schutz von Festgehaltenen, wie sie in den Menschenrechtskonventionen und im humanitären Völkerrecht festgelegt sind.

U'wa se drohen mit kollektivem Selbstmord

(Bogota, 9. Oktober 1999, alai-Poonal).- „Wir werden unsere Mutter Erde auf keinen Fall verkaufen“. Mit diesen Worten beginnt eine Erklärung des Volkes der U'wa gegenüber dem Ölunternehmen „Petrolera Occidental“ und der kolumbianischen Regierung. Letztere hat dem Konzern jüngst eine Konzession für die Ölförderung auf dem Territorium der Indígenas erteilt. Bevor sie mitansehen müssten, wie ihr Land vergewaltigt würde, würden sie kollektiven Selbstmord begehen, versichern die U'wa. Sie sehen nicht nur die direkte Gefahr, die von der Ölausbeutung für sie ausgeht, sondern auch den Kontext des Bürgerkrieges. Guerilla, Bundesarmee und Paramilitärs tragen ihre gewalttätigen Konflikte überwiegend in Produktionszonen aus. Die U'wa befürchten eine Invasion ihres Gebietes durch die verschiedenen Kampfeinheiten, der Hauptopfer sie sein würden. Bereits im März brachte die Guerilla-Organisation FARC drei Aktivisten um, die die U'wa bei verschiedenen Projekten unterstützten.

Im April dieses Jahren schickten die Indígenas eine Delegation ihres Volkes nach Los Angeles, um dort direkt mit Rai Irani, dem Präsidenten des multinationalen Ölkonzerns zu sprechen. Zwar konnten sie ihre Position darstellen, doch die Ergebnisse waren nicht zufriedenstellend. Im August „erweiterte“ die kolumbianische Regierung das Reservat der U'wa so, dass die Ölförderung nicht innerhalb der neuen Grenzen stattfinden würde. Das wird jedoch als bürokratische Vorspiegelung gewertet, um die Konzession für Petrolera Occidental verteidigen zu können.

Den U'wa gehören mehr als 5.000 Personen an, die im Nebelwald der Sierra Nevada von Cocuy nahe der Grenze mit Venezuela leben. Das Gebiet ist außerdem eines der anfälligsten Ökosysteme im Land mit Tier- und Pflanzenarten, die nur in dieser Region vorkommen. Die negativen Erfahrungen mit den Ölkonzernen in Kolumbien und ganz Lateinamerika bezüglich kultureller Einwirkung, Verschmutzung, Holzschlag und Gewalt geben keinen Anlass zu der Hoffnung, die Entwicklung in der Sierra Nevada von Cocuy könne anders verlaufen.

Das Volk der U'wa bittet die „Brüder und Schwestern anderer Rassen und Kulturen, sich unserem Kampf anzuschließen. Wir glauben, dass sich dieser in einen weltweiten Kreuzzug zur Verteidigung des Lebens wandeln sollte“. Umwelt- und Indígenaorganisatiön haben eine Hilfs- und Solidaritäts Kampagne begonnen. Zu den Aktionen gehören Proteste vor diplomatischen Vertretungen Kolumbiens in der ganzen Welt am 12. Oktober.

Friedensaktivistin geht ins Exil nach Spanien

(Bogotá, 30. September 1999, pulsar Poonal). – Die kolumbianische Menschenrechts- und Friedensaktivistin, Senatorin Piedad Córdoba, wird in Spanien um politisches Asyl bitten, um ihr Leben in Sicherheit zu bringen. Die Führerin der liberalen Opposition hatte wiederholt Morddrohungen von bewaffneten Gruppen erhalten, weshalb sie nun beschloss, ihr Heimatland zu verlassen. Piedad Córdoba zufolge existiert unter den bewaffneten Gruppen eine Abschußliste von Personen, auf der ihr Name an prominenter Stelle stehe. Auf dieser Liste hätten sich sowohl der Journalist und Humorist Jaime Garzon befunden, der am 13. August diesen Jahres ermordet wurde, wie auch der Friedensbeauftragte des Präsidenten, Jesus Antonio Bajarano, der am 15. September starb. Die 44-jährige Senatorin war am 21. Mai 1999 von Paramilitärs entführt worden und kam nach 14 Tagen wieder frei. In den vergangenen zwei Jahren sind in Kolumbien 16 Menschenrechtsvertreter Attentaten zum Opfer gefallen. Eine große Anzahl der noch lebenden Menschenrechtsaktivisten sieht sich vor diesem Hintergrund veranlaßt ihr Heimatland zu verlassen.

