Poonal Nr. 399

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 399 vom 10. September 1999

Inhalt


DOMINIKANISCHE REPUBLIK

GUYANA

VENEZUELA

KUBA

HONDURAS

NICARAGUA

EL SALVADOR

CHILE

PARAGUAY

KOLUMBIEN

ARGENTINIEN

BRASILIEN

LATEINAMERIKA/WELTMARKT


DOMINIKANISCHE REPUBLIK

Polizeiterror nimmt zu

Von Mirta Rodríquez Calderón

(Santo Domingo, 6. September 1999, na-Poonal).- Obwohl die dominikanische Polizei nicht erst seit gestern den Ruf hat, brutal zu sein, so hat sich das Problem in den vergangenen Monaten noch verschärft. Schon lange äußerten viele Stimmen ihre Besorgnis über die Tatsache, dass die angeblichen Kriminellen beim „Kugelaustausch“ mit ihren behördlichen Verfolgern stets umkamen. Etwaige Zweifel über den Hergang dieser Aktionen wurden jetzt auf schreckliche Weise ausgeräumt.

Zufällig filmte ein Student der Kommunikationswissenschaften, wie drei Jugendliche gefesselt und lebend auf der Ladefläche eines Pick-Ups von der Nationalpolizei abtransportiert wurden. Sie stammten aus dem Ort Cayetano Germosén in der Zentralprovinz Moca . Wenig später präsentierte die Polizei die drei jungen Menschen tot. Sie wurden am 16. Juli von der Polizei ermordet.

Polizeichef General Pedro de Jesús Candelier blieb nichts anderes übrig, als „Exzesse“ seiner Untergebenen zuzugeben. Staatspräsident Leonel Figueroa versicherte, die Untersuchungen würden bis zur letzten Konsequenz durchgeführt und solche „Rechtsverletzungen“ der Verhafteten nicht toleriert. Auch der Bundesstaatsanwalt zeigte sich alarmiert, die Bevölkerung reagierte mit Abscheu.

Der Journalist Leonel Martínez von der Zeitschrift „Rumbo“ hat recherchiert, dass seit Beginn des Jahres l997 bis heute 427 Verhaftete in den Händen der dominikanischen Polizei umkamen. Fast 70 von ihnen starben in den vergangenen drei Monaten. Ebenfalls vor drei Monaten trat General Candelier sein Amt als Polizeichef an. Sein Ernennung war damals durchaus auf Zustimmung in der Bevölkerung gestoßen. Den General umgab eine Aura des aufrechten und aufrichtigen Mann, dessen harte Hand wieder Ordnung in das soziale Zusammenleben zu bringen versprach.

Früher hatte sich die dominikanische Polizei wegen ihres leichten Fingers am Abzug bereits einen berüchtigten Ruf zugelegt. Dutzende Verhaftete, Verdächtige oder mutmaßliche Delinquenten hinken, sind gelähmt oder anderweitig lebenslang geschädigt aufgrund der sich bei der Polizei Beliebtheit erfreuenden Praxis, in die Knie oder die Fußgelenke zu schießen. Doch im Moment geht es wohl unglaublicherweise darum, überhaupt erst einmal das Leben der Verhafteten zu gewährleisten.

GUYANA

Indigener Protestmarsch gegen Regierung

(GEORGETOWN, Guyana).- Die neun indigenen Völker Guyanas wollen in den ersten Oktobertagen einen Protestmarsch beginnen, mit dem sie die Regierung zu einer Legalisierung ihrer Territorien zwingen wollen. 10.000 Menschen wollen die 1.000 Kilometer lange Strecke vom äußersten Süden des Landes bis zur Hauptstadt zurücklegen. Das Dorf Wai Wai soll der Ausgangspunkt des Marsches durch das Land sein. In jedem Dorf sollen sich dann mehr Menschen zu den Marschierenden gesellen. Es wird davon ausgegangen, dass etwa jeder fünfte indigene Guyaner an dem Protest teilnehmen wird. Auch Frauen, Kinder und Behinderte werden an der etwa einen Monat dauernden Protestveranstaltung teilnehmen. Erfahrene Jäger sollen an der Spitze der Prozession gehen, um die Lebensmittelversorgung der Teilnehmer zu sichern. Die zu dem Marsch aufrufenden Organisationen versichern, die Regierung betriebe eine systematische Hinhaltetaktik bei der rechtlich einwandfreien Übertragung von etwa 40.000 Quadratkilometer Land, das den indigenen Völkern aus historischen Gründen gehöre.

VENEZUELA

Burgfrieden zwischen Verfassungsversammlung und Parlament

(Caracas, 5. September 1999, Poonal).- Nachdem die Mitglieder der Verfassunggebenden Versammlung in der vergangenen Woche in einer Totalkonfrontation mit dem Parlament, dessen Schließung verfügten, wollen sie nun die Arbeit der Abgeordneten zukünftig respektieren. Eine Mehrheit ermächtigte den Vorsitzenden der Versammlung, Luis Miquelena, eine Vereinbarung über die Machtteilung mit dem venezolanischen Kongress zu unterschreiben. Die Vermittlerrolle übernimmt die katholische Kirche.

Ab dem zweiten Oktober soll der Kongress, wie in der noch gültigen Verfassung vorgesehen, seine ordentlichen Sitzungen wieder durchführen. Die Themen werden allerdings mit der Verfassungsversammlung abgesprochen. Die Abgeordneten ihrerseits, die in ihrer Mehrheit den traditionellen Parteien angehören, versprechen, nicht mehr zu außerordentlichen Sitzungen aufzurufen.

In der Praxis werden Venezuelas Präsident Hugo Chavez und seine mit überwältigender Mehrheit in der Versammlung vertretenen Anhänger weiterhin alle wichtigen politischen Entscheidungen treffen. Mit dem Zugeständnis an die Abgeordneten im Kongress nimmt Chavez jedoch seinen Gegnern etwas den Wind aus den Segeln, die ihm eine diktatorische Regentschaft seit dem Amtsantritt vorwerfen. Die Vereinbarung wird ebenfalls dazu dienen, die Auseinandersetzungen zwischen politischer Opposition und Sympathisanten des Präsidenten nicht weiter eskalieren zu lassen. In der vergangenen Woche war es im Streit um die Arbeit des Kongresses zu handgreiflichen Auseinandersetzungen gekommen.

