Poonal Nr. 402

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 402 vom 1. Oktober 1999

Inhalt


ARGENTINIEN/BRD

ARGENTINIEN

CHILE

BRASILIEN/PARAGUAY

BRASILIEN

MEXIKO

MITTELAMERIKA

GUATEMALA

HONDURAS

NICARAGUA

PERU

KOLUMBIEN

ECUADOR

LATEINAMERIKA

LATEINAMERIKA – Die Mythen des Tourismus, III


ARGENTINIEN/BRD

Strafanzeige gegen leitenden Angestellten von Daimler-Benz.

Das Unternehmen soll am Verschwinden von Gewerkschaftern unter der

argentinischen Militärdiktatur beteiligt gewesen sein Von Stefanie Kron

(Berlin, 28. September 1999, npl).- Erstmals wird gegen ein deutsches Unternehmen Anzeige wegen mutmaßlicher Verstrickung in Menschenrechtsverletzungen während der argentinischen Militärdiktatur (1976-1983) gestellt. „Beteiligung an Verschleppung und Ermordung von mindestens acht Gewerkschaftern der Mercedes-Benz-Niederlassung in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires“ lautet der Vorwurf der Anzeigenschrift, die der Berliner Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck am Dienstag (28.09.) bei der Berliner Staatsanwaltschaft einreichte. Die Strafanzeige richtet sich gegen Juan Tasselkraut, in den 70er Jahren Werksleiter der argentinischen Niederlassung des deutschen Atomobilkonzerns, sowie gegen Emilio Massera und Jorge Videla, zwei der berüchtigsten Generäle der Diktatur in Argentinien.

Nahezu 30.000 Menschen fielen dem argentinischen Militärregime zum Opfer. Die Unterdrückung richtete sich nicht nur gegen die politische Opposition, sondern auch gegen die erstarkte Gewerkschaftsbewegung. Die Chefetagen vieler Firmen kollaborierten mit dem Regime, um unbequeme Gewerkschafter loszuwerden. „Die Personalabteilungen arbeiteten eng mit den Militärs zusammen“, bestätigt Hector Recalde, ein auf Arbeitsrecht spezialisierter Anwalt aus Buenos Aires.

Zwischen April 1976 und August 1977 verschwanden mindestens 13, wahrscheinlich sogar 20 engagierte Betriebsräte der argentinischen Mercedes Benz Niederlassung. Am 31. August dieses Jahres strahlte der WDR eine Sendung mit dem Titel „Die Verschwundenen von Mercedes Benz“ aus, die auf Recherchen der Journalistin Gabriele Weber beruht. Dem Beitrag zufolge arbeitete das Führungspersonal von Mercedes Benz bei der Verfolgung von politisch aktiven Arbeitern den Repressionsorganen der argentinischen Militärdiktatur direkt in die Hände.

Mitte der 70er Jahre hatte sich auch bei Mercedes-Benz ein unabhängiger, linksorientierter Betriebsrat – die „Gruppe der Neun“ – gebildet. Noch im Dezember 1976 zählte dieser Betriebsrat 3.000 Mitglieder, obwohl mehr und mehr engagierte Arbeiter aus Angst vor Repression den Betrieb verließen. Die beiden Sprecher der „Gruppe der Neun“, Esteban Reimer und Hugo Ventura, setzten sich jedoch weiter für die Rechte der Werktätigen ein.

In der Nacht zum fünften Januar 1977 wurden beide in ihren Wohnungen von Angehörigen der Armee verhaftet und verschleppt. Sie sind bis heute verschwunden. Trotzdem zahlte Mercedes Benz fast zehn Jahre ohne Begründung deren Löhne an die Hinterbliebenen weiter. Hugo Venturas Schwester, Maria Ester, ist der Meinung, daß die Personalabteilung von Mercedes Benz den Militärs und der Polizei Namen und Adressen politisch aktiver Arbeiter aushändigte.

Hector Ratto, einer der wenigen ehemaligen Betriebsräte, die die Verhaftungswelle überlebten, sagte bereits 1985 im sogenannten „Jahrhundertprozeß“ gegen die argentinischen Diktaturschergen aus. Erstmals mußten sich damals südamerikanische Militärs vor einem zivilen Gericht wegen massiven Menschenrechtsverletzungen verantworten. Unter den Angeklagten befanden sich auch die Generäle Videla und Massera. Die Amnestiegesetzte von 1989 und 1990 ließen die Militärs jedoch letztlich straflos ausgehen. Heute stehen beide unter Hausarrest – sie sollen maßgeblich an der organisierten Entführung von Kindern inhaftierter und später ermordeter Oppositioneller beteiligt gewesen sein, ein Verbrechen, das nicht unter die Amnestiegesetze fällt. Unter den Fällen von Kindesentführung befindet sich auch die Tochter des seit 1977 „verschwundenen“ Deutschstämmigen Ruben Santiago Bauer.

Videla und Massera gehören auch zu den 41 argentinischen Militärs, gegen die auf Betreiben der Nürnberger „Koalition gegen Straffreiheit“ im April vergangenen Jahres Strafanzeige wegen Entführung und Ermordung von mindestens 70 Deutschstämmigen eingereicht wurde. Seit Juni 1998 ermittelt die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth in vier der Fälle, in einem weiteren seit März diesen Jahres. Bislang haben die Ermittlungen zu keinem Ergebnis geführt.

Anfang Juni übergab Wolfgang Kaleck dem Berliner Justizsenator Körting vier weitere Strafanzeigen deutsch-jüdischer Diktaturopfer. Mit der Begründung, die „Zuständigkeit der deutschen Justiz sei wegen fehlender deutscher Staatsangehörigkeit nicht gegeben“, lehnte die Bundesanwaltschaft die Annahme eines Verfahrens ab. „Eine zynische Argumentation, da den jüdischen Emigranten vom faschistischen Deutschland in Abwesenheit die deutsche Staatsangehörigkeit aberkannt wurde“, beklagt Kaleck.

Schon 1985 belastete Hector Ratto den damaligen Werksleiter Tasselkraut: Am 12. August 1977 wollte die Polizei Hector Ratto vor Arbeitsbeginn am Werkstor verhaften. Aufgrund einer Verwechslung konnte er unbemerkt zu seinem Arbeitsplatz gelangen. Dort bat ihn Juan Tasselkraut in sein Büro, wo zwei Polizisten in Zivil warteten. Tasselkraut gab ihnen die Adresse eines anderen Arbeiters, der in der gleichen Nacht verschleppt und in dem berüchtigten Folterzentrum „Campo de Mayo“ umgebracht wurde. Auch Ratto wurde abends auf dem Werksgelände vom Militär „abgeholt“ und nach „Campo de Mayo“ gebracht. Er überlebte jedoch die 18 monatige Haftzeit. Ratto ist der Meinung, daß ihn die öffentliche Verhaftung an seinem Arbeitsplatz vor Folter und Mord bewahrte. Alle anderen Betriebsräte wurden nachts aus ihren Wohnungen verschleppt.