PERU

Folterer freigesprochen

(Lima, 8. Oktober 1999, pulsar Poonal). Die Strafkammer im südperuanischen Ayacucho hat den Polizeiunteroffizier Augusto Gutierrez Rivero vom Vorwurf der Folter freigesprochen. Der Prozess gegen den Polizisten war der erste seiner Art, seit im Jahre 1998 die Folter als strafwürdiges Vergehen ins peruanische Strafgesetzbuch aufgenommen wurde.

In der Klageschrift gegen Unteroffizier Gutierrez Rivero wurde dargelegt, der Angeklagte habe den 62-jährigen Bauern Lucas Huamán Cruz am 2. September 1998 in der Andenprovinz Ayacucho zu Tode gefoltert. Nach Aussage des Sohnes von Cruz war sein Vater aus freien Stücken ins Polizeiquartier von Ayacucho gegangen, um einen Fall von Gelddiebstahl aufzuklären. Der mit dem Verhör beauftragte Gutierrez Rivero schlug brutal auf Huamán Cruz ein, um ihn zu einer Selbstbeschuldigung zu zwingen. Die Schreie des Bauern drangen bis in eine Zelle, in der sein Nachbar Zózimo Lunazco in derselben Angelegenheit eingesperrt saß. Nach dem brutalen Verhör wurde Lucas Huamán nach Hause geschickt, wo er einen Tag später starb. Der Autopsiebefund lautete auf zerstörte Leber und Milz.

Peruanische Menschenrechtsorganisationen halten den Freispruch des Polizisten für ein schwerwiegendes Präzedenzurteil, das sich negativ auf die anderen Folterverfahren auswirken könnte, die zur Zeit in mehreren Gerichten anhängig sind.

BRASILIEN

Polizei der Zusammenarbeit mit Haciendabesitzern beschuldigt

(Sao Paulo, 8. Oktober 1999, pulsar Poonal). – Führende Mitglieder der Landarbeitergewerkschaft haben die Polizei beschuldigt, eng mit den Privatmilizen der Großgrundbesitzer zusammen zu arbeiten. In den vergangenen zwei Wochen war es in den Städten Peritoró und Lago Verde zu Räumungen gekommen, bei denen die Polizei offensichtlich mit den Hacienda-Sicherheitskräften zusammenarbeitete. Die Städte liegen 200 Kilometer von Sao Luiz, der Hauptstadt des Bundeslandes Marañón entfernt. Nach Angaben der betroffenen Bauern verbrannten die Polizisten die Felder, mehr als 40 Hütten, eine kleine Landschule und eine Kirche. Sie hätten dies mit den Söldnern der Großgrundbesitzer zusammen getan, so die Campesinos. Der Landesminister für Öffentliche Sicherheitsfragen, Raimundo Cutrim dementierte jegliche Beteiligung. Das Bundesland sei jedoch zu groß, um sich an die Details aller Aktionen zu erinnern. Über das Klima zwischen Haciendawächtern, Polizei und landlosen Bauern befragt, sagte Cutrim, seiner Meinung nach sei das Verhältnis ausgezeichnet und er gebe keine gegenseitigen Resentiments.