KUBA

Mehr Wachstum als erwartet

(Havanna, 1. September 1999, pl-Poonal).- Die kubanische Wirtschaft wird Ende dieses Jahres offenbar erheblich stärker gewachsen sein, als die Experten zu Anfang des Jahres noch schätzten. Davon geht zumindest Finanzminister Manuel Millares aus. Während die Prognose auf eine Steigerung des Bruttosozialproduktes zwischen 2,5 und 3,5 Prozent lautete, wuchs die Wirtschaft der Karibikinsel im ersten Halbjahr 1999 um 6 Prozent. „Vielleicht wird diese Rate nicht bis zum Ende des Jahres zu halten sein, aber ich gehe von einem Wachstum nicht unter 4 Prozent aus“, zeigt sich Millares optimistisch. Er weist auf die unterstützenden positiven Daten in der einheimischen Industrie und bei den öffentlichen Finanzen hin. In den vergangenen drei Jahren konnte das Haushaltsdefizit unter 3 Prozent gehalten werden. Nach dem Einbruch der Ökonomie Anfang der 90er Jahre hat sich die Tendenz ab 1994 mit relativ bescheidenen aber konstanten Wachstumsraten wieder umgekehrt.

HONDURAS

Aids auf dem Vormarsch

(Tegucigalpa, 6. September 1999, na-Poonal).- Honduras stellt 20 Prozent der mittelamerikanischen Bevölkerung, aber 60 Prozent aller registrierten Aids-Fälle in Zentralamerika. Nach UNO-Angaben befindet sich die Krankheit in dem Land weiter auf dem Vormarsch. „Aids ist eine schwerwiegende Bedrohung für die Honduraner*innen. Wenn wir die Verbreitung nicht stoppen, werden wir Zeug*innen der Afrikanisierung des Problems in diesem Land sein“, versichert der UNO-Gesundheitsexperte Enrique Zelaya in Anspielung auf mehrere Millionen Tote, die Aids bereits auf dem afrikanischen Kontinent gefordert hat. In Honduras ist die HIV-Schwäche bisher bei 10.500 Personen festgestellt worden, von denen 40 Prozent sich im Alter von 15 bis 29 Jahren befanden. 60 Prozent der seit mit dem Virus infizierten Menschen im Land starben. Während das Gesundheitsministerium den Gebrauch von Kondomen als einen Schutzmechanismus propagiert, wendet sich die katholische Kirche nach wie vor gegen das Programm. Dies fördere die Promiskuität, so die Argumentation. Die kirchlichen Behörden verlangen stattdessen von der Regierung, sie solle die Jugendlichen überzeugen, vor der Ehe keine geschlechtlichen Beziehungen zu haben und in der Ehe treu zu sein.

NICARAGUA

Menchu: Papstpardon unzureichend

(Managua, 8. September 1999, alc-Poonal).- Mit Skepsis beurteilt die guatemaltekische Friedensnobelpreisträgerin und Indígena- Führerin Rigoberta Menchu, die Bitte um Vergebung für „Irrtümer“ und „begangene Taten“ der katholischen Kirche, wie sie Papst Johannes Paul II. Anfang des Monats formulierte. Anlässlich einer Auszeichnung durch die Karibische Universität der Autonomen Atlantikregion Nicaraguas betonte Menchu, nicht das Pardon dürfe das Endziel sein, sondern die Wiedergutmachung der verursachten Schäden. Darauf würden die Indígena-Völker setzen, denn die Geschichte könne durch die Bitte um Vergebung nicht geändert werden. Zwar sei die Geste des Papstes wichtig, „weil es andere gibt, die sich nicht einmal mehr daran (an die verursachten Schäden) erinnern“, doch müsse die Kirche ihre Irrtümer konkret benennen.

Fragwürdige Deportation von vier Franzosen

(Managua, 3. September 1999, pulsar-Poonal).- Vier seit mehreren Jahren in Nicaragua lebende Franzosen sind verhaftet und nach Frankreich deportiert worden. Die Aktion fand in Koordination mit der französischen Polizei statt. In ihrem Ursprungsland sind die vier laut dem stellvertretenden Polizeichef Eduardo Cuadra angeklagt, der korsischen Befreiungsfront anzugehören und an terroristischen Attentaten teilgenommen zu haben. In Nicaragua residierten die Deportierten legal und waren im Vergnügungssektor tätig. Gegen keinen von ihnen gibt es ein Urteil der französischen Justiz.

EL SALVADOR

Maquila-Betriebe ziehen ab

(San Salvador, 6. September 1999, na-Poonal).- Mit dem Hinweis auf „hohe Kosten“ der salvadorianischen Arbeitskraft haben in den vergangenen drei Jahren etwa 70 multinationale Textilunternehmen das Land verlassen. Die einheimische Privatwirtschaft nimmt die Schließung der Maquila-Betriebe zum Anlass, einen geringeren gesetzlichen Mindestlohn zu fordern. Laut des Dachverbandes der Konfektionsindustrie (ASIC) wird in der Branche ein Lohn von 1,06 Dollar pro Stunde gezahlt, während er in Guatemala 0,86 und in Mexiko gar nur 0,61 Dollar betrage. Der Verband lässt dabei unerwähnt, dass die salvadoreanischen Arbeiter*innen im Durchschnitt weniger verdienen, als für die Befriedigung der Grundbedürfnisse in El Salvador notwendig ist.

CHILE

Erster Jahrestag des Putsches ohne Pinochet – Heißer September in Chile erwartet

Von Leonel Yanez

(Santiago de Chile, 5. September 1999, npl).- Augusto Pinochet steht eine weitere Demütigung bevor. Erstmals seit 1973 wird der 83-jährige seinen blutigen Staatsstreich nicht in der chilenischen Heimat feiern können. Seit Oktober vergangenen Jahres steht der Patriarch in London unter Hausarrest und wartet auf den Beginn des Auslieferungsverfahrens, das Spanien wegen Menschenrechtsverletzungen angestrengt hat.