Tasselkraut, der heute die Lastwagenproduktion von Daimler/Crysler in Spanien leitet, ging straffrei aus. Gegenüber der Internet- Zeitschrift „Rebelion“ vom 11. September bestritt er, dass Mercedes Benz während der Diktatur mit den argentinischen Militärs kollaboriert habe. Auf die Frage, ob er wußte, daß inhaftierte Arbeiter gefoltert und ermordet wurden sagt er: „Wer Argentinien kennt, weiß, daß dort die Menschenrechte verletzt und Menschen eliminiert wurden.“ Daß die Firma die Löhne von Reimer und Ventura an die Angehörigen weiterzahlte, sieht er nicht als Eingeständnis der Schuld: „Wir als Unternehmen wollten uns wirklich als ein menschliches Beispiel darstellen.“

ARGENTINIEN

Oviedo zieht um

(Buenos Aires, 29. September 1999, pulsar-Poonal).- Der paraguayische Ex-General Lino Oviedo wird noch im Laufe dieser Woche in die Provinz Feuerland im Süden Argentiniens gebracht. Falls er sich weigere, werde er seinen Status als politischer Asylant verlieren, droht die argentinische Regierung. Gegen Oviedo läuft ein Auslieferungsantrag von Seiten Paraguays. Die Weigerung von Argentinien, dem Gesuch nachzukommen, hat zu Misstimmigkeiten zwischen beiden Ländern geführt, die durch Oviedos offensive politische Aktivitäten in Buenos Aires nicht gerade gemindert wurden. Mit der Abschiebung ist die entlegene Provinz versucht die argentinische Regierung jetzt offenbar, die Stimmung zu beruhigen.

Für den völligen Schuldenerlass

(Buenos Aires, 27. September 1999, alc-Poonal).- Die weltweite Initiative Erlassjahr 2000 muss nach Auffassung der Lateinamerikanischen und Karibischen Koalition Erlassjahr 2000 dazu führen, die Auslandsschulden der armen Länder völlig zu streichen. Die Delegierten aus verschiedenen Ländern der Region trafen sich vor wenigen Tagen in der Stadt Matheu, Provinz Buenos Aires. In einer Erklärung bekräftigten sie ihre Überzeugung, die Auslandsschuld sei „unmoralisch und illegitim. Unsere Völker dürfen nicht gezwungen werden, sie zu zahlen, da sie weder Nutznießer gewesen sind noch an ihrer Aufnahme beteiligt waren“.

Die Koalition lehnt den Vorschlag der G 7-Länder ab, den am höchsten verschuldeten armen Ländern einen Teil ihrer Schulden zu erlassen. Dies vor allem wegen der Bedingung, strukturelle Anpassungsprogramme durchzuführen und wegen der Einmischung des Internationalen Währungsfonds „in den Entwurf und die Kontrolle der Politik, die unsere Leben betrifft“. Um das Problem der Auslandsschuld zu lösen, müsse die historische Entschädigung einbezogen werden, die die Länder des Nordens den Völkern des Südens „für 500 Jahre Plünderung und Zerstörung“ schuldeten. Schließlich tritt die „Erklärung von Buenos Aires“ dafür ein, angesichts der durch die neoliberale Globalisierung eingerichteten Herrschaftsmechanismen die Süd-Süd und Süd-Nord-Solidarität zu globalisieren.

CHILE

Weggefährte Pinochets tot

(Santiago, 29. September 1999, pulsar-Poonal).- Am 29. September starb mit 79 Jahren der frühere Kommandant der Luftwaffe, General Gustavo Leigh. Er nahm im September 1973 am Staatsstreich gegen Präsident Salvador Allende teil. Zusammen mit Heereschef Augusto Pinochet, Marinechef José Toribio und Polizeichef César Mendoza installierte er 17 Jahre während Diktatur. In den ersten Jahren nach dem Putsch hatte Leigh eine starke Position. Der Hardliner stand überzeugt hinter der Repression gegen Oppositionelle. Im wird der Spruch zugeschrieben, in Chile müsse „der marxistische Krebs ausgelöscht werden“. Nach Meinungsverschiedenheiten drängte Pinochet seinen Generalskollegen Mitte 1978 aus dem engeren Machtbereich.

BRASILIEN/PARAGUAY

Schmuggelparadies an der Brücke der Freundschaft

(Asuncion/Brasilia, 27. September 1999, na/ips-Poonal). Die Grenze zwischen Brasilien und Paraguay ist nicht nur ein Schmuggelparadies, sie öffnet auch Tür und Tor für Steuerhinterziehung, Geldwäsche und Devisenausfuhr. Dies klagen brasilianische Behörden an. In der brasilianischen Grenzstadt Foz do Iguazu sind etwa 40 Prozent der örtlichen Unternehmen Scheinfirmen. Sie seien nur dazu gegründet, Geld aus ungesetzlichen Tätigkeiten zu waschen und ins Ausland zu schaffen, sagt der lokale Staatsanwalt Paulo Gomes Junior.

Die Staatsanwaltschaft und die Bundespolizei haben die Legionen der illegalen Unternehmungen gleich in drei brasilianisch- paraguayischen Grenzstädten ausgemacht. In Foz do Iguatu, Cascavel und Ponta Porp. Foz do Iguatu ist nur durch die Brücke der Freundschaft über den Paranafluss vom großen paraguayischen Handelszentrum Ciudad del Este getrennt. Schätzungen zufolge flossen in den vergangenen drei Jahren ungefähr 7,5 Milliarden Reales, also umgerechnet vier Milliarden US-Dollar illegal über die Freundschaftsbrücke.

„Wie haben Leute angetroffen, arme Leute, arbeitslos und in erbärmlichen Hütten hausend, die angeblich Teilhaber an Unternehmen sind, die Rechnungen über viele Millionen Reales ausstellen“, erklärt Gomes Junior. Die Strohleute werden hier „Orangen“ genannt. Im benachbarten Cascavel hat der Staatsanwalt Celso António Trés 300 „Orangen“ ausgemacht, über deren Bankkonten rund fünf Milliarden Reales in den vergangenen zwei Jahren außer Landes geflossen sind.

Die Nähe der Stadt zur Grenze, es sind rund 150 Kilometer bis dahin, erlaubt jedem, der einen Wohnsitz in Paraguay nachweisen kann, ein Bankkonto zu eröffnen. Diese als CC-5 bekannten Konten erlauben ganz legal die Ausfuhr von Devisen. „Die Zentralbank war nachläßig“, meint Trés. Angesichts der großen Anzahl der CC-5- Konten und der riesigen Mengen Dollar, die in der relativ armen, 220.000 Einwohner zählenden Stadt ausgeführt wurden, hätte die Bank früher reagieren können.