ARGENTINIEN

Hilfe für Nazis zugegeben

(Buenos Aires, Oktober 1999, comcosur Poonal).- In einem internen Papier hat die argentinische Regierung einer israelischen Veröffentlichung zufolge zugegeben, nach dem Zweiten Weltkrieg 180 Kriegsverbrechern Zuflucht gewährt zu haben. Unter ihnen auch Josef Mengele, der im Vernichtungslager Auschwitz brutale Experimente an jüdischen Gefangenen durchführte. Der Leiter des örtlichen Simon-Wiesenthal-Zentrums sagte, seinen Untersuchungen zufolge seien etwa 700 Nazis nach dem Krieg in Argentinien untergeschlüpft. Viele von ihnen hätten falsche Flüchtlingspapiere des Roten Kreuzes benutzt. Der inzwischen verstorbene damals amtierende Präsident Juan Domingo Peron sei darüber im Bilde gewesen.

Wenig Lust auf Wahlen

(Buenos Aires, 13. Oktober 1999, alc-Poonal).- Die Evangelische Kirche von Rio de la Plata (IERP) hat in einer Erklärung das ausgesprochen, worin sich viele Argentinier*innen einig sind. Angesichts der Wahlen vom 24. Oktober sind die Erwartungen gering und das Desinteresse ist groß. Im Unterschied zu vorangegangen Urnengängen macht die IERP „eine starke resignative Tendenz“ aus. Besonders die Bauern, Viehzüchter, Kleinunterunternehmer und Arbeiter setzen demnach kaum Hoffnungen in das Ergebnis der allgemeinen Wahlen. „Es scheint ein allgemeines Gefühl zu geben, daß die nächste Regierung wenig oder nichts unternehmen kann, um den Niedergang der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Lage der letzten Jahren aufzuhalten“, erklärt die Kirche in klarer Anspielung auf die Regierungszeit des noch amtierenden Präsidenten Carlos Menem.

ECUADOR

Militärdienst verweigert

(Quito, Oktober 1999, comcosur Poonal).- Eine Gruppe von jungen Männern hat im Parlament ein Bekenntnis zur kategorischen Ablehnung des Kriegsdienstes abgelegt. Zum ersten Mal in der Geschichte des Landes gibt es damit eine Vereinigung, die öffentlich für die Verweigerung des Kriegsdienstes eintritt. Die Gruppe lehnt eine eventuelle Einmischung Ecuadors in den internen kolumbianischen Konflikt genauso ab, wie die Bereitstellung ecuadorianischen Territoriums an die US-Streitkräfte. „Wir lehnen es ab, Waffen in die Hand zu nehmen oder an irgendeiner kriegerischen Handlung teilzunehmen, sei sie externer oder interner Natur“, hieß es. Stattdessen könne ein Friedensdienst in den ärmsten Vierteln geleistet werden, so der Vorschlag der Gruppe. Die Kriegsdienstverweigerer bezeichneten den Krieg als „ein Massaker zwischen Menschen, die einander nicht kennen zum Vorteil von Menschen, die sich zwar kennen, aber nicht töten.“

1994 wurde ein lateinamerikanisches Netz von Kriegsdienstverweigerern geschaffen, das Argentinien, Bolivien, Brasilien, Chile, Kolumbien, Costa Rica, Ecuador, El Salvador, Guatemala, Honduras, Mexiko, Nicaragua, Panama, Peru und Venezuela umfaßt. Die jungen Leute wenden sich außerdem gegen die autoritären Strukturen innerhalb der Streitkräfte. In vielen Ländern Lateinamerika ist es sehr gefährlich, Kriegsdienstverweigerer zu sein und sich öffentlich dazu zu bekennen.

CHILE

Drohungen von rechts

(Santiago, 11. Oktober 1999, recosur-Poonal).- Anlässlich des ersten Jahrestages der Festnahme von Augusto Pinochet in London hat die ultrarechte Organisation „Vaterland und Freiheit“ ihre Aktivisten zu gewalttätigen Aktionen im ganzen Land aufgerufen. In einer an die Medien verschickten Erklärung kündigte die Organisation noch mehr Gewalt für den Fall an, daß der Ex-Diktator tot nach Chile zurückkomme. Dann seien Attentate gegen Regierungsmitglieder und Beteiligte an englischen und spanischen Investitionen in Chile nicht ausgeschlossen.