Am 11. September vor 26 Jahren stürzte eine Militärjunta die gewählte Regierung von Präsident Salvador Allende. Der Sozialist kam während der Bombardierung seines Amtssitzes ums Leben, mindestens 3.000 weitere Menschen fielen der Repression zum Opfer. Bis heute entzweit die Aufarbeitung der dunklen Diktaturjahre die Gesellschaft in Chile, die erst 1990 zur formalen Demokratie zurückfand.

Ebenfalls zum ersten Mal wird dieses Jahr der 11. September nicht mehr als Nationaler Feiertag begangen. An seine Stelle tritt der 6. September als „Tag der Versöhnung“. Ein Feiertag, der den guten Willen der Regierungskoalition aus Christ- und Sozialdemokraten unterstreicht, aber noch lange nicht die Realität des südamerikanischen Landes prägt.

Pinochet zum Trost wird diese Woche eine hochrangige Delegation nach London aufbrechen, um den denkwürdigen Tag mit ihm zu begehen. Senatsvizepräsident Mario Rios und die Senatorin Evelyn Matthei, beide Mitglieder ultrakonservativer Parteien, führen die Kommission aus Unternehmern, Juristen und Politikern an. Sie werden in Großbritannien wie in Madrid auch offizielle Gespräche führen, um eine Freilassung des Ex-Diktators aus „humanitären Gründen“ zu erreichen. Pinochet, der laut Verfassung Senator auf Lebenszeit ist, wird in Chile lediglich auf den Fernsehbildschirmen zu sehen sein: Die illustre Zusammenkunft im Londoner Vorort Virginia Water wird live übertragen.

Indes streitet Chile darüber, was „Versöhnung“ ist. Bereits zum zweiten Mal trafen sich Ende August auf Einladung der Regierung Menschenrechtler und Militärs zu Gesprächen, die zur Aufklärung des Schicksals der Verschwundenen beitragen sollen. Präsident Eduardo Frei sprach von Fortschritten, während die Organisation der Familienangehörigen der Opfer (Agrupacion de Familiares de Detenidos Desaparecidos – AFDD) die Treffen boykottierte. Solange die Wahrheit verschwiegen werde und angesichts der Amnestie keine Gerechtigkeit herrsche, seien solche Gespräche eine Verhöhnung der Verschwundenen, so die Haltung der Familienangehörigen.

Viele vermuten, dass die Versöhnungsgespräche vor allem dazu dienen, Pinochet die Rückkehr nach Chile zu ermöglichen. Zumal Heereschef Ricardo Izurieta bereits erklärte, dass „alle verfügbaren Informationen bereits veröffentlicht“ seien. Drei weitere Gesprächstermine sind für die ersten Septemberwochen anberaumt.

Die Schergen der Diktatur fürchten aber auch um ihr eigenes Schicksal. Juan Guzman, Mitglied des Obersten Gerichtshofes in Santiago, hat drei Verfahren wegen Mordes unter der Diktatur zugelassen. Dazu präsentierte er eine neue Lesart der Amnestie von 1978, die bisher ein Vorgehen der Justiz gegen Verbrechen seitens der Militärs unmöglich machte: Da die Opfer „verschwunden“ und ihre Leichen unauffindbar seien, handele es sich nicht um Mord, sondern um eine „Art Entführung“, so Guzman. Die Amnestie gilt jedoch nur für Erschießungen mit Todesfolge. Deswegen stehen unter anderem die fünf Verantwortlichen der sogenannten Todeskarawane vor Gericht, die 1973 eine große Zahl politischer Gefangener umgebracht haben sollen.

Mit oder ohne Pinochet, Chile bereitet sich auf einen heißen September vor. Der Streit um die Versöhnung wird auch auf der Straße geführt. Wenn linke Gruppen wie jedes Jahr am Denkmal der Verschwundenen demonstrieren und in der Nacht des 11. September zum Stadion ziehen, werden auch die Pinochet-Treuen ihren Protest gegen England und Spanien erneuern. Die Polizei bereitet sich auf Zusammenstöße vor. Auch nach 26 Jahren ist deutlich, dass die Wunden, die der für ganz Lateinamerika so traumatische Putsch gerissen hat, noch offen sind.

Die KandidatInnen

Von Patricia Quiróz

(Santiago, September 1999, anchi-Poonal).- Formal ist für die Präsidentschaftswahlen am 12. Dezember alles vorbereitet. Das Wahlregister ist erneuert und die Kandidat*innen sind eingeschrieben. Etwas mehr als acht Millionen Chilen*innen im ganzen Land werden über den kommenden Amtsinhaber entscheiden. Mehreren zehntausend im Ausland wohnhaften Staatsbürger*innen verbietet das Wahlgesetz die Stimmabgabe. Mehr als 1,4 Millionen junge Chilen*innen im Alter von 18 bis 24 Jahren werden ihr Wahlrecht nicht wahrnehmen, sie schrieben sich erst gar nicht ins Register ein. Von den sieben ursprünglichen Kandidat*innen sind sechs endgültig übriggeblieben, der siebte brachte nicht genug gültige Stimmen für die Einschreibung zusammen.

Unbestreitbarer Favorit für das Präsidentenamt ist der Sozialist Ricardo Lagos, seine Anhänger*innen ziehen es vor, ihn Sozialdemokraten zu nennen. Lagos ist der offizielle Kandidat der Regierungskoalition Konzertation für die Demokratie, nachdem er sich gegen den Christdemokraten Andrés Zaldívar durchsetzte. Der Kandidat ist sowohl Mitglied der Sozialistischen Partei (PS) wie auch der Partei für die Demokratie (PPD). Diese beiden formen zusammen mit Christdemokraten (PDC) und der Radikalen Sozialdemokratischen Partei (PRSD) die Regierung.

In den Umfragen am nächsten kommt Lagos der Neo-Pinochist Joaquín Lavín von der rechten Unabhängigen Demokratischen Union (UDI), die zusammen mit der Partei Nationale Erneuerung (RN) die Allianz für Chile bildet. Erstmals in der Geschichte des Landes kandidieren zwei Frauen für das Präsidentenamt. Gladys Marin, Dozentin und Generalsekretärin der Kommunistischen Partei (PC) führt die Liste der Linken an. Die Akademikerin Sara Larraín ist eine Umweltaktivistin, die von der Partei Alternative für einen Wechsel aufgestellt wurde, obwohl sie formal als Unabhängige antritt.