Der Sekretär für Steuereintreibung auf Bundesebene, Everardo Maciel, erklärt, in Brasilien bewege sich der Gegenwert von 485 Milliarden Reales illegal, ohne dass dafür ein einziger Real Steuern gezahlt werde. Die Hälfte der 530 großen Unternehmen im Land und 28 der 66 Großbanken blieben bei der Einkommenssteuer außen vor. Die vom Gesetz gestatteten Manöver, wie die CC-5-Konten erlaubten ihnen, die Steuerzahlungen zu umgehen, sagt Maciel.

BRASILIEN

„Evang-elastische“ Statistiken

(Sao Paulo, 28. September 1999, alc-Poonal).- Eine Untersuchung des Dienstes für die Evangelisierung Lateinamerikas (SEPAL) weist auf „evang-elastische“ Angaben einiger Glaubenskongregrationen über die Zahl ihrer Anhängerschaft hin. Die Wortschöpfung stammt von der Zeitschrift „Vinde“. Sie veröffentlichte Erklärungen von SEPAL-Mitglied Lourenco Kraft. Danach gibt es in Brasilien 19,5 Millionen evangelische Gläubige. Werden die alleroptimistischten Angaben der Kirchen zusammengerechnet, ergibt sich die doppelte Zahl von Gläubigen. Kraft kritisierte die Methoden, mit denen einige Kirchen die Summe ihrer Schäfchen hochrechnen. So reiche manchmal ein einmaliger Besuch des Gottesdienstes aus, zum festen Mitglied erklärt zu werden.

Das macht verständlich, warum die evangelikale Kirche „Asambleas de Dios“ 14 Millionen Gläubige angibt, während SEPAL auf der Grundlage von Daten des brasilianischen Statistikamtes (IBGE) nur 2,4 Millionen verzeichnet. Die „Iglesia Dios es Amor“ will 2,7 Millionen Anhänger haben, ohne rosarate Brille gestehen SEPAL und IBGE 170.000 zu. Krass auch der Fall der „Iglesia Universal del Reino de Dios“. Selbst bei einer kräftigen Verbreitung ist der Anstieg von statistisch festgestellten 270.000 Mitgliedern auf angeblich vier Millionen heute fragwürdig. Bei den länger in Brasilien verwurzelten evangelischen Kirchen klaffen die Zahlenangaben nicht so weit auseinander. Die Baptisten beispielsweise übertreiben nur um etwa 10.000 Gläubige.

Der merkwürdige Umgang mit den Mitgliederzahlen macht allerdings nicht vergessen, dass nach China und den USA keine anderes Land mehr evangelische Gläubige aufweist als Brasilien. Ebenso ist die schnelle Ausbreitung vor allem der neuen evangelischen Kirchen unbestritten. Laut SEPAL wächst die brasilianische Bevölkerung mit 1,36 Prozent um Jahr, die evangelischen Kirchen insgesamt weisen aber einen jährlichen Mitgliederzuwachs von 5,18 Prozent auf. Würde dieser Rythmus beibehalten, wäre das heute überwiegend katholische Brasilien im Jahr 2037 zur Hälfte evangelisch.

Nein zur „Entdeckung“

(Porto Seguro, 27. September 1999, alc-Poonal).- Vertreter von 39 Indígena-Völkern wenden sich in einem Brief an Präsident Fernando Henrique Cardoso gegen Feierlichkeiten zur Entdeckung Brasiliens vor 500 Jahren, „wenn vorher nicht die Rechte der ersten Bewohner dieser Böden garantiert werden“. Die 112 Unterzeichnenden heben die Probleme hervor, denen sich die Indígenas gegenüber sehen. Einige Völker seien von der Auslöschung bedroht, aber immer noch nicht von der Bundesregierung anerkannt.

„Wir haben weitere Probleme, die die Bundesregierung nicht ansprechen will und nicht zu kennen vorgibt“, heißt es unter anderem in dem Brief. Erwähnt werden die Landstreitigkeiten und – Invasionen, die fehlende Justiz bei Verbrechen gegen die Indígenas und die Verzögerungen von Gesetzesinitiativen bezüglich der Rechte der Indígena-Völker. Der Präsident habe bis zum 19. April 2000, Datum, an dem die Ankunft der Portugiesen an den brasilianischen Küsten vor 500 Jahren gefeiert werden soll, genug Zeit, die Markierung der Indígena-Territorien zu regelen sowie die Invasoren zum Verlassen dieser Landstücke zu bewegen.

Die Abgeordneten, speziell die der Regierungsparteien, werden aufgefordert, das Statut der Indígena-Völker zu verabschieden und die Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zu ratifizieren. Bei Bauprojekten und der Minenausbeutung in ihren Gebieten fordern die Indígenas ein Mitspracherecht. Von den Ländern, die an „fünf Jahrhunderten Genozids“ gegen ihre Gemeinden teilnahmen, verlangen die Indígenas öffentliche Reue und Unterstützung ihrer Forderungen und Rechte.

MEXIKO

Oppositionsallianz entpuppt sich vorerst als Totgeburt

(Mexiko-Stadt, 29. September 1999, pulsar-Poonal).- Die Absage der rechtskonservativen PAN an den Vorschlag einer 14köpfigen Kommission von mexikanischen Persönlichkeiten zur Kür eines gemeinsamen Oppositonskandidaten hat die Möglichkeit für ein schlagkräftiges Bündnis gegen die seit 70 Jahren regierende PRI stark eingegrenzt. Ein Zusammengehen der PAN mit der linksgemäßigten PRD bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im kommenden Jahr erscheint derzeit ausgeschlossen. Den sechs kleineren Oppositionsparteien, die in den vergangenen Monaten ebenfalls an den Gesprächen über eine Allianz teilnahmen, wird kein wahlentscheidendes Gewicht zugeschrieben.

Die Chancen der PRI, für weitere sechs Jahre den Präsidenten zu stellen, erhöhen sich nach Einschätzung vieler durch den Beschluss der PAN-Führung. Trotz der großen ideologischen Gegensätze von PAN und PRD waren der Opposition bei einem Zusammengehen gute Möglichkeiten für den Wahlsieg eingeräumt worden. Mit Vicente Fox (PAN) und Cuauhtémoc Cárdenas (PRD) gibt es jedoch zwei Präsidentschaftsanwärter, von denen keiner freiwillig bereit war, die Kandidatur zugunsten des anderen aufzugeben. Die von der Kommission mit großer Mehrheit vorgeschlagene Festlegung des Oppositionskandidaten durch eine Mischung aus Mitgliederwahl und Befragung war der PAN offenbar zu risikoreich. Zwar ist Fox nach Umfragen derzeit populärer als Cárdenas, dieser zeigte jedoch bei den Bürgermeisterwahlen für Mexiko-Stadt vor zwei Jahren, wie er innerhalb weniger Monate einen Stimmungsumschwung für sich herbeiführen konnte.