„Vaterland und Freiheit“ tauchte erstmals unter der Regierung von Präsident Salvador Allende auf. Die Mitglieder versuchten durch Attentate gegen das Straßennetz und für die Wirtschaft des Landes wichtige Betriebe die Regierung zu destabilisieren. Zu den Gründern gehört der Anwalt Pablo Rodríguez, heute einer der prominentesten Ideologen der chilenischen Ultrarechten. Für den organisatorischen Zusammenhalt soll Alvaro Corvalán zuständig sein, ein früherer Geheimdienstagent. Gegen Corvalán wird derzeit ein Prozess geführt, in dem ihm unter anderem die Beteiligung am Mord von drei kommunistischen Führungspersönlichkeiten im Jahr 1985 vorgeworfen wird.

Asyl für Matus

(Miami/Santiago, 8. Oktober 1999, comcosur-Poonal).- Die USA gewährten der Journalistin Alejandra Matus politisches Asyl. Die Autorin des „Schwarzbuches der chilenischen Justiz“ muss in ihrem Heimatland mit der Verhaftung rechnen, weil ihre Untersuchung über die Korruption an den Gerichten in Chile als Diffamierung aufgefaßt wird. In ihrem Buch beschreibt Matus auch die Unterordnung der Justiz unter die Pinochet-Diktatur, in dem sie Verhafteten, die bis heute verschwunden sind, keinen Rechtsschutz gewährte. Die Ausführungen über Servando Jordán, den ehemaligen Vorsitzenden des Obersten Gerichtshofes, brachten Matus den Haftbefehl eines Richters wegen Beleidigung ein. Vorübergehend waren auch zwei Vertreter des Verlags Planeta, der das Buch herausgibt, im Gefängnis. In den Buchhandlungen beschlagnahmt, zirkuliert das „Schwarzbuch der chilenischen Justiz“ heute tausendfach kopiert in Chile. Diskret wird es unter der Hand in den Straßen verkauft.

BOLIVIEN

Die jüdische Gemeinde wird immer kleiner, aber die Traditionen überdauern

Von Larry Luxner

(La Paz, Oktober 1999, npl-Poonal).- Gern scherzen die Mitglieder des Israel- Kreises in La Paz, sie seien beim Beten Gott so nah wie keine andere jüdische Gemeinde dieser Welt. Keine Frage, auf 4.000 Metern über dem Meeresspiegel liegt die Synagoge der Hauptstadt Boliviens höher als jede andere. Und sie liegt einsam – gerade mal 700 Juden leben in diesem armen und mehrheitlich katholischen Land im Herzen Südamerikas.

„Wir sind eine kleine, aber sehr aktive Gemeinschaft,“ sagt Rabbi Palti Somerstein. „Jeden Freitag Abend und am Samstag Morgen und Nachmittag feiern wir den Sabbat. Zweimal die Woche unterrichten wir die Kinder in Hebräisch und jüdischer Geschichte.“ Als Somerstein, ein konservativer Jude aus Buenos Aires, vor vier Jahren nach La Paz kam, lebte die Gemeinde schon 20 Jahre lang ohne religiöses Oberhaupt. In wenigen Wochen geht er wieder, und niemand weiß, woher ein neuer Rabbiner kommen könnte. Das Problem der jüdischen Gemeinde in Bolivien, die im 16. Jahrhundert entstand und nach dem Zweiten Weltkrieg ihren Höhepunkt erlebte, ist, daß sie im Laufe der Zeit immer kleiner wird.

Historikern zufolge kamen die ersten Juden zu Kolonialzeiten nach Bolivien. „Konvertierte Juden“ aus Spanien, „marranos“ genannt, kamen ins Hochland, um in den Silberminen von Potosi zu arbeiten. Auch unter den Eroberern, die 1557 die heute zweitgrößte Stadt Santa Cruz de la Sierra im Flachland nahe der brasilianischen Grenze gründeten, waren Männer jüdischen Glaubens. Doch erst Mitte dieses Jahrhunderts kamen Juden in großer Zahl in das kleine Binnenland: Lebten noch 1933 erst rund 30 jüdische Familien in Bolivien, so wuchs ihre Gemeinde in den Jahren nach dem Holocaust auf 10.000 Personen an.