Erneut präsentiert die Humanistische Partei (PH) einen Präsidentschaftsanwärter. Diesmal ist es Tomás Hirsch, Unternehmer und Mitglied der jüdischen Gemeinde. Die rechtsgerichtete Zentrumsunion (UCC) hat den Ex-Christdemokraten und heute bekennenden Pinochisten Arturo Frei aufgestellt. Er ist ein Cousin des amtierenden Präsidenten Eduardo Frei Ruíz-Tagle. Fast hätte zum ersten Mal ein Präsidentschaftsanwärter offen einen religiösen Teil der Bevölkerung repräsentiert. Doch das Wahlgericht erkannte mehrere tausend Unterschriften für den evangelischen Kirchenführer Salvador Pino nicht an und versagte ihm die Kandidatur.

Am 12. Dezember wird die Person zum Sieger erklärt, die mehr als 50 Prozent der Stimmen auf sich vereint. Wird dieser Anteil von niemandem erreicht, gibt es eine Stichwahl – voraussichtlich am 16. Januar 2000. Der Amtsantritt ist am 11. März des kommenden Jahres.

Weitere Mordanklage gegen Pinochet erhoben

(SANTIAGO, Chile).- In der chilenischen Hauptstadt ist eine neue Klage gegen den ehemaligen Diktator Augusto Pinochet erhoben worden. Danach soll Pinochet auch die Ermordung des Sozialisten Bernardo De Castro verfügt haben. Neben dem Diktator ist auch der Chef des aufgelösten Geheimdienstes DINA wegen Entführung und Mord an De Castro angeklagt. De Castro soll im Rahmen eines Planes gegen 13 führende Sozialisten am 14. September 1974 von Agenten des Dienstes verhaftet und zur Polizeizentrale gebracht worden sein. Danach sei er von einer Kaserne zur nächsten gebracht worden. Die Angaben der Klageschrift beruhen auf einem 1991 veröffentlichten Bericht der Kommission für Wahrheit und Versöhnung. De Castro blieb, wie vier andere Mitglieder der Sozialistischen Partei, verschwunden.

PARAGUAY

Außenminister zurückgetreten

(Asunción, 3. September 1999, pulsar-Poonal).- Nach seinen vergeblichen Bemühungen, die Auslieferung von Ex-Putschgeneral Lino Oviedo und Ex-Verteidigungsminister José Segovia zu erreichen, ist Paraguays Außenminister Miguel Saguier zurückgetreten. Oviedo befindet sich in Argentinien im Asyl, Segovia in Uruguay. Der erste wird direkt mit dem Mord an Vizepräsident Argaüa am 23. März dieses Jahres und den nachfolgenden Unruhen in direkte Verbindung gebracht. Segovia wird Veruntreuung im Amt vorgeworfen. 450.000 Dollar soll er für die Ausbildung von Paramilitärs abgezweigt haben.

Die Ablehnung der Auslieferungsgesuche aus politischen Gründen hat den Mercosur, dem außer den erwähnten drei Ländern noch Brasilien angehört, in eine schwere Krise gebracht. Vor wenigen Monaten hatten bereits die wirtschaftlichen Schwierigkeiten in Brasilien den Gemeinsamen Markt des Südens vor eine harte Belastungsprobe gestellt.

In Paraguay werden sogar Stimmen laut, die den Austritt aus dem Mercosur fordern. Der Zorn richtet sich vor allem gegen Argentiniens Präsident Carlos Menem, der beschuldigt wird, einen Mörder zu schützen. Der Senator Luis Alberto Mauro, Vorsitzender einer Kommission des paraguayischen Kongresses zu den Morden im März, nannte die argentinische Entscheidung „eine Beleidigung für alle demokratischen Völker der Welt“. Erhebliche Verstimmungen herrschen gleichfalls mit Uruguay. Die zu beratenden Gesprächen nach Paraguay berufene Botschafterin soll vorerst nicht ins Nachbarland zurückkehren.

Miguel Saguier ist nach Agrarminister Luis Wagner der zweite Minister der mitregierenden Liberalen Partei, der innerhalb von zehn Tagen zurücktritt. Der Außenminister wird von verschiedenen Gruppen inner- und außerhalb des Parlamentes mitverantwortlich dafür gemacht, dass Oviedo und Segovia weiterhin unbehelligt in ihrem Exil leben können. Sie werfen Saguier vor, sich nicht ausreichend für die Auslieferung eingesetzt haben.

KOLUMBIEN

Generalstreik dauerte nur zwei Tage

(Bogotá, 2. September 1999, pulsar-Poonal).- Die wichtigsten kolumbianischen Gewerkschaften haben beschlossen, den unbefristeten Generalstreik (vgl. vergangene Poonal-Ausgabe) nach nur 48 Stunden wieder einzustellen. Hintergrund ist eine Verständigung mit der Regierung, die sich verhandlungsbereit zeigte. Sie sagte zu, alle schätzungsweise 200 während der Proteste festgenommenen Personen umgehend freizulassen und die gewerkschaftliche Aktivität zu respektieren. Über einzelne Forderungen soll mit fünf Ministern diskutiert werden. Die Delegierten der vier stärksten Gewerkschaftsdachverbände haben der Regierung einen 41-Punkte-Plan überreicht. Darin geht es unter anderem um die Garantie der Menschenrechte sowie eine Aussetzung der Auslandsschuld. Die Regierung erklärt, alles sei verhandelbar bis auf die Punkte, die bereits geschlossene Abkommen mit dem Internationalen Währungsfonds betreffen.

Erneute Angriffe gegen MenschenrechtsverteidigerInnen

(Bogotá, 1. September 1999, ac-Poonal).- Zwei Sprengsätze explodierten am 29. August vor dem Sitz des Sozialforschungsinstituts IPC und dem Sitz der Kooperative der Angestellten der städtischen Müllabfuhr von Medellin. Ein weiterer Sprengsatz beim Sitz der Gewerkschaft USO konnte entschärft werden. Bereits im Januar 1999 überfielen Paramilitärs der AUC den Sitz des Sozialforschungsinstitutes IPC und verschleppten vier Mitarbeiter*innen, die sie beschuldigten Guerilleros zu sein. Später wurden die Menschenrechtsaktivisten dank des großen nationalen und internationalen Drucks wieder freigelassen.