Hoffnung auf unbestechliche Polizistinnen

(Mexiko Stadt, September 1999, fempress-Poonal). Um die Korruption und die weit verbreiteten Zahlungen von kleinen Schmiergeldern an Verkehrspolizisten einzudämmen, sind in Mexiko-Stadt nur noch Polizistinnen berechtigt, Autofahrer mit einer Geldstrafe zu belegen. Ihren männlichen Kollegen wurde diese Berechtigung bis auf Weiteres entzogen. Damit soll die schon traditionell gewordene „mordida“ verschwinden. Mit dieser Zahlung ließ sich bis dato fast jeder Polizist davon überzeugen, ein Vergehen nicht ordnungsgemäß zu bestrafen. Allerdings führte diese Praxis auch zu vielen Beschwerden der Bürger*innen, da sie illegalen Handlungen der Polizei Tor und Tür öffnete.

Nun sind an den wichtigsten Punkten der Stadt Polizistinnen stationiert. „Sie werden von den Leuten eher geachtet, mit ihnen gibt es weniger Spannung“, sagt Polizeichef Alejandro Gertz Manero. Frauen könnten sich eher in die Lage anderer versetzen. Ähnlich wie der Polizeichef argumentieren auch die ersten fünf Feuerwehrfrauen Mexikos. Die in der Hauptstadt des Bundesstaates Hidalgo, Pachuca, diensttuenden Frauen setzten sich bei jeder Brandbekämpfung oder bei jeder Hilfeleistung mit all ihrer Kraft ein, da sie denken, es könnte sich bei den Betroffenen um ihr Haus, ihre Familie oder ihr Leben handeln.

MITTELAMERIKA

Ein knappes Jahr nach Mitch ertrinkt Mittelamerika erneut im

Regen. Bereits mehrere Dutzend Tote und Zehntausende Obdachlose

Von Gerold Schmidt

(Mexiko-Stadt, 30. September 1999, Poonal).- Andauernde sintflutartige Regenfälle über ganz Mittelamerika haben traurige Erinnerungen an die Katastrophe nach dem Hurrikan Mitch wachgerufen, der im vergangenen Jahr die Region zerstörte und Tausende Menschenleben forderte. Noch hält sich das Ausmaß der Schäden in Grenzen, aber die Wetterprognosen für die kommenden Tage sind pessimistisch. Schon jetzt sind in Folge der Unwetter und damit einhergehender Überschwemmungen mindestens 40 Menschen ums Leben gekommen. Mehrere Zehntausend Menschen haben ihre Unterkunft völlig verloren oder müssen zeitweise ihre Wohnungen verlassen. Zahlreiche Dörfer sind von der Außenwelt weitgehend abgeschlossen, da Flüsse nicht mehr passierbar sind und Brücken einstürzten.

Eine einzige große Niederschlagsfront zieht sich von den südlichen mexikanischen Bundesstaaten über Guatemala, El Salvador, Honduras und Nicaragua bis nach Costa Rica. Die Regierungen haben zum Teil die höchste Alarmstufe ausgerufen. Am Schlimmsten hat der Dauerregen bisher Honduras getroffen. Allein dort kamen in den vergangenen Tagen 20 Menschen in den Fluten überbordender Flüsse um. Vor den Wassermassen, die aus dem übervollen wichtigsten Stauwerk des Landes fließen, mußten mehrere Tausend Menschen fliehen. Sollte der Damm nicht halten, würden viele Gemeinden weggespült.

Die Geschichte des vergangenen Jahres scheint sich auch in Guatemala zu wiederholen. Besonders in der nördlichen Provinz Izabal ist ein Großteil der Bananenproduktion gefährdet, weil viele Plantagen unter Wasser stehen. Das hat schwere ökonomische Auswirkungen für mehrere tausend Familien. Die Arbeiter auf den Plantagen müssen mit ihrer umgehenden Entlassung rechnen oder starke Lohnkürzungen hinnehmen. Überschwemmungen werden aus fast allen wichtigen Landesteilen gemeldet.

In El Salvadors Hauptstadt mußten mehrere hundert Familien aus den armen Stadtrandgebieten evakuiert werden. Die Behörden haben Notunterkünfte bereit gestellt, sind aber auf Spenden aus der Bevölkerung angewiesen, um die obdachlosen Menschen ausreichend versorgen zu können. Die meisten Flüsse in dem kleinsten und dichtbesiedelsten Land Mittelamerikas sind bereits über die Ufer getreten.

Wie im vergangenen Jahr bei Mitch ist in Nicaragua erneut der Westteil des Landes besonders betroffen. Präsident Alemán hat lokale Behörden und die Bürger insgesamt aufgerufen, die Komitees zur Zivilverteidigung zu reaktivieren, um auf größere Unglücke vorbereitet zu sein. Erdrutsche könnten erneut eine Tragödie auslösen. Nicaraguas Regierung musste sich nach Mitch heftige Kritik gefallen lassen, weil sie die Warnungen noch weniger ernst als die Kabinette der Nachbarländer genommen hatte und nach der Katastrophe besonders langsam reagierte.

Wenn der Regen bis zum Wochenende nicht wider Erwarten aufhört, werden viele jetzt getroffenen Maßnahmen wie beispielsweise Deichverstärkungen an den Flussufern vergeblich gewesen sein. Ebenso ist ein Teil der Aufbauarbeit nach den Zerstörungen Anfang November 1998 praktisch umsonst gewesen. Die meisten Menschen in Mittelamerika können nur darauf hoffen, dass der Himmel ein Einsehen hat. Von ihren überforderten Regierungen wird nur wenig Hilfe kommen.

GUATEMALA

Die Wahlen – fast das allerletzte in diesem Jahrhundert

Von Jorge Díaz

(Guatemala-Stadt, 17. September 1999, alai-Poonal).- Am kommenden 7. November finden in Guatemala Wahlen statt, in denen vom Präsidentenstuhl bis hinunter auf die kommunale Ebene zahlreiche öffentliche Ämter neu vergeben werden. Die Wahlen weisen besondere Merkmale auf. Vor allem ist es der erste allgemeine Urnengang nach dem offiziellen Ende des bewaffneten internen Konfliktes. Für die ehemaligen Aufständischen von der linken Guerilla-Organisation URNG ist es zudem die erste große politische Bewährungsprobe bei landesweiten Wahlen.