Gleichzeitig öffnete die bolivianische Regierung auch vielen Nazi- Kriegsverbrechern die Tür. „Während der Zweiten Weltkriegs gab es einen starken Antisemitismus hier,“ erzählt Marek Ajke. Der 73jährige überlebte das Warschauer Ghetto und floh nach Bolivien. „Heute kommt es nur sehr selten zu antisemitischen Übergriffen. Manchmal pinseln irgendwelche Leute Hakenkreuze an die Wände, zum Beispiel als der Film „Schindlers Liste“ in den Kinos gezeigt wurde.“

Dennoch, die jüdischen Einrichtungen in Bolivien verhalten sich – wie auch in einigen anderen Ländern Lateinamerikas – betont unauffällig. Die meisten Treffpunkte sind der Öffentlichkeit nicht bekannt und werden von bewaffneten Wächtern geschützt. Alle Besucher werden eingehend durchsucht. Samstag Nachmittag. Im Haus des Israel-Kreises in der Landaeta- Straße im Zentrum der Hauptstadt sind 27 Männer zusammengekommen. Die zumeist über Sechzigjährigen beten von einem Altar in vierten Stock des Gebäudes. Im schmalen Flur sind die Portraits der 16 bisherigen Präsidenten der Gemeinschaft zu sehen. Gleich daneben vergilbte Plakate, die Touristenattraktionen in Israel anpreisen, und ein Ölgemälde, das die koloniale Altstadt von Potosi zeigt. Im Hof des Gebäudes findet sich das einzige Mikveh, das rituelle jüdische Bad in Bolivien.

Die kleine Gemeinde hat es nicht leicht. Viele Juden sind in den 70er und 80er Jahren nach Argentinien, Israel oder in die Vereinigten Staaten ausgewandert. Das angesehene bolivianisch- israelische Kolleg, 1940 für jüdische Kinder gegründet, nimmt seit den 60er Jahren auch nichtjüdische Schüler auf. Heute sind unter den 500 Jugendlichen gerade noch 20 Kinder jüdischen Glaubens.

„Ich wurde in Bolivien niemals diskriminiert,“ betont Rabbi Somerstein. „Im Gegenteil, die Menschen mögen uns. Vor kurzem haben wir zusammen mit einem protestantischen Pfarrer aus Deutschland und einem katholischen Priester ein Krankenhaus in einem sehr armen Stadtteil von La Paz gebaut – das „Centro Medico Alto Obrajes“. Auch mit dem Lateinamerikanischen Kirchenrat und der Bolivianischen Bischofskonferenz arbeiten wir gemeinsam an Projekten, die sich gegen Diskriminierung wenden.“

In der Hauptstadt, so schätzt die Gemeinde, leben heute knapp 500 Juden, weitere 150 in Santa Cruz, einer aufstrebenden Industriestadt. In Cochabamba, wo im Zweiten Weltkrieg Hunderte jüdische Familien Unterschlupf fanden und bis heute die schönste Synagoge des Landes steht, leben vielleicht nochmal 60. Auffällig ist, daß in Bolivien im Gegensatz zu fast allen anderen Ländern des Subkontinents die internationale Wohltätigkeitsorganisation B'nai B'rith nicht präsent ist. Somerstein macht „internen Streit und mangelndes Interesse“ dafür verantwortlich.