Guerilla erklärt Finanzminister zum militärischen Ziel

(Bogotá, 1. September 1999, pulsar-Poonal).- Ein städtisches Kommando des Nationalen Befreiungsheeres (ELN) hat den kolumbianischen Finanzminister Juan Camilo Restrepo zum „militärischen Ziel“ erklärt. Gleichzeitig übernahm das Kommando die Verantwortung für die in den vergangenen Tagen erfolgten Sprengstoffanschläge gegen Privatbanken in Bogotá. Die sogenannten „städtischen Kommandos Hauptmann Carlos Reyes der ELN“ erklärten auch den Bürgermeister von Bogotá, Enrique Peüalosa, die Vorsitzende des kolumbianischen Sparkassenverbandes und die Geschäftsführer der öffentlichen Unternehmen zu militärischen Zielen. Ein entsprechendes Kommuniqué wurde über den kolumbianischen Rundfunk verbreitet. „Alle, die den Ausverkauf der nationalen Unabhängigkeit betreiben und für die schlechte Behandlung sowohl der Arbeiter wie der kolumbianischen Bevölkerung allgemein zuständig sind“, hieß es, seien nunmehr Ziele der ELN- Aktivitäten. In der Guerillaverlautbarung wird insbesondere die laufende Verhandlungsrunde der kolumbianischen Regierung mit dem Internationalen Währungsfonds abgelehnt.

Neue Schwarze Listen der Paramilitärs

(Bogotá, 1. September 1999, ac-Poonal).- Eine Gruppe die sich „Kolumbianische Rebellenarmee“ nennt, hat eine Liste mit den Namen von 20 Personen verteilt, die sie aufgrund der Beschuldigung „den Krieg zwischen den Kolumbianern, den Hass und den Klassenkampf zu schüren“ mit dem Tod bedrohten. Auf der Liste finden sich die Namen bekannter Gewerkschafter, Menschenrechtler, Schriftsteller und Universitätsprofessoren. So sind die Menschenrechtsaktivisten Alirio Uribe und Javier Giraldo, der Schriftsteller Arturo Alape und mehrere Politologen des Instituts für Politik und internationale Beziehungen (IEPRI) der Nationalen Universität aufgeführt.

Auch in Medellin tauchte eine neue Liste auf, auf der die AUC vierzig Personen – Student*innen, Gewerkschaftler und Angestellte der Universität von Antioquia – mit dem Tod bedrohen. Diese Meldung löste unter der Universitätsgemeinschaft Abscheu aus, denn Carlos Castaño, der Chef der kolumbianischen Paramilitärs, hatte nur acht Tage zuvor versichert, die Gewaltakte gegen die Universität zu unterlassen. Auf der Liste sind selbst die Telefonnummern der Bedrohten aufgeführt, die als „Aufrührer, Subversive, Anarchisten und chaotische Katholiken“ bezeichnet werden. Am 7. August war der Studentenführer Gustavo Marulanda außerhalb der Universität ermordet worden. Einen Tag zuvor erschossen Unbekannte den Betreiber der Mensa an der juristischen Fakultät.

Auch Homosexuelle dürfen fürs Vaterland sterben

(Bogotá, September 1999, fempress-Poonal).- Nach Auffassung des Verfassungsrichters Vladimiro Naranjo müssen die Streitkräfte und die Polizei auch homosexuelle Soldaten in ihren Reihen aufnehmen. Dagegen sprechende Disziplinarregeln sollten beseitigt werden. Nach dem Disziplinarrecht der kolumbianischen Streitkräfte bedeutet Homosexualität genauso wie „wilde Ehe“ und Ehebruch einen Verstoß gegen die militärische Ehre. Armeekommandant Tapias dazu: „Wir haben eine strenge Disziplin und besondere Eigenschaften der Institution. Unsere Männer lassen sich vom Beispiel leiten und stellen sich ethischen, moralischen und körperlichen Anforderungen, die sie freiwillig akzeptieren. Die Grundlage der Einrichtung ist die Disziplin.“ Richter Naranjo dagegen meint, die vom Militär kritisierten Verhaltensweisen verstießen weder gegen die höheren Interessen der Gesellschaft noch würden sie die Arbeit der staatlichen Sicherheitskräfte schädigen. Von daher gäbe es keinen Grund, selbige als fehlende Disziplin einzustufen. Im Gegenteil sei es eine Rechtsverletzung und Diskriminierung, wenn jemand wegen seiner Homosexualität bestraft würde. Denn es würde einer Person dann wegen einer bestimmten sexuellen Orientierung verboten, eine Aktivität auszuüben.

ARGENTINIEN

Oberster Gerichtshof entscheidet gegen Massera

(Buenos Aires, 3. September 1999, pulsar-Poonal).- Das frühere Mitglied in der argentinischen Militärjunta (1976-83), Admiral i. R. Emilio Massera, ist zu einer Entschädigungszahlung von 120.000 Dollar verurteilt worden. Das höchste Gericht des Landes entschied, dass er diese Summe an den einzigen Überlebenden einer Familie zahlen muss, die Opfer der Diktatur wurde. Daniel Tarnopolsky, der seine Eltern und seine zwei Brüder verlor, hatte den Staat verklagt. Das Urteil ist ein Präzedenzfall. Bei ähnlichen Prozessen entfiel die Verantwortung für Entschädigungszahlungen immer ausschließlich auf den Staat, aber nie auf die verantwortlichen Einzelpersonen des Militärregimes. Auch die Argumentation der heutigen Regierung, die Tat – eine Entführung mit anschließendem Verschwindenlassen der Familie – sei verjährt, ließ der Oberste Gerichtshof nicht gelten. „Solange das Schicksal oder der Aufenthaltsort des verschwundenen Opfers nicht geklärt ist, hat das Verbrechen permanenten Charakter“, belehrten die Richter die Regierung. Diese muss zusätzlich eine Entschädigungssumme von einer Million Dollar an Tarnopolsky zahlen.