Dennoch kennzeichnen verschiedene Umfragen und Analysen der Kommunikationsmedien die bevorstehende Wahl als eine, die wenig Euphorie bei dem Großteil der Bevölkerung hervorruft. Viele Guatemalteken sind unentschlossen, für wen sie stimmen wollen und ob sie überhaupt den Wahlzettel abgeben sollen. Die Vielzahl der politischen Parteien und der Bürgerkomitees kontrastiert mit der unzureichenden Information, die die meisten Bürger haben. Einerseits kam der Wahlkampf nicht richtig in Fahrt, andererseits zeigt sich die deutliche Tendenz zu oberflächlicher und schönfärbender Propaganda und persönlichen Angriffen auf die jeweiligen politischen Gegner.

Trotzdem handelt es sich um einen der wichtigsten politischen Schritte in den vergangenen 40 Jahren guatemaltekischer Geschichte. Die Wahlen setzen eine Art Schlusspunkt unter den Verhandlungsprozess zwischen Regierung und Guerilla. Die ehemals revolutionären Kräfte, die lange Jahre marxistisch-leninistische Thesen vertraten, sind im legalen politischen Leben jetzt durch die Allianz Neue Nation (ANN) vertreten. Die Vorstellungen und Vorschläge haben einen wesentlich moderateren Ton angenommen.

Es ist bemerkenswert, dass der Präsidentschaftskandidat der ANN kein Produkt des revolutionären Prozesses ist, sondern der staatlichen Bürokratie entstammt. Alvaro Colom arbeitete unter den drei vergangenen Regierungen einschliesslich der noch amtierenden in Programmen, die die soziale Investition fördern sollten. Seine Kandidatur ist aber weniger damit verbunden, sondern mit der Tatsache, dass er Neffe eines der beliebtesten und in der Erinnerung breiter Bevölkerungsschichten gebliebenen guatemaltekischen Sozialdemokraten ist: der frühere Bürgermeister und Märtyrer Manuel Colom Argueta. Dessen Image soll mit der Nominierung seines Neffes ausgebeutet werden.

Die Allianz Neue Nation baut auch auf die Sympathien, die verschiedene Bevölkerungsteile für die bewaffnete Oppostion zeigten. Allerdings hat der Bericht der Wahrheitskommission über Interna des militärischen internen Kampfes eine doppelte Wirkung gehabt. Er stellte zwar eindeutig fest, dass die überwältigende Anzahl der begangenen Verbrechen auf das Konto der staatlichen Streitkräfte und der mit ihnen eng zusammenarbeitenden Paramilitärs ging. Der Bericht deckt aber gleichfalls die Fehler der Guerilla auf. Deren Vorgehen gegen die Zivilbevölkerung und eigene Mitglieder hat das heutige Linksbündnis Sympathien gekostet.

Die Spaltungen in der Linken haben die Lage nicht einfacher gemacht. Der vor wenigen Wochen erfolgte Bruch der ANN mit dem Demokratischen Bündnis Neues Guatemala (FDNG) wird das Stimmenergebnis am 7. November nicht unbedingt in die Höhe treiben. Die Linke läuft sogar Gefahr, ihren Status als drittstärkste politische Kraft – mit großem Abstand zu den beiden führenden Rechtsparteien – im Land zu verlieren.

Die politischen Kräfte, die rechts stehen, liberale und neoliberale Wirtschaftspositionen einnehmen und eindeutig die privatwirtschaftlichen und kapitalistischen Interessen vertreten, zeigen sich bei den Wahlen in ihrer vollen Bandbreite. Die Kandidaten aus zweien dieser Parteien werden aller Voraussicht nach das Rennen um Präsidentenamt und die überwiegende Zahl der weiteren öffentlichen Mandate unter sich austragen. Die Partei der Nationalen Vorhut (PAN) und die Republikanische Guatemaltekische Front (FRG) haben weitgehend gleiche ökonomische und soziale Vorstellungen. Sie unterscheiden sich in ihren Führungspersönlichkeiten.

Der starke Mann der FRG, Efraín Ríos Montt, wird im In- und Ausland wegen seines brutalen Putschregimes 1982/83 erinnert. Seine Aufstandsbekämpfung bestand aus kollektiven und individuellen Morden. Zehntausende Menschen wurden umgebracht, weitere Tausende gelten als „verschwunden“ und die Repression unter Montt führte zum größten Flüchtlingsstrom in der guatemaltekischen Geschichte. Aber die Bevölkerung ist vergesslich und heute stehen die FRG als Partei und Alfonso Portillo als Präsidentschaftskandidat in Umfragen ganz oben.

Der Erfolg wird der FRG wohl nur von der regierenden PAN streitig gemacht werden können. Die Abnutzung an der Macht und undurchsichtige Privatisierungsverkäufe staatlicher Unternehmen verhindern einen deutlichen Wahlsieg der PAN und ihres Kandidaten Oscar Berger. Besonders der Verkauf der staatlichen Telefongesellschaft hat der Partei geschadet. Nicht nur die Kosten sind für die Benutzer unter den neuen Eigentümern gestiegen, sondern auch die Ineffizienz.

Insgesamt gesehen hat die Bevölkerung von den Wahlen wenig Positives zu erwarten. Wahlenthaltung und Wahlapathie können durchaus die eigentlichen Wahlsieger am 7. November werden. Und erneut werden die Ärmsten im Land die Verlierer sein.

HONDURAS

Rückendeckung für Valladares

(Tegucigalpa, 29. September 1999, pulsar-Poonal).- Die Iberoamerikanische Vereinigung der Menschenrechtsverteidiger, auf deren jüngsten Treffen Vertreter aus 40 Ländern teilnahmen, hat den honduranischen Ombudsman Leo Valladares für zwei Jahre zu ihrem neuen Vorsitzenden gewählt. Er löst den Spanier Fernando Alvarez de Miranda y Torre ab. Valladares ist seit 1994 der honduranische Menschenrechtsbeauftragte. Mehrfach versuchten Regierung und Teile des Parlaments vergeblich, seine Position zu schwächen.

NICARAGUA

Regierung gegen kubanische Ärzte – Bevölkerung setzt auf sie

(Managua, 27. September 1999, pulsar-Poonal).- Die nach der Mitch- Katastrophe nur widerwillig ins Land gelassenen kubanischen Ärzte, die in den entlegenen Zonen der nördlichen Atlantikküste solidarische Hilfe leisten, sollen nach dem Willen der Regierung und der Gesundheitsbehörden das Land verlassen. Das stößt jedoch auf den Widerstand eines Großteils der in dem Gebiet lebenden Bevölkerung. Die Misquitos haben sogar gedroht, sich in Waffen zu erheben, wenn die Ärzte zum Abzug gezwungen werden.

Auf der einen Seite ist der Hass von Nicaraguas Präsident Arnoldo Aleman gegen Fidel Castro sozialistisches Regime bekannt. Auf der anderen Seite gibt es an der nördlichen Atlantikküste kaum eine medizinische Vorsorgung und die Kubaner konnten unzähligen Menschen helfen. Die Lage ist ähnlich wie vor wenigen Monaten im Nachbarland Honduras. Auch dort wollten Regierung und einheimische Ärzteschaft die kubanischen Helfer wieder loswerden. Sie mussten nach zahlreichen Protesten aus der Bevölkerung allerdings einen Rückzieher machen.