Doch die wenigen bolivianischen Juden halten zusammen. Zwar achten nur wenige auf koscheres Essen – weit und breit ist kein Schlachter zu finden, der das Fleisch entsprechend jüdischem Brauch zubereitet -, doch sprechen überraschend viele Jugendliche Hebräisch und haben bereits Israel besucht. Die Zahl der gemischten Ehen liege hier bei nur 20 Prozent, weit weniger als die 50 Prozent in den USA, berichtet der Gynäkologe Ricardo Udler. Der 44jährige ist derzeit Präsident des Israel-Kreises. „Die Mehrheit der Gemeindemitglieder respektiert den Sabbat,“ sagt Udler stolz. „Nicht einen Freitag Abend fällt der Sabbat aus.“

LATEINAMERIKA – Die Mythen des Tourimus, V

Der „revolutionäre Tourist“ in Mexiko

Von John Ross

(Oventic, 13. September 1999, na-Poonal).- Der Tag beginnt mit dem Hahnenschrei in den Wolken von Oventic. Hier, in den steilen Bergen unweit der Stadt San Cristobal de las Casas, baut die Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) mit Hilfe nordamerikanischer Freiwilliger eine Sekundarschule. Nach dem Frühstück verbringen die zumeist jungen Freiwilligen lange Stunden zusammen mit den Mitgliedern der Gemeinde. Unter der strikten Aufsicht von Comandante Amos, einer Art maskierter Wächter des Camps, holen sie Steine aus der Erde und mischen Zement an.

Das Projekt Oventic hat das vollständige Ambiente eines Sommerlagers: die Freiwilligen verlieben sich ineinander, hassen das Essen und sehnen sich nach sanitären Anlagen innerhalb der Häuser. Sie sind willkommen im Zentrum des „Revolutionstourismus“. Diesen verächtlichen Terminus wendet die mexikanische Regierung auf die Besucher mit sozialer Sensibilität an, wenn sie Anstrengungen unternimmt, Aktivisten und ausländische Beobachter des Landes zu verweisen.

Seit im Januar 1994 die zapatistische Rebellion ausbrach, hat der Bundesstaat Chiapas internationale Reisende angezogen. Einige sind „unabhängige Journalisten“, andere kommen, um in einem der Dutzend Friedenscamps zu arbeiten und weitere nehmen an besonderen Ereignissen wie beispielsweise dem „Intergalaktischen Treffen“ gegen den Neoliberalismus 1996 im Lacandonen Urwald teil.

Die Mehrheit kommt mit dem Touristenvisum nach Chiapas, das die Aktivitäten auf die Bereiche „Sport, Erholung, Gesundheit und Kultur“ beschränkt. Wenn die „Migra“, die Einwanderungsbehörde, fragt, bestehen einige darauf, im Bundesstaat schwimmen oder Golf spielen zu wollen. Aber die scharfsinnigen Agenten der Migra lassen sich kein Märchen erzählen. In den vergangenen fünf Jahren haben die Behörden mehr als 300 ausländische Besucher ausgewiesen. Sie wurden beschuldigt, die Visabestimmungen verletzt zu haben. Fast die Hälfte der unerwünschten Reisenden wurde nach dem Dezember 1997 deportiert, in dem das Massaker von Acteal stattfand.

Im vergangenen Jahr mussten Ausländer das Land verlassen, weil sie Schulen bauten, mit den Überlebenden von Acteal beteten, Denkmäler stifteten, den Indígena-Gemeinden Kameras übergaben oder zapatistische Wandmalereien fotografierten. Die Mehrheit erhielt eine „Einladung“, Mexiko freiwillig zu verlassen, aber 59 wurden auf Lebenszeit ausgewiesen und deportiert.

Die Ausländer sind nicht die einzigen, die des „Revolutionstourismus“ angeklagt werden. Im August erhielten die mexikanische Schauspielerin Ofelia Medina, eine überzeugte Anhängerin der Zapatisten, und eine Gruppe Universitätsstudenten unter Haftandrohung die Anweisung der örtlichen Behörden, den Bundesstaat Chiapas zu verlassen. Ins Blickfeld des Revolutionstourismus ist ebenfalls Global Exchange, eine US- Organisation für soziale Gerechtigkeit, geraten. Seit 1994 bietet Global Exchange „wirklichkeitsnahe Reisen“ für 900 Dollar pro Woche in die Konfliktzone an. „Ich würde gerne sagen können, daß die Leute, die an den wirklichkeitsnahen Reisen teilnehmen, Revolutionäre sind“, meint Ted Lewis, Leiter der Organisation. „Aber bei der Mehrheit handelt es sich um Akademiker und Fachkräfte mittleren Alters.“ Global Exchange hat auch für US- Unternehmer und kleinere Kaffee-Importeure Reisen nach Chiapas organisiert. Derzeit ruft sie dazu auf, „das Jahrtausendende mit den Zapatisten zu feieren“.