Prostituierte als Gesundheitspromotorinnen

Von Andrés Gaudin

(Buenos Aires, 6. September 1999, na-Poonal).- „Am Anfang organisierten wir uns, um uns vor der Repression und Ausbeutung der Polizei zu schützen. Aber dann bemerkten wir die Notwendigkeit, die Kolleginnen über die gesundheitlichen Risiken der Prostitution zu informieren.“ Das sagt Elena Eva Reynoga, die Generalsekretärin der unlängst gegründeten Hurenvereinigung Argentiniens (AMMAR). Die Gewerkschaft führt ein innovatives Projekt durch, mit dem Gesundheits- und Vorsorgepromotorinnen ausgebildet werden, die die Geschlechtskrankheiten bekämpfen. „Die Idee kam von uns“, erklärt Reynoga mit Stolz in der Stimme.

Die Initiative der Frauen, sich zu organisieren, kam fast zwangsläufig zustande. Das Vorgehen der Polizei gegen die Prostituierten auf dem Strassenstrich um die Bahnstation Constitución im Zentrum von Buenos Aires ließ ihnen kaum eine andere Wahl. „Wir waren und sind es leid, an die Polizei zu bezahlen, damit wir arbeiten können. Wenn wir keine Quote von 20 Dollar täglich abgeben, sperren sie uns 24 Stunden ein und misshandeln uns“, sagt Laura C. eine 45-jährige Frau und Mutter von zwei Kindern, die nach einem Jahr Arbeitslosigkeit mit 39 in den Job einstieg.

Zwar existieren keine Statistiken, doch wird von 6.500 Huren in den Strassen der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires ausgegangen. Mehr als 60 Prozent von ihnen kam aus dem Landesinneren in der Hoffnung, eine Beschäftigung zu finden. Die Krise auf dem Arbeitsmarkt – mit einer Arbeitslosenquote von 16 Prozent – brachte sie zur Prostitution.

Sich zu organisieren, war anfangs schwierig. Die Frauen trafen sich in den Büros der Gewerkschaften, die der Zentrale der Argentinischen Arbeiter*innen (CTA) angeschlossen sind. Doch bis dorthin verfolgte sie die Polizei. „Da wir die Organisationen der Compañeros keinem Risiko aussetzen wollten, begannen wir, uns an irgendeiner Ecke oder in Bars zu treffen. Bei diesen Gesprächen erfuhren wir über die Aids-Fälle unter uns. Wir halfen mit Geld aus, aber sahen, dass das nicht genug war“, erinnert sich Elena Reynoga. So entstand die Idee, Vorsorgekampagnen durchzuführen, die allgemein über die Krankheiten auf sexuellem Übertragungsweg informierten.

Das war 1995, das Geburtsjahr der Hurengewerkschaft, die allerdings noch heute auf die juristische Anerkennung als Organisation wartet. Carmen Bazán, die zweite in der Gewerkschaftshierachie der Prostituierten, ist offen: „Wir müssen realistisch sein. AMMAR existiert dann der Unterstützung von der CTA und das Ausbildungsprogramm für Gesundheitspromotorinnen besteht aus zwei Gründen: erstens gibt die CTA uns ihre Rechtspersönlichkeit und eine mächtige Repräsentativität und zweitens machte die Weltbank die Gelder für den Gesundheitsbereich von unserer Beteiligung abhängig.“

Die Arbeit begann mit einer 20-seitigen Broschüre in einfacher und didaktischer Sprache, für das UNO-Entwicklungsprogramm, das Aids- Bekämpfungs-Programm (LuSida) des Gesundheitsministeriums und AMMAR verantwortlich zeichneten. Die Hurengewerkschaft verteilte die Broschüre unter den Strassenprostituierten und eröffnete die Diskussion in denselben Bars, in denen die Gewerkschaft geboren wurde.

Laut den Vereinbarungen mit PNUD und LuSida sollte AMMAR mindestens zehn Workshops organisieren, an deren Vorbereitung eine interdisziplinäre Gruppe von CTA-Gewerkschaftern, Hygiene- Experten, Infektologen, Anthropologen, Sozialpsychologen und Anwälten beteiligt war. Es wurden am Ende 40 Workshops und außer der vorgesehenen Thematik der Gesundheitshygiene wurden dabei auch die Menschenrechte in ihrem umfassenden Sinn besprochen. 30 Gesundheitspromotorinnen für die Themen Aids und Geschlechtskrankheiten erhielten eine Ausbildung.

Von diesen Frauen kamen bis auf eine Ausnahme alles aus dem Landesinneren. In einer zweiten Etappe werden die Promotorinnen jetzt in verschiedene Landesteile reisen, dort ihr Wissen weitergeben und selber neue Promotorinnen ausbilden. Nach einigen Monaten kehren sie in ihre Heimatorte zurück, um dort mit ihren Kolleginnen die Arbeit fortzuführen. Derzeit beschränken die Promotorinnen ihre Arbeit nicht nur auf den Kreis der Prostituierten. Sie bieten die Workshops auch für auf der Strasse lebende Jugendliche an, ebenfalls eine Gruppe, die besonders gefährdet ist, sich mit Aids und Geschlechtskrankheiten zu infizieren.

BRASILIEN

Kirchen und sozialen Organisationen reicht es

(Brasilia, 8. September 1999, alc-Poonal).- Die wichtigsten Kirchen, Verbände und Gewerkschaften Brasiliens haben die Bevölkerung in einem gemeinsamen Dokument aufgerufen, sich unter dem Motto „Veränderungen jetzt“ zu mobilisieren. Zu den Unterzeichnenden gehören trotz teilweise unterschiedlicher politischer Ansichten die Nationale Bischofskonferenz, der Rat der christlichen Kirchen, die Anwaltsvereinigung, die Landlosenbewegung, der Gewerkschaftsdachverband CUT, die Konföderation der Landarbeiter, die Journalistengewerkschaft, der nationale Studentenverband und ein Dutzend weitere Organisationen.