PERU

Interamerikanischer Gerichtshof bietet Fujimori die Stirn

(Lima, 29. September 1999, pulsar-Poonal).- In einer historischen Entscheidung bekräftigte der Interamerikanische Menschenrechtsgerichtshof (CIDH) seine Position, die peruanische Regierung könne sich nicht einseitig der Rechtssprechung der supranationalen Einrichtung entziehen. Der Versuch, von Präsident Fujimori, sich der Rechtssprechung des Gerichtshofes zu entziehen, sei „unzulässig und absurd“. Der CIDH wurde 1979 durch die Amerikanische Menschenrechtskonvention geschaffen, der zwei Jahre später auch die damalige peruanische Regierung beitrat.

KOLUMBIEN

Finanzhilfen für Pastrana

(Washington, 27. September 1999, pulsar-Poonal).- Internationaler Währungsfonds, Weltbank und Interamerikanische Entwicklungsbank kündigten Kredite in Höhe von fast 7 Milliarden Dollar für Kolumbien an. Damit soll der dreijährige Wirtschaftsplan von Präsident Andrés Pastrana unterstützt werden, um das Land zu stabilisieren. Noch in der letzten Woche waren etwa 400 Millionen Dollar Devisenreserven aus Kolumbien abgeflossen, die einheimische Peso-Währung verlor in den vergangenen Monaten ständig an Wert und zwang die Regierung, den Wechselkurs freizugeben.

ECUADOR

Erster von zwölf Entführten frei

(Quito, 27. September 1999, pulsar-Poonal).- Der zusammen mit elf weiteren Personen vor zwei Wochen in Ecuador nahe der Grenze zu Kolumbien entführte Spanier Ander Mimeza ist freigelassen worden. Nach seinen Angaben befindet sich der Rest der Entführten – zwei Spanier, acht Kanadier und ein US-Bürger – bei guter Gesundheit. Über den genauen Hintergrund der Aktion und die Verantwortlichen konnte Mimeza keine Auskunft geben. Wahrscheinliches Ziel waren jedoch die sieben Kanadier und der US-Bürger, die bei der Ölgesellschaft City arbeiten. Mimeza arbeitet für die Lateinamerikanische Vereinigung für Radiobildung (ALER). Zu den weiterhin Festgehaltenen gehören eine Kollegin und zwei Familienangehörige des Spaniers.

Gemischte Reaktion auf Teilstopp bei Zahlung der Auslandsschulden

(Quito, 27. September 1999, pulsar-Poonal).- Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat sein „Bedauern“ über die Entscheidung Ecuadors ausgedrückt, einen Teil seiner Auslandsschulden vorübergehend nicht zurückzuzahlen, sondern auf eine Neuverhandlung abzuzielen. Dennoch bat IWF-Direktor Michel Camdessus die Gläubiger, bei der Lösung des Problems mitzuarbeiten. Ecuadors christdemokratischer Präsident Jamil Mahuad hatte am Sonntag bekanntgegeben, Zinszahlungen in Höhe von 98 Millionen US-Dollar für die sogenannten Brady-Bons zu suspendieren. Die in diesem Bons aufgenomme Schuld, die nach Mahuads Vorstellungen neu verhandelt werden soll, liegt bei sechs Milliarden Dollar. Ecuadors gesamte Auslandsschuld beträgt 16 Milliarden Dollar, fast die Hälfte des Staatshaushaltes muss für Schuldenzahlungen ausgegeben werden.

LATEINAMERIKA

Schlusspunkt unter das neoliberale Modell

Von Andres Gaudin

(Buenos Aires, 27. September 1999, na-Poonal). Ein Jahrzehnt lang haben sie die strikte Durchsetzung neoliberaler Wirtschaftspolitik in den weniger entwickelten Ländern durchgedrückt. Heute sehen die internationalen Kreditinstitutionen plötzlich ein, die Armut setze diesem Vorgehen ein Ende. Sparmaßnahmen seien nicht die Formel für das kommende Jahrtausend, heißt es nun.

Die Technokraten der internationalen Wirtschaftsorganisationen hatten sich in den vergangenen Monaten auf eine Revision des neoliberalen Modells konzentriert und präsentieren nun ein Ergebnis, das sich radikal verändert haben zu scheint: Es sei die Stunde gekommen, die Rolle des Staates zu überdenken und eine gleichere Einkommensverteilung anzusetzen, heißt es allerorten.

Die Weltbank, die Interamerikanische Entwicklungsbank BID, die ehemaligen Vorantreiber des von den USA und dem Internationalen Währungsfonds betriebenen Neoliberalismus also, reagieren schulterzuckend, entschuldigen sich kurz und wechseln kurzerhand die Rezepte. Ihre wichtigsten Büttel laufen nun durch die Welt und verkünden eine neue Ordnung. Mit ihr sollen die allzu großen Unterschiede weggefeilt werden. Das zentrale Ziel jedoch bleibt gleich: Die Interessen der großen Spekulantengruppen, schönfärberisch „Investoren“ genannt, garantieren.

„Von welchem Markt reden wir denn überhaupt, wenn ein Drittel der lateinamerikanischen Bevölkerung wegen Armut davon ausgeschlossen ist“, heißt es nun überraschenderweise bei der mexikanischen Ökonomin Diana Alarcon vom Institut für Wirtschaftliche und Soziale Entwicklung INDES der Interamerikanischen Entwicklungsbank, dessen Aufgabe die Verbreitung der theoretischen Vorgaben der multinationalen Institutionen ist. „Wenn die Region sich nicht weiterhin wie in den letzten Jahren mit mittelmäßigen Wachstumsraten zufrieden geben will, muss sie in der Neuverteilung der Einkommen Fortschritte machen.“

Die Äußerungen von Alarcon stammen von einem im Juli im kolumbianischen Cartagena abgehaltenen Seminar und sie wiederholte sie einige Tage später in Bunos Aires. Ein argentinischer Seminarteilnehmer fragte, woher es denn komme, dass trotz steigenden Wachstums die Zahl der Armen ansteige. „Die Armut ist so hoch“, antwortete Alarcon, „dass das Wachstum der Wirtschaft nicht ausreicht, sie zu bekämpfen. Dazu kommt noch, dass der typisch lateinamerikanische Wachstumstyp mit Kapitalerneuerung und geringerer Nachfrage nach Arbeitskraft, Arbeitslosigkeit schafft.“

Zu den Äußerungen der BID-Ökonomin kommen die des Vizepräsidenten und Chefökonoms der Weltbank, Joseph Stiglitz, der diese Gedanken vervollständigt. „Die erste Generation der Reformen hat die Bedingungen verbessert“, sagt er, „doch viele Länder haben die Wachstumraten nicht wieder erreicht, die sie vor der Schuldenkrise der achtziger Jahre hatten und die Armut hat nicht abgenommen.“ Der Spitzenvertreter der Institution zitiert eigene Statistiken und solche der Wirtschaftskommission für Lateinamerika CEPAL, um hinzuzufügen, seit Beginn diesen Jahrzehnts gebe es vier Millionen mehr Arme.