Die Bedrohung der Deportation ist für einige Revolutionstouristen eine Attraktion mehr. Der Gedanke an nächtliche Märsche durch den Urwald, um die Kontrollpunkte der Migra zu umgehen, gibt dem ganzen Unternehmen ein Gefühl von Gefahr. Und aus Mexiko wegen der zapatistischen Sache ausgewiesen worden zu sein, erhöht das Ansehen des politisch korrekten Touristen.

Das Gerücht, der Aufstand habe die Tourismus-Industrie in Chiapas – Einkommensquelle für 40.000 Familien, viele von ihnen Indígenas – zum Erliegen gebracht, wird von den Statistiken widerlegt. Die Kolonialstadt San Cristóbal de Las Casas, zu einem Großteil Schauplatz des zapatistischen Dramas, verzeichnet seit 1994 einen Anstieg des Tourismus um 250 Prozent. Die Besuche der Maya-Ruinen von Palenque, in der Konfliktzone gelegen, haben gar um mehr 400 Prozent zugenommen.

In San Cristóbal, wo schätzungsweise 12.000 Personen, mehrheitlich Indígenas, in Bereichen arbeiten, die mit dem Tourismus zu tun haben, haben seit 1994 zehn neue Hotels, 24 Restaurants und unzählige Bars sowie ein Internet Cafe eröffnet. Traditionelle, luxuriösere Hotels wie das Flamboyan, Casa Mexicana oder das jüngere Casa Vieja, die häufig offizielle Delegationen, die Presse und internationale Stars wie Filmdirektor Oliver Stone oder Literaturnobelpreisträger José Saramago beherbergen, florieren.

Die Besitzer der biligen Hotels in San Cristóbal, wo die „Revolutionstouristen“ absteigen, probten 1996 den Aufstand, als die Migra versuchte, die Gästeregister zu überprüfen. Ernesto Ledesma, der das Friedenshaus von Global Exchange in der Stadt führt, sagt, dass die „Bewußtseinstouristen“ einen wichtigen Beitrag zur lokalen Wirtschaft leisten. „Sie kaufen Flugtickets, übernachten in Hotels, nehmen Taxis, essen in Restaurants und erwerben Kunsthandwerk“, listet er auf. Die wirklichskeitsnahen Touristen sind auch selektiv. Sie kaufen in Genossenschaften, die mit den Zapatisten sympathisieren. Eine Stoffpuppe des Subcomandante Marcos mit nach Hause zu bringen, ist obligatorisch geworden. Geht es nach Ledesma, haben die wirklichkeitsnahen Reisen einen weiteren Vorteil gegenüber dem gewöhnlichen Tourismus: sie dauern länger als der eigentliche Urlaub. „Die Reise endet nicht, wenn der Tourist geht. Die Leute kommen nach Hause zurück, sehen sich ihre Fotos an, erzählen ihre Erfahrungen und nehmen in der Solidaritätsbewegung teil.“

Die Bezeichnung „Revolutionstourismus“ wurde in den achtziger Jahren in den mittelamerikanischen Kämpfen benutzt, als viele „Internationalisten“ nach Nicaragua und El Salvador gingen. Aber in Mexiko hängt der Gebrauch davon ab, welche Revolution besucht wird. „Wenn ich zum Monument der Mexikanischen Revolution (von 1910) in Mexiko-Stadt gehe, bin ich dann etwa kein Revolutionstourist?, fragt Ledesma lachend. „Auch wenn mich da alle Touristenführer der Regierung dazu auffordern.“

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