Das Dokument unterstreicht vor allem die schwere wirtschaftliche und soziale Krise des Landes und nennt eine Reihe von Beispielen. Kritisiert wird das von der Regierung verfolgte und sich an den Leitlinien des Internationalen Währungsfonds (IWF) orientierte Wirtschaftsprogramm der Regierung. Diese herrsche für eine privilegierte Minderheit, favorisiere die Straffreiheit und sei unfähig, die Korruption zu verhindern, so die Anklage. Ein Minimalprogramm, dass die Arbeitslosigkeit beende und Beschäftigung garantiere, sowie eine Verbesserung des öffentlichen Gesundheits-, Bildungs- und Wohnungswesen sei dringend geboten.

Zu den Forderungen gehört auch, das Abkommen mit dem IWF zu überprüfen, die Privatisierungen auszusetzen und die enormen Gewinne zu kontrollieren und abzuschöpfen, welche die Banken im Zuge der abrupten Abwertung des brasilianischen Real vor einigen Monaten machten. Vorgeschlagen wird eine Grundrente für die Bevölkerung, die Reform die Justizwesens und die endgültige Markierung der Indígena-Territorien.

„Die Krise lässt sich nicht mit Flicken lösen, sondern nur mit einem neuen Projekt der Nation. Wir rufen die brasilianische Gesellschaft auf, die notwendigen Veränderungen zu diskutieren und sich zu mobilisieren, um sie durchzusetzen. Veränderungen wird es nur durch den Zusammenschluss aller Kräfte geben, die gegen das aktuelle Wirtschaftsmodell sind“, heißt es in dem Dokument.

Flächenbrände in Brasilien bedrohen Umwelt und Landwirtschaft –

Brandrodung und Trockenheit gefährden zwei Drittel des Landes

Von Andres Canizalez

(Rio de Janeiro, 6. September 1999, npl).- Riesige Wald- und Steppenbrände bedrohen Brasilien. Rund 70 Prozent des Landes sind von den mittlerweile 31.000 Brandherden betroffen, meldet das brasilianische Umweltinstitut IBAMA. In der Region Mato Grosso im Westen des südamerikanischen Landes ist bereits der Ausnahmezustand ausgerufen worden, andere Gegenden sind nur noch per Flugzeug zu erreichen.

Ursache der unzähligen Feuer ist neben der langanhaltenden Trockenheit die Gewohnheit vieler Bauern, gerodetes Land durch Abbrennen urbar zu machen. Unvorsichtigkeit und böige Winde lassen schnell ein Flammenmeer entstehen. Hinzu kommt die mangelnde Kontrolle dieser Praxis durch die Behörden. Laut Meteorologen wird der nächste Regen noch bis zu zwei Wochen auf sich warten lassen. Das Umweltministerium befürchtet, dass die verheerende Rekordbilanz des vergangenen Jahres, als 56.000 Quadratkilometer Amazonaswald im Bundesstaat Roraima verbrannten, noch übertroffen wird. Umweltschützer kritisieren bereits Brasiliens Präsident Fernando Cardoso, dem sie mangelnde Vorsorge anlasten: Jedes Jahr habe die Trockenzeit im August und September Flächenbrände zur Folge, ohne dass die Regierung rechtzeitig Maßnahmen ergreife, erklärte Garo Batmanian, Direktor des World Wide Fund for Nature (WWF).

In 15 der 27 Bundesstaaten des fünftgrößten Landes der Erde geht die Feuerwehr gegen die Brände vor. Mato Grosso, zweieinhalb Mal so groß wie Deutschland, forderte bereits Unterstützung seitens der Armee an. Hier ist auch das bei Touristen beliebte Ökosystem Pantanal gefährdet. In der abgelegenen Sumpflandschaft sind bereits viele exotische Pflanzen und seltene Tiere den Flammen zum Opfer gefallen.

Die unkontrollierbaren Brände gefährden nicht nur die Umwelt und Teile Amazonas-Urwaldes. Im Westen des Landes mussten mehrere Dörfer evakuiert werden, kleine Flugplätze wurden geschlossen. Teilweise wurden Ernten zerstört, wodurch vor allem die Versorgung der riesigen Rinderherden in der Region in Frage gestellt ist. Im Süden, in den Bundesstaaten Sao Paolo und Minas Gerais, kam es allein im August zu 40 weiträumigen Stromausfällen, nachdem die Flammen die Überlandleitungen kappten. Inzwischen greift das Feuer auch auf die Nachbarländer Bolivien und Paraguay über.

Umweltminister Jose Sarney, Sohn des gleichnamigen Ex-Präsidenten, kündigte noch für diesen Monat die Verabschiedung eines „Gesetzes gegen Umweltkriminalität an. Damit soll der gängigen Praxis, just in der Trockenzeit Tausende Hektar Land einer Brandrodung zu unterziehen, Einhalt geboten werden. Doch selbst Sarney ist skeptisch: „Das Gesetz wird nicht viel ausmachen, denn die Brände sind ein kulturelles Problem.“ Die Brandrodungen seien zwar Delikte, doch in einem so großen Land wie Brasilien, so der Umweltminister, könnten sie kaum juristisch verfolgt werden.

LATEINAMERIKA/WELTMARKT

Die Welthandelsorganisation und der Freihandel – ein destruktiver Prozess

Von Gerard Coffey

(Quito, August 1999, alai-Poonal).- 1994 wurde nach sieben Jahren Verhandlungsdauer in der Uruguay-Runde die Welthandelsorganisation (WTO) gegründet. Sie löste das GATT ab, das seit 1947 die in der Konferenz von Bretton Woods festgelegten Prinzipien des weltweiten Handels regeln sollte. Die WTO hat seit ihrer Gründung weltweite Handelsverträge ausgearbeitet, die den Neoliberalismus über die Ausweitung des „Freihandels“ fördern. Auch wenn die Organisation nicht formal mit ihren Schwesterorganisationen Weltbank und IWF verbunden ist, so ist die Beziehung der drei doch von Mal zu Mal enger.

Im November diesen Jahres werden sich die Minister der 134 Mitgliedsstaaten der WTO im US-amerikanischen Seattle treffen. Auf der Tagesordnung stehen einige wichtige Punkte. So sollen beispielsweise die handelsrelevanten Punkte von Rechten an intellektuellem Eigentum (Patentrecht), von Wäldern, und von transgenetischen Pflanzen behandelt werden und ein Verfahren zur Lösung von Gegensätzen innerhalb der WTO gefunden werden.