Das Bruttoinlandsprodukt „wächst heute gerade einmal so schnell wie vor zehn Jahren.“ Betreffs der ungeheuren Unterschiede heißt es im jüngsten BID-Bericht, „unabhängig von der Berechnungsweise kommt Lateinamerika immer als die Region in der Welt heraus, in der das Einkommen am ungleichsten verteilt ist, in der sich diese Ungleichheit in den neunziger jahren nicht verbessert hat und in der sie sich auf niedrigerem Niveau bewegt, als vor zwanzig Jahren.“

Die BID-Experten fanden heraus, ein Viertel des lateinamerikanischen Reichtums sei in den Händen von gerade einmal fünf Prozent der Bevölkerung, während die ärmsten 30 Prozent sich 7,5 Prozent des Reichtums teilen müssten. Brasilien, Chile, Guatemala, Ecuador, Mexiko, Panama und Paraguay „stellen sich als die Nationen dar, in denen die Ungleichheit exzessiv ist.“

Der Studie zufolge erklärt sich eine derartige Konzentration zum Teil durch „einen Abgrund“, der zwischen den Allerreichsten und dem Rest der Gesellschaft existiert. Dies in krassem Gegensatz zu dem, was in der Ersten Welt passiere. In Kanada und Schweden verdienen die, die an der Spitze der sozialen Pyramide stehen, zwischen 20 und 30 Prozent mehr als die am unteren Rand. In Chile oder der Dominikanischen Republik behalten die reichsten 10 Prozent 300 Prozent mehr als die, die ihnen in der sozialen Skala folgen. Solch eine Einkommensverteilung, folgert der Bericht kühl, müsse eine große Armut mit sich bringen. „Mehr als 150 Millionen Lateinamerikaner*innen, also mehr als 30 Prozent der Gesamtbevölkerung, haben weniger Einkommen als die zwei US-Dollar, die als notwendig für die Grundversorgung angesehen werden“, heißt es.

Alarcon und Stiglitz sind nicht die einzigen, die die Ungleichheiten beobachten und die Umkehr zu einem weniger unbeteiligten Staat fordern, hin zu einem mit sozialer Entwicklung befassten, der sich nicht nur in den Dienst der Investorengruppen stellt. Weit von den den Ländern in den vergangenen zwei Jahrzehnten auferlegten absoluten Abwesenheit des Staates entfernt, sagte einer der Weltbankdirektoren, Michael Walton, Ende Juli auf einem Seminar in Buenos Aires, es gehe in kommenden Jahrtausend um eine Wiederbewertung des Staates.

„Es gibt ein neues Weltverständnis, das das vorhergehende ergänzt“, erklärte er. „Makrostabilität und Marktintegration bleiben notwendig zur Bekämpfung der Armut, aber ausgehend von den Erfahrungen im asiatischen Südosten, in Russland und Brasilien werden die internationalen Finanzrettungs-Programme von heute an ausgeglichener sein, um die Armen vor den schlimmsten Effekten der Krise zu bewahren.“

Vor den erstaunten Wissenschaftlern, die sich auf dem von der Lateinamerikanischen Fakultät für Sozialwissenschaften FLACSO organisierten Treffen versammelt hatten, nahm Walton eine von Weltbankpräsident James Wolfensohn unterschriebene Untersuchung zur Hand und begann, daraus vorzulesen. „Die Regierenden in den sich entwickelnden Märkten müssen als erstes lernen, die Verschlechterung der sozialen Bedingungen der Armen zu vermeiden“, las er. „Wenn wir eine gleichere Gesellschaft wollen, muss der Staat ein andere Rolle spielen, als bisher: er muss den Haushalten helfen, die existierenden Marktrisiken zu handhaben.“

Bis zum Beginn dieses Jahres hatten die Technokraten des Neoliberalismus argumentiert, ein höheres Einkommen erhöhe in einem kleinen Teil der Gesellschaft die Sparrate und dies führe zu erhöhtem Wachstum. Erst danach, so sagten sie, könne man an eine Neuverteilung des Einkommens denken. Die rasante Marginalisierung spricht immer deutlicher für die Unrichtigkeit dieser Theorie. „International ist die Unhaltbarkeit jener Theorie empirisch offensichtlich geworden. Es ist im Gegenteil klar geworden, dass Staaten, in denen das Einkommen gleicher verteilt ist, zu schnellerem Wachstum tendieren“, heißt es folgernd in dem Dokument.

Alarcon, Stiglitz und Walton stimmen in Folgendem überein, wenn es um ein Modell für das Dritte Jahrtausend geht: Erstens geht es ohne Regulierung der Finanzsysteme nicht. Die Liberalisierung erhöht die Krisenanfälligkeit und bringt so ein größeres Wachstum in Gefahr. Zweitens sollten keine Staatsmonopolunternehmen privatisiert werden, ohne vorher ein angemessenes Regelsystem für den Wettbewerb etabliert zu haben. Von einer Garantie für die Qualität der Dienstleistungen ist allerdings nicht die Rede. Drittens sollte nirgends zugelassen werden, dass ein marktbeherrschendes Unternehmen die totale Kontrolle über den restlichen Teil der Industrie erlangt. Viertens müsse der Staat in hohem Maße in die öffentliche Erziehung und die Technologie investieren, weil hier der Markt nicht genügend aktiv ist, da er sich keine unmittelbaren Vorteile davon verspreche.

Das Mea Culpa und diese Ergebnisse haben, nach Ansicht der Teilnehmer an dem FLACSO-Seminar trotz allem, einen positiven Aspekt: Die Aufnahme einer Debatte um etwas, das bis vor kurzem nur von denen betrieben wurde, die spöttisch „historische Nostalgiker“ genannt wurden, nämlich den Wiederaufbau des Staates voranzu treiben, und klar zu sehen, dass bei Preisgabe sozialer Ziele gegenüber ökonomischer Mittel Krisen unausweichlich sind.

LATEINAMERIKA – Die Mythen des Tourismus, III

Wiederaufbaubrigaden in Honduras

Von Paul Jeffrey

(Tegucigalpa, 13. September 1999, na-Poonal). Als der US-Bürger Christopher Beal im November vergangenen Jahres die Fernsehbilder der Zerstörung sah, die der Wirbelsturm Mitch in Honduras hinterlassen hatte, die Toten und das Leiden, da hatte er sich traurig und betroffen gefühlt. Später erzählte ihm ein Freund von einer kirchlichen Delegation, die auf dem Weg nach Mittelamerika war, um beim Aufbau der zerstörten Wohnungen zu helfen.

„Ich bin völlig unbedeutend“, sagt Beal, nachdem er zusammen mit den Einwohnern von El Estribo, einem Ort im Süden von Honduras, eine Woche Zementblocksteine gemauert hat. „Die Menschen waren gar nicht am Boden zerstört. Sie sind voller Hoffnung, arbeiten viel und effizient und haben beim Wiederaufbau herausgefunden, sich mit den Materialien zu behelfen, die zur Hand sind.“

Beal gibt zu, er habe nicht so viel leisten können, wie er sich vor seiner Abreise vorgestellt habe. Die Hitze und die harte Arbeit hätten das nicht zugelassen. „Aber mir ist es trotzdem gut ergangen“, meint er. „Das Wichtigste meiner Reise sind nicht so sehr die Mauern, sondern vielmehr die neuen Beziehungen, die ich hier aufgebaut habe.“

Der junge Mann ist über ein Programm nach Honduras gekommen, das der US-amerikanische Weltkirchendienst und die honduranische Christliche Entwicklungskommission gemeinsam durchführen. In diesem Jahr werden es an die 80 Freiwilligengruppen sein, die nach Honduras kommen. Für das Jahr 2000 ist eine ähnliche Größenordnung geplant. Die Organisatoren des Programms wollen die Teilnehmer vom „Komplex des Bauens“ heilen, wie sie es nennen. „Wenn unser Interesse ausschließlich darin bestünde, so schnell wie möglich Häuser zu bauen, hätten wir diese Leute eher darum gebeten, ihr Geld nicht für Flüge auszugeben, sondern es lieber direkt auf ein Spendenkonto zu überweisen“, erklärt der Leiter des Programms in Honduras, Dan Tatlock.

„Viel wichtiger als die Anzahl der Zementblöcke pro Woche sind doch die Beziehungen, die unsere Leute mit den Armen knüpfen können und die Wirkung, die ihre Anwesenheit auf die Honduraner hat“, sagt er. „Dadurch, dass sie ihre Zeit und ihr Geld opfern, um gemeinsam mit den Betroffenen in der heissen Sonne von Honduras zu schwitzen, lernen sie zum einen, warum die Armen arm sind und zum anderen übertragen sie ein tiefes Gefühl der Liebe und des Schutzes, das wiederum das Selbstwertgefühl und das Durchhaltevermögen der Bewohner stärkt.“

David Martin leitet ein ähnliches Programm , das vom Mennonitischen Zentralkomitee durchgeführt wird. Er berichtet von einer Ortschaft in der südlich gelegenen Region Choluteca, in der die Bewohner kurz vor dem Aufgeben waren. „Sie konnten nicht mehr, sie waren erschöpft, sie schafften es einfach nicht, die mehr als drei Meter hohe Schlammschicht wegzuschaffen, die Mitch über ihr Dorf geschwemmt hatte.“ Ein Team der Mennoniten habe geholfen, wenigstens ein Haus auszugraben. „Das war viel Arbeit, aber als sie es geschafft hatte, schöpften die Betroffenen neue Hoffnung, die sie vorher fast aufgegeben hatten.“ Teofilo Lopez ist Bauer in der Ortschaft 12. Februar in der Region Choluteca. Die US- Amerikaner sind dabei, sein Haus und auch die Häuser seiner Nachbarn wiederaufzubauen, die Mitch mitgerissen hatte. „Wir verstehen zwar ihre Witze und ihren Humor nicht, aber wir verstehen ihre Solidarität und das Opfer, das sie bringen“, sagt Lopez.

Während „Gringos“ und Honduraner in den Programmen von Tatlock und Martin Schulter an Schulter arbeiten, sieht es nicht überall so aus. Es gibt sehr viel paternalistischere Programme. Ihre Teilnehmer, mit bibelversgeschmückten T-Shirts bekleidet, überschwemmen die Flughäfen von Managua und Tegucigalpa. Viele dieser Menschen bauen irgend etwas, ohne Kontakt mit der Bevölkerung zu haben. „Viele Menschen von der Nordhablkugel kommen als Missionare in den Süden, wo sie dann für die Armen arbeiten, statt mit den Armen“, erläutert Tatlock. „Wir versuchen, Menschen aus dem Norden und dem Süden zusammen zu bringen, um diese paternalistischen und Abhängigkeitsgefühle zu überwinden.“

Für die an Materialfülle und reichlich Handwerkszeug gewohnten Nordamerikaner stellt ein einfacher Hausbau in Honduras oft eine echte Herausforderung dar. „Wir versuchen die Teilnehmer von vornherein darauf einzustimmen, dass sie nicht so viel bauen werden hier“, erläutert Martin. Die Freiwilligen nehmen mehr mit nach Hause als einen Sonnenbrand. „Diese Freiwilligen des Zentralkommitees hierher zu bringen ist eine ausgezeichnete Form der Weiterbildung“, fügt Martin hinzu. „Die fahren nach Hause zurück und haben die komplexen wirtschftlichen und politischen Zusammenhänge zwischen ihrer eigenen Lebensform und der hiesigen Armut viel besser verstanden. Sie haben den Sinn dessen begriffen, was kirchliche Mission sein kann und sie verteidigen danach die Einmischung der Kirche in der Welt viel stärker.“

Nicht alle kommen nach Honduras, um von Mitch zerstörte Wasserleitungen und Häuser wieder aufzubauen. Das honduranische Tourismus-Institut IHT bietet in Zusammenarbeit mit Umweltschüztern und Tourismusbetreibern an der Altlantikküste in Trujillo eine Mischung aus Sonne, Vergnügen und Verantwortung an. „Relax Trujillo“ ist für europäische und US-amerikanische Touristen gedacht, die in komfortablen Hotels am Strand wohnen und in guten Restaurants essen, aber gleichzeitig etwas für die Mitch- Schadensbeseitigung tun wollen.

Sie sammeln am Strand die Reste auf, die der Sturm dort gelassen hat und ermöglichen so den vom Aussterben bedrohten Seeschildkröten erneut den Zugang zu ihren angestammten Laichplätzen. Für 280 US-Dollar am Tag für Transport, Unterkunft und Vollpension können sie alternativ auch bei der Wiederaufforstung der Nationalparks Capiro und Calentura mithelfen, die einen Großteil ihrer Bäume verloren haben. Das IHT bietet „Relax Trujillo“ auch im Internet an. Programmleiterin Maritza Trejo sagt: „Wir geben den Menschen zu verstehen, dass es eine weitere Möglichkeit gibt, den alternativen Tourismus nämlich, der eine Kombination aus Vergnügen und Arbeit ist.“

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