Das für die Südländer wichtigste Thema ist aber vielleicht die mögliche Veranlassung einer neuen Diskussionsrunde, der sogenannten Jahrtausendrunde. Darin soll es um die Revision einiger Abkommen über Landwirtschaft und Dienstleistungen gehen und es soll auch über neue Punkte wie elektronischen Handel, Wettbewerb und vor allem über ein Abkommen über den freien Fluss von Investitionen gesprochen werden. Der letztgenannte Punkt ist der Versuch, erneut die Schaffung des Multilateralen Investitionsabkommens (MAI) zu versuchen, das wegen des Drucks verschiedener sozialer Organisationen und Unstimmigkeiten in den eigenen Reihen von der ÖCD abgelehnt wurde. Dieses Abkommen gilt als Charta Magna der transnationalen Unternehmen. Es soll ihnen unter anderem das Recht einräumen, Staaten zu verklagen, wenn sie durch Gesetze die Rentabilität einschränken.

Allgemein ist bei diesen Betrachtungen zu bedenken, dass der Handel die Machtverhältnisse stützt und umgekehrt die Machtverhältnisse sich im Handel widerspiegeln. Mächtige Staaten wie die USA oder die EU gehen also meist als Gewinner aus den Verhandlungen hervor. Noch fundamentaler ist die Sorge über das Konzept des Freihandels. Nach gängiger Schulmeinung können alle, die am Welthandel teilnehmen, reicher werden. Doch industrielle Produktion und weltweiter Handel zerstören die sozialen und natürlichen Grundlagen dieses Planeten. Die Schere zwischen Armen und Reichen klafft immer weiter auseinander.

Die Anschauung, der Handel könne grenzenlos wachsen, basiert auf den vorherrschenden Wirtschaftstheorien. Während dieses Prinzip beim Geld, das auf der Bank liegt, sehr wohl gilt (es sei denn, die Bank macht pleite), so darf die Gültigkeit dieses Prinzips doch bezweifelt werden, wenn es auf den Handel angewendet wird. Vermehrter Handel bedeutet immer vermehrte Produktion. Selbst der Handel mit Informationen und Dienstleistungen, der sich ja nicht auf konkrete Güter bezieht, braucht Papier, Raum, Energie usw., um zu bestehen. Für die letzten 50 Jahre wird allgemein von einer Steigerung des weltweiten Handels um den Faktor elf ausgegangen, die Produktion stieg im gleichen Zeitraum um das fünffache.

Die Folgen gesteigerter Produktion in all ihren Phasen auf Gesellschaft und Umwelt sind bekannt: Von der Ausbeutung der Rohstoffe, über die Umwandlung dieser Rohstoffe, und die Herstellung von Gütern, ihren Transport, und ihre letztliche Bestimmung verschmutzt sie die Flüsse, die Luft und den Boden, vernichtet die letzten natürlichen Wälder dieses Planeten, zerstört den schützenden Ozonmantel und verändert das Klima und die Meeresströmungen. Und die Folgen beschränken sich nicht auf die „natürliche“ Welt, sondern sind vor allem in den menschlichen Gesellschaften deutlich sichtbar. Die wachsende industrielle Produktion vernichtet weltweit die Urbevölkerung, die eine andere Weltanschauung hat, als nur den Marktgesetzen zu folgen. Die Rechte dieser Menschen, die keine „Bürger“ des weltweiten Wirtschaftssystems sind, werden systematisch verletzt. Denn nach der Logik des Marktes sind sie ein Hindernis auf dem Weg zur „Entwicklung“, mit anderen Worten für die Wenigen, die wirklich vom herrschenden Modell profitieren. Ironischerweise sind es die Gesellschaften, die das leben, was wir suchen: Ein nachhaltiges Leben.

Der andere Weg

Der andere Weg besteht darin, zu entscheiden, nicht weiterhin zu zerstören, um die Reichen noch reicher zu machen und die Unterschiede zwischen ihnen und den Armen noch größer zu machen. Das heißt: Der Markt kann nicht frei sein und der Handel muss sozialen und ökologischen Schranken unterliegen. Damit der Markt dem Menschen dient, und nicht umgekehrt, müssen alle sozialen Bewegungen die Jahrtausendrunde und ähnliche, auf eine Ausdehnung des Freihandels gerichteten Verhandlungen ablehnen. Die Industrieländer, allen voran die USA und die EU drängen die Länder der Dritten Welt zu einer neuen Verhandlungsrunde, obwohl sich seit den letzten Verhandlungen die negativen Auswirkungen für diese Länder klar gezeigt haben. Genauso klar ist, dass die derzeitige Exportpolitik für die Erzeugerländer äußerst ungünstig ist. Das Bruttoinlandsprodukt in Lateinamerika ist in den vergangenen zwei Jahrzehnten um 3,3 Prozent gestiegen, das Ausfuhrvolumen stieg in der gleichen Zeit um 300 Prozent. Hier wird noch einmal ganz klar, worum es geht: Um die Plünderung dieser Länder. Mit der Welthandelsorganisation wird diese Tendenz noch vertieft, daher muss dieser Freihandelsprozess gestoppt werden.

Der Handel muss Beschränkungen und Gesetzen gehorchen. Abkommen wie die über die biologische Vielfalt, zum Schutz der Ozonschicht, dem Handel mit giftigen Substanzen und ähnliche sind nötig, um den Handel zu regeln. Es gilt zu fordern, dem Handel eine diesen Abkommen nachgeordnete Rolle einnehmen zu lassen. Statt über eine weitere Ausdehnung des Freihandels zu diskutieren, sollten Verhandlungen zum Schutz der Wälder geführt werden. Statt über eine Freigabe von Investitionen zu reden, sollte lieber über ihre wirksame Kontrolle nachgedacht werden.

Der Markt muss sich an den nationalen Interessen ausrichten und nicht an den Exporten. Mit der von Weltbank und IWF betriebenen Exportpolitik sollen zwei Ziele erreicht werden: Die Sicherung der Zinszahlungen für die Auslandsschulden und eine billige Lieferung von Rohstoffen an die Industrieländer. Die Länder im Süden haben keine Kontrolle über den Weltmarkt. Die industrialisierten Länder laden sich mit ihrer jetzigen Politik eine enorme ökologische Schuld auf.